Zusammenfassung
Will man die Familie als ein soziales System beschreiben,* muß man eine Reihe von nicht jedem sofort einleuchtenden Theoriedispositionen hinter sich bringen. In der Alltagserfahrung von Familien und mit Familien fällt das hohe Maß an Personorientierung auf. Alle, die zu einer Familie gehören, sind einander persönlich bekannt und kennen sich zumeist besser, als es im Verhältnis zu Außenstehenden normal ist. Begreift man unter System ein eher unpersönliches Arrangement, wird deshalb unverständlich, wieso man Familien als soziale Systeme ansehen kann. Man mag einen „analytischen“ Systembegriff konzedieren, hat dann aber das Problem, wieso dieser auf Familien anwendbar sein soll, wenn Familien keine Systeme sind.
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Literatur
Ich übernehme diese Begriffe von Heinz von Foerster, Entdecken oder Erfinden: Wie läßt sich Verstehen verstehen, in: Heinz Gumin/Armin Mohler (Hrsg.), Einführung in den Konstruktivismus, München 1985, S. 27–68.
Siehe zu dieser Unterscheidung Joseph A. Goguen/Francisco J. Varela, Systems and Distinctions: Duality and Complementarity, International Journal of General Systems 5 (1979), S. 31–43, insb. 32.
Wie es die Logik von George Spencer Brown vorsieht. Siehe Laws of Form, Neudruck New York 1979. Gerade diese Logik dient jedoch dazu, vorzuführen, daß sie selbst sich von der Willkür ihres Anfangs unabhängig machen und die übliche Leistungen einer Logik gleichsam grundlos erbringen kann. Gerade deshalb können wir im folgenden ihre Meisterfigur des re-entry verwenden, ohne uns daran zu stoßen, daß keine Familie, ja keine Gesellschaft, ja kein System überhaupt je in einem „unmarked state“ die eigene Differenz als erste Unterscheidung etabliert.
Mit dieser Begründung schließt der Marchese Malvezzi für solche Fragen astrologische Beratung aus. Siehe Virgilio Malvezzi, Ritratto del Privato politico christiano, zit. nach Opere, Mediolanum 1635, S. 92.
Nicht überall natürlich so stark wie in China. Daß hierin eine Erklärung für die Entwicklungsverzögerung Chinas im Vergleich zu Japan liegen könnte, meint Ken’ichi Tominaga zu erkennen. Vgl. Max Weber and the Modernization of China and Japan, Vortrag auf dem 82. Annual Meeting der American Sociological Association in Chicago 1987.
Siehe z.B. Jehan de Marconville, De l’Heur et Malheur de Mariage, Paris 1564, fol. 2 v. Eheschließung heiße „habandonner pere, mere & tout degré de cognation & parenté pour se ioindre à sa femme“ — und dies für den Mann formuliert!
Siehe etwa Matteo Palmieri, Vita civile, zit. nach der kritischen Ausgabe von Gino Belloni, Firenze 1982, Zitat S. 159.
Vgl. Alfred Gierer, Die Physik, das Leben und die Seele, München 1985, S. 137 ff. Vgl. auch ders., Generation of Biological Patterns and Form: Some Physical, Mathematical, and Logical Aspects, Progress in Biophysics and Molecular Biology 37 (1981), S. 1–47; ders., Socioeconomic Inequalities: Effects of Self-Enhancement, Depletion and Redistribution, Jahrbuch für Nationalökonomie und Statistik 196 (1981), S. 309–331.
Vgl. Pierre Bourdieu, Sozialer Sinn: Kritik der theoretischen Vernunft, dt. Obers. Frankfurt 1987, insb. S. 97 ff.
Vgl. Niklas Luhmann/Peter Fuchs, Reden und Schweigen, Frankfurt 1989.
Hierzu Aron Ronald Bodenheimer, Warum? Von der Obszönität des Fragens, 2. Aufl. Stuttgart 1985.
nec ad alius secretiores actiones explorandes intelligendasque plus aequo intenta fuerit“, heißt es in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts bei Ioannes lovianus Pontano, De obedientia, zit. nach Opera omnia, Basilea 1556, Bd. I, S. 5–145 (68).
Zitat eines Titels von Ranulph Glanville, The Same is Different, in: Milan Zeleny (Hrsg.), Autopoiesis: A Theory of Living Organization, New York 1981, S. 252–261. Vgl. zu gewissen Paradoxien des Operierens mit Unterscheidungen ferner Ranulph Glanville/Francisco Varela, „Your Inside is Out and Your Outside is In“ (Beatles 1968), in: Georg E. Lasker (Hrsg.), Applied Systems and Cybernetics, Bd. II, New York 1981, S. 638–641.
Wie der Text andeutet, kann man diese Paradoxie durch die Unterscheidung(!) von Operation und Beobachtung kurieren — im Stile einer allgemeinen Paradoxieauflösungstechnik, wie sie bisher vor allem von Philosophen zur Gründung von philosophischen Systemen benutzt worden ist. Speziell hierzu Nicholas Rescher, The Strife of Systems: An Essay on the Grounds and Implications of Philosophical Diversity, Pittsburgh 1985.
Aus: Claude Crébillon (fils), Les égarements du cceur et de l’esprit, Neudruck Paris 1961.
aus Choses tues, zit. nach Euvres (ed. de la Pléiade) Bd. 2, Paris 1960, S. 493.
Siehe die Rekonstruktion als eine aufs Politische zu beschränkende liberale Theorie bei Charles E. Larmore. Patterns of Moral Complexity, Cambridge, Mass. 1987. Oder in Form einer darauf zugeschnittenen Biographie: Stephen Holmes, Benjamin Constant and the Making of Modern Liberalism, New Haven 1984.
Vgl. z.B. Talcott Parsons/Robert F. Bales, Family, Socialization and Interaction Process, New York 1955, S. 8–10.
Hinweise in: Niklas Luhmann, Liebe als Passion, Frankfurt 1982, insb. S. 57 ff. Nur ist die alte Lehre, daß die Liebe zu Übertreibungen neige, die die Vernunft zu vermeiden trachte, und daß beides zu Zeiten berechtigt sei, wenig geeignet, die heutige Situation zu erhellen.
Siehe als Zeitdokument Jules Michelet, L’amour, Paris 1858.
Im Sinne von Raymond Boudon, Effects pervers et ordre social, Paris 1977.
Siehe Aegidius Columnae Romanus (Egidio Colonna), De regimine principum libri III, Roma, 1607, Nachdruck Aalen 1967, S. 239: „opera enim viri videntur esse in agendo, quae sunt fienda extra domum. Opera vero uxoris in conservando suppelectilia, vel in operando aliqua intra domum“. Übrigens: gegen eine verbreitete Meinung längst vor der Industrialisierung! Der zitierte Text stammt aus dem 13. Jahrhundert.
Hierzu auch Niklas Luhmann, Frauen, Männer und George Spencer Brown, Zeitschrift für Soziologie 17 (1988), S. 47–71.
Hierzu Hartmann Tyre11, Romantische Liebe — Überlegungen zu ihrer „quantitativen Bestimmtheit“, in: Dirk Baecker et al. (Hrsg.), Theorie als Passion, Frankfurt 1987, S. 570–599.
Es ist dieser Übergang, der es prekär und doch notwendig macht, Kinder mit Optionen auszustatten (z.B. mit eigenem Geld), bei denen man dann wenigstens noch nachfragen („sich dafür interessieren“), aber nicht mehr regulieren kann, was damit geschehen ist. Vgl. hierzu auch Hartmann Tyrell, Probleme des Familienlebens angesichts von Konsummarkt, Schule und Fernsehen, in: Hans-Joachim Schulze/Tilman Mayer (Hrsg.), Familie: Zerfall oder ein neues Selbstverständnis? Würzburg 1987, S. 55–66.
Oder „second order cybernetics“ im Sinne von Heinz von Foerster, Observing Systems, Seaside, Cal. 1981; dt. Übersetzungen in Sicht und Einsicht: Versuche zu einer operativen Erkenntnistheorie, Braunschweig 1985.
Siehe auch die Kritik von Hartmann Tyrell, Familienalltag und Familienumwelt: Überlegungen aus systemtheoretischer Perspektive, Zeitschrift für Sozialisationsforschung und Erziehungssoziologie 2 (1982), S. 167–188 (174 ff.).
Vgl. Hans-Joachim Schulze, „Eigenartige Familien“ — Aspekte der Familienkultur, in: Maria-Eleonora Karsten/Hans-Uwe Otto (Hrsg.), Die sozialpädagogische Orientierung der Familie: Beiträge zum Wandel familialer Lebensweisen und sozialpädagogischer Interventionen, Weinheim 1987, S. 27–44.
Siehe für den Fall lebender Systeme Francisco J. Varela, Principles of Biological Autonomy, New York 1979. Der Begriff stellt logisch auf ein entweder/oder ab, schließt es also aus, weiterhin von „relativer Autonomie“ zu sprechen, wie es in der Soziologie üblich ist. Siehe für Familie z.B. Hartmann Tyrell, Familie und gesellschaftliche Differenzierung, in: Helge Pross (Hrsg.), Familie — wohin? Reinbek 1979, S. 13–77 (25 ff.); Hans-Joachim Schulze, Autonomiepotentiale familialer Sozialisation: Personale und soziale Differenzierung als Grundlage der neuorientierten sozialstrukturellen Sozialisationsforschung, Stuttgart 1985, passim (z.B. S. 150). Auch innerhalb der systemtheoretischen Literatur ist dieser „harte” Begriff von autopoietischer Autonomie umstritten. Siehe z.B. Gunther Teubner, Hyperzyklus in Recht und Organisation: Zum Verhältnis von Selbstbeobachtung, Selbstkonstitution und Autopoiese, in: Hans Haferkamp/Michael Schmid (Hrsg.), Sinn, Kommunikation und soziale Differenzierung: Beiträge zu Luhmanns Theorie sozialer Systeme, Frankfurt 1987, S. 89–128 als eine Gegenmeinung. Ich halte jedoch die Härte, mit der das Prinzip selbstreferentieller Geschlossenheit auf der Ebene der eigenen Operationen (nicht natürlich: auf der Ebene kausaler Verhältnisse) postuliert ist, für einen Vorteil — nicht zuletzt auch für empirische Forschung, die ja mit einem Begriff relativer Autonomie keinerlei Direktive erhält.
Siehe hierzu auch Hartmann Tyrell, Familie als Gruppe, in: Friedhelm Neidhardt (Hrsg.), Gruppensoziologie, Perspektiven und Materialien, Sonderheft 25/1983 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen 1983, S. 362–390 (381 f.).
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© 1990 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
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Luhmann, N. (1990). Sozialsystem Familie. In: Soziologische Aufklärung 5. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-322-97005-3_9
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