Zusammenfassung
Das factum brutum menschlicher Existenz (von Ferber 1970: 245) präsentiert sich so gar nicht hässlich: „Die liebevolle Gestaltung im Schmuckschuber verringert Berührungsängste und lädt dazu ein, dieses Buch auch zu verschenken.[...] Sachliche und einfühlsame Texte stimmen auf die Gedanken, Fragen und Ängste ein, die bei der Berührung mit dem Tod entstehen.“1 Das fundamentale Grauen (Berger/ Luckmann 1980: 108) — es scheint so grauenhaft nicht zu sein: Auf die Frage „Was kommt nach dem Tod?“ antwortet Elisabeth KüblerRoss: „Nachdem wir von unseren jenseitigen Verwandten und Freunden und ebenfalls von unseren Geistführern und Schutzengeln empfangen worden sind, gehen wir durch eine symbolische Verwandlung hindurch [...] Bei meinem eigenen Erlebnis war es [...] ein Bergpaß mit wilden Blumen [...] Nachdem wir diese sichtbare, sehr schöne und individuell abgestimmte Art des Durchgangs — bleiben bei dem Beispiel eines Tunnels — durchschritten haben, nähern wir uns einer Lichtquelle... Keine Spur von einer hässlichen Tatsache, einem grauenhaften Schicksal. Auch dass der Tod uns nicht angehe, solange wir leben, widerlegen Titel wie diese und an die 50 weitere Ratgeber zum Thema Tod aufs beste. Der Tod, das ganz Andere, wird durch die ständige Präsenz in Buchhandlungen zu einem beinahe vertrauten Begleiter. Allerdings versäumen die Ratgeber nie zu erwähnen, dass der Tod eine von der Gesellschaft verdrängte, tabuisierte Tatsache darstelle. In diesem Punkt berühren sich Ratgeber und soziologische Beiträge zum Tod. Zumindest von einer grundsätzlichen Verdrängung des Todes ist hier noch die Rede, einer Abwendung, ohne die menschliches Zusammenleben nicht denkbar sei. So etwa Clive Seale, der seine Studie beginnt mit der Feststellung:,,[S]ocial and cultural life involves turning away from the inevitability of death“ (1998: 1). Abgeschwächt findet sich das gleiche Motiv, nämlich die Unzugänglichkeit des Todes für die soziale Welt, bei anderen Soziologen und Philosophen, wenn auf das „ganz andere“ (Nassehi 2003: 287), die „böse Differenz“ (Macho 1987: 11) verwiesen wird. Der Tod als das andere lasse sich nicht erreichen, erfahren, die Differenz nicht überschreiten. Das gesellschaftliche Projekt, so könnte man weiter formulieren, müsse somit immer Schon verdrängen. Was die konkrete Verdrängung des Todes in der Moderne angeht, auf die Ratgeber abheben, so widersperchen inzwischen die meisten Soziologen. Interessanterweise dienen dabei u.a. diese Ratgeber als Beleg dafür, dass die Gesellschaft von heute eine Wiederbelebung des Todes erfahre (Walter 1994; Seale 1998).3
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Literatur
So lautet die Pressemitteilung zum Buch „Nach innen wachsen“ von Hubert Böke u.a. 1999.
Aus dem Buch „Über den Tod und das Leben danach“, 1984: 76.
Auf die Paradoxie hat bereits Simpson 1979 anläßlich seiner bibliographischen Zusammenstellung zum Tod hingewiesen: „[T]here are over 650 books now in print asserting that we are ignoring the subject“ (vii).
Das — mit Mannheim gesprochen - „soziologische Problem“, die „soziologische Analyse” beginnt mit der Weltauslegung selbst, wenn man wissen will, wie die soziale Welt oder Wirklichkeit beschaffen ist (Mannheim 1982: 335).
Somit gilt für sie, was Norbert Elias für sämtliche Wissensformen behauptet: „Hence the knowledge which people have at any given time is derived from, and is a continuation of, a long process of knowledge acquisition of the past. lt can be neither understood nor explained without reference to the structured sequence to which we refer when we speak of the,growth of knowledge’ or the,development of knowledge’ which, in tim, is part of the wider development of the societies where knowledge develops and, ultimately, of that of mankind.“ (Elias 1971: 158f)
Auch diese Arbeit steht, mit den Worten von Elias gesprochen, auf den Schultern von anderen, von denen ein gewisser Wissensbestand übernommen wurde (vgl. 1971: 165 ). Auch diese Arbeit ist Praxis, indem sie ihre Aufmerksamkeit fokussiert und durch ihre Auswahl auf eine Umwelt verweist, in der es Forschungsprojekte, Massenmedien, Seminare und Abgabefristen für Dissertationen gibt.
Unter,ars moriendi` versteht man gewöhnlich die Bücher, die in der Frühzeit des Buchdrucks von Geistlichen verfaßt wurden und sie bei ihrer Tätigkeit als Sterbebegleiter ersetzen oder ergänzen sollten. Häufig bestehen die Bücher aus Abbildungen und konnten so auch den häufig einsam Sterbenden als Trost dienen (vgl. Imhof 1991).
So tauchen auf den Abbildungen der frühen Sterbebücher „Abgesandten des Satans“ auf oder „himmlische Mächte” und „Engel“, die sich streiten um die Seele des Verstorbenen (Imhof 1991: 20). Heute hört sich das so an, wenn Ruth Picardie in ihrem Buch „Ich habe es geliebt, das Leben” schreibt: „Ich hab ein Auge auf einen der Onkologen geworfen […], obwohl er keine Spur attraktiv ist, wenn auch sehr ulkig und ein bisschen aussieht wie Dr. Green aus,Emergency Room’. Das wär also ansatzweise aufregend.“ (1999: 10) Ist es distanziert, Sterbebegleitung zu praktizieren und zum Loslassen aufzufordern, wie im Buch „Interviews mit Sterbenden” von Elisabeth Kühler-Ross (1971)? Was ist mit Homepages im Internet, wo Bestatter des „Verbands dienstleistender Thanatologen e.V.“ ihre öffentlichen Beziehungen pflegen, während Verwaiste Eltern auf der Seite „Schmetterlingskinder.de” zum „Muschel-Chat“ über ihre Trauer einladen, Fotos verstorbener Kinder ausstellen (vgl. Niedermaier 2003). Was davon ist engagiert, was distanziert?
Das heißt auch, dass immer nur ein Bruchteil des Wissens überhaupt zugänglich wird.
Darunter fällt die „natürliche“ ebenso wie die „psychische” oder „soziale“ Umwelt.
Dazu Mannheim: „Der Mensch […] steht nicht in einer Welt überhaupt,sondern in einer in einem bestimmten Sinne ausgelegten Welt. […] Wir treten bereits mit der Geburt in diese bereits irgendwie ausgedeutete und von Sinngebungen lückenlos erfüllte Welt. Was Leben sei, was Geburt und Tod, was man von einem Gefühl, was man von einem Gedanken zu halten habe, das ist bereits mehr oder minder eindeutig festgelegt“ (Mannheim 1982: 335). Wir stehen mit Beginn unseres Lebens in einer sozialen Welt, die uns zugleich den Zugang zu dieser Welt eröffnet. Insofern ist die Realität nicht nur konkret, sie ist auch sozial.
Nämlich als das, was im Moment ausgeschlossen wird, was somit im Verweisungshorizont bleibt.
Eine davon ist das Wissen, dass wir alle sterben müssen, zwar erst später, aber mit ziemlicher Sicherheit; eine andere, dass man weiß, wann man es mit lebendigen Personen zu tun hat.
Es fällt jedenfalls schwer, Kommunikation von Nicht-Kommunikation zu unterscheiden, denn die Situation doppelter Kontingenz führt eindeutig zu einem für öffentliche Räume typischen Reduktionsgeschehen. Würde man sich nicht unter oder vor anderen wiederfinden, sondern vor Bäumen, Pfosten, Wänden, wäre es etwas anderes. Vgl. dazu auch Luhmann 1984: 561f.
Wissen hat deshalb immer die „Form von Sozialitat“ (ebd.).
Darin kann man lediglich das Bezugsproblem dieses Vergleichs sehen.
Deshalb kann man nur versuchen, die Perspektive mit zu beobachten, was selbst natürlich nur im Rahmen von Beobachtung möglich ist. Leitend ist hier ist die Unterstellung von Freiheitsgraden und die Unterscheidung von Problem und Lösung.
Das Material stammt - ebenso wie die Experteninterviews — aus dem DFG-Forschungsprojekt „Todesbilder in der modernen Gesellschaft“ (Na 307/1–2), das am Institut für Soziologie unter der Leitung von Prof. Dr. Armin Nassehi durchgeführt wurde.
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Brüggen, S. (2005). Einleitung. In: Letzte Ratschläge. Forschung Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10664-7_1
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Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-531-14570-9
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