Zusammenfassung
Lebensstile sind modisch geworden: Zumal in einer wohlhabenden Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland (West) werden sie als Distinktionsmerkmale nicht nur vom Establishment, dem man immer schon große Stilisierungsfahigkeiten und -neigungen zutraute, sondern durchaus auch in “alternativen” Milieus oder Subkulturen und meist in absichtsvoller Abkehr von “herrschenden” Stilen gepflegt. Sie werden, sofern sie schon rein optisch augenfällig sind und den Anschein von “Jugendlichkeit” erwecken, schnell von bilderfixierten Massenmedien entdeckt und aufpoliert. Losgelöst von ihren lokalen, oftmals großstädtischen Entstehungskontexten und zurechtgestutzt auf äußerlich-modische Accessoires oder leicht imitierbare Verhaltens- und Sprach“kürzel”, werden sie dadurch immer rascher bis in die letzte Dorfdiskothek weitergereicht.
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Ein anderes, nicht so “abgehobenes” oder “kulturalistisches” Verständnis von “Lebensstil” schlägt Müller (1992b, S. 15, 376 f.) vor, der darunter “raum-zeitlich strukturierte Arten der Lebensführung”Versteht, die von materiellen und kulturellen Ressourcen, der Familien- und Haushaltsform und den jeweiligen Werthaltungen abhängen: “Ressourcen umschreiben die Lebenschancen, die jeweiligen Optionen und Wahlmöglichkeiten; die Haushalts- und Familienform bezeichnet die Lebens-, Wohn- und Konsumeinheit; die Werthaltungen schließlich definieren die vorherrschenden Lebensziele, prägen die Mentalitäten und kommen in einem spezifischen Habitus zum Ausdruck”. Auch hier wird freilich der Begriff “Lebensführung” als Synonym für “Lebensstil” verwendet. Daß es demgegenüber sehr fruchtbar sein kann, ein eigenständiges Konzept der “alltäglichen Lebensführung” (als Arbeit) zu entwickeln, zeigt die Monographie von Voß (1991; vgl. auch: Rerrich und Voß 1992).
Zwar ist die Debatte um Grenzen und Krisen der Arbeitsgesellschaft, um die Um- und Neuverteilung von Arbeit in den letzten Jahren angesichts ökologischer Bedrohungen und der Folgen der deutschen Vereinigung etwas in den Hintergrund geraten. Wenn sich allerdings die gegenwärtige Arbeitsmarktkrise und das prognostizierte “jobless growth”weiter verstärken, werden die darin aufgeworfenen Fragen nach den politisch-praktischen und den theoretischen Konsequenzen einer forcierten “Befreiung von Arbeit”, die freilich nicht gleichbedeutend ist mit einer “Befreiung in der Arbeit”, und die darauf bezogenen (Arbeits-)Zeitverteilungskonflikte schnell noch mehr Dringlichkeit gewinnen.
Nach Geiger (1972 [1932], S. 16 ff.) basiert das Lagerungsbild einer Gesellschaft ganz im Sinne von distributiven Ungleichheiten auf der ungleichen Verteilung knapper und begehrter Ressourcen, auf der unterschiedlichen Betroffenheit von “Statusgruppen” und auf der Rangordnung von “Schichten”. Im Systembild kommen mit Blick auf allokative Ungleichheiten die Prozesse der Rekrutierung, von intra- und intergenerationeller Mobilität und das Zusammenspiel zentraler gesellschaftlicher Sphären wie Familie, Bildungs- und Beschäftigungssystem und Staat hinzu. Das Mentalitätsbildergibt sich schließlich aus Wertorientierungen und Einstellungssyndromen, aus Interaktions- und Prestigezurechnungsprozessen oder aus den Klassifikationsdiskursen und Semantiken, mit deren Hilfe Menschen nicht nur versuchen, ihren “Ort” in der Gesellschaft zu bestimmen, sondern auch um ihre Identität und ihren Status kämpfen (vgl. auch Neckel 1991a).
Welche Bedeutung der damit einhergehenden “Naturalisierung” von Ordnungskriterien und Klassifikationssystemen für die Stabilität und Legitimation von Institutionen zukommen kann, hat vor allem Douglas (1991) betont. Auch in Becks Überlegungen zur “Erfindung des Politischen” (1993) wird solchen Konstruktionen der “Gegenmoderne” ein breiter Raum gewidmet. Allerdings weniger unter dem Vorzeichen (quasi-)anthropologischer bzw. funktionaler Notwendigkeiten, sondern unter dem Gesichtspunkt dialektischer und z. T. bewußt politisch hergestellter Reaktionen auf die fortschreitende “reflexive Modernisierung”, auf um sich greifende Risikokonflikte und auf den Zusammenbruch der klaren West-Ost-Frontlinie, also auf Entwicklungen, die alle eher zu Verunsicherungen und Ambivalenzen beitragen (vgl. Baumann 1992).
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Berger, P.A. (1994). Lebensstile — strukturelle oder personenbezogene Kategorie?. In: Dangschat, J.S., Blasius, J. (eds) Lebensstile in den Städten. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10618-0_9
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DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-10618-0_9
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden
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