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Geschmack als Kapital: Zur Klassentheorie Pierre Bourdieus

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Grundzüge einer Soziologie des Musikgeschmacks
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Zusammenfassung

Der französische Kultursoziologe Pierre Bourdieu gilt als einer der einflussreichsten Theoretiker der Gegenwart. Mit seinen Arbeiten zur Reproduktion von Ungleichheiten im Bildungssystem (auf Deutsch erschienen als „Die Illusion der Chancengleichheit“ 1971 und „Grundlage einer Theorie der symbolischen Gewalt. Kulturelle Reproduktion und soziale Reproduktion“ 1973, beides Sammlungen von verschiedenen Untersuchungen), der auf der Basis ethnologischer Untersuchungen ausgearbeiteten Theorie der Praxis („Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft“, 1976 [französisches Original 1972]), spätestens aber mit seinem Opus magnum „Die feinen Unterschiede“ (dt. 1982, französisches Original 1979) setzte im deutschsprachigen Raum (und nicht nur hier) eine umfassende Rezeption ein, die den Arbeiten Pierre Bourdieus zu einer unvergleichlichen Prominenz verhalf Seine Kulturtheorie wurde in so unterschiedlichen Disziplinen wie Kunstwissenschaft, Pädagogik, Geschichte, Volkskunde, Anthropologie und vor allem in der Soziologie rezipiert, wo sie neben der „Individualisierungsthese“ zum bestimmenden Paradigma der gegenwärtigen Ungleichheitsforschung wurde (vgl. Berger/ Vester 1998).

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Literatur

  1. Natürlich sind diese Begriffe in hohem Ausmaß aufeinander bezogen und ineinander verwoben. Genau das aber macht eine Darstellung der Bourdieu’schen Theorie in trennscharfen Kapiteln sehr Theorie eine grundlegende Funktion zukommt, werden in einem Exkurs die kritischen Einsichten Bourdieus für die schwierig. Andererseits werden sie von Bourdieu mit überraschender Kontinuität in den verschiedenen Publikationen verwendet (Müller 1992, 239), wobei lediglich der eine oder andere Aspekt starker akzentuiert wird, in neuen Anwendungfàllen zusätzliche Bedeutung erhält und in neuem Lichte erscheint. Dass dies einer missverständnisfreien Rezeption nicht unbedingt förderlich ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Seine wort-und andeutungsreichen Ausführungen voller Ambivalenzen tun ihr übriges. Es ware eine lohnende, wenn auch mühsame Aufgabe, sein Werk auf begriffliche Inkonsistenzen und daraus entstehende „Scheinprobleme“ hin zu untersuchen, wie es etwa in Ansätzen von US-amerikanischer Seite getan wurde (DiMaggio 1979, 1467f, Lamont/Lareau 1988, 155f). Aufgrund der Kontinuität im Schaffen Bourdieus beziehe ich mich in der folgenden Kurzdarstellung vor allem auf „Die feinen Unterschiede” (Bourdieu 1987a) und „Sozialer Sinn“ (Bourdieu 1987b), zumal in diese beiden Bücher ältere Arbeiten nicht nur einfließen, sondern mehr oder weniger überarbeitet als Ganzes eingehen. Dieses permanente Wiederauflegen und Neuverwerten von älteren Arbeiten stützt letztendlich die Annahme, dass in den frühen (post-strukturalistischen) Arbeiten alles Wesentliche des Bourdieu’schen Denkens angelegt war. Einen hervorragenden „Leitfaden durchs Labyrinth der Gelehrsamkeit Pierre Bourdieus” bietet die umfassende und detaillierte Bibliographie in Mörth/Fröhlich (1994), 271–311.

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  2. In Abhängigkeit von verschiedenen „Feldern“ spricht Bourdieu auch von spezifischen Kapi- talsorten. Im „Feld der wissenschaftlichen Produktion” streiten die Kombattanten um das „Kapital intellektueller Prominenz” und im „Feld der künstlerischen Produktion“ um jenes der „künstlerischen Konsekration”. Offensichtlich soll der wenig spezifizierte Begriff des Feldes die Tatsache verdeutlichen, dass verschiedene Akteure (Spieler) mit unterschiedlicher Ressourcenausstattung (Spieleinsatz) in einem mehr oder weniger autonomen gesellschaftlichen Bereich (Spielfeld) mit einer spezifischen Logik (spezifischen Regeln) aufeinandertreffen. Teilweise wird der Begriff „Feld“ mit jenem des „Marktes” synonym verwendet: „(Chwr(133)) die spezifische Logik eines jeden Feldes (legt) jeweils fest, was auf diesem Markt Kurs hat, was im betreffenden Spiel relevant und effizient ist, was in Beziehung auf dieses Feld als spezifisches Kapital und daher als Erklärungsfaktor der Formen von Praxis fungiert.“ (Bourdieu 1987a, 194)

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  3. Zurecht wurde Bourdieu vorgeworfen, zumindest in diesem ersten Ansatz seiner soziologischen Kunsttheorie die Rezeption kognitiv zu verengen (Schulze 1992, 106). Es fehlt vor allem der Aspekt des physischen Genusses (der, wie hier gesagt wurde, Hörstrategie) (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 3 und vor allem den kritischen Exkurs zum „Musikverstehen“).

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  4. Zum Begriff„Homologie” siehe auch Kapitel 3.4.

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  5. Einen ähnlichen Stanpunkt vertritt Hradil: „Ob es lagespezifische Lebensstile gibt, ist im Rahmen der hier (von Hardil A.G.) verfochtenen Sozialstrukturanalyse eine empirische und keine theoretische Frage.“ (Hradil 1987, 164) Die oberste gesellschaftliche Schicht besteht aus verschiedenen Klassenfraktionen, die sich hinsichtlich der Kapitalstruktur unterscheiden: Auf der einen Seite stehen jene, die vor allem über ökonomisches Kapital verfugen, die Industriellen, Handelsunternehmer, Bankiers (also die eigentliche Bourgeoisie), auf der anderen Seite die Intellektuellen, Künstler und Hochschulangestellten, die ihren Mangel an ökonomischem Kapital durch eine hohe Bildung und einen exklusiven Geschmack kompensieren. Dazwischen liegt die ganze Bandbreite gesellschaftlicher Eliten, in deren Kapitalausstattung die beiden Kapitalformen unterschiedliches Gewicht haben: höhere Angestellte, Führungskräfte, freie Berufe etc. Zwischen diesen Fraktionen entbrennt nun das eigentliche Spiel der „feinen Unterschiede”, mit denen sie ihre Überlegenheit gegenüber den anderen zum Ausdruck zu bringen versuchen. (Ähnliches lässt sich auch unter den Fraktionen der Mittelschicht beobachten.)29 Als dritte (in der Bourdieu-Rezeption häufig missachtete) Dimension in der Beschreibung des sozialen Raumes führt Bourdieu nun die Zeit ein, oder genauer: die Veränderungen in ihr: das heißt, die verschiedenen Formen des Auf-und Abstiegs, sei er nun individuell oder kollektiv im Sinne der sich historisch verändernden Strukturen im Bildungs-und Berufssystem und den damit einhergehenden Veränderungen in der symbolischen Praxis. Denn, wie Bourdieu scharfsinnig, aber nicht ohne eine gewisse Häme feststellt, aufsteigende Kleinbürger entwickeln, indem sie sich am Lebensstil der Oberen orientieren (was immer man sich in einer unübersichtlichen Welt wie der unseren darunter vorzustellen hat), einen zwanghaften Nachahmungseifer, während die vom Abstieg bedrohten Kleinbürger krampfhaft an den ökonomischen und kulturellen Gütern festzuhalten versuchen, die sie sich mühsam erworben haben. Im Zentrum der Analyse stehen dabei die individuellen und kollektiven Umstellungsstrategien im Prozess der Veränderung. Denn wie im Märchen vom Hasen und vom Igel hetzen jene, denen an einem Aufstieg gelegen ist, einem Stil nach, der, sobald sie ihn zu besitzen vermeinen, von den eigentlich Kultivierten schon wieder längst abgelegt wurde. Wenn durch die Ausweitung des Bildungssystems oder die me-

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  6. Ich verzichte hier auf eine eingehendere Phänomenologie der Klassen und Klassenfraktionen, die immerhin 200 Seiten des Bourdieu’schen Klassikers „Die feinen Unterschiede“ ausmacht. Wenn auch die detaillierten Beobachtungen an der französischen Gesellschaft Ende der 60er Jahre, wie Axel Honneth (1984, 159) sagte, „lehrsame Schocks” verursachen, so bedienen sie letztlich auch Ressentiments, was an der Resonanz zu ermessen ist, die vor allem die ins Denunziatorische gehende Beschreibung der Kleinbürgerbeflissenheit hervorgerufen hat und die zum fixen Bestandteil in den Tisch-und Seminargesprächen der Lifestyle-Society geworden ist. (Bourdieu würde natürlich auch darin die Selbsttäuschung der Kleinbürger entdecken.) Letztlich bleibt aber doch unklar, was sich in seinen Ausftlhrungen noch der empirischen Analyse verdankt und was bloß eine gebetsmühlenartige Reproduktion von klassischen (bürgerlichen) Stereotypen ist.

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  7. Bourdieu hat weniger die schichtenmäßige Selektion innerhalb des Klassenraums vor Augen als vielmehr die Verstarkungs-und Naturalisierungslogik in einem stark nach sozialer Herkunft hierarchisierten Schulsystem, wie es für Frankreich kennzeichnend ist (vgl. Haller 113ff), wohingegen in den USA die ethnische Differenzierung eine viel höhere Bedeutung hat. Wenn man allerdings von einem Schulsystem ausgeht, in dem Eliteinstitutionen ohnehin in erster Linie jenen zugänglich sind, die über hohes gesellschaftliches Ansehen und über die notwendigen ökonomischen Ressourcen verfügen, und wenn, wie Bourdieu annimmt, Zertifikate aus sich heraus wirken, d.h. Absolventen dieser Institutionen nicht ihre Qualifikation nachweisen müssen, dann erscheint allerdings der „natürliche Geschmack“ als überflüssiges Beiwerk. Personen, die ohnehin immer unter sich sind, müssten sich ihre Überlegenheit nicht permanent selbst vor Augen führen.

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Gebesmair, A. (2001). Geschmack als Kapital: Zur Klassentheorie Pierre Bourdieus. In: Grundzüge einer Soziologie des Musikgeschmacks. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-10239-7_6

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-10239-7_6

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-13667-7

  • Online ISBN: 978-3-663-10239-7

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