Zusammenfassung
Der Gesellschaftsbegriff scheint unverzichtbar für die Soziologie zu sein, verspricht er doch, die Sozialwelt in umfassender Weise verständlich machen zu können. Über Jahrzehnte hinweg findet er sich in allen Lexika des Faches. Zugleich betonen die Verfasser immer wieder die Diffusität und Vieldeutigkeit des Begriffs (Geiger 1982 [1931]: 40; König 1958: 96; Büschges 1989: 245; Nassehi 2008). Von Beginn an ist er kontrovers. Während Durkheim mit ihm die Existenzberechtigung der neuen Universitätsdisziplin zu rechtfertigen sucht, versteht Weber seine Soziologie gerade als Forschungsprogramm zur Ausmerzung solcher diffusen Kollektivbegriffe. In der jüngeren Theoriediskussion ist die Situation nicht eindeutiger geworden (Greve 2008a). Neben einem systemtheoretischen Gesellschaftskonzept (Parsons, Luhmann) finden sich Versuche, den Grundbegriff über eine Kombination aus Handlungs- und Systemtheorie zu entwickeln (Habermas, Schimank) oder ihn hand-lungstheoretisch zu fundieren (Giddens, Esser). Quer zu den Grundpositionen von methodologischem Individualismus und Holismus wird an diesem Grundbegriff festgehalten und an einer analytisch aussichtsreichen Konzeptualisierung gearbeitet. Da das Copyright auf diesen Begriff im Besitz des methodologischen Holismus ist, werde ich mich, nach einem kurzen theoriegeschichtlichen Rückblick (I), zunächst auf ersteren und dabei auf die Diskussion um die neuere Systemtheorie konzentrieren (II, III). Hier liegt die ambitionierteste Version des Gesellschaftskonzepts vor, und zugleich offenbart sie die Schwächen dieses Begriffs. Auch einige methodologische Individualisten lassen sich von diesem Kollektivbegriff beeindrucken und glauben, nicht auf „Gesellschaft“ verzichten zu können (IV). Es ist die (vorläufig) letzte Schwundstufe eines traditionsreichen Begriffs.
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Schwinn, T. (2011). Von starken und schwachen Gesellschaftsbegriffen Verfallsstufen eines traditionsreichen Konzepts. In: Schwinn, T., Kroneberg, C., Greve, J. (eds) Soziale Differenzierung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-93143-2_2
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