Zusammenfassung
Interne Schließung als umkämpften Prozeß zu begreifen und ihn als solchen analysieren zu können, erfordert notwendig die systematische Berücksichtigung des Handelns sozialer Akteure. In dem Maße, in dem symbolische Klassifikationen gewissermaßen das Endresultat eines sozialen Prozesses beschreiben, der selbst unthematisiert bleibt, und Erklärungsversuche auf der Grundlage der Theorie funktionaler Differenzierung ausschließlich aus der Systemperspektive argumentieren, bleibt die Perspektive sozialer Akteure ausgeklammert und damit völlig unbeachtet, daß es sich bei interner Schließung um Verteilungskämpfe um ein knappes Gut — die Staatsbürgerschaft — handelt. Gesellschaftliche Verteilungskämpfe sind ein hochgradig politischer Prozeß, der es erforderlich macht, die Konflikte, die sich zwischen sozialen Akteuren um den Zugang zur Staatsbürgerschaft entzünden, zu analysieren. Diese Auseinandersetzungen lassen sich mit Max Weber als soziale Schließungen begreifen. Ausgehend von der im Anschluß an ihn entwickelten Theorie sozialer Schließung kann, so meine These, ein konzeptioneller Rahmen zur Analyse interner Schließungsprozesse erarbeitet werden, der es ermöglicht, über das Erklärungsangebot der oben diskutierten Ansätze hinauszugehen. Soziale Schließung stellt ein in der soziologischen Theorie stark vernachlässigtes Konzept dar1, dessen Analysekapazität zu Unrecht unterschätzt worden ist. Ihm wird erst in jüngster Zeit auf unterschiedlichen Gebieten verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt.2 Um dieses Konzept auch gewinnbringend auf das Problem interner Schließung anwenden zu können3, müssen zunächst die Grundzüge der Weberschen Konzeption dargestellt, und die von Frank Parkin und Raymond Murphy im Anschluß daran entwickelte ‚Theorie sozialer Schließung‘ einer kritischen Diskussion unterzogen werden.
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Literatur
Vgl. zu dieser Einschätzung Murphy ( 1988: Kap. 2).
Zur Anwendung des Schließungsansatzes siehe die Arbeiten von BaderBenschop (1989); Balog/Cyba (1990); Cyba (1985); Cyba/Balog (1989); Kreckel (1983a; 1992).
Neckel (1995) verweist auf Schließungsprozesse im Kontext der Konflikte zwischen Staat und ethnischen Minoritäten in den Vereinigten Staaten.
Die Bedeutung, die Weber (1985: 23ff) dem Konzept ‘offener’ und ’geschlossener’ sozialer Beziehungen mit dem prominenten Platz in den ’Soziologischen Grundbegriffen’ in Wirtschaft und Gesellschaft eingeräumt hat und der Grad der Ausarbeitung stehen in merkwürdigem Kontrast zueinander.
Zu einer frühen empirischen Anwendung des Weberschen Schließungskonzepts siehe Neuwirth (1969).
Parkins Kritik an der Dominanz marxistischer Ansätze in den 70ern wird erst durch eine äußerst selektive Rezeption in der Tradition des marxistischen Strukturalismus Althussers stehender Arbeiten möglich: vgl. Carchedi (1975); Poulantzas (1978); Wright (1979).
Positiv zu Parkins Ansatz vgl. Kreckel (1992); Rex (1979); Roth (1980); Wrong (1981). Zur Kritik siehe Barbalet (1982), die Diskussion zwischen Giddens (1980) und Parkin (1980) sowie MacKenzie (1980); Wrong (1981).
Parkin (1983) ersetzt den Begriff Solidarismus durch Usurpation. Solidarismus wird dadurch zu einer möglichen Usurpationsstrategie.
Zur Verwendung des Begriffspaares kollektivistisch/individualistisch statt zugeschrieben/erworben vgl. Parkin (1979); Murphy (1984).
Siehe Giddens (1979a) für eine sehr ähnliche Vorstellung der Klassenstrukturierung.
Zu Murphys Ansatz siehe Cuneo (1989); Swartz (1990).
Wie bereits bei Parkin beruht die Abgrenzung gegenüber gesellschaftstheoretischen Zugängen auf einer sehr selektiven Rezeption. Vgl. Fn. 7.
Collins’ Arbeiten ( 1971; 1975; 1987) sind für die Entwicklung des Konzepts sozialer Schließung nicht von Bedeutung. Collins selbst benutzt für Schließungsprozesse den Begriff ‘Conflict Sociologÿ. Ich beschränke mich daher im wesentlichen auf Murphys Auseinandersetzung mit Parkins Ansatz.
Murphys Gebrauch der Begriffe Schließung (’closure’) und Exklusion (’exclusion’) ist inkonsistent und somit problematisch. Während Schließung zunächst wie bei Parkin als übergeordneter Begriff eingeführt wird, der Exklusion und Usurpation umfaßt (Murphy 1988: 548), beziehen sich wenig später Regeln und Formen der Schließung nur noch auf die Exklusionsseite (ebd.: 555ff; 561 ). Da Murphy seinen Ansatz auf die Analyse von Exklusion beschränkt, bleibt der Bezug von Usurpationsformen zur Schließungsstruktur unklar. Im folgenden benutze ich die Begriffe Schließung für den gesamten Prozeß, Exklusion und Ausschließung für die Schließungsformen und -strategien der herrschenden gesellschaftlichen Gruppen.
Murphy (1988) definiert Schließungsregeln als principal, derivative, contingent rules.
Auch Schließungstheoretiker sind Kinder ihrer Zeit. Für kapitalistische Klassengesellschaften lediglich das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit als primäre Strukturkategorie zu definieren und Geschlecht als Strukturkategorie nicht zu thematisieren, ist aus der Perspektive der Frauenforschung in den letzten Jahren überzeugend kritisiert worden. Vgl. dazu Becker-Schmidt (1987); Beer (1990); Frerichs/Steinrucke (1993).
Murphy ersetzt den Begriff ‘dual structure (1984) in einer späteren Fassung des Aufsatzes (1988) durch den Begriff ’paired structure. Beide Begriffe sind unbefriedigend. Verständlicher wäre etwa der Begriff komplementäre Schließungsstruktur’ für sich ergänzende primäre Schließungsformen.
Murphy (1988) bezeichnete Usurpationsformen als ‘inclusionary’ und ’revolutionary’.
Vgl. Bourdieu (1982) zur Vorstellung einer dominierten Fraktion der dominanten Klasse.
Zur Konzeption der ‘middle-range theory’ siehe Merton (1964); Zur aktuellen Bedeutung von Theorien mittlerer Reichweite nach dem Ende der ’grand theories’ siehe Müller/Schmid (1995).
Im Anschluß an Parkin bedeutet dies, daß soziale Ausschließungspraktiken dann an diese rechtlichen Definitionen anschlußfähig werden. Der Grad der von staatlicher Seite gegen Migranten durchgesetzten Exklusion wird somit Voraussetzung für soziale Praxen der Ausschließung von Migranten. Auch hier hat man es dann aber mit der Eröffnung potentieller Handlungsspielräume zu tun, nicht mit ableitbaren, deterministischen Konsequenzen. Die Analyse der Durchsetzung von Exklusion und die daran anschließenden sozialen Praktiken stellen damit eine rechtssoziologische Reformulierung bzw. Begründung der Unterscheidung zwischen institutioneller und sozialer Diskriminierung dar. Diese sind jedoch nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Zu institutioneller und sozialer Diskriminierung vgl. Schulte (1995).
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Mackert, J. (1999). Die Theorie sozialer Schließung — ‘bringing actors back in’. In: Kampf um Zugehörigkeit. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-07982-8_6
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