Auszug
Bildungsaufstieg2 stellt an Heranwachsende gesteigerte Transformationsanforderungen. Er kann — beispielsweise — damit verknüpft sein, im Verhältnis zu den Erwartungen oder zu einem ‚Auftrag’ der Eltern einen eigenen Weg finden zu müssen. Wie es sich in den zitierten Passagen andeutet, kann ein solcher ‚Auftrag’ umso bedrängender erlebt werden, wenn er in der Elterngeneration aus Missachtungs- oder Ausgrenzungserfahrungen resultiert oder wenn Kinder durch ihren Aufstieg auch Leid und Mühen der Eltern zu kompensieren versuchen. In diesem Sinne kann für die ‚zweite Generation’ die Schwierigkeit entstehen, eigene Bildungsanstrengungen und Ambitionen von einer Anpassung an die Wünsche und Themen der Eltern abzugrenzen. Diese Konstellation ist ein Beispiel dafür, dass Differenzen oder auch Benachteiligung im Verhältnis zu Kindern aus so genannten ‚bildungsnahen’ Familien nicht nur Folgen unterschiedlicher Ressourcen an ökonomischem, kulturellem und sozialem Kapital im engeren Sinne sind. Gesteigerte Transformationsanforderungen ergeben sich zudem daraus, dass der Sinn- und Praxishorizont der generationalen Tradierungen und eingeschliffenen Lebenspraktiken der Herkunftsfamilie und des Herkunftsmilieus, vertraute Deutungs- und Beziehungsmuster in einigen Hinsichten aufgegeben oder transzendiert werden müssen. Bildungsaufstieg beinhaltet, das Bildungsmilieu der Herkunftsfamilie in einigen Hinsichten zu verlassen und sich von damit verbundenen sozialen Beziehungen und soziokulturellen Praktiken stärker zu entfemen.3 Entsprechend bedarf es — individuell und intergenerational — spezifischer psychosozialer Motivationen und Kompetenzen, zum Beispiel ausreichender Fähigkeiten, sich abzulösen, verinnerlichte Muster umzugestalten, (intergenerationale) Differenz anzuerkennen, aber auch Schuldgefühle, Neid und Rivalität zu verarbeiten. Gerade Aufstiegsprozesse sind auch innerfamilial mit intergenerationalen Ambivalenzen verknüpft, die sich unter ungünstigen Bedingungen hemmend auswirken können.4 Die zur Bewältigung notwendigen Kompetenzen gehen zugleich oft über das hinaus, was innerfamilial selbstverständlich angeeignet werden kann. Ob und wie die mit Bildungsaufstieg einhergehenden gesteigerten Transformationsanforderungen bewältigt werden, hängt insofern zwar einerseits von den Ressourcen und Belastungen in den familialen Generationenbeziehungen ab, aber anderseits auch von den Möglichkeiten der biographischen Verarbeitung und der Umgestaltung dieser Erfahrungen in unterschiedlichen außerfamilialen sozialen Feldern im Verlauf der Adoleszenz. Bildungskarrieren sind in diesem Sinne verwoben mit adoleszenten Entwicklungen und Verläufen, die in sich modernisierenden Gesellschaften auch in Bezug auf die spätere soziale Platzierung, in Bezug auf die Weitergabe oder Umwandlung des familialen ‚sozialen Erbes’ besondere Bedeutung bekommen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Similar content being viewed by others
Literatur
Apitzsch, U. (1993): Migration und Ethnizität. In: Peripherie 13, Nr. 50, 22–35
Apitzsch, U. (2003): Zur Dialektik der Familienbeziehungen und zu Gender-Differenzen innerhalb der Zweiten Generation. In: Psychosozial 26, H. III, Nr. 93, 67–80
Baros, W. (2001): Familien in der Migration. Eine qualitative Analyse zum Beziehungsgefüge zwischen griechischen Adoleszenten und ihren Eltern im Migrationskontext. Frankfurt/M: Peter Lang
Baumert, J. et al. (Hrsg.) (2001): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich
Becker, R./Lauterbach, W. (2004a): Dauerhafte Bildungsungleichheiten — Ursachen, Mechanismen, Prozesse und Wirkungen. In: Becker/Lauterbach (2004b): 225–250
Becker, R./Lauterbach, W. (Hrsg.) (2004b): Bildung als Privileg? Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bildungsungleichheit. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Berger, P.A. (Hrsg.) (2005): Institutionalisierte Ungleichheiten. Wie das Bildungswesen Chancen blockiert. Weinheim: Juventa
Bosse, H./King, V. (Hrsg.) (2000): Männlichkeitsentwürfe. Wandlungen und Widerstände im Geschlechterverhältnis, Frankfurt/M.: Campus
Bourdieu, P. (1980a): ‚Jugend’ ist nur ein Wort. In: Bourdieu (1980b): 136–146
Bourdieu, P. (1980b): Soziologische Fragen. Frankfurt/M.: Suhrkamp
Bourdieu, P. (1993): Sozialer Sinn. Frankfurt/M: Suhrkamp
Bourdieu, P. (1997): Das väterliche Erbe. Probleme der Vater-Sohn-Beziehung. In: Bosse/King (2000): 83–91
Brake, A./Büchner, P. (2003): Bildungsort Familie: Die Transmission von kulturellem und sozialem Kapital im Mehrgenerationenzusammenhang. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 7, 618–638
Bründl, P./Kogan, I. (Hrsg.) (2005): Kindheit jenseits von Fremdheit und Trauma. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel
Diefenbach, H. (2004): Bildungschancen und Bildungs(miss)erfolg von ausländischen Schülern oder Schülern aus Migrantenfamilien im System schulischer Bildung. In: Becker/Lauterbach (2004b): 225–250
Elias, N./Scotson, J.L. (1965/2000): Etablierte und Außenseiter. Frankfurt/M.: Suhrkamp
Engler, St./Krais, B. (Hrsg.) (2005): Das kulturelle Kapital und die Macht der Klassenstrukturen. Weinheim: Juventa
Friedrichs, W./Sanders, O. (Hrsg.) (2002): Bildung und Transformation. Bielefeld: transcript
Fürstenau, S. (2004): Transnationale (Aus-)Bildungs-und Zukunftsorientierungen. Ergebnisse einer Untersuchung unter zugewanderten Jugendlichen portugiesischer Herkunft. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 7, 33–58
Gans, H. (1992): Second-generation decline: scenarios for the economic and ethnic futures of the post-1965 American immigrants. In: Ethnic Racial Stud. 15(2), 173–192
Geißler, R. (2005): Die Metamorphose der Arbeitertochter zum Migrantensohn. Wandel der Chancenstruktur im Bildungssystem nach Schicht, Geschlecht, Ethnie und deren Verknüpfungen. In: Berger (2005): 71–100
Gogolin, I. (2000): Minderheiten, Migration und Forschung. Ergebnisse des DFG-Schwerpunktprogramms FABER. In: Gogolin/Nauck (2000): 15–35
Gogolin, I./Nauck, B. (Hrsg.) (2000): Migration, gesellschaftliche Differenzierung und Bildung. Opladen: Leske + Budrich
Gogolin, I./Neumann, U./Reuter, L. (1998): Schulbildung für Minderheiten. In: Zeitschrift für Pädagogik, 44, 663–678
Gomolla, M./Radtke, F.-O. (2002): Institutionelle Diskriminierung. Opladen: Leske + Budrich
Grundmann, M. et al. (2004): Bildung als Privileg und Fluch — zum Zusammenhang zwischen lebensweltlichen und institutionalisierten Bildungsprozessen. In: Becker/Lauterbach (2004): 41–68
Günther, M. (2001): Die Bedeutung der Adoleszenz im Migrationsprozess am Beispiel junger Guineer in Deutschland. Diplomarbeit, Fb. Gesellschaftswiss., Univ. Frankfurt/M.
Gutiérrez Rodriguez, E. (1999): Intellektuelle Migrantinnen. Opladen: Leske + Budrich
Hummrich, M. (2002): Bildungserfolg und Migration. Opladen: Leske + Budrich
Juhasz, A./Mey, E. (2003): Die zweite Generation: Etablierte oder Außenseiter? Wiesbaden: Westdeutscher Verlag
King, V. (2004): Die Entstehung des Neuen in der Adoleszenz. Individuation, Generativität und Geschlecht in modernisierten Gesellschaften. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften
King, V. (2005a): Bildungskarrieren und Männlichkeitsentwürfe bei Adoleszenten aus Migrantenfamilien. In: King/Flaake (2005): 57–76
King, V. (2005b): Adoleszenz und Migration — eine verdoppelte Transformationsanforderung. In: Bründl/Kogan (2005): 30–51
King, V. (2006): Weibliche Adoleszenz und Migration — Bildungs-und Entwicklungsprozesse junger Frauen in Migrantenfamilien. In: Kordes (2006): 141–154
King, V. /Flaake, K. (Hrsg.) (2005): Männliche Adoleszenz. Frankfurt/M.: Campus
King, V./Müller, B. (Hrsg.) (2000): Adoleszenz und pädagogische Praxis. Freiburg: Lambertus
King, V./Schwab, A. (2000): Flucht und Asylsuche als Entwicklungsbedingungen der Adoleszenz. In: King/Müller (2000): 209–232
Klinger, C. (2003): Ungleichheit in den Verhältnissen von Klasse, Rasse und Geschlecht. In: Knapp/Weiterer (2003): 14–49
Knapp, G.-A./Wetterer, A. (Hrsg.) (2003): Achsen der Differenz. Münster: Westfälisches Dampfboot
Koller, H.-C. (2002): Bildung und Migration. Bildungstheoretische Überlegungen im Anschluss an Bourdieu und Cultural Studies. In: Friedrichs/Sanders (2002): 181–200
Koller, H.-C. (2005): Bildung (an) der Universität? Zur Bedeutung des Bildungsbegriffs für Hochschulpolitik und Universitätsreform. In: Liesner/Sanders (2005): 79–100
Kordes, H. et al. (Hrsg.) (2006): Interkulturell denken und handeln. Frankfurt/M.: Campus
Liesner, A./Sanders, O. (Hrsg.) (2005): Bildung der Universität. Bielefeld: transcript
Mecheril, P. (2003): Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-)Zugehörigkeit. Münster: Waxmann
Nauck, B. et al. (1997): Familiäre Netzwerke, intergenerative Transmission und Assimilationsprozesse bei türkischen Migrantenfamilien. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 49, 477–499
Neumann, U. (1980): Erziehung ausländischer Kinder. Düsseldorf: Schwänn
Neumann, U./Reuter, L. (2004): Interkulturelle Bildung in den Lehrplänen — neuere Entwicklungen. In: Zeitschrift für Pädagogik, 50, H. 6, 803–817
Nohl, A.-M. (2001): Migration und Differenzerfahrung. Opladen: Leske+Budrich
Perlman, J./Waldinger, R. (1997): Second generation decline? Children of immigrants, past and present — a reconsideration. In: The International Migration Review, 1–10
Pott, A. (2002): Ethnizität und Raum im Aufstiegsprozess. Opladen: Leske + Budrich
Rohr, E. (2001): Die Liebe der Töchter. In: Sturm (2001): 138–162
Sauter, S. (2000): Wir sind ‚Frankfurter Türken’. Frankfurt/M.: Campus
Schmeiser, M. (2003): ‚Missratene’ Söhne und Töchter. Konstanz: UVK
Sennett, R./Cobb, J. (1972): The Hidden Injuries of Class. Cambridge: Univ. Press
Streeck, U. (1981): Zwischen Drinnen und Draußen. Zur doppelten Orientierung sozialer Aufsteiger. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse 27, 25–44
Sturm, G. et al. (Hrsg.) (2001): Zukunfts(t)räume. Königstein: Hain
Vester, M. (2005): Die Illusion der Bildungsexpansion. In: Engler/Krais (2005): 13–54
Weber, M. (2003): Heterogenität im Schulalltag. Opladen: Leske+Budrich
Wilpert, C. (1980): Die Zukunft der zweiten Generation. Königstein: Hain
Zhou, M. (1997): Growing up American: The Challenge Confronting Immigrant Children and Children of Immigrants. In: Annual Review of Sociology 23, 63–95
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2006 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
King, V. (2006). Ungleiche Karrieren. In: King, V., Koller, HC. (eds) Adoleszenz - Migration - Bildung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90332-3_2
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-531-90332-3_2
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-531-14950-9
Online ISBN: 978-3-531-90332-3
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)