Auszug
Partizipative Politikberatung stellt einen Spezialfall von politischer Deliberation vor — diese beinhaltet zunächst einmal in einem ganz allgemeinen Sinne die argumentative Auseinandersetzung über Probleme, Zielvorstellungen und Handlungsperspektiven konkreter Politiken, um „gemeinwohlverträgliche“ Lösungsoptionen zwischen unterschiedlichen Positionen auszuloten. Etymologisch verweist der Begriff der „Deliberation“ auf die Sinngehalte „Abwägen“ und „Beratschlagung“ —die auf „Begründungen“ fokussierende deliberative Entscheidungsfindung hebt sich hiermit grundsätzlich ab vom politischen Modus der Dezision, bei dem der (mit Willkürcharakter behaftete) Akt der Entscheidungssetzung im Vordergrund steht (vgl. Lösch 2005). Im Regelfall finden diese kollektiven Erörterungen von politischen Issues zwischen den gewählten Mandatsträgerinnen statt. Gegenwärtig wird das Deliberationskonzept indes zunehmend über den Raum des politisch-administrativen Systems hinaus ausgeweitet und auf die zivilgesellschaftliche Sphäre bezogen: In diesem weiten Wortsinn zielt es ab auf politische Kommunikationsprozesse unter Einbezug der Bürger und Bürgerinnen. In dem Maße wie diese bürgerschaftlich akzentuierte Variante von Deliberation in den Aufmerksamkeitsfokus von Repräsentanten des politischen Systems —sei es aus der Beobachteroder gar Teilnehmerperspektive —gerät, vermag sie sich als neue Form der Politikberatung zu etablieren.
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Martinsen, R. (2006). Partizipative Politikberatung — der Bürger als Experte. In: Falk, S., Rehfeld, D., Römmele, A., Thunert, M. (eds) Handbuch Politikberatung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90052-0_13
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