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Der Kater des Dionysos Die geheime Beziehung zwischen Postmoderne und Gemeinschaft

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Hundert Jahre „Gemeinschaft und Gesellschaft“

Zusammenfassung

Der Begriff „Postmoderne“ versucht eine Selbstidentifikation der gegenwärtigen Epoche. Die vielfältigen Erscheinungen, die darin zusammengefaßt sind, erlauben keine gemeinsame positive Bestimmung, wohl aber eine negative: Verabschiedung der Aufklärung, des Vertrauens in vernunftgegebene Ideen und die Fähigkeit des Menschen, sie in Handlung umzusetzen. Die starke Resonanz, die diese Haltung findet, beruht auf dem Versagen der Ideen der Studentenbewegung, auf ihrem Abschlaffen nach einer kollektiven intellektuellen Hochspannung. Der dadurch bewirkte Identitätsverlust wird in der Postmodernekonzeption aufgefangen. Sie nimmt das Gefühl, geistig zurückgefallen und hinter der eigenen jugendlichen Radikalität zurückgeblieben zu sein, da sie eine neue und weitergehende Radikalität bietet: Allem folgerichtigen Denken wird das Prestige entzogen, jede Zwecksetzung wird diskreditiert; der antiautoritäre Impetus richtet sich nicht mehr nur gegen Zeiterscheinungen wie Kapitalismus und Establishment, sondern gegen Struktur überhaupt, gegen Struktur auch in jedem alternativen Denkgebäude: Bilderstürmerei in bequemem Zurücklehnen.

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Literatur

  1. Rudolf Heberle (1959, S. 394). Das Zitat wird an prominenter Stelle wiedergegeben, nämlich auf dem Buchrücken der Neuauflage von “Gemeinschaft und Gesellschaft”. Heberle sieht das Verbindende in der Tatsache, daß sowohl Gemeinschaft als auch Gesellschaft gewollte Verbindungen sind. Er überzieht diese Gemeinsamkeit, wenn er von “gemeinsamer voluntaristischer Grundlage” spricht, denn den Begriff “voluntaristisch” reserviert Tönnies für den Kürwillen. Uberhaupt wird die in “Gemeinschaft und Gesellschaft” jeweils verschiedene Willensform als Trennlinie bei dieser synthetisierenden Auffassung übersprungen; der Wesenwille in seiner organischen Eingebundenheit ignoriert, die Gemeinschaft als kleine Gesellschaft aufgefaßt. Man geht mit dieser Entzauberung des Wesenwillens zwar der Faschismus-witternden Tönnies-Kritik aus dem Wege, entzieht dem dualistischen Konzept aber seine Grundlage. Wenn Gemeinschaft und Gesellschaft in gleicher Weise die voluntas zum Ausgangspunkt haben, nimmt man der Gesellschaft ihre differentia specifica und fällt in rationalistische Irrtümer zurück, für die die Konstruktion des contrat social prototypisch ist. Tür und Tor sind dann wieder geöffnet für eine historistische Widerlegung, die den umgekehrten Fehler macht, auch da organische Selbsttätigkeit zu sehen, wo planende voluntas am Werke ist.

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  2. Dabei zeigen sich andere Bevorzugungen als bei Kant, dem der naturunabhängige intelligible Charakter das Wertvolle war und der eingebundene empirische Charakter wegen seiner moralischen Indifferenz uninteressant. Das wesenwillige Handeln erfolgt ja aus Gefallen: erst der Kürwille ist imstande, der Pflicht vor der Neigung den Vorzug zu geben, moralisch zu sein. Tönnies hingegen sieht in der evolutionär dazugewonnenen Freiheit eher einen Niedergang wegen ihrer destruktiven Möglichkeiten. Doch auch er kann den historisch neueren Zustand würdigen insofern, als er Grundlage ist für die dualistischen Vernunftkonzepte, für die Herausbildung universaler moralischer Maximen, die die Begrenztheit der affektiven Gemeinschaftsbindungen überwinden: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Frieden.

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  3. Das gilt natürlich nur sehr eingeschränkt für Theodor W. Adorno, dessen “Negative Dialektik” unwestlich-deutsche Züge ausprägt: “Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung sich darstellten” (1964, S. 333); vgl. zum Erlösungsmotiv unten VI.

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  4. Von Edmund Burke führt eine Linie nicht nur zur Postmoderne, sondern auch zu “Gemeinschaft” — was unsere Hauptthese von deren innerer Verbindung stützt. Eduard Georg Jacoby (1971, S. 36, vgl. S. 260) zieht diese Linie: Sie beginnt bei Burkes Satz: “,As the ends of such a partnership cannot be obtained in many generations, it becomes a partnership not only between those who are living, but between those who are living, those who are dead, and those who are to be born. ‚Burkes ‚partnership‘ wurde in Friedrich Gentz‘ Übersetzung ‚Gemeinschaft‘. In dieser Fassung fand Adam Müller es vor; er machte daraus: ‚die erhabene Gemeinschaft einer langen Reihe von vergangenen, jetzt lebenden und noch kommenden Geschlechtern, die alle in einem großen innigen Verbande zu Leben und Tod zusammenhängen .‘ “

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  5. Zu diesem Punkt gibt es allerdings changierende Äußerungen. So sagt Marx andererseits: “Der Kommunismus unterscheidet sich von allen bisherigen Bewegungen dadurch, daß er die Grundlage aller bisherigen Produktions- und Verkehrsverhältnisse umwälzt und alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum erstenmal mit Bewußtsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen behandelt, ihrer Naturwüchchsigkeit entkleidet und der Macht der vereinigten Individuen unterwirft” (1953, S. 399).

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  6. “Eintritt in die Postmoderne: Nietzsche als Drehscheibe” heißt das IV. Kapitel bei Jürgen Habermas (1985b, S. 104). Eine Zurückweisung erfährt diese Auffassung auch bei Wolfgang Welsch (1987, S. 181, Anm. 18): “Man täusche sich dabei über die geschichtliche Stellung Nietzsches nicht. Man muß ihn arg strapazieren, um ihn umstandslos zum Vordenker der Postmoderne zu erklären. Nietzsche sieht den modernen Pluralismus gerade nicht positiv. Er ist für ihn vielmehr das Phänomen der modernen Decadence schlechthin, demgegenüber es zu einer neuen Totalität vorzustoßen gilt. Im Pluralismus gewahrt Nietzsche — angesichts des Historismus — nur die Geschäftigkeit der Vergleichung und Kostümierung.”

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  7. Die Frage: “Wenn Nietzsche expartriiert wird, warum dann nicht auch Schelling?” stellt auch Wolfgang Welsch (1987, S, 163). “Und wenn dieser, dann doch wohl der Tübinger Freundeskreis überhaupt?”

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  8. Den Zusammenhang zwischen dem dionysischen Prinzip und Gemeinschaft einerseits und dem apollinischen und Gesellschaft andererseits stellt Jürgen Zander in seinem schönen Aufsatz (1981a) her.

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  9. Insofern, als auch er Eudämoniebestrebungen mißtraute, gehörte schon Kant nicht mehr der Aufklärung an.

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Lars Clausen Carsten Schlüter

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© 1991 Leske + Budrich, Opladen

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Tönnies, S. (1991). Der Kater des Dionysos Die geheime Beziehung zwischen Postmoderne und Gemeinschaft. In: Clausen, L., Schlüter, C. (eds) Hundert Jahre „Gemeinschaft und Gesellschaft“. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01367-9_9

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-01367-9_9

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-663-01368-6

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