Zusammenfassung
In „Der Club der toten Dichter“, einem der wohl bekanntesten Hollywood-Filme der achtziger Jahre, gibt es eine zentrale Szene, die John Keating, den Lehrer, in seinem Bestreben, seine Schüler von den eingefahrenen Wegen abzubringen und zu mehr Kreativität zu führen, ein gutes Stück weiterbringt: Robin Williams alias Keating fordert die Klasse auf, das Lehrerpult zu besteigen. Was zunächst wie ein bloßer Spaß erscheint, entpuppt sich als Spaß und wertvolle Lektion. Das Klassenzimmer hat für die Schüler plötzlich andere Dimensionen und andere Schattierungen, ist ein anderer Raum und doch derselbe. „Wenn Sie sich Ihrer Sache ganz sicher sind“, mahnt Keating, „dann zwingen Sie sich, sie von einem anderen Standpunkt aus zu betrachten, selbst wenn Sie ihn für falsch oder dumm halten!“ (Kleinbaum 1990: 61).
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Literatur
Dieses Argument ist am nachdrücklichsten in David Campbells „Politics without Principle“ (Campbell 1993) ausgeführt, wobei Campbell allerdings dazu neigt, selbst ein schwarz/weiß-Bild der Diskussionen um den Golfkrieg, die Gegenstand des Buches sind, zu zeichnen.
Dies haben die zahlreichen Problematisierungen der Grenze zwischen dem Innen und dem Außen eines Staates in den letzten Jahren verdeutlicht, von William Connollys Reflektionen über die Beziehungen von „Identität“ und „Differenz” (Connolly 1991) über David Campbells Redefinition von Außenpolitik als Konstitution eines „Fremden“ (Campbell 1992) zu Rob Walkers Bemühungen einer Reintegration von Internationalen Beziehungen und Politischer Theorie durch die Hinterfragungen von,,inside” und,,outside“ (Walker 1993).
Bemerkenswert im Hinblick auf die weiter unten noch aufzuwerfende Frage nach dem Ursprung von Diskursen ist, daß der häufig genannten Ursache für diese Debatte in der lange Zeit technologiefeindlichen politischen Elite Großbritanniens, die plötzlich ihre Rückständigkeit erkennt, von David Edgerton eine alternative Lesart entgegengestellt wird, in der er darauf hinweist, daß sein Blick auf die Daten ergibt, daß Großbritannien 1960 nicht rückständig, sondern das „technological powerhouse of Western Europe“ war (Edgerton 1996: 53).
Noch einmal ist darauf zu verweisen, daß dies nicht bedeutet, daß der sozialdemokratische Wirtschaftsgemeinschaftsdiskurs nicht schon vorher in den achtziger Jahren auftrat, sondern auf die Auswahl der Analysephasen zurückzuführen ist.
Britische Vorschläge für eine intensivierte militärische Kooperation, im europäischen Rahmen haben jüngst Zweifel an dieser Sichtweise aufkommen lassen. Eine genauere Betrachtung der entsprechenden Texte zeigen jedoch, daß diese Vorschläge weiterhin im Rahmen einer zwischenstaatlichen Zusammenarbeit verbleiben (Diez 1999b: 39f ). Zu bedenken ist freilich, daß es sich hier um eine Veränderung handeln könnte, die, ähnlich des Übergangs in den sechziger Jahren, eine diskursive Spur legt, auf die später zurückgegriffen werden kann, um supranationales Regieren auch im militärischen Bereich zu legitimieren. Noch scheint dies jedoch in ferner Zukunft zu liegen.
Die Beschränkung auf die deutsche und französische Debatte wird hier vorgenommen, um den Kontrast zur herkömmlichen Sichtweise zu verdeutlichen, die aufgrund des „quantitativen“ Machtverständnisses auf der Gegenüberstellung von Deutschland, Frankreich und Großbritannien als der drei „Schwergewichte” in der EU beruht, und weil der Verfasser bezüglich dieser Debatten auf die empirischen Ergebnisse des Mannheimer Forschungsprojektes über legitimes Regieren in der EU zurückgreifen kann. Dies bedeutet nicht, daß die in diesen Debatten dominierenden Diskurse zugleich auch in einer EU-weiten Debatte unter Einschluß „kleinerer“ Mitgliedstaaten und EU-Institutionen wie der Kommission und dem Gerichtshof besonders machtvoll wären, wenn man einen diskursiven Machtbegriff zugrundelegt. Um dem aber gerecht zu werden, müßte eine weiterreichende Analyse vorgenommen werden, die jenseits der Möglichkeiten dieser Arbeit liegt.
Vgl. hierzu auch meine Antwort auf die Kritik Börzels in Diez 1998.
Diese Auffassung habe ich selbst zunächst in einem zusammen mit Beate Kohler-Koch verfaßten Bericht über das Mannheimer Forschungsprojekt vertreten (vgl. KohlerKoch/Diez 1997: 10–12), wobei auch schon dort davor gewarnt wurde, „einen quasi-automatischen Zusammenhang zwischen formalen Institutionen und Leitbildern anzunehmen“ (ebd.: Il).
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Diez, T. (1999). Die Macht der Diskurse. In: Die EU lesen. Forschung Politikwissenschaft , vol 31. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-09696-2_5
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