Zusammenfassung
Die weitgehend theoriefreien Messungen der Kriminalitätsfurcht haben mitunter zu widersprüchlichen, wenn nicht gar paradoxen Resultaten geführt. Die Diskussion um mögliche Erklärungen für die paradoxen Ergebnisse liefert einige entscheidene Hinweise auf die konzeptionellen Probleme bei der Messung von Kriminalitätsfurcht. Sie wird deshalb im Folgenden zunächst kurz skizziert, bevor theoretische Überlegungen zur Spezifikation des Konstruktes „Kriminalitätsfurcht“ vorgestellt und die bisherigen empirischen Befunde „durch die Brille“ dieser Überlegungen betrachtet werden.
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Literatur
Vergleiche dazu den nächsten Absatz. (LaGrange/Ferraro 1989:699). Vermutet wird auch, die abhängige Variable Kriminalitätsfurcht lasse sich bei männlichen Befragten nur schlecht oder überhaupt nicht messen, da diese gegenüber sich selbst und gegenüber anderen keine Furcht eingestehen (vgl. Agnew 1985, Smith/Torstensson 1997).
Das Paradox entsteht durch die konzeptionelle Missachtung relevanter Variablen. Es wird bei dieser Argumentationslinie angenommen, dass die höhere Kriminalitätsfurcht bei Frauen und älteren Menschen in ihrer Verletzbarkeit (Vulnerabilität) begründet liegt. Studien zur Kriminalitätsfurcht, in denen die Verletzbarkeit der Befragten nicht berücksichtigt wird, greifen deshalb zu kurz3. Nicht nur wahrgenommenes Risiko, sondern auch antizipierter Schaden bestimmt das Ausmaß der Furcht (Winkel 1998: 473). Frauen und ältere Menschen sind weniger gut in der Lage, sich gegen tätliche Angriffe zu wehren (Garofalo 1979: 95, vergleiche auch Killias 1990, Sacco 1990).
Deutlich wird die kognitive Fundierung von Emotionen zum Beispiel in der Möglichkeit, Furcht abzulegen, wenn plausible Gründe gegen die Notwendigkeit dieser Furcht aufgezeigt werden (Oatley/Jenkins 1996: 15–16).
Philosophen und Psychologen beschäftigen sich seit langem mit den kognitiven Grundlagen von Emotionen. Für einen ausführlichen historischen Überblick vgl. Oatley/Jenkins (1996), Lazarus (1999), Lyons (1999).
Zu den Funktionen von Emotionen vgl. auch Rolls (1999:67–70).
Unterschieden wird zwischen der umgangssprachlichen Verwendung von Furcht („fear“) und Angst haben („dread”) in der Hinsicht, dass Furcht für Ereignisse verwendet wird, die mit einer bestimmten Unsicherheit eintreten oder eben nicht, während „man Angst hat“ vor etwas, das in Zukunft sicher passieren wird (Ortony u. a. 1988: 114). Verdeutlicht wird dies durch folgendes Beispiel: ”Morgen gehe ich zum Zahnarzt, ich habe Angst. ” im Vergleich zu „Ich fürchte, ich muss morgen zum Zahnarzt gehen.“
Für eine Einführung in die stoffliche Repräsentation dieser Vorgänge in der Amygdala vgl. LeDoux (1993), Panksepp (1993), LeDoux (1994), Rolls (1999).
Unerwünschtheit kann sich auch ergeben aus dem Aufwand den eine Person betrieben hat, um etwas zu erreichen, was dann durch den Eintritt eines Ereignisses nicht erreicht werden kann.
Die Details der von Ortony u. a. (1988) vorgeschlagenen Modellierung sind in diesem Kontext nicht relevant. Für eine Prüfung würde sich die formalisierte Darstellung bei Ortony u. a. ( 1988: 185) gut eignen. Ein Aspekt des Modells, die intensitätssteigernde Wirkung eines völlig unerwartet eintretenden Ereignisses, wird hier nicht weiter diskutiert, da diese Variable für Viktimisierungserwartun-gen keine Rolle spielt. Tritt eine Viktimisierung ein, kann diese zwar unerwartet sein, im Rahmen von Surveys werden jedoch nur Erwartungen abgefragt und die emotionalen Reaktionen auf diese bis zu einem gewissen Ausmaß erwartbaren Ereignisse.
Die Erfassung der Viktimisierungserfahrung bezieht sich meist nur auf den im Survey abgefragten Referenzzeitraum (Garofalo 1979: 95); die Auswirkungen länger zurückliegender Viktimisierungen können dann nicht kontrolliert werden. Nur wenige Studien, meist Fallstudien, wurden in Form einer Panel-Erhebung durchgeführt (z. B. Dull/Wint 1997, Winkel 1998).
Als Beispiel sei hier auf Katz/Stotland (1959: 428–432) verwiesen.
Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass weder von einem engen Zusammenhang zwischen Einstellung (hier Kriminalitätsfurcht) und geäußertem Verhalten ausgegangen werden kann, noch von einem engen Zusammenhang zwischen geäußertem und tatsächlichem Verhalten (vgl. Fazio 1986).
In der englischsprachigen Literatur zählt neben Geschlecht und Alter auch die Ethnie zu den soziodemographischen Merkmalen, die im Zusammenhang mit Vulnerabilität diskutiert werden (vgl. Hale u. a. 1994). Da dieser Aspekt in der Bundesrepublik — zumindest in der bisherigen Forschungsliteratur — jedoch kaum eine Rolle spielt, werden solche Ergebnisse hier nicht aufgeführt.
In einer lokal begrenzten qualitativen Studie wurde diese These bei Personen aus der allgemeinen Bevölkerung untersucht. Über alle Altersgruppen hinweg konnte eine derartige Interpretation der Frage nicht gefunden werden (vgl. Reuband 2000).
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Kreuter, F. (2002). Ansätze zur Konzeptspezifikation. In: Kriminalitätsfurcht: Messung und methodische Probleme. Methodische Aspekte kriminologischer Forschung, vol 1. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10562-6_2
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