6.1 Einleitung

Die Zukunft der Erwachsenenbildung/Weiterbildung ist von der Digitalisierung und Mediatisierung geprägt (Egetenmeyer et al., 2021). Sie erfährt durch den Einsatz innovativer Informations- und Kommunikationstechnologien neue Chancen und Möglichkeiten bei der Gestaltung effektiver Lehr- und Lernarrangements. Dies gilt auch für das anspruchsvolle Setting der Führungskräfteentwicklung. Vor diesem Hintergrund setzt sich das Forschungsprojekt LUTZ mit folgenden Fragestellungen auseinander:

  • Wie können praxisorientierte Führungskräftetrainings mit einem hohen Anteil an Interaktions- und Reflexionsbestandteilen digitalisiert werden?

  • Welche Merkmale und Verhaltensweisen kennzeichnen heute gute Führungsarbeit?

  • Welche führungstheoretischen Modelle sind geeignet, um individuelles Führungshandeln im digitalen Raum zieldienlich zu steuern?

Als relevante Branche für das Forschungsvorhaben ist das Gesundheitswesen ausgewählt worden. In der Abb. 6.1 ist eine herausfordernde Führungssituation in der Langzeitpflege beispielhaft herausgestellt.

Abb. 6.1
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Herausfordernde Führungssituation einer Pflegedienstleitung in der Langzeitpflege

Die geschilderte Situation ist ein eindrückliches Beispiel für eine der zahlreichen Entscheidungssituationen, die Führungskräfte täglich in Gesundheitsorganisationen bewältigen müssen. Darüber hinaus erfahren sie aktuell eine besondere Verschärfung ihrer beruflichen Anforderungen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels. Dieser ist zwar in vielen Branchen vorherrschend, betrifft aber das Gesundheitswesen in besonderem Maße und wird sich perspektivisch noch verschlimmern (PWC, 2022).

Diese strukturellen Rahmenbedingungen, insbesondere im Bereich der Pflege, erzeugen bei einem Großteil der Beschäftigten ein belastendes Arbeitsklima und eine hohe Unzufriedenheit, wodurch Wechselbereitschaft und Fluktuationsdynamiken entstehen. Diese Problematiken müssen von den Führungskräften vor Ort aufgegriffen und abgefedert werden. Dabei erleben sich Führungskräfte in der Bewältigung ihrer Aufgaben häufig als überfordert und der Situation nicht gewachsen.

Bei Fragestellungen mit starken unternehmenskulturellen und organisationalen Bezügen unter hoher Unsicherheit beruht Führungshandeln meist auf Erfahrung und Intuition sowie den im Kontext der eigenen Biographie entwickelten persönlichen und sozialen Kompetenzen (Gigerenzer & Gaissmaier, 2016). Bestehende Pflichtfortbildungen werden den notwendigen Qualifizierungsbedarfen in puncto Führung bisher nicht gerecht und finden sich auch in weiterführenden Fortbildungsangeboten eher weniger abgebildet. Gleiches gilt für digitalisierte Lernformate in diesem Bereich.

Daher war das Ziel des Forschungsprojektes LUTZ, den Fokus der Auseinandersetzung mit Entscheidungsprozessen im Kontext von Guter Führung im Gesundheitswesen zu erweitern und diese mit innovativen Methoden des digitalen Lernens neu zu denken.

Es galt, die diversen Anforderungen in die LUTZ-Lernwelt zu integrieren und mit modernen Methoden der Erwachsenenbildung und Gamificationelementen auszugestalten. Die Bezeichnung LUTZ steht hierbei für: LernUmgebung für eine Transformationale Führungsarbeit der Zukunft. Zunächst nur als Projektarbeitstitel, hat sich der Name LUTZ als Name der Lernwelt inzwischen bewährt.

Im Ergebnis des Projekts ist ein Prototyp für eine digitale, webbasierte Lernwelt realisiert worden, die es zunächst Führungskräften in der Langzeitpflege ermöglichen soll, ihr Verhalten in herausfordernden Situationen zu reflektieren und anhand von Erkenntnissen aus der Führungsforschung weiterzuentwickeln. Dazu werden die Führungskräfte in fallbasierten Lernszenarien mit herausfordernden Führungssituationen konfrontiert und im Rahmen der spielerischen Bearbeitung für deren Auswirkungen und alternative Handlungsoptionen über qualifizierte Rückmeldungen in einem geschützten, digitalen Raum sensibilisiert. Das führungstheoretische Konstrukt orientiert sich dabei an den Überlegungen der transformationalen Führung, welches darauf abzielt, Mitarbeitende so zu motivieren, dass sie mehr erreichen können, als sie ursprünglich von sich erwarten würden (Bass, 1985).

Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt LUTZ wird im Rahmen des Programms „Zukunft der Arbeit“ (Förderkennzeichen 02L18B534) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor*innen. Die Laufzeit des Projektes beträgt drei Jahre (01.05.2020 bis 31.04.2023). Der Betrachtungszeitraum für diese Publikation endet bereits am 31.12.2022.

Der vorliegende Beitrag adressiert sowohl interessierte Führungskräfte und Personalverantwortliche aus dem Gesundheitswesen als auch Leser*innen aus den Bereichen der Arbeits- und Organisationspsychologie, der Erwachsenenbildung sowie Wissenschaftler*innen weiterer Disziplinen. Diese Leser*innengruppen spiegeln auch die Projektarchitektur selbst wider. Beteiligt sind:

  • die EUMEDIAS AG, Magdeburg,

  • das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF, Magdeburg,

  • die RWTH Aachen University; Lehrstuhl und Institut für Arbeitswissenschaft, Aachen,

  • die Databay AG, Aachen.

Das hier folgende Kapitel ermöglicht zunächst einen Blick auf das Projektergebnis, den aktuellen Entwicklungsstand der LUTZ-Lernwelt und den sich daraus ableitenden Nutzen. Die darauffolgenden Kapitel skizzieren den Weg dorthin und ermöglichen den interessierten Leser*innen die Nachvollziehbarkeit des Entwicklungsprozesses und münden in das Kapitel, das die technische Gestaltung des vorliegenden Prototyps beschreibt. Die beiden letzten Kapitel geben Einblicke in die projektbegleitende Evaluation und die mögliche Verwertung der Forschungs- und Entwicklungsergebnisse.

Für die in der bisherigen Projektlaufzeit identifizierten besonderen Erkenntnisse sind im Verlauf dieser Berichterstattung zwei Kategorien genutzt worden, die einen tieferen Einblick ermöglichen. Zur besseren optischen Unterscheidung sind zwei Symbole zugeordnet worden:

Besonders herausfordernde Führungssituationen im Gesundheitswesen

Besondere Erkenntnisse mit Auswirkungen auf die Ausgestaltung der LUTZ-Lernwelt

6.2 Die LUTZ-Lernwelt im Überblick

Führungsarbeit befindet sich heute in einem Transformationsprozess, der auch die Veränderung der Führungspersönlichkeit inkludiert. In den Arbeitsteams und Organisationseinheiten ermöglicht eine „neue Führungspersönlichkeit“ mit ihren Entscheidungen für eine Gute Führungsarbeit gegenseitiges Vertrauen, verlässliche Beziehungen, positive Kooperationserfahrungen – und das sinnstiftend partizipativ und mit einer dem Ziel dienlichen Transparenz. In dieser Transition kommen zu den situativen Herausforderungen der obligatorischen Führungsarbeit die kritischen Führungssituationen, die in den verschiedenen Branchenbereichen des Gesundheitswesens zwar ähnlich sind, sich aber in der Realität der Akteur*innen z. B. sprachlich, sowie auch in der Ausgestaltung von Arbeitsräumen, Aufgaben und Rollen spezifisch abbilden. Die Abb. 6.2 stellt diese Erkenntnis explizit heraus, da sie sich auf die konkrete Umsetzung des gesamten Projektes maßgeblich ausgewirkt hat.

Abb. 6.2
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Konkretisierung der Zielgruppe der Nutzer*innen im Projektverlauf

Im Ergebnis der iterativ erlangten Erkenntnisse zur Entwicklung der Lernwelt und Ausgestaltung des Prototyps ist die Gruppe der Nachwuchsführungskräfte in der Langzeitpflege als explizite Zielgruppe festgelegt worden. Diese Führungskräfte steigen in Verantwortungspositionen auf und realisieren die entsprechende Führungsqualifizierung häufig berufsbegleitend.

Die Abb. 6.3 ermöglicht einen Blick auf die Strukturelemente, die den Charakter der Lernwelt ausmachen (siehe auch Abschn. 6.4.1 und 6.4.2).

Abb. 6.3
figure 3

(Eigene Darstellung)

Oberflächliche und darunterliegende Strukturelemente der Lernwelt

Die LUTZ-Lernwelt illustriert eine Gesundheitseinrichtung mit leicht futuristischem Charakter und unterschiedlichen Räumen, in denen sich die Nutzer*innen bewegen können. In den auf der Benutzeroberfläche befindlichen Bestandteilen der LUTZ-Lernwelt (oberer Bereich in der Abb. 6.3) finden die Nutzer*innen aktuell sechs fallbasierte Lernszenarien, welche mit spielerischen Elementen untersetzt sind. So soll es gelingen, einerseits die eigene Führungsqualität in schwierigen Entscheidungssituationen zu reflektieren und andererseits alternative Möglichkeiten eines eher beziehungsorientierten Führungsverhaltens aufzuzeigen und zu vermitteln. Die LUTZ-Lernwelt bietet so eine gute Möglichkeit, Führungserfahrungen im digitalen Raum zu sammeln, ohne direkte Auswirkungen für Bewohner*innen und Mitarbeitende zu erzeugen.

Der MehrLernRaum gehört zu den Bestandteilen der Benutzeroberfläche der LUTZ-Lernwelt und ist, dem Wortsinn folgend, der Wissensspeicher, an dem die Nutzer*innen selbstgesteuert vertiefendes Wissen und Üben realisieren können.

Das Backend ist der praktische Gestaltungsraum der Lernwelt LUTZ, indem die Lernszenarien mittels programmierter Bausteine angelegt, der Plausibilität der Situation folgend zusammengestellt und mit Inhalten gefüllt werden. Es gibt verschiedene Arten von Bausteinen, die nach der Funktion und nach dem gewünschten Ergebnis unterschieden werden.

Das MehrLernRaum-Backend ist der Gestaltungsrahmen, in dem die Inhalte angelegt sind, die im MehrLernRaum erscheinen sollen. Die Nutzer*innen können den MehrLernRaum sowohl über dessen Verknüpfung mit den Szenarien im Spielverlauf kennenlernen oder über zwei direkte Zugänge besuchen. Vertiefende Erklärungen zu beiden Backends sind unter Abschn. 6.4.2 nachzulesen.

Zur Nutzung der Lernwelt meldet sich die Führungskraft über den Desktop-PC oder ein mobiles Endgerät, wie Laptop oder Tablet, in der Lernwelt an und gelangt dann über das Dashboard in den virtuellen „Flur“ der Gesundheitseinrichtung.

Durch die Türen des Flures kann die Führungskraft verschiedene Räume betreten, in denen bei einigen Gegenständen des Raumes jeweils Lernszenarien zu unterschiedlichen Führungssituationen hinterlegt sind. Diese Situationen in den Szenarien kann die Führungskraft erleben und dabei digitale Führungserfahrungen sammeln. Innerhalb der Lernszenarien gibt ein Avatar, die Mentorin Weise, immer wieder Feedback. Die Mentorin Weise ist ein wesentlicher Dialogpartner für die Nutzer*innen. Sie stellt und erläutert die Aufgaben, erzeugt sprachliche Überleitungen und gibt bei getroffenen Entscheidungen ein qualifiziertes Feedback. Das zusätzliche symbolische Feedback und die qualifizierten Feedbacktexte der Mentorin Weise ermöglichen den Nutzer*innen das Erfahrungslernen in einem geschützten digitalen Raum. Jegliches Feedback orientiert sich an einem Führungsmodell oder -ansatz, welcher wiederum im MehrLernRaum genauer bearbeitet werden kann.

Zum MehrLernRaum gelangen die Nutzer*innen über eine vierte Tür oder direkt über das Dashboard. Hier können die Führungskräfte theoretisches Wissen zu Führungsmodellen selbstgesteuert nachlesen, Erklärvideos ansehen und ihr Wissen in weiteren Übungen und Tests erproben. Dabei werden diejenigen Führungsmodelle behandelt, die den Entscheidungssträngen und Antwortoptionen der Lernszenarien zugrunde liegen. Eine wichtige Rolle spielen außerdem die unterschiedlichen virtuellen Mitarbeitenden, die die Führungskraft nach und nach besser kennenlernt, indem diese in den Lernszenarien in Aktion und Interaktion treten. So ist es möglich, die vielfältigen Anforderungen, Wünsche und Charakteristika des Teams abzubilden und sich als Führungskraft realitätsnahen Aufgaben zu stellen und ein ganzes Team im Blick zu behalten. Einen konkreteren Einblick dazu erhalten Interessierte auf der Projektwebseite (https://www.projekt-lutz.eu/das-projekt/lernapp-demonstrator-1).

6.3 Inhaltliche Entwicklung der LUTZ-Lernwelt

Das vorliegende Kapitel erläutert die Entwicklung des Prototyps der LUTZ-Lernwelt. Hierfür wurde zunächst die Praxis in den Blick genommen: Eine umfassende Analyse des Gesundheitswesens identifizierte neben den technischen Anforderungen der Zielgruppe, welche herausfordernden Führungssituationen und Faktoren Guter Führung das Gesundheitswesen beschreiben und deshalb in der Lernwelt dargestellt werden sollen (Abschn. 6.3.1). Um die Aufbereitung dieser Lerninhalte für die Lernwelt zu ermöglichen, wurden bestimmte Führungsansätze und -modelle aus der Theorie in eine Gesamtmodellierung überführt. Diese ermöglicht es, fundierte Handlungsempfehlungen in der LUTZ-Lernwelt zu vermitteln (Abschn. 6.3.2).

6.3.1 Herausforderungen und Faktoren guter Führung im Gesundheitswesen

Statt Führungskräfte aller Branchen adressiert die LUTZ-Lernwelt explizit das Gesundheitswesen. Dadurch können die spezifischen Besonderheiten der Zielgruppe gezielt berücksichtigt werden. Hierfür stellt sich zunächst die Frage, wie es gerade im Hinblick auf die Führungskräfte im Gesundheitswesen gelingen kann, dass diese die Lernwelt tatsächlich nutzen und zudem Lernerfolge erzielen. Ein wichtiger Faktor ist dabei, dass die Lernszenarien, in denen Nutzer*innen herausfordernde Führungssituationen spielerisch durchlaufen, so realitätsgetreu wie möglich gestaltet sind. Das schafft die Grundlage dafür, sich mit den Lernszenarien zu identifizieren (Freyermuth, 2015). Zu diesem Zweck wurde zu Beginn des Forschungsprojektes eine umfangreiche Anforderungsanalyse durchgeführt, die sich aus einem Literatur-Review, Interviews und Fokusgruppen zusammensetzte (Sorge et al., 2021). Im Rahmen der Interviews, die mit Führungskräften aus der Pflege, der stationären und ambulanten Humanmedizin sowie aus der Zahnmedizin durchgeführt wurden, wurden Führungssituationen aus der Praxis sowie An- und Herausforderungen aus dem Führungsalltag gesammelt. Exemplarisch für die Herausforderungen ist in der Abb. 6.4 das Beispiel der Dienstplangestaltung, das von den Führungskräften vielfach benannt wurde, aufgeführt.

Abb. 6.4
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Herausfordernde Führungssituation einer Teamleiterin eines Wohnbereiches in der Langzeitpflege

So stellt diese Aufgabe die Führungskräfte unterschiedlicher Bereiche des Gesundheitswesens immer wieder vor Herausforderungen, u. a. aufgrund kurz- und langfristiger Ausfälle durch Krankschreibungen, Berufsausstieg und den zunehmenden Fachkräftemangel überhaupt. Dazu kommt, dass die damit im Zusammenhang stehende Unzuverlässigkeit des Dienstplanes zur Unzufriedenheit der Mitarbeitenden beiträgt und ihrerseits wiederum zu Krankschreibungen und zu Wechselbereitschaft führt.

Neben dem Thema der Dienstplanung beschreiben die Interviewpartner*innen viele andere herausfordernde Führungssituationen, wie z. B. Mitarbeitende, die sich einem Arbeitsauftrag verweigern, Konflikte im Team, schwierige Angehörige und auch Pflege- oder Behandlungsfehler. Die Abb. 6.5 beschreibt eine konkrete Situation, in der sich eine Mitarbeiterin dem Arbeitsauftrag verweigert.

Abb. 6.5
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Herausfordernde Führungssituation einer Praxisanleiterin einer radiologischen Praxis

Als Ergebnis der geführten Interviews ist eine umfangreiche Sammlung herausfordernder Führungssituationen entstanden. Diese bilden die Basis für die Fokussierung expliziter Themen, die in der Lernwelt als Lernszenarien abgebildet werden und damit für möglichst viele Nutzer*innen relevant sind. Dahingehend wurde untersucht, welche Situationen von den Praxispartner*innen am häufigsten genannt oder als die wichtigsten eingeschätzt wurden. Die gesammelten Situationen sind sortiert und in folgende Themenbereiche zusammengefasst: Hohe Anforderungskomplexität, soziale Komplexität, Unvorhersehbarkeit und Selbstfürsorge (de la Barré et al., 2023). Die Problemkonstellationen in den aktuellen Lernszenarien bilden die Themenbereiche weitestgehend ausbalanciert ab.

Neben den konkreten Beschreibungen herausfordernder Führungssituationen, die in Szenarien abgebildet sind, hat die Anforderungsanalyse ermöglicht, die Art und Weise angemessener Lösungen herauszuarbeiten. Diese Faktoren Guter Führung bilden letztlich das Herzstück der Lernszenarien, weisen sie doch das größte Lernpotenzial für die Lernenden auf. Grundlage hierfür bilden die Recherchen, die im Zuge der Erstellung des systematischen Literaturreviews erfolgten. Diese belegen beispielsweise, dass dem Ansatz der transformationalen Führung großes Potenzial für das Gesundheitswesen beigemessen werden kann (Cummings et al., 2010, 2018). Dennoch liefert die Literatur bisher keine umfassende Antwort darauf, wie Führungsverhalten in herausfordernden Führungssituationen im Gesundheitswesen verlässlich Gute Führung mit allen erwartbaren positiven Effekten erzeugt (Sorge et al., 2022).

Die interviewten Führungskräfte antworteten außerdem darauf, welche Lösungen sie je herausfordernder Situation als gut definieren würden. Zusätzlich wurde in Fokusgruppen diskutiert, welche Faktoren gute Führung für die Teilnehmenden charakterisieren. Zusammenfassend ist die Auswertung der Interviews und Fokusgruppen zu den folgenden Faktoren Guter Führung gekommen, die für den Umgang mit schwierigen Situationen bedeutsam sind: Werteorientierung, Motivation & Begeisterung, individuelle Berücksichtigung, persönliche Widerstandsfähigkeit sowie soziale & empathische Kompetenz (de la Barré et al., 2023). Dabei hat sich die Führung im Gesundheitswesen als so komplex dargestellt, dass nicht jeweils ein Faktor Guter Führung einem Themenbereich zuzuordnen ist, sondern je nach Problemstellung bestimmte Faktoren als besonders bedeutsam erscheinen.

Zudem wird ersichtlich, dass sich in der Anforderungsanalyse des Forschungsprojektes die Ergebnisse von Cummings et al. (2010, 2018) hinsichtlich der Potenziale der transformationalen Führung bestätigen. Darüber hinaus bieten die Ergänzungen aus der Anforderungsanalyse eine umfassendere Antwort auf die Frage, welche herausfordernden Führungssituationen und Faktoren Guter Führung das Gesundheitswesen insbesondere charakterisieren. Die Abb. 6.6 beschreibt, in welcher Art und Weise sich die Projektakteure eine zukünftige Auseinandersetzung damit vorstellen können.

Abb. 6.6
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Erkenntnisse zum Konstrukt Gute Führung im Gesundheitswesen im Realitätscheck

In der Anforderungsanalyse zu LUTZ haben sich ergänzende Herausforderungen an das Führungshandeln im Gesundheitswesen gezeigt, die von den Aspekten der transformationalen Führung nicht vollständig abgebildet werden. Der aufbereitete und überprüfte Kenntnisstand im Projekt ist aktuell und in Zukunft mit den Berater*innen der EUMEDIAS im Realitätscheck. Die Überprüfung des sogenannten Denkrahmens (oder Konstruktes) Gute Führung im Gesundheitswesen steht dabei im Mittelpunkt der Aufgabe. Die aktuelle Situation des Branchenbereiches bestärkt die Akteur*innen, am Thema und seiner Weiterentwicklung zu bleiben.

Der aktuelle Stand der Erkenntnisse aus LUTZ ist in Fachzeitschriften der Pflege bereits mit einer breiteren Öffentlichkeit geteilt (Sorge et al., 2022; de la Barré et al., 2023). Die Lernszenarien der Lernwelt werden zukünftig fortwährend mit modernen und für die Arbeitskontexte im Gesundheitswesen tauglichen Führungsansätzen und -modellen und deren sinnvollen Verknüpfungen aufbereitet.

Über die genannten inhaltlichen Aspekte hinaus sollte die Anforderungsanalyse die Bedarfe, Medienerfahrungen und damit verbunden die expliziten technischen Nutzungsbedürfnisse der Zielgruppe identifizieren. Die Ergebnisse der Fokusgruppen ließen hierbei die Vorlieben und Möglichkeiten hinsichtlich digitaler Endgeräte erkennen. Bevorzugt wurden hier Desktop-PCs oder Tablets. Zudem wurde ersichtlich, dass die Zielgruppe keine umfängliche Medienkompetenz und eher wenig Spielerfahrungen hat. Daraus ist abzuleiten, dass die Lernwelt möglichst einfach in ihrer Bedienung gestaltet werden muss. Des Weiteren ergab die Diskussion über die grafische und spielgestalterische Aufbereitung ausgewählter (Lern-)Spiele, welche Form des Einsatzes von Gamification-Elementen für die Zielgruppe am ansprechendsten wirkte. Darauf aufbauend wurden in einem nächsten Schritt ausführliche Leitlinien erarbeitet, die didaktische und spielgestalterische Komponenten umfassen. Diese werden in Abschn. 6.3.3 detailliert beschrieben.

Zusammenfassend sind mit der Anforderungsanalyse folgende Aspekte identifiziert worden:

  • Faktoren Guter Führung im Gesundheitswesen,

  • Themenbereiche, die in der Lernwelt abgebildet werden sollen und

  • technische Anforderungen der Zielgruppe.

Nachfolgender Abschn. 6.3.2 beschreibt, wie die Faktoren Guter Führung mithilfe von Führungsmodellen und -ansätzen in eine Führungsmodellierung überführt wurden, sodass die Nutzer*innen in der Lernwelt ein stringentes Führungshandeln mit einem zwar automatisierten aber dennoch qualifizierten Feedback erleben.

So werden dann im Abschn. 6.3.3 einige Lernszenarien und die eingebetteten Führungsherausforderungen beispielhaft beschrieben und ermöglichen den Lesern die Anwendung der Modellierungen der verarbeiteten Führungsansätze und -modelle sowie die Anwendung von Leitlinien zur Didaktik und Gestaltung.

6.3.2 Modellierung und Aufbereitung der Lerninhalte für die digitale Lernanwendung

Im Rahmen der Anforderungsanalyse wurden herausfordernde Führungssituationen wie beispielsweise die Dienstplangestaltung oder die Verweigerung eines Arbeitsauftrags identifiziert. Für diese Situationen sollen in der LUTZ-Lernwelt konkrete Handlungsempfehlungen vermittelt werden, die sich an beziehungsorientierten Führungsansätzen, wie der transformationalen Führung, orientieren (ausführliche Darstellungen zur transformationalen Führung sowie weiteren Führungstheorien finden sich in Bass, 1985; Bass & Avolio, 1990; Rybnikova & Lang, 2021; Yukl, 2013). Studien zur Führung im Gesundheitswesen haben gezeigt, dass Führungsverhaltensweisen, die darauf ausgerichtet sind, die individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen stärker zu berücksichtigen und vertrauensvolle Beziehungen zwischen den Beteiligten aufzubauen, zu besseren Ergebnissen für das Pflegepersonal führen; und zwar sowohl in Bezug auf ihr Arbeitsumfeld, ihre Zufriedenheit und Leistung als auch für ihre persönliche Gesundheit und ihr Wohlbefinden (Cummings et al., 2018, vgl. auch Lega et al., 2017).

Für die Vermittlung geeigneter Führungsverhaltensweisen in einer Lernanwendung bedarf es einer Modellierung, die ein automatisch erzeugtes Feedback für das in den Lernszenarien ausgewählte Antwortverhalten ausgibt (z. B. auf der Grundlage von Wenn-Dann-Beziehungen). Ausgehend von den Ergebnissen der Anforderungsanalyse wurden für die Implementierung etablierte Führungsansätze und -modelle ausgewählt, die folgende Anforderungen erfüllen:

  • Die Ansätze unterstützen beziehungsorientiertes, transformationales Führungsverhalten.

  • Die Ansätze greifen die Ergebnisse aus der Anforderungsanalyse auf.

  • Aus den Ansätzen lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen für herausfordernde Führungssituationen im Gesundheitswesen ableiten.

  • Die Ansätze sind für die Vermittlung in der LUTZ-Lernwelt modellierbar.

Im Folgenden werden drei ausgewählte Führungsansätze und ihre Umsetzung in der Lernwelt kurz erläutert.

In der LUTZ-Lernwelt werden u. a. der Führungsansatz des partizipativen Führens und das dazugehörige normative Entscheidungsmodell von Vroom (2000) aufgegriffen. Aus dem Modell lassen sich Handlungsempfehlungen für die Beteiligung von Mitarbeitenden an Entscheidungsprozessen ableiten. In Abhängigkeit bestimmter situativer Bedingungen kann ein partizipatives Vorgehen die Entscheidungsqualität und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden erhöhen. Es gibt verschiedene Formen der Beteiligung, die sich entlang eines Kontinuums anordnen lassen, startend damit, dass die Führungskraft die Entscheidung alleine trifft, bis hin zum vollständigen Delegieren der Entscheidung an das Team (Vroom, 2000). Welcher Partizipationsgrad der passende ist, hängt unter anderem von den folgenden Situationsfaktoren ab: vorhandener Zeitdruck, Informationsverfügbarkeit, erwartete Akzeptanz der Mitarbeitenden, Kompetenzen der Mitarbeitenden bezüglich des Entscheidungsproblems sowie erwartete Übereinstimmung mit den Unternehmenszielen. Aus dem normativen Entscheidungsmodell von Vroom (2000) lassen sich Regeln ableiten, die in Abhängigkeit der gegebenen Situation beschreiben, welcher Partizipationsgrad gewählt werden sollte. Die folgenden Entscheidungsregeln wurden im Rahmen des Projekts für das Gesundheitswesen empirisch evaluiert (Mayer et al., 2022) und als Handlungsempfehlungen in die LUTZ-Lernwelt implementiert:

  • Wenn eine Entscheidung unter Zeitdruck getroffen werden muss, sollte die Führungskraft die Entscheidung alleine übernehmen.

  • Wenn zu wenige Informationen verfügbar sind, sollte die Führungskraft nicht ohne Beteiligung des Teams entscheiden.

  • Wenn es wichtig ist, dass die Teammitglieder die Entscheidung akzeptieren, sollte die Führungskraft sie am Entscheidungsprozess beteiligen.

  • Wenn mindestens eine Person im Team eine hohe Expertise für das Entscheidungsproblem aufweist, sollte die Führungskraft sie an der Lösungsfindung beteiligen.

  • Wenn die Führungskraft davon ausgehen kann, dass die Teammitglieder die Ziele der Organisation teilen, ist eine vollständige Delegation der Entscheidung an das Team möglich.

Ein weiteres Modell, welches in der LUTZ-Lernwelt vermittelt wird, ist das Reifegradmodell nach Hersey und Blanchard (1969). Das Führungsmodell ist dem führungstheoretischen Ansatz der situativen Führung zuzuordnen, welcher postuliert, dass dasselbe Führungsverhalten in unterschiedlichen Situationen mehr oder weniger effektiv sein kann (Yukl, 2013). In der Anforderungsanalyse wurde die Berücksichtigung der individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden als Herausforderung im Führungsalltag erfasst. Das Reifegradmodell beschreibt, wie das Führungsverhalten abhängig von der fachlichen und psychologischen Reife der Mitarbeitenden situativ angepasst werden sollte. Die fachliche Reife steht dabei für die von den Mitarbeitenden erworbenen Kompetenzen und Fertigkeiten, die für die Erfüllung einer spezifischen Aufgabe notwendig sind. Die psychologische Reife beschreibt die Bereitschaft, das Selbstvertrauen und die Motivation, welche eine Person für die Bewältigung einer Aufgabe benötigt. Bei einem niedrigen aufgabenbezogenen Reifegrad sollte der Führungsstil zunächst instruierend sein; mit zunehmender Reife motivierend/trainierend, dann beteiligend/unterstützend bis hin zu einem delegierenden Führungsstil, wenn Mitarbeitende sowohl über die für die Aufgabenbewältigung notwendigen Fähigkeiten als auch Bereitschaften verfügen (Hersey & Blanchard, 1969).

Die Vermittlung des Reifegradmodells innerhalb der Lernwelt soll Führungskräfte dafür sensibilisieren, die individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen der Mitarbeitenden in ihrem Führungshandeln zu berücksichtigen. Die Vermittlung des Modells erfolgt in zwei Schritten. Zunächst üben die Anwender*innen in Lernszenarien, die fachliche und psychologische Reife einzuschätzen, und erhalten hierzu ein entsprechendes Feedback. Im zweiten Schritt lernt die Führungskraft, basierend auf dem ermittelten/eingeschätzten Reifegrad, das passende Führungsverhalten auszuwählen. Aufgrund des regelbasierten Charakters des Modells kann auch hier ein automatisiertes Feedback ausgegeben werden.

Das dritte Modell, welches im Rahmen der Lernanwendung für die Vermittlung von Handlungsempfehlungen in herausfordernden Führungssituationen ausgewählt wurde, ist das Kommunikationsmodell Wwertschätzende Kommunikation in Anlehnung an Rosenberg (2016). Das Modell soll Führungskräfte und Mitarbeitende im Gesundheitswesen dabei unterstützen, auch in schwierigen Situationen und Konflikten wertschätzend miteinander umzugehen und eine gute Arbeitsatmosphäre zu fördern. Das Kommunikationsmodell besagt, dass eine wertschätzende Kommunikation auf vier Ebenen beruht: Das Beobachten der gegebenen Situation bildet die erste Ebene, gefolgt von der Wahrnehmung der Gefühle, die durch diese Beobachtung ausgelöst werden. Das Erkennen der dahinterstehenden Bedürfnisse sowie der verbale Ausdruck einer Bitte, diese Bedürfnisse zu erfüllen, entsprechen der dritten und vierten Ebene. Anhand dieser vier Ebenen kann im Sinne der Selbstempathie die eigene Situation bewusst betrachtet werden. Die Reflexion des eigenen Denkens und Handelns regt dazu an, Klarheit, Verständnis und Selbstfürsorge zu erreichen, wodurch die Kommunikation der eigenen Situation nach außen hin besser gelingen kann (Brand-Hörsting, 2019). Im Sinne der Fremdempathie können die vier Ebenen dazu dienen, die Gefühle und Bedürfnisse des Gegenübers in Erfahrung zu bringen, das Verhalten besser zu verstehen und entsprechend vorurteilsfrei auf die vorliegende Situation zu reagieren (Rosenberg, 2016).

Für die wertschätzende Kommunikation wurden zwei Modellierungen zur Vermittlung von Handlungsempfehlungen innerhalb der LUTZ-Lernwelt entwickelt, deren Unterschied vor allem im Umgang mit den einzelnen Ebenen liegt. Die Handlungsempfehlungen zur wertschätzenden Kommunikation auf der Grundlage von Selbstempathie beinhalten insbesondere Anregungen zur Reflexion der eigenen Gefühle und Bedürfnisse sowie Vorschläge zum Aufbau einer Gesprächs- und Satzstruktur, damit Bitten an die gegenüberliegende Person wertschätzend formuliert werden können. Die Handlungsempfehlungen zur wertschätzenden Kommunikation auf der Grundlage von Fremdempathie fokussieren dagegen Anregungen dazu, wie Aussagen des Gegenübers richtig eingeschätzt werden können und welche Möglichkeiten des gezielten Nachfragens es gibt, um die Motive hinter den Verhaltensweisen dieser Person besser verstehen zu können.

Die LUTZ-Lernwelt soll Führungskräfte im Gesundheitswesen motivieren und dabei unterstützen, das eigene Führungsverhalten zu reflektieren, die individuellen Bedürfnisse und Voraussetzungen der Beschäftigten zu erkennen und bei der Bewältigung herausfordernder Führungssituationen zu berücksichtigen. Die erfolgreiche Umsetzung des Gelernten in den praktischen Arbeitsalltag setzt voraus, dass die Inhalte verinnerlicht, vertieft und sowohl in der Lernwelt als auch in der Realität geübt werden. Das theoriebasierte Feedback in der digitalen Anwendung sollte durch ein reales Feedback seitens der Geführten ergänzt werden. Die LUTZ-Lernwelt ermöglicht, ein zusätzliches Angebot zu nicht digitalen Personalentwicklungsmaßnahmen für Führungskräfte im Gesundheitswesen zu etablieren.

6.3.3 Entwicklung von Lernszenarien für herausfordernde Führungssituationen im Gesundheitswesen

Damit die digitale Lernwelt eine Möglichkeit der Weiterentwicklung der Fähigkeiten von Führungskräften im Gesundheitswesen sein und der Transfer von theoretischem Führungswissen in die Anwendungspraxis gelingen kann, braucht es die Einbettung der oben beschriebenen theoriebasierten Handlungsempfehlungen in möglichst realitätsnahe Situationen der Führungsarbeit im Gesundheitswesen. Hierfür wurden aus der Anforderungsanalyse insbesondere die identifizierten Themenbereiche mit den jeweiligen herausfordernden Führungssituationen herangezogen. Diese Kombination der Ergebnisse aus der Anforderungsanalyse (Abschn. 6.3.1) und der theoriebasierten Handlungsempfehlungen aus den Führungsmodellierungen (Abschn. 6.3.2) ermöglicht es, digitale Lernszenarien für die Lernwelt zu entwickeln.

Wie hier in den folgenden beispielhaft beschriebenen Lernszenarien dargestellt, adressieren die Ausgestaltungskriterien und Sachverhalte, wie bereits im Abschn. 6.2 begründet, explizit den Branchenbereich der Langzeitpflege.

Lernszenario Frei oder nicht frei die Not mit dem Dienstplan

Dieses Lernszenario beginnt, wenn du im Dienstzimmer den Kalender anklickst. Ein kurzes Intro-Video schildert, dass fünf der sieben Mitarbeitenden, die dir im Team zur Verfügung stehen, frei haben wollen. Die zwei Auszubildenden im Team haben zwar keinen Freiwunsch, können aber nicht allein arbeiten. Wie gehst du also so vor? Dabei soll zum einen die Arbeitsfähigkeit gesichert sein und gleichzeitig möglichst viele Wünsche der Mitarbeitenden Berücksichtigung finden.

Zunächst überlegst du, ob du die Entscheidung sofort triffst oder weitere Informationen einholen möchtest. Im letzteren Fall ist außerdem zu entscheiden, ob du mit allen Mitarbeitenden einzeln oder gemeinsam im Teammeeting darüber sprichst. Da alle gute Gründe für ihre Freiwünsche haben, stellt sich die Frage: Entscheidet das Team? Bittest du den Partnerwohnbereich um personelle Unterstützung? Triffst du die Entscheidung unter Berücksichtigung der Lösungsvorschläge aus dem Team?

Das Szenario beschreibt eine schwierige Führungssituation, wie sie im Alltag der Führungskräfte häufig aus unterschiedlichen Gründen auftritt. Die Kolleg*innen erwarten hier berechtigterweise eine individuelle Berücksichtigung (z. B. Eltern eines einzuschulenden Kindes bekommen frei, entfernte Verwandtschaftsgrade sind zweitrangig). Dabei spielen bei den zu treffenden Entscheidungen die situativen Kontextfaktoren eine entscheidende Rolle. Sofern es noch ausreichend Zeit bis zur Entscheidung gibt, kann die Führungskraft anders vorgehen als unter Zeitdruck. Darüber hinaus sollte die Führungskraft unter anderem berücksichtigen, ob sie genügend Informationen für die Entscheidungsfindung hat und sie erwarten kann, dass die Mitarbeitenden die Entscheidung akzeptieren und sie selbst im Sinne der Organisationsziele entscheiden würden. Je nach Ausprägung der Situationsfaktoren kann die Führungskraft zum Beispiel nur zusätzliche Informationen einholen oder die Teammitglieder zu einem größeren Umfang an der Lösungsfindung beteiligen. Ziel ist eine hohe Entscheidungsqualität und die Zufriedenheit der Teammitglieder mit dem Entscheidungsergebnis. Bei diesem Lernszenario bietet sich zukünftig eine Weiterentwicklung an, in der beispielsweise prozessorientierte Verbesserungen von Abläufen partizipativ in Teams oder Arbeitsgruppen überdacht und weiterentwickelt werden können.

Lernszenario Kann sie oder will sie nicht wenn sich Mitarbeitende verweigern

Dieses Lernszenario startet, wenn du im Dienstzimmer auf die Akte in der Schublade klickst. In einem kurzen Intro-Video wird dir die Situation beschrieben, in der du als Führungskraft ein adäquates, situativ angemessenes Vorgehen mit den Mitarbeitenden erlernen sollst. Die junge Fachkraft Johanna ist gerade mit ihrer Ausbildung fertig, hat heute ihren ersten Arbeitstag und wird von dir als Führungskraft bei ihrem Dienst begleitet. Gemeinsam steht ihr bei dem Bewohner Herrn Schulze im Zimmer. Er soll seine regelmäßige Thrombosespritze bekommen. Im gleichen Moment erreicht dich ein dringender Anruf. Du bittest Johanna, die Aufgabe zu übernehmen, damit du das Telefonat im Dienstzimmer führen kannst. Doch Johanna möchte nicht. Auch in diesem Szenario musst du Entscheidungen abwägen. Wie gehst du vor, damit Johanna als junge Fachkraft im Dienstplan des Teams gut einsetzbar ist? Wenn es wichtig ist, Johannas Bereitschaft zur Erfüllung aller Aufgaben herzustellen, musst du Johannas Reifegrad einschätzen können. Brauchst Du dafür noch mehr Informationen? Wenn du dir über den Reifegrad Johannas klarer bist, solltest du einschätzen können, mit welchem Führungsstil du eine optimale Unterstützung Johannas in dieser Situation erreichen kannst.

Dies ist eine Führungssituation, die eine Einschätzung der individuellen Voraussetzungen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden durch die Führungskraft benötigt. Angelehnt an das Reifegradmodell nach Hersey und Blanchard (1969) bietet sich hierfür die Einschätzung der aufgabenbezogenen fachlichen und psychologischen Reife des Mitarbeitenden an, um so der Führungskraft eine Orientierung für ein angemessenes Führungshandeln in der jeweiligen Situation zu geben. Eine individuelle Einschätzung des Reifegrades von Mitarbeitenden unterstützt die Führungskraft dabei, ihr Führungsverhalten situativ an die Bedürfnisse der geführten Person anzupassen. Im angeführten Beispiel hindert eine schlechte Erfahrung die junge Fachkraft daran, für die Aufgabe bereit zu sein. Die lernenden/spielenden Nutzer*innen lernen das Reifegradmodell als Unterstützung und Orientierung gebendes Modell der täglichen Arbeit kennen, aus dem sich konkretes Führungshandeln ableiten lässt.

Lernszenario Windeln oder Wandern Schlafen ermöglichen oder Selbstständigkeit fördern

In diesem Lernszenario geht es um eine Situation, in der es in deiner Verantwortung liegt, Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Soll ein Bewohner nachts für den Toilettengang geweckt werden oder lieber schlafen gelassen und entsprechend mit Inkontinenzmaterial versorgt werden? Deine Kolleg*innen im Team gehen offenbar nicht einheitlich vor, sodass du als Führungskraft von eurer Auszubildenden auf die Unzufriedenheit eines Angehörigen hingewiesen wirst. Ihm ist aufgefallen, dass seinem Vater von manchen Kolleginnen und Kollegen zur Nacht eine Windel anlegt wird und von manchen nicht. Die Angehörigen sind verunsichert und unzufrieden, weil sie sich eine einheitliche Vorgehensweise wünschen. Die Auszubildende ist verunsichert, weil sie nicht weiß, wie sie auf den Angehörigen reagieren soll. Wie gelingt dir dabei eine Kommunikation, die allen Betroffenen und involvierten Akteur*innen gerecht wird und die Emotionen ausbalanciert? In welchem Maß und zu welchem Zeitpunkt kannst und solltest du die Mitarbeitenden in Entscheidungen zur Beurteilung des Falles und zur Nachvollziehbarkeit des Vorgehens einbeziehen?

Mit diesem Szenario werden die Lernenden direkt ins Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen der Bewohner*innen und Angehörigen sowie dem Managen der Vielfalt beruflicher Selbstverständnisse und Routinen der Mitarbeitenden im Team versetzt. Für die Bewältigung der inhaltlichen Komplexität können Handlungsempfehlungen aus mehreren Führungsansätzen berücksichtigt werden, wie beispielsweise die partizipative Führung oder die wertschätzende Kommunikation. So zielt das Szenario darauf ab darzustellen, wie es der Teamleitung nachvollziehbar gelingen kann, aus dem Anlass der Beschwerde eine fachliche Reflexion und Fallbesprechung zu realisieren, sodass sich mit dem anschließenden Diskurs im Team ein Vermittlungs- und Lernprozess entwickelt, der gleichzeitig das fachlich korrekte Vorgehen transparent macht und ein gemeinsames berufliches Ethos befördert. Dabei erfahren die lernenden Nutzer*innen, wie verschiedene Überzeugungen und Herangehensweisen im Team sinnstiftend integriert und die Bedürfnisse aller beteiligten Personen von außen und innen wertschätzend berücksichtigt werden können. Die Führungskraft, im Spannungsfeld zwischen den Bewohner*innen und Angehörigen, der Pflegedienstleitung und den Teamkolleg*innen, wird befähigt, ihre Interaktion erfolgreich zu gestalten und erlebt Selbstwirksamkeit bei der Prozessgestaltung.

Während zur inhaltlichen Ausgestaltung der Lernszenarien die Ergebnisse aus der Anforderungsanalyse und die theoriebasierten Handlungsempfehlungen der Führungsmodellierungen herangezogen werden, orientiert sich die didaktische und spielgestalterische Ausgestaltung aller Lernszenarien an entsprechend konzipierten Leitlinien. Diese stellen zum einen sicher, dass die in der Lernwelt abgebildeten Lernszenarien nach einem einheitlichen (Qualitäts-)Standard gestaltet sind. Zum anderen beinhalten die Leitlinien Gestaltungshinweise, welche die zuvor identifizierten Bedürfnisse der zukünftigen Zielgruppe berücksichtigen. So sollen die Leitlinien eine Nutzung und damit verbunden die Akzeptanz der Zielgruppe sicherstellen, indem sie auf eine lernförderliche und motivierende Gestaltung der Lernwelt abzielen.

Hinsichtlich der Erarbeitung dieser spielgestalterischen und didaktischen Leitlinien wurden die in der Anforderungsanalyse identifizierten Bedürfnisse der Nutzer*innen berücksichtigt (Abschn. 6.3.1). Darüber hinaus wurde eine umfangreiche Literaturrecherche zum Schwerpunkt “Lernen mit Medien” durchgeführt mit dem Ziel, Erkenntnisse über (digitale) Lerntheorien und die Gestaltung von digitalen Lernwelten zu gewinnen.

Zur vollständigen Erarbeitung der Leitlinien wurde eine Arbeitsgruppe initiiert, die sich aus Projektmitarbeitenden unterschiedlicher Fachdisziplinen zusammensetzte. So sind auf Grundlage der Anforderungsanalyse und der Recherche neun Kategorien identifiziert worden, die im Folgenden kurz vorgestellt und erläutert werden:

Belohnungssyste m

Die Einbindung eines Belohnungssystems in eine digitale Lernwelt ist wichtig, da darüber die „Grundbedürfnisse des Menschen angesprochen [werden], wie der Wunsch nach Erfolg und Belohnungen (auch in Form von Ansehen und Reputation), das Streben danach, in Wettkämpfen überlegen zu sein oder ein bestimmtes Selbstbild zu vermitteln und die eigene Bekanntheit zu erhöhen“ (Stieglitz, 2017, S. 4). Dabei kann ein Belohnungssystem recht vielfältig gestaltet sein, so zum Beispiel in Form von Punkten, Abzeichen oder auch Medaillen. Für die LUTZ-Lernwelt wurde die Vergabe von Punkten gewählt, die die Spieler*innen in Form von Herzen im Verlauf eines jeden Lernszenarios sammeln können.

Feedback

Für einen positiven Lerneffekt und -fortschritt ist es notwendig, den Lernenden ein regelmäßiges Feedback zu ihrem Lernverhalten zu ermöglichen. Hierbei ist insbesondere die inhaltliche Ausgestaltung sowie die Form, die Art und Weise des Feedbacks und dessen Zeitpunkt zu bestimmen (Narciss, 2020). Für die Feedbackgestaltung in der Lernwelt wurde entschieden, den Lernenden vorrangig antwortbezogenes und meta-kognitives Feedback zu geben. Das antwortbezogene Feedback gibt dabei an, ob die Antwort der Aufgabe richtig oder falsch ist, wohingegen das meta-kognitive Feedback Inhalte liefert, die für eine Regulation des individuellen Lernprozesses der Lernenden relevant sind. Diese Feedbackformen sind geeignet, da die Lernszenarien Wissen und Fähigkeiten zum Führungshandeln vermitteln. Die Lernenden erhalten in jedem Szenario ein Feedback, sowohl nach jeder gestellten Aufgabe als auch am Ende eines Lernszenarios. Zudem können sie es auch in einer separaten Übersicht zu ihrem individuellen Lernfortschritt immer wieder einsehen. Insgesamt wird das Feedback, das nach jeder Aufgabe gegeben wird, informativ-tutoriell und das Endfeedback evaluativ formuliert. Insbesondere das Aufgabenfeedback in den Lernszenarien wird über den menschlich-gestalteten Avatar, die Mentorin Weise, gegeben.

Lernziele

Diese Kategorie ist erforderlich, da eine eindeutige Formulierung von Lernzielen dabei hilft, vor der Erstellung der Lernszenarien genau zu bestimmen, welches Wissen vermittelt und welche Kompetenzen erlernt werden sollen. Gleichzeitig kann die Festlegung von Lernzielen ermöglichen, zu vermittelndes Wissen zielgerichtet zu komprimieren und so aufzubereiten, dass es auf die verschiedenen Lernszenarien sinnvoll verteilt wird. Damit können die Lerninhalte sichergestellt und sinnstiftend aufbereitet werden. Lernziele der LUTZ-Lernwelt sind unter anderem: Sensibilisierung für den Grad und Zeitpunkt der Partizipation von Mitarbeitenden bei Entscheidungen, eine an der Reife der Mitarbeitenden orientierte Führung, der Einsatz einer zielorientierten und wertschätzenden Kommunikation, die der lebendigen Vermittlung von Werten und Wissen dient und dabei die Wertschätzung und das Wohlwollen im Miteinander stärkt.

Motivation

Diese Kategorie ist an das ARCS-Modell (Zander & Heidig, 2019; Keller, 2010) angelehnt und beinhaltet motivationale Gestaltungselemente, die das Lernen mit der Lernanwendung unterstützen sollen. Das ARCS-Modell selbst ist in die Bestandteile Attention (Aufmerksamkeit), Relevance (Relevanz), Confidence (Erfolgszuversicht) und Satisfaction (Zufriedenheit) unterteilt. Diese sollen die Motivation der Nutzer*innen beim spielerischen Lernen sicherstellen. Inhaltlich umfassen sie zum Beispiel die Verwendung audiovisueller Effekte, die Darstellung des Feedbacks oder auch die Nutzung von Avataren. Exemplarisch kann hier auf die Nutzung von Avataren in der Lernwelt verwiesen werden. Neben der feedbackgebenden Mentorin Weise, sie stellt auch die Aufgaben in den Lernszenarien und schafft Überleitungen, gibt es einen Avatar der Führungskraft, Avatare verschiedener Teammitglieder und Mr. Möglichkeiten, der den Lernenden für Fragen zu Einstellungen bereitsteht und bei Bedarf Erklärungen zu Elementen der Lernwelt gibt.

Narration

Um bei den Lernenden Interesse und Emotionen zu erzeugen und die Motivation sowie ein positives Spielerleben aufrecht zu erhalten (Freyermuth, 2015), sollen (digitale) Lernszenarien eine Narration aufweisen, die plausibel in die Lernwelt eingebettet ist. In der LUTZ-Lernwelt weisen sowohl die Lernwelt selbst als auch die entsprechenden Inhalte der Lernszenarien eine Narration auf, die konkret auf den Arbeitskontext des Gesundheitswesens, insbesondere der Langzeitpflege, abgestimmt ist.

Realitätsnähe

Neben der Narration verspricht auch eine gewisse Realitätsnähe der Ausgestaltung eine deutlich höhere Akzeptanz und Nutzungsbereitschaft der Lernwelt durch Nutzer*innen. Hierzu sind zum einen eine praxisnahe Lernwelt und die dazu passenden Lernszenarien entstanden. So stellt sich die Lernwelt in Form eines Gesundheitsparks mit Gesundheitseinrichtungen dar. Sind die Nutzer*innen in der Einrichtung, erleben sie in den Szenarien Führungssituationen mit Realitätsbezug und einer realitätsnahen grafischen Ausgestaltung. Das virtuelle Team ist ein, sowohl für das Gesundheitswesen spezifisches als auch gesamtgesellschaftlich typisches Abbild der Arbeitswelt. So ist das Team beispielsweise durch eine hohe Diversität hinsichtlich Alter, Geschlecht, Nationalität, Erscheinungsbild und der Stufen der Pflegekompetenz (Benner, 1982) gekennzeichnet.

Handhabbarkei t

Die Kategorie Handhabbarkeit beschreibt die Notwendigkeit, die Nutzung der Lernwelt so einfach wie möglich zu gestalten. Hierzu wird beispielsweise empfohlen, Texte sowohl visuell als auch auditiv anzubieten, um zwei unterschiedliche Lerntypen zu adressieren oder den Lernenden Tipps und Hilfestellungen im Umgang mit der Lernwelt bereitzustellen (Kerres et al., 2009). Diese genannten Aspekte wurden auch in der LUTZ-Lernwelt aufgegriffen. So gibt es in den Lernszenarien die Möglichkeit, eine Vielzahl der Monolog- und Dialogtexte vorlesen zu lassen. Außerdem werden, wie bereits angeführt, durch Mr. Möglichkeiten bei Bedarf entsprechende Hilfestellungen geboten.

Komplexitätsgra d

Um das Interesse der Nutzer*innen am Lernen mit der Lernwelt aufrechtzuerhalten und zugleich auch den Lernzuwachs sicherzustellen (Kerres et al., 2009), wird im Rahmen der Erstellung von Lernszenarien darauf geachtet, dass die Komplexität der Lerninhalte sukzessive ansteigt. Diesem Ziel folgend, ist die inhaltliche Komplexität in den LUTZ-Lernszenarien unterschiedlich. Komplexer werden die Lernszenarien in der LUTZ-Lernwelt in dem mehrere Führungsansätze und -modelle in komplexeren Führungssituationen mit mehreren Avataren verarbeitet werden.

Spieldaue r

Die Spieldauer umfasst den zeitlichen Ablauf der Lernszenarien. Darin eingeschlossen ist das jeweilige Intro-Video mit der Aufgabenstellung. Hierbei ist insbesondere die kognitive Kapazität für die Auffassung neuer Inhalte eines Menschen zu berücksichtigen, sodass er nicht mit Lerninhalten und Aufgaben überfrachtet wird (Rensing & Després, 2018). Diesbezüglich sind für die LUTZ-Lernwelt entsprechende Festlegungen getroffen worden: Intro-Videos überschreiten die Länge von 90 s nicht und die Szenarien selbst sollen nicht länger als 5 Minuten Lern- bzw. Spielzeit in Anspruch nehmen.

Im Verlauf der Projektarbeit zeigte sich, dass die frühe Orientierung an Leitlinien der grafischen, inhaltlichen und technischen Umsetzung der LUTZ-Lernwelt hilfreich war. Es ermöglichte dem Projektteam ein gemeinsames Verständnis zur didaktischen, inhaltlichen und spielbasierten Gestaltung der Lernwelt zu entwickeln. Ein einheitlicher Gestaltungsstandard über alle Lernszenarien hinweg ist so aktuell und zukünftig möglich. Die Orientierung an Leitlinien dient perspektivisch dazu, insbesondere bei der Entwicklung von Lernszenarien nach Abschluss des Projektes, einen einheitlich hohen Qualitätsstandard zu sichern.

6.4 Design und Programmierung des Prototyps

6.4.1 Oberflächengestaltung

Orientiert an dem Ergebnis der Anforderungsanalyse, welches aufzeigt, dass die LUTZ-Zielgruppe wenig Spielerfahrung besitzt und technisch weniger erfahren ist, sind im Fokus der modellhaften Realisierung der LUTZ-Lernwelt insbesondere die einfache Bedienbarkeit und die Eignung für unterschiedliche Lerntypen. So soll sichergestellt werden, dass ein möglichst umfangreicher Nutzer*innenkreis erreicht werden kann. Im Rahmen von LUTZ werden zwei wesentliche Arten des Lernverhaltens (Lerntypen) unterschieden, denen die Nutzer*innen zugeordnet werden können: zum einen eine spielerische, entdeckende Art des Lernens und zum anderen eine herkömmlichere Art des Lernens, bei der ein direkter Zugang zu den Lerninhalten gegeben ist.

Startseite und Zugan g

Um diese unterschiedlichen Lerntypen zu adressieren ist das User Interface zweigliedrig strukturiert. Zum einen gibt es auf der Startseite eine Dashboard-Ansicht, über die die Lerninhalte der Lernwelt (die Lernszenarien sowie der MehrLernRaum) aus einem Kachel- und Listen-Format abrufbar sind. Dieser Bereich zeichnet sich durch einen statischen Charakter aus und spricht diejenigen Nutzer*innen an, die einen direkten Zugang zu den Inhalten bevorzugen. Zum anderen gibt es die Lernwelt, welche durch die Einbindung von Gamification-Elementen ein spielerisches, entdeckendes Lernen ermöglicht. Hier können sich die Nutzer*innen in die graphische Welt einer Gesundheitseinrichtung begeben, in der sie sich durch einen Flur in verschiedene Räume navigieren und dort, wie bereits in Abschn. 6.2 beschrieben, über gesetzte klickbare Elemente die Lernszenarien starten können. Die folgende Abb. 6.7 zeigt beispielhaft das Dienstzimmer in der Lernwelt. Die starke visuelle Anlehnung an die reale Arbeitswelt dient in erster Linie der persönlichen Identifizierung der Nutzer*innen mit der Lernwelt sowie einer intuitiven Orientierung in der Spielwelt. Aus gestalterischer Sicht kann auf diese Weise eine erhöhte Akzeptanz hinsichtlich der Nutzung der Lernwelt erreicht werden (Abschn. 6.2 und Abschn. 6.3.3).

Abb. 6.7
figure 7

LUTZ-Lernwelt – Dienstzimmer

Lernszenarien

Innerhalb der Lernszenarien liegt der Fokus des Bedienkonzeptes darauf, dass sich die Nutzer*innen in ihrem individuellen Tempo durch die Lernszenarien bewegen können, deren inhaltlicher Aufbau jedoch festgelegt ist. Die Navigation durch einen Weiter-Button ermöglicht, das Lernszenario schrittweise aufzudecken und es abschließend zu verlassen.

Die vielfältigen Baustein-Typen, aus denen sich die Lernszenarien zusammensetzen, ermöglichen das Erfassen der Inhalte sowie das Absolvieren der Lernszenarien auf eine spielerische Art.

MehrLernRaum

Im MehrLernRaum können sich Nutzer*innen, anders als in den Lernszenarien, selbstgesteuert navigieren. Die Inhalte sind thematisch kapitelweise aufgeteilt und in weitere Unterkapitel gegliedert. Diese Kapitelstruktur des MehrLernRaums dient lediglich der inhaltlichen Orientierung. Bei der Bearbeitung der Inhalte ist dieser Struktur nicht zwingend zu folgen, sodass Nutzer*innen frei entscheiden können, ob sie den MehrLernRaum als Nachschlagewerk für vertiefendes theoretisches Wissen nutzen oder ihr vorhandenes Wissen mit Übungen und Tests prüfen möchten. Im MehrLernRaum werden keine nutzer*innenbezogene Daten zum Lernfortschritt gespeichert, da der MehrLernRaum als isolierter Bereich zur Aneignung theoretischen Grundlagenwissens sowie als Trainingsbereich dient. Eine Schnittstelle zwischen den Lernszenarien und dem MehrLernRaum kann jedoch durch einen Lernszenario-Baustein geschaffen werden, der die punktuelle Einbindung von MehrLernRaum-Inhalten in ein Lernszenario ermöglicht.

Allgemeine graphische Gestaltungselement e

Bei der Auswahl der innerhalb der Lernwelt verwendeten Icons wird auf den Wiedererkennungswert typischer Symbole gesetzt. Beispielsweise dient ein Haus-Symbol als sogenannter Home-Button (siehe Abb. 6.7), der auf die Startseite zurückführt. Das Symbol Daumen-hoch steht für ein positives Feedback. Bereits bekannte Strukturen und eine klassische Symbolik aus der allgemeinen Software- und Spielewelt sind hier wiederzufinden und können an bereits vorliegende Erfahrungen der Nutzer*innen anknüpfen. Als Grundlage des Oberflächendesigns dienen die Gestaltgesetze der Wahrnehmung (Bühler et al., 2017), welche durchgängig in der gesamten Spielwelt berücksichtigt werden. Dazu zählen u. a. das Gesetz der Ähnlichkeit, das Gesetz der Nähe, das Gesetz der Kontinuität und das Gesetz der Verbundenheit. All dies dient der Stärkung der intuitiven Bedienbarkeit sowie dem leichten Verständnis der Feedback- und Belohnungskonzepte.

Nahezu alle Grafikelemente der Spielwelt sind in eigener Produktion entstanden, nur wenige Elemente stammen aus der kostenfrei verfügbaren Auswahl der Icon-Bibliothek Font Awesome des Anbieters Fonticons, Inc. Bei den von der Databay AG erstellten Zeichnungen handelt es sich um digitale Zeichnungen im realistischen, farbigen Comic-Stil, die mithilfe eines Grafik-Tablets produziert wurden. Die Nähe zum tatsächlichen Praxisgeschehen ist insbesondere in der Ausgestaltung der Einrichtungsräume sowie der Avatare berücksichtigt (siehe Abb. 6.7).

6.4.2 Backendgestaltung

Elementarer Bestandteil der LUTZ-Lernwelt sind die zwei unterschiedlichen Backends, welche zum einen der Verwaltung aller Lernszenario-Inhalte und zum anderen der MehrLernRaum-Inhalte dienen. Das Lernszenario-Backend und das MehrLernRaum-Backend basieren auf zwei unterschiedlichen technischen Lösungen. Während für das Lernszenario-Backend eine von Grund auf neue Anwendung entwickelt wurde, wurde für das MehrLernRaum-Backend eine Databay AG-hauseigene Software genutzt und für den Anwendungsfall LUTZ individuell weiterentwickelt. Die Entwicklung beider Backends fokussiert, dass die Inhalte ohne Programmierkenntnisse eingepflegt und bearbeitet werden können. Auf diese Weise ist eine dezentrale Administration aller Inhalte möglich geworden, wodurch mit höherer Flexibilität, weniger Abhängigkeiten, schnelleren Reaktionszeiten sowie kürzeren Durchlaufzeiten gearbeitet werden kann.

Lernszenario-Backend

Im Lernszenario-Backend können beliebig viele Lernszenarien individuell erstellt und in der Spielwelt veröffentlicht werden. Zu Beginn eines jeden Lernszenarios gibt es die Möglichkeit, ein Intro-Video hochzuladen und es mit Untertiteln zu versehen. In der Spielwelt wird dieses Video beim Start des Lernszenarios abgespielt und bewirkt einen Überblick der zu erwartenden Situation und des implementierten Problems. Daraufhin stehen im Lernszenario-Backend die verschiedenen Baustein-Typen zur Verfügung, die den Ersteller*innen ermöglichen, ein plausibles Lernszenario mit beliebiger Länge und Komplexität zu generieren. Technisch wird zwischen zwei Arten von Baustein-Typen differenziert – Bausteine, deren Bearbeitung im Lernszenario mit einem Herz belohnt wird, und Bausteine, die lediglich als Steuerungselement dienen oder im Lernszenario keine Nutzer*innen-Interaktion erfordern. Es stehen folgende Bausteine zur Verfügung:

  • Bausteine mit Herz:

    Single-Choice-Frage,

    zweistufige Single-Choice-Frage,

    Satzpuzzle,

    Freitexteingabe,

    Emotionen-Tabelle.

  • Bausteine als Steuerungselemente bzw. ohne User-Interaktion:

    Raumwechsel,

    isoliertes Bild,

    Monolog/Dialog,

    Mitarbeitergespräch,

    Sprung in den MehrLernRaum.

Ein Lernszenario kann aus beliebig vielen Bausteinen zusammengesetzt werden und infolge dessen einen beliebig hohen Wert, gemessen an erreichbaren Herzen, besitzen.

MehrLernRaum -Backend

Die für das MehrLernRaum-Backend genutzte hauseigene Software verwendet intern eine Baumstruktur zur Verwaltung von Knotenpunkten, die unterschiedlichste Webanwendungen widerspiegeln können. Die Software liefert im Basispaket bereits die Funktion, klassische Inhalt-Typen (Text, Bild, Video, Audio) einzupflegen. Darüber hinaus wurden weitere Programm-Komponenten (Plug-ins) entwickelt, die ermöglichen, diverse weitere Inhalte für den MehrLernRaum einzubinden. Dazu gehören zum einen die Erstellung von Video-Sequenz-Reihen, die ihren Einsatz im Bereich der Erklärvideos finden und zum anderen verschiedene Aufgaben-Typen, die sich in den Bereichen der Übungen und Tests wiederfinden. Hier finden sich Single-Choice-Aufgaben, Zweistufige-Single-Choice-Aufgaben, Multiple-Choice-Aufgaben, Fragenkataloge, Drag-and-Drop-Aufgaben sowie verschiedene Tabellen-Aufgabentypen mit Freitextfeldern.

6.4.3 Technische Lösungen

Bei der Erstellung der LUTZ-Lernwelt kamen diverse, teils für die Webentwicklung übliche, aber auch hauseigene Technologien zum Einsatz. Als Grundlage dient ein Paket aus den folgenden vier Webentwicklungstools:

  • Die serverseitige Script-Programmiersprache PHP (PHP: Hypertext Preprocessor)

  • Die clientseitige Script-Programmiersprache JS (Javascript)

  • Die Stylesheet-Sprache CSS (Cascading Style Sheets)

  • Die Auszeichnungssprache HTML (Hypertext Markup Language)

Im Zuge der PHP-Entwicklung kam ein Databay AG-hauseigenes Framework (TNF) zum Einsatz, das unter Einbindung von Bootstrap, Jquery und Twig die Arbeit an der LUTZ-Lernwelt vereinfacht und dabei die Entwicklung eines qualitativ hochwertigen Codes unterstützt. Bootstrap, ein unter der MIT-Licence stehendes CSS-Framework, unterstützt dabei, das Design der Webseiten zu gestalten. Es ist insbesondere beim Aufbau des Lernszenario-Backends verwendet worden. Die Javascript-Bibliothek Jquery wird verwendet, um die Interaktivität, die mit Javascript erreicht wird, schnell, sicher und strukturiert zu implementieren. Das PHP-Template Engine Twig bietet eine komfortable Möglichkeit, Webseiten anhand von Vorlagen (Templates) dynamisch zu gestalten. Im Sinne des Model-View-Controller-Architekturmusters hilft Twig dabei, die Präsentationsebene präziser abzubilden und sorgt damit für einen saubereren Code.

6.5 Praktische Erprobung und Evaluation der LUTZ-Lernwelt

Für die zielgruppenspezifische Entwicklung der LUTZ-Lernwelt war eine regelmäßige Erprobung und Evaluation der Entwicklungsstände sehr wichtig und erfolgte im Rahmen des Projekts durch den kontinuierlichen Austausch mit potenziellen Anwender*innen. Als Vertreter*innen der Zielgruppe konnten angehende und erfahrene Führungskräfte aus dem Bereich der Langzeitpflege sowie Ärzt*innen aus unterschiedlichen medizinischen Einrichtungen für die praktische Erprobung und Evaluation gewonnen werden.

Ziel dieser formativen Evaluationsstudien war es, insbesondere die Erfüllung der Anforderungen der Zielgruppe zu überprüfen und gegebenenfalls neue oder geänderte Anforderungen zu identifizieren. In regelmäßig stattfindenden Workshops konnten die Teilnehmenden den jeweils aktuellen Stand der Lernanwendung erproben und ihre Einschätzung innerhalb von moderierten Diskussionen, Gruppenarbeiten oder auch Fragebögen zurückmelden. Anhand ausgewählter Kriterien wurden in den verschiedenen Workshop-Formaten – abhängig vom jeweiligen Entwicklungsstand – die Lerninhalte (u. a. Praxisnähe, Verständlichkeit, Nützlichkeit), die didaktische Umsetzung (u. a. motivationale, visuelle und auditive Gestaltung) sowie die technische Umsetzung (u. a. Gebrauchstauglichkeit) evaluiert (angelehnt an Mayer & Kriz, 2010; Zander & Heidig, 2019; Rauer, 2011).

Die Ergebnisse der Evaluationsworkshops wurden anschließend im Projektteam diskutiert und mündeten in Anpassungen der zugrunde liegenden Konzepte oder der konkreten Ausgestaltung der Lernwelt. Im Rahmen der Evaluation zur Praxisnähe der Lerninhalte wurde beispielsweise in einer Gruppendiskussion erfragt, inwieweit die in der initialen Anforderungsanalyse identifizierten herausfordernden Situationen die Realität der Anwender*innen richtig beschreiben. Bei der Untersuchung der Aspekte motivationaler Gestaltung wurden verschiedene Umsetzungsvorschläge in Mock-Ups präsentiert, und die Teilnehmenden der Evaluation bewerteten mithilfe eines Fragebogens, welche Gestaltungsalternative sie mehr motivieren würde, die Lernwelt zu nutzen. Die Ergebnisse führten z. B. dazu, dass die menschlichen Avatare für die Umsetzung beibehalten und Feedbacktexte durch unterstützende grafische Icons, z. B. einen lachenden Smiley, ergänzt wurden. Für die technische Umsetzung wurden in regelmäßigen Abständen die Entwicklungsstände von potenziellen Anwender*innen erprobt und erfragt, inwieweit beispielsweise die Navigation durch die Lernwelt mithilfe der hinterlegten Funktionen gelingt. Aus den Evaluationsergebnissen ging so u. a. die Umsetzungsidee hervor, dass die „klickbaren“, mit den Lernszenarien verlinkten Gegenstände in der Lernwelt durch einen rot pulsierenden Punkt hervorgehoben werden.

Die Ergebnisse der formativen Evaluationsstudien wurden bereits weitgehend an anderer Stelle veröffentlicht: Die Evaluation des didaktischen Konzepts der Lernanwendung wird in einem Konferenzbeitrag von Schirmer et al. (2022) beschrieben. Bezüglich einer Studie zur Evaluation des partizipativen Führungsmodells in Entscheidungssituationen im Gesundheitswesen kann auf Mayer et al. (2022) verwiesen werden. Ebenfalls untersucht wurde, inwieweit es gelungen ist, die Ansätze aus der Führungsforschung zur Bewältigung herausfordernder Führungssituationen mit Hilfe der LUTZ-Lernwelt zu vermitteln. Die Ergebnisse dieser Studie werden in Schirmer et al. (2023) präsentiert.

Zusätzlich zu den genannten formativen Evaluationsstudien findet zum Ende der Projektlaufzeit eine summative Evaluation des Prototyps statt, deren Ergebnisse für die weitere Entwicklung des Produkts in Richtung Marktreife genutzt werden können.

6.6 Geschäftsmodellentwürfe für die LUTZ-Lernwelt

Um die wirtschaftliche Verwertung der Ergebnisse nach Projektende vorzubereiten, besteht ein weiteres Ziel des Projekts in der Konzeption und Bewertung entsprechender Geschäftsmodellentwürfe für den Prototypen der Lernwelt. Unter einem Geschäftsmodell wird in Anlehnung an Osterwalder und Pigneur (2011) ein Grundprinzip verstanden, das beschreibt, wie eine Organisation Werte schafft, diese an die Kund*innen vermittelt und daraus Erträge generiert.

Den methodischen Rahmen für die Geschäftsmodellentwicklung im LUTZ-Projekt bildet der von Gassmann et al. (2017) entwickelte St. Galler Business Model Navigator. Der Geschäftsmodellinnovationsprozess wird dabei in die vier iterativ ablaufenden Schritte gegliedert:

  • Initiierung: Beschreibung des gegenwärtigen Geschäftsmodells sowie dessen Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen

  • Ideenfindung: Entwicklung von Ansatzpunkten zur Geschäftsmodellneu- oder -weiterentwicklung

  • Integration: Ausgestaltung bzw. Untersetzung ausgewählter Ideen

  • Implementierung: iterativer Prozess aus Konkretisierung eines Geschäftsmodellentwurfs, Test der zugrunde liegenden Annahmen und Anpassung des Geschäftsmodellentwurfs.

Diese aktionsorientierte Methodik basiert auf der Erkenntnis, dass ein Großteil vermeintlich neuer Geschäftsmodelle nicht wirklich neu, sondern Rekombinationen bestehender Geschäftsmodellelemente sind. Letztere werden auch als Geschäftsmodellmuster bezeichnet. Durch das Übertragen eines Musters in eine andere Branche, das Kombinieren mehrerer Muster oder das Wiederholen eines bereits eingesetzten Musters in einem anderen Produktbereich, können neue Geschäftsmodellansätze oder gar -innovationen entstehen (ebd.).

Zur Anwendung des St. Galler Business Model Navigators im LUTZ-Kontext erfolgten kleinere Anpassungen bzw. Ergänzungen. In der Initiierungsphase wurde beispielsweise das fehlende gegenwärtige Geschäftsmodell durch die Entwicklung eines eher konventionell ausgerichteten „Basis-Geschäftsmodells“ kompensiert. Dazu wurde das magische Dreieck eingesetzt, das ein einfaches und gleichzeitig ganzheitliches Modell zur Geschäftsmodellbeschreibung darstellt (ebd.). Es umfasst die Elemente (ebd.):

  • Wer: Kund*innen; u. a. Wer sind die Kund*innen, welche Segmente werden vorrangig bedient

  • Was: Nutzenversprechen; u. a. Probleme und Bedürfnisse der Kund*innen, die gelöst werden

  • Wie: Wertschöpfungskette; u. a. Welche Ressourcen werden benötigt, Partner*innen

  • Wert: Ertragsmodell; u. a. Kostentreiber, Haupteinnahmequellen.

Die ebenfalls zur Initiierungsphase gehörende Beschreibung des Umfelds erfolgte anhand der von Osterwalder und Pigneur (2011) vorgeschlagenen Geschäftsmodellumgebung, bestehend aus Branchenkräften, Marktkräften, Schlüsseltrends und makroökonomischen Kräften. Bestandteil dieser Untersuchungen waren daher nicht nur Wettbewerber und Konkurrenzangebote, sondern auch die strukturellen Besonderheiten des Gesundheitswesens sowie aktuelle Geschäftsmodellinnovationen im Bildungsbereich.

Exemplarisch werden hier einige Besonderheiten zur Zielgruppe angeführt. So wurde unter anderem herausgearbeitet, dass das Gesundheitswesen in Deutschland im Jahr 2019 etwa 5.049.000 Beschäftigte zu verzeichnen hatte, die in Arzt- und Zahnarztpraxen, Praxen sonstiger medizinischer Berufe, der ambulanten und (teil-)stationären Pflege, in (teil-)stationären Einrichtungen, Krankenhäusern sowie in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen tätig waren (Destatis, 2022).

Wie dargestellt, knüpft an die Initialisierung die Ideenfindung an. Basis dieser Phase sind die in Kartenform aufbereiteten Geschäftsmodellmuster. Das zugrunde liegende Kartenset beinhaltet mehr als 55 unterschiedliche Muster, die immer wieder den Kern von neuen Geschäftsmodellen bilden. Jede Karte enthält ein Geschäftsmodellmuster (als spezifische Ausprägung der vier zentralen Elemente Wer, Was, Wie, Wert eines Geschäftsmodells) sowie konkrete Beispiele (Unternehmen), in denen der Einsatz des Musters erfolgreich vollzogen wurde. Im Kontext des Projektes fand eine Auswahl an einzelnen Musterkarten aus dem Set Verwendung, die vom leitenden Projektteam bestimmt wurde.

Die Karten dienten der Anregung sowie Bereicherung und bildeten schließlich die Grundlage für konkrete Geschäftsmodellansätze, die anschließend in der Integrationsphase umfänglich ausgestaltet wurden. Zusätzlich fanden hier auch die in der ersten Phase herausgearbeiteten Geschäftsmodellinnovationen aus dem Bildungsbereich (z. B. Udemy und Duolingo) Berücksichtigung. Sie wurden zur Untersetzung der Musterkarten herangezogen, da sie hierfür eine gute Inspirationsquelle darstellten. Im Ergebnis entstanden vier Geschäftsmodellentwürfe, die mit einer, der Business Model Canvas entlehnten Beschreibungsform, untersetzt wurden. Nachfolgend sollen die vier Entwürfe bzw. ausgewählte Elemente daraus kurz vorgestellt werden:

Freemium-Ansat z

Dieser Geschäftsmodellentwurf ist im Wesentlichen aus der Anwendung des Freemium-Musters auf die Lernwelt entstanden. Bei dem Freemium-Muster (Kofferwort aus „Free“ – kostenfrei – und Premium) wird das Leistungsangebot in einer definierten Form (z. B. mit eingeschränktem Funktionsumfang oder unter Einblendung von Werbung) kostenfrei angeboten. Für zusätzliche Leistungen oder „Werbefreiheit“ müssen die Kund*innen zahlen. Bei der Übertragung des Musters auf den LUTZ-Kontext ist ein Geschäftsmodellentwurf entstanden, bei dem die Lernwelt in Form einer Web-Anwendung mit einer definierten Anzahl an Lernszenarien und MehrLernRaum-Inhalten kostenfrei bereitgestellt wird. Die kostenpflichtigen Leistungen adressieren insbesondere Geschäftskund*innen wie Klinikbetreiber*innen oder Bildungsdienstleister*innen und sind mit Wertangeboten verknüpft, die beispielsweise den Betrieb der Lernwelt auf der eigenen Infrastruktur oder die Ergänzung individueller Lernszenarien und MehrLernRaum-Inhalte ermöglichen. Dabei werden Angebotsformen differenziert, bei denen entweder lediglich das Frontend der Lernwelt durch die Kund*innen gehostet wird oder bei denen sowohl Front- als auch Backend auf deren Infrastruktur betrieben werden. Die korrespondierenden Einnahmequellen sind Jahreslizenzen sowie Einmalzahlungen pro Lernszenario für die erste Variante bzw. Einmalzahlungen (Installationslizenz) für die zweite Variante. Weitere, in dem Geschäftsmodellentwurf berücksichtigte Einnahmequellen, ergeben sich aus Individualisierungsleistungen wie der Qualitätssicherung individuell erstellter Lernszenarien oder der Anpassung der Lernwelt (Branding, Design etc.) nach Kund*innen-Wunsch.

Marktplatz-Ansat z

In einem weiteren Entwurf steht der Plattform-Gedanke im Mittelpunkt. Die LUTZ-Lernwelt würde dabei die Rolle eines Intermediärs einnehmen, der die Interaktion zweier unterschiedlicher, aber voneinander abhängiger Kundensegmente ermöglicht. Mit einem virtuellen Marktplatz würden einerseits Lerner*innen adressiert, die Interesse an einer Wissens- bzw. Kompetenzerweiterung im Bereich Führung haben, und andererseits Ersteller*innen von Lerninhalten wie Bildungsdienstleister, Beratungen oder auch Privatpersonen, die die Absicht haben, eigene Inhalte einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Die konkreten Wertangebote für Lerner*innen bestehen in einer geschützten Lernwelt für das Führungshandeln sowie im Zugriff auf vielfältige Lernszenarien unterschiedlicher Anbieter. Ersteller*innen von Angeboten profitieren insbesondere von dem Zugang zu einer spezifischen Zielgruppe sowie von der Möglichkeit, fachspezifische Themen über individuell erstellte Lernszenarien zu platzieren und dabei Einnahmen zu erzielen. Die im Geschäftsmodellentwurf berücksichtigten Einnahmequellen für den Betreiber liegen in Einmalzahlungen pro Lernszenario sowie in Abonnementgebühren, die von den Nutzer*innen gezahlt werden. Ein zu definierender Anteil dieser Einnahmen wird an die Ersteller*innen weitergegeben. Als weitere Einnahmequelle ist eine Reseller-Gebühr vorgesehen, die von den Ersteller*innen zu zahlen ist, sobald ein generiertes Lernszenario über die Lernwelt veröffentlicht bzw. den Lerner*innen zugänglich gemacht werden soll. Im Vergleich zum ersten Geschäftsmodellentwurf würden die Schlüsselaktivitäten nicht in der kontinuierlichen Entwicklung neuer Lernszenarien liegen, sondern im Betrieb des Marktplatzes sowie der Akquisition von Lerner*innen und Ersteller*innen.

Lizenzmodell Gesundheitswesen

Der dritte Geschäftsmodellentwurf resultiert aus einer Übertragung eines im konventionellen Softwarevertrieb häufig eingesetzten Ansatzes. Im Mittelpunkt steht der Vertrieb von Lizenzen für die Lernwelt. Das Geschäftsmodell fokussiert auf den B2B-Bereich und adressiert Betreiber*innen von Kliniken und Pflegeeinrichtungen sowie Bildungseinrichtungen im Gesundheitsweisen. Ähnlich zur ersten Variante können die Organisationen entscheiden, ob sie die Lernwelt z. B. aus Gründen der IT-Sicherheit auf der eigenen Infrastruktur betreiben (Eigenhosting), oder ob sie über das Internet (browserbasiert) auf die Lernwelt zugreifen wollen (zentrales Hosting). Im ersten Fall besteht die korrespondierende Einnahmequelle in einer einmaligen Installationslizenzgebühr, im zweiten Fall in einer nutzer*innen-bezogenen Jahreslizenz. Das Wertangebot wird durch zahlreiche Dienstleistungsangebote vervollständigt. Dazu zählen sowohl der technische Support für die Lernwelt als auch beratungsorientierte Angebote wie Workshops zur Ermittlung von Unterstützungsbedarfen oder Seminare zur Reflexion und Vertiefung der Lerninhalte. Eine Besonderheit dieses Geschäftsmodellentwurfes besteht darin, dass kundenindividuelle Lernszenarien ausschließlich durch den Betreiber (als weitere kostenpflichtige Dienstleistung) erstellt und nicht durch die Kund*innen selbst umgesetzt werden können. Insofern stellt das Vorhandensein eines sehr heterogenen Kompetenzprofils (u. a. Führungs-, Didaktik- und Branchenkompetenz) eine zentrale Schlüsselressource und damit eine wesentliche Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz des Geschäftsmodells dar.

Lizenzmodell Framework

Im Gegensatz zu den bereits vorgestellten Geschäftsmodellen besitzt der „Framework“-Entwurf keinen Fokus auf das Gesundheitswesen. Dessen Basis ist die im Zuge der Auseinandersetzung mit möglichen Geschäftsmodellen für die LUTZ-Lernwelt gewonnene Erkenntnis, dass auch außerhalb der Führungsarbeit im Gesundheitswesen ein Bedarf an einer spezifischen Wissensvermittlung mit Gamification-Elementen besteht. Mit diesem Geschäftsmodellentwurf werden also insbesondere Unternehmen und Vereine bzw. Verbände adressiert, die eine größere Gruppe an Personen (ggf. wiederkehrend) zu spezifischen Themen qualifizieren wollen oder müssen. Weitere mögliche Kundensegmente sind Anbieter von Lerninhalten (z. B. Verlage) sowie Bildungseinrichtungen wie Schulen und Hochschulen. Das zentrale Wertangebot für diese Kundensegmente besteht in einem Framework, mit dem individuelle Lernwelten erstellt werden können, die eine Kompetenzermittlung und -erweiterung durch das Erleben konkreter Situationen in einem spielerischen, aber realitätsnahen und geschützten Raum ermöglichen. Auch in diesem Entwurf nehmen begleitende Dienstleistungen einen großen Schwerpunkt ein. Angedacht sind individuelle Gestaltungsdienstleistungen wie die Erstellung zielgruppengerechter Grafiken, Qualifizierungsdienstleistungen, u. a. zur didaktischen Gestaltung der Lernwelt, oder technische Anpassungen wie neue Spiel- oder MehrLernRaum-Elemente. Analog zum Lizenzmodell Gesundheitswesen kann das Framework entweder über Installationslizenzgebühren (bei Eigenhosting) oder Lizenzgebühren (bei zentralem Hosting) in Anspruch genommen werden. Die Erlöse aus der Erbringung der genannten Dienstleistungen stellen eine weitere Einnahmequelle dar. Als kostenfreies Wertangebot soll den Kund*innen zudem ein Referenzprozess zum Aufbau einer individuellen Lernwelt bereitgestellt werden. Im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Entwürfen ist zum Betrieb des Framework-Geschäftsmodells keine auf das Gesundheitswesen bezogene Branchenkompetenz erforderlich. Essenziell sind dagegen Expertisen in der Software-Entwicklung, im nutzer*innenzentrierten Design sowie in der didaktischen Aufbereitung komplexer Inhalte (insbesondere für die begleitenden Dienstleistungen).

Entsprechend des St. Galler Business Model Navigators sind die entwickelten Geschäftsmodellentwürfe in weiteren Entwicklungsschritten insbesondere hinsichtlich ihrer Funktionsfähigkeit und Marktakzeptanz zu überprüfen. Bestandteil dessen sind u. a. die Quantifizierung der angestrebten Erlösströme je Geschäftsmodellentwurf sowie die Identifikation und Beschreibung der den Geschäftsmodellentwürfen zu Grunde liegenden Annahmen. Letztere müssen über entsprechende Tests bestätigt oder widerlegt werden, deren Ergebnisse wiederum Basis für die Weiterentwicklung der jeweiligen Geschäftsmodellentwürfe sind. Durch das iterative Durchlaufen dieses, der Lean-StartUp-Philosophie entlehnten Built-Measure-Learn-Kreislaufs (Ries, 2014), kann ein mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreiches Geschäftsmodell für die LUTZ-Lernwelt entwickelt werden.

Zum Abschluss kann ein Blick auf eine mögliche Zukunft der LUTZ-Lernwelt geworfen werden: Gelingt, entsprechend der vorliegenden geplanten Verwendungsideen, eine Anerkennung und Anwendung der Lernwelt als spezifisches Weiterbildungsformat oder als Bestandteil von Weiterbildungsformaten im Branchenbereich der Langzeitpflege, so kann die Verwertung breit aufgestellt werden. Zugleich sind dann in der fortwährenden praktischen Anwendung die notwendige Weiterentwicklung und Qualität sichergestellt. Dahingehend wäre die Lernwelt also zugleich eine Bereicherung für entsprechende Weiterbildungsangebote und würde sich in der konsequenten Anwendungspraxis fortwährend weiterentwickeln, modifizierbar und praxistauglich bleiben. Damit kann die Lernwelt auch beständig gesellschaftliche und branchenspezifische Veränderungen und deren Auswirkungen auf Führungshandeln aufgreifen. Durch die digitale Form der Lernwelt, der daraus resultierenden Möglichkeit des zeit- und ortsunabhängigen Einsatzes und der möglichen individuellen, selbstgesteuerten Lernerfahrung bietet sie darüber hinaus einen zeitgemäßen Rahmen für das Lernen Erwachsener. Außerdem stellt sie mit dem Baustein des MehrLernRaums eine umfassende Wissensdatenbank zu Führungsansätzen und -modellen sowie angrenzenden Themenbereichen bereit, die das Potenzial hat, sich mit den noch in der Zukunft liegenden Herausforderungen kontinuierlich zu erweitern.