Zusammenfassung
Noch deutlicher als vor 1914 zeigte sich während des Krieges, dass die Mittelparteien das entscheidende Hindernis für den Übergang zum parlamentarischen System bildeten. Zwar bereitete die Forderung der Nationalliberalen nach aussenpolitischer Mitbestimmung die ‘engere Fühlung’ von Parlament und Regierung vor; doch den Übergang zum parlamentarischen System lehnte die Mehrheit der Nationalliberalen bereits vor der Julikrise ab, und nach der Friedensresolution verfestigte sich ihr Widerstand gegen eine parlamentarische Mehrheitsregierung. Im Zentrum war die Furcht vor einer Majorisierung durch eine von den Sozialdemokraten beherrschte Koalition noch stärker als bei den Nationalliberalen. Für die meisten Zentrumspolitiker bedeutete das parlamentarische System im Reich die Gefährdung des Föderalismus und damit die Möglichkeit, dass sozialdemokratisch-liberale Reichstagsmehrheiten auf die Kulturpolitik der Einzelstaaten einwirkten. Ausserdem erwarteten sie, dass das parlamentarische System im Reich das parlamentarische System in den Einzelstaaten nach sich ziehen würde; mindestens in Preussen musste dann das gleiche Wahlrecht ebenfalls eine sozialdemokratisch-liberale Mehrheitsregierung begünstigen. Für die nationalistische Kölner Richtung kam die Ablehnung einer von der Friedensresolutionsmehrheit getragenen Regierung hinzu. Vor allem Zentrumspolitiker, aber auch Nationalliberale sahen im konstitutionellen System in hohem Masse einen Schutz der Minderheiten. Der starke Einfluss, den sie unter der Bedingung wechselnder Mehrheiten auf die Gesetzgebung ausüben konnten, bestärkte sie in dieser Überzeugung. Verfassungsziel beider Parteien, von den kleinen Gruppen um Richthofen und Erzberger abgesehen, war daher nicht das parlamentarische System, sondern eine Form der Zusammenarbeit von Parlament und Regierung, die den Parteien ein grösseres Mass an Einfluss auf die Exekutive ermöglichte, ohne dass die Trennung von Regierung und Parlament grundsätzlich aufgegeben wurde.
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Anmerkungen
Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandel, 1906.
Vgl. Jennings, Cabinet Government, 1961, S. 539 ff.
R. T. McKenzie, ‘Probleme der englischen Demokratie’, in: Die Demokratie im Wandel der Gesellschaft, herausgegeb. v. R. Löwenthal, 1963, S. 62.
K. D. Bracher, ‘Die Auflösung der Weimarer Republik’, 2. Aufl. 1957, S. 24.
Ernst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, passim. Gerhard A. Ritter, Deutscher und britischer Parlamentarismus, 1962.
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Grosser, D. (1970). Zusammenfassung und Ausblick. In: Vom monarchischen Konstitutionalismus zur parlamentarischen Demokratie. Studien zur Regierungslehre und Internationalen Politik, vol 1. Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-010-3202-5_4
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