Soziale Ungleichheit, Kriminalität und Kriminalisierung heute

Zusammenfassung

Es ist wohl kaum übertrieben zu sagen, daß die Frage nach der Beziehung von sozialer Ungleichheit und Kriminalität konstitutiv für die soziologische Analyse strafrechtlich abweichenden Verhaltens in der Bundesrepublik war. In der deutschen Kriminologie hatten bis weit in die 60er Jahre hinein Ansätze dominiert, die Kriminalität als Folge individueller Pathologien betrachteten. Strittig war allenfalls, ob es sich hierbei mehr um angeborene, vererbte Verhaltensmuster handelte oder um solche, die in Störungen der (meist frühkindlichen) Sozialisation wurzelten. Nur langsam rezipierte man Ansätze, die mit soziologischen Konzepten arbeiteten; erst 1968 erschien ein Sammelband (Sack & König 1968), der wichtige — vor allem amerikanische — Arbeiten versammelte, die soziologische Perspektiven in der wissenschaftlichen Thematisierung von Kriminalität vertraten. Aber sicher hatten gesellschaftliche Ereignisse, insbesondere die Studentenproteste, wesentlich höheren Anteil daran, daß sich das Bewußtsein über Strukturen sozialer Herrschaft und Ungleichheit ab Mitte der 60er Jahre sehr rasch in der Kriminologie etablierte.