Zusammenfassung
Wer sich mit fremden Kulturen beschäftigt, stößt bald auf Bereiche, die das Verstehen auf eine spezifische Art herausfordern. Oft haftet diesen Bereichen etwas Spektakuläres an: Magie und Zauberei, religiöse Rituale, schwer aufschlüsselbare Mythen, blutige und grausame Opfer, kurz das, was nach unseren Vorstellungen als irrational gilt — alles das reizt uns, uns in unserem Verstehen daran zu erproben. Als ich Anfang der sechziger Jahre in Basel studierte, gab es verschiedene Begriffe des Verstehens. Einerseits versuchte man das Erlebnis, das jenen kulturellen Erscheinungen zugrunde lag, zu rekonstruieren, und man berief sich z.B. auf Rudolf Ottos Auffassung des Heiligen als Fascinosum und Tremendum. Oder man zielte eher darauf, das zu verstehende Phänomen in einen Zusammenhang mit der übrigen Kultur zu bringen: Rituale wurden auf Mythen und diese wiederum auf soziale Klassen oder historische Phasen bezogen. Stellte man das Erlebnis in den Mittelpunkt des Interesses, tendierte man zu einer wie auch immer gearteten Psychologie, zentrierte man sich hingegen auf die kulturelle Struktur, so orientierte man sich an irgend einer Art Soziologie, beide Richtungen wußten aber nur wenig mit dem Forscher-Subjekt anzufangen; die eine beglaubigte sich mit der These der Kongenialität („Wär’ nicht das Auge sonnenhaft, wie könnt’ es die Sonne erblicken“), die andere verunsicherte sich mit dem allgemeinen Ideologieverdacht. Während die eine Tendenz mit dem Kongenialitätsdogma das Forscher-Subjekt auf einen Podest stellte und idealisierte, verdächtigte die andere es als Quelle aller Irrtümer und versuchte, es zu eliminieren. Die Idealisierung des Forschers führte dazu, daß der Gegenstand der Erkenntnis ebenfalls immer edler und vollkommener werden mußte, wohingegen der Ideologieverdacht die Neigung zur Abstraktion und Formelhaftigkeit vorantrieb: nur die reine Struktur stand jenseits aller Ideologie.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Similar content being viewed by others
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 1989 Leske Verlag + Budrich GmbH, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Erdheim, M. (1989). Subjektivität als Erkenntnismedium und ihre Krisen im Forschungsprozeß. In: Breyvogel, W. (eds) Pädagogische Jugendforschung. Studien zur Jugendforschung, vol 4. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97188-3_5
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-97188-3_5
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-8100-0654-7
Online ISBN: 978-3-322-97188-3
eBook Packages: Springer Book Archive