Auszug
Die Förderung politischen Interesses und politischer Partizipation gehörte zu den wesentlichen Zielen der Bildungsreform, die Ende der 1960er Jahren eine sich bereits abzeichnende Bildungsexpansion zusätzlich anschob. Bildung wurde als „eine Grundvoraussetzung für die Entstehung und Sicherung einer demokratischen Gesellschaft mündiger Bürger“ (Müller 1998: 85) angesehen. So forderte Dahrendorf (1965) Bildung als Bürgerrecht ein, so dass allen die Partizipation an der Demokratie ermöglicht werden sollte. Dies zielte letztlich auch auf eine Stabilisierung der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, denn zu deren Grundpfeilern gehören nicht nur politische Institutionen, sondern auch politisch interessierte und partizipierende Bürgerinnen und Bürger. In den letzten Jahren wird im öffentlichen Diskurs immer wieder eine zunehmende Politikverdrossenheit beklagt. Diese Sorge betrifft vor allem die junge Generation, die als besonders desinteressiert an politischen Prozessen gilt. Thesen über einen (nahezu linearen) Trend abnehmenden Politikinteresses ist jedoch mit großer Skepsis zu begegnen. Die oftmals theorielosen und empirisch falschen Betrachtungen von Veränderungen auf der Aggregatebene führen häufig zu Fehlschlüssen. Im Dunkeln bleiben bei einer solchen simplifizierenden Betrachtung soziale Mechanismen auf der individuellen Ebene, die Prozesse des sozialen Wandels stützen. Die Zeit allein vermag es nicht, soziale Tatbestände zu verändern, sondern es sind sozialstrukturelle und ideologische Bedingungen sowie soziale Akteure in ihren spezifischen gesellschaftlichen Verhältnissen, die den sozialen Wandel des politischen Interesses bzw. der politischen Partizipation antreiben.
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Hadjar, A., Becker, R. (2006). Politisches Interesse und politische Partizipation. In: Hadjar, A., Becker, R. (eds) Die Bildungsexpansion. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90325-5_7
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