Zusammenfassung
In Norddeutschland ist der Anstieg des mittleren Meeresspiegels eine der deutlichsten bereits messbaren Folgen des Klimawandels. An allen untersuchten Pegeln der deutschen Nord- und Ostseeküste lässt sich dieser Anstieg nachvollziehen. So zeigen die Auswertungen der Wasserstandsdaten, dass der mittlere Meeresspiegel an unseren Küsten in den letzten einhundert Jahren (1921–2020) etwa ein bis zwei Millimeter pro Jahr angestiegen ist. Dies entspricht in etwa dem globalen mittleren Meeresspiegelanstieg im selben Zeitraum. Für die letzten Jahrzehnte dokumentiert der Weltklimarat IPCC eine Beschleunigung des globalen mittleren Meeresspiegelanstiegs. An den Pegeln der deutschen Küsten lässt sich bisher keine systematische Beschleunigung nachweisen. Zwar steigt der mittlere Meeresspiegel an einigen Pegeln derzeit schneller als im langjährigen Durchschnitt, jedoch liegen die derzeitigen Anstiegsraten noch im normalen Bereich und sind oft vergleichbar mit vergangenen Zeiträumen, in denen der mittlere Meeresspiegel zum Teil sogar noch schneller stieg. Klimaszenarien deuten darauf hin, dass der globale mittlere Meeresspiegel künftig immer schneller steigen kann, insbesondere bei anhaltend hohem Treibhausgasausstoß. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass der künftige Meeresspiegelanstieg an unseren Küsten sich nur unwesentlich vom globalen Mittel unterscheiden wird und dass je nach zugrundeliegendem Szenario mit Anstiegen im Bereich von 30 bis 110 cm zum Ende des Jahrhunderts zu rechnen ist.
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Im Gegensatz zum mittleren Meeresspiegelanstieg, der als schleichende Folge des Klimawandels gesehen werden kann, stellen extreme Sturmflutwasserstände für die deutschen Küstenregionen an Nord- und Ostsee schon seit Beginn der Besiedlung eine beträchtliche Gefährdung dar. Sie werden durch eine Reihe verschiedener Faktoren beeinflusst, deren Bedeutung je nach Region variiert. Durch den Meeresspiegelanstieg und ein möglicherweise verändertes Windklima kann sich auch das Sturmflutgeschehen an den deutschen Küsten ändern. Bisher laufen Nordseesturmfluten vor allem durch den Meeresspiegelanstieg höher auf. Infolgedessen hat auch die Sturmfluthäufigkeit zugenommen. An der deutschen Ostseeküste lässt sich diese Entwicklung bisher nicht nachvollziehen. Es ist davon auszugehen, dass hohe Sturmfluten an den deutschen Küsten künftig mindestens um den Betrag des künftigen mittleren Meeresspiegelanstiegs höher auflaufen werden. Zudem können Sturmfluten häufiger auftreten, da unter ansonsten unveränderten Bedingungen weniger Wind notwendig ist, um Wasserstände auf heutiges Sturmflutniveau anzuheben.
1 Mittlerer Meeresspiegel
1.1 Globaler Meeresspiegelanstieg
Als eine Folge des Klimawandels steigt der globale mittlere Meeresspiegel (global mean sea level), einerseits durch die thermische Ausdehnung der sich erwärmenden Ozeane, anderseits durch den Eintrag zusätzlichen Wassers von schmelzenden Landeismassen (Gletscher und Eisschilde in Grönland und der Antarktis). Während diese Prozesse den Meeresspiegel im globalen Mittel steigen lassen, ist die regionale Ausprägung dieses Anstiegs sehr unterschiedlich. Dabei spielen verschiedene klimatische Faktoren wie etwa Änderungen in der Ozeandynamik, im Salzgehalt oder im Windklima eine Rolle. Daneben liefern in einigen Regionen vertikale Landbewegungen wesentliche Beiträge. Diese können z. B. durch großräumige, weiterhin andauernde Ausgleichsprozesse der Erde auf eine durch Eisschilde verursachte Belastung während der letzten Eiszeit herbeigeführt werden (z. B. BIFROST 1996) oder infolge von Trinkwasserentnahmen auftreten. Letztere gehören neben dem anthropogenen Klimawandel zu den stärksten menschlichen Einflüssen auf den Anstieg des regionalen relativen Meeresspiegels (z. B. Pelling und Blackburn 2013).
Zur Erfassung von Meeresspiegeländerungen werden zwei wesentliche und grundsätzlich verschiedene Messmethoden eingesetzt, Pegel- und Satellitenmessungen. Pegelmessungen erfassen Änderungen des sogenannten relativen mittleren Meeressspiegels (RMSL) und stehen hauptsächlich küstennah und teilweise über mehr als 100 Jahre zur Verfügung. Satellitenmessungen stehen kontinuierlich seit etwa Anfang 1990 zur Verfügung und erfassen Änderungen des absoluten mittleren Meeresspiegels (AMSL) im Wesentlichen über den offenen Ozeanen. Änderungen des RMSL beziehen sich auf Änderungen in Bezug auf den Meeresboden, Änderungen des AMSL beziehen sich auf das Geoid (Bezugsfläche im Schwerefeld der Erde, die in guter Näherung durch den mittleren Meeresspiegel repräsentiert wird). Im Gegensatz zu Änderungen des AMSL schließen Änderungen des RMSL weitere Faktoren wie z. B. vertikale Landbewegungen ein.
Zeitreihen des globalen mittleren Meeresspiegels werden aus diesen Daten, je nach Veröffentlichung und Betrachtungszeitraum, unterschiedlich erzeugt und berechnet. Betrachtet man hier die letzten etwa 100 Jahre, ergeben sich Anstiegsraten von etwa 1 bis 2 mm/Jahr (z. B. Oppenheimer et al. 2019). Für die kürzeren Zeiträume seit etwa 1990, in denen auch Satellitenmessungen zur Verfügung stehen, werden deutlich höherer Anstiegsraten von ca. 3 bis 4 mm/Jahr ermittelt (z. B. Oppenheimer et al. 2019; Nerem et al. 2018).
Eine der erwarteten Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels ist eine Beschleunigung des globalen Meeresspiegelanstiegs. Eine wesentliche Frage ist deshalb, inwieweit sich eine solche Beschleunigung bereits aus den Daten ablesen lässt. Die Mehrzahl von Studien geht derzeit davon aus, dass sich eine solche Beschleunigung bereits nachweisen lässt (z. B. Nerem et al. 2018). In anderen Studien wird die Frage z. B. unter Verweis auf Inhomogenitäten in den Daten zum Teil noch kontrovers diskutiert (z. B. Kleinherenbrink et al. 2019; Veng und Andersen 2020). Der Umfang des Konsenses ist unter anderem im IPCC-Sonderbericht über den Ozean und die Kryosphäre (Oppenheimer et al. 2019) und im jüngsten IPCC Sachstandsbericht (Fox-Kemper et al. 2021) dokumentiert.
Projektionen für den künftigen globalen Meeresspiegelanstieg sind im Verlauf der letzten Jahrzehnte relativ konstant geblieben, wobei die angegebenen Unsicherheitsbereiche allerdings erheblich geschwankt haben (Garner et al. 2018). So gab bereits der erste Sachstandsbericht des IPCC einen Meeresspiegelanstieg von etwa 31 bis 110 cm für den Zeitraum 1990 bis 2100 an (Warrick und Oerlemans 1990). Während die Zahlen der nachfolgenden Berichte je nach Annahmen zum Teil etwas darunter lagen, geht der 2019 erschienene IPCC-Sonderbericht über den Ozean und die Kryosphäre in einem sich wandelnden Klima bis 2100 wieder von einem etwas höheren Anstieg von etwa 43 bis 110 cm beginnend ab dem Zeitraum von 1986 bis 2005 aus (Oppenheimer et al. 2019). Die Anstiege im jüngsten Sachstandsbericht des IPCC liegen je nach Treibhausgasszenario bezogen auf den Zeitraum von 1995 bis 2014 zwischen 28 und 101 cm (Fox-Kemper et al. 2021). Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass ein sehr hoher Anstieg von bis zu 2 m bis 2100 bei hohen Treibhausgasemissionen aufgrund sehr hoher Unsicherheiten bei der Abschätzung von Schmelzraten der großen Eisschilde in Grönland und der Antarktis nicht ausgeschlossen werden kann (IPCC 2021).
Auch nach 2100 wird der Meeresspiegel weiter ansteigen. Selbst bei sehr geringen Treibhausgasemissionen ist bis 2150 mit einem Anstieg von rund 40 bis 90 cm (37–86 cm, Fox-Kemper et al. 2021) zu rechnen. Bei weiterhin starkem Treibhausgasausstoß wird zum Ende des 21. Jahrhunderts mit einer deutlichen Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs gerechnet (z. B. Oppenheimer et al. 2019; Fox-Kemper et al. 2021). Diese kann sich im 22. Jahrhundert noch verstärken. Diese Entwicklung ist insbesondere im Hinblick auf Anpassungsmaßnahmen relevant, deren Umsetzung nur über einen langen Zeithorizont erfolgen kann. Hierzu zählen u. a. viele Küstenschutzmaßnahmen.
1.2 Meeresspiegelanstieg in der Nordsee
Jüngere Vergangenheit
Für die Nordsee existiert eine Vielzahl von Studien, die vergangene Änderungen des Meeresspiegels für unterschiedliche Regionen mit unterschiedlichen Methoden und Datensätzen untersuchen. Für den Küstenschutz sind dabei vor allem relative Veränderungen wichtig, d. h. Veränderungen, die sich durch Überlagerung des absoluten Meeresspiegelanstiegs und lokaler Landhebung oder -senkung ergeben. Aufgrund der Verschiedenheit der vorliegenden Arbeiten sind ihre Ergebnisse zum Teil nur schwer vergleichbar. Beispielsweise untersuchten Woodworth et al. (2009) absolute Meeresspiegeländerungen für England, Haigh et al. (2009) Pegeldaten für den englischen Kanal, Wahl et al. (2010) und Albrecht et al. (2011) Pegeldaten und relative Änderungen für die Deutsche Bucht und Madsen (2009, 2019) Satellitendaten und Änderungen an der dänischen Küste. Eine umfassende Analyse, basierend auf einem einheitlichen Datenmaterial und einheitlicher Methodik, wurde von Wahl et al. (2013) vorgestellt. Die Autoren analysierten dabei die Meeresspiegeländerungen in der Nordsee seit 1800 anhand eines homogenisierten Pegeldatensatzes, der Pegel aus allen Nordseeanrainerstaaten berücksichtigte. Basierend auf ihren Auswertungen ermittelten Wahl et al. (2013) einen mittleren Trend von 1,6 mm/Jahr für die gesamte Nordsee bezogen auf den Zeitraum von 1900 bis 2011. Dies entspricht in etwa dem Anstieg des globalen Mittelwerts über einen annähernd gleichen Zeitraum (1,7 mm/Jahr für die Zeitspanne 1901–2010; Church et al. 2013). Für die deutsche Nordseeküste wurden für denselben Zeitraum Anstiegsraten zwischen 1,6 und 1,8 mm/Jahr gefunden, mit höheren Werten entlang der schleswig-holsteinischen und geringeren Werten entlang der niedersächsischen Küste (Wahl et al. 2010; Albrecht et al. 2011). Innerhalb des untersuchten Zeitraums wurden mehrere Perioden mit beschleunigtem Meeresspiegelanstieg identifiziert, die zum Teil mit entsprechenden Schwankungen im großräumigen Luftdruckfeld verbunden waren. Dabei waren in jüngerer Vergangenheit relativ hohe Anstiegsraten zu finden, die jedoch mit denen früherer Perioden (z. B. zu Beginn des 20. Jahrhunderts) vergleichbar sind (Albrecht et al. 2011; Wahl et al. 2013).
Jeweils aktuelle Zahlen und Einschätzungen sind seit Anfang 2021 im Meeresspiegelmonitor (2022) abrufbar, der auf historischen (z. B. Wahl et al. 2013) und aktuellen Pegelmessungen (Pegelonline 2022) beruht. Demnach ist der mittlere Meeresspiegel am Pegel Cuxhaven in den letzten 100 Jahren (1921–2020) um etwa 18 cm gestiegen, was einer Rate von 1,8 mm/Jahr und damit in etwa dem über den gleichen Zeitraum beobachteten Anstieg des globalen mittleren Meeresspiegels entspricht (Abb. 9.1). Während für den globalen mittleren Meeresspiegelanstieg durch den Vergleich von z. B. 10-, 20-, 40-, 50- und 100-jährigen gleitenden Trends eine (wenn zum Teil auch noch kontrovers diskutierte, z. B. Kleinherenbrink et al. 2019; Veng und Andersen 2020) Beschleunigung erkennbar ist (Abb. 9.2a), liegen die gegenwärtigen Anstiegsraten z. B. am Pegel Cuxhaven in den jüngsten beobachteten 10-, 20-, 40- und 50- jährigen Trends zwar über dem Median der Vergangenheit, aber noch innerhalb der beobachteten Schwankungsbreite der letzten ca. 140 Jahre (Abb. 9.2b). Ähnliche Ergebnisse ergeben sich für weitere Pegel an der deutschen Nordseeküste (Meeresspiegelmonitor 2022). Ein beschleunigter Anstieg des Meeresspiegels ist an den Nordseepegeln im Gegensatz zum globalen mittleren Meeresspiegelanstieg damit zurzeit nicht erkennbar. Für die Pegel an der niederländischen Küste kamen van den Hurk und Geertsema (2020) zu einem ähnlichen Ergebnis.
Projektionen für die Zukunft
In Bezug auf mögliche zukünftige Änderungen des mittleren Meeresspiegels existiert eine Reihe von Projektionen für verschiedene Nordseeregionen, etwa Katsman et al. (2011) für die niederländische, Lowe et al. (2009) für die englische und Simpson et al. (2012) sowie Nilsen et al. (2012) für die norwegische Küste. Anhand eines Ensembles von Klimamodellrechnungen (Teilmenge des CMIP3-Ensembles) für drei unterschiedliche Emissionsszenarien (SRES A1B, A2, B1) analysierten Slangen et al. (2012) mögliche zukünftige relative Meeresspiegeländerungen. Demnach können zukünftige relative Anstiegsraten in der Nordsee zum Teil, hauptsächlich infolge der postglazialen (nacheiszeitlichen) Landsenkung (Wanninger et al. 2009; Wahl et al. 2013), höher als der globale Meeresspiegelanstieg ausfallen. Eine entscheidende Frage bei der Abschätzung des relativen Meeresspiegelanstiegs ist die Frage, inwieweit Wattflächen mit dem Anstieg mitwachsen können. Hofstede et al. (2019) gehen davon aus, dass die Wattflächen auch bei stärkeren Anstiegsraten des Meeresspiegels noch effektive Sedimentsenken darstellen und die Wattflächen mitwachsen können. Dieses ändert sich, wenn die Geschwindigkeit des Meeresspiegelanstiegs einen kritischen Wert überschreitet. Letzterer ist nicht genau bekannt und abhängig von der Höhe des mittleren Tidenhubs (Hofstede et al. 2019).
In Bezug auf zukünftige Änderungen des absoluten Meeresspiegels gelangen das Deutsche Klima-Konsortium e. V. (DKK) und das Konsortium Deutsche Meeresforschung e. V. (KDM) in einer 2019 gemeinsam herausgegebenen Broschüre zu der Einschätzung, dass sich die Projektionen des absoluten Meeresspiegelanstiegs in der Nordsee zum Ende des 21. Jahrhunderts nur unwesentlich vom globalen Mittel unterscheiden und dass je nach zugrundeliegendem Emissionsszenario mit Anstiegen im Bereich von 30 bis 110 cm zum Ende des Jahrhunderts zu rechnen ist (DKK und KDM 2019). Die 2021 vom IPCC veröffentlichten regionalen Projektionen des künftig möglichen Meeresspiegelanstiegs in Cuxhaven lassen bis 2050 im Vergleich zu „heute“ (1995 bis 2014) je nach Treibhausgasemissionen einen Meeresspiegelanstieg von 13 bis 42 cm plausibel erscheinen. Bis 2100 kann der Meeresspiegel hier 26 bis 116 cm anstiegen. Sollten sich die Schmelzprozesse der großen Eisschilde in Grönland und der Antarktis stärker als derzeit erwartet beschleunigen ist bis 2100 ein Anstieg bis 139 cm möglich (Garner et al. 2021).
1.3 Meeresspiegelanstieg in der Ostsee
Jüngere Vergangenheit
Wie für die Nordsee sind auch für die Ostsee im Hinblick auf den Küstenschutz vor allem relative Meeresspiegeländerungen von Bedeutung. Im Vergleich zur Nordsee spielen kontinentale Bewegungskomponenten eine noch größere Rolle. So übertrifft die kontinuierliche Hebung der Landmassen seit der letzten Eiszeit (isostatischer Ausgleich) im gesamten nördlichen Teil der Ostsee den klimatisch bedingten Anstieg des absoluten Meeresspiegels. Dies führt z. B. dazu, dass der relative Meeresspiegel im Finnischen Meerbusen um derzeit etwa 8 mm/Jahr sinkt (z. B. Liebsch 1997; Hünicke et al. 2015). Im südlichen Teil der Ostsee und somit auch an der deutschen Ostseeküste senken sich hingegen die Landmassen seit der letzten Eiszeit. Hierdurch und infolge des globalen Meeresspiegelanstiegs steigt der Meeresspiegel in der südlichen Ostsee relativ zum Land an (z. B. Lampe und Meyer 2003; Richter et al. 2012; Groh et al. 2017; Kelln 2019). Je nach betrachtetem Zeitraum und Pegel variieren die Anstiegsraten im letzten Jahrhundert zwischen etwa 1 bis 2 mm/Jahr (z. B. Weisse et al. 2021; Mudersbach und Jensen 2008; Richter et al. 2012; Meinke 1999).
Aktuelle Auswertungen des Meeresspiegelmonitors (www.meeresspiegel-monitor.de) zeigen für die letzten 100 Jahre (1921–2020) Anstiegsraten zwischen 1,4 mm/Jahr in Warnemünde und 1,7 mm/Jahr in Travemünde (Abb. 9.3). Werden den Auswertungen kürzere Zeiträume zugrunde gelegt, etwa 50 Jahre, sind die aktuellen Raten des Meeresspiegelanstiegs in der südwestlichen Ostsee höher, mit Werten zwischen 2 mm/Jahr in Warnemünde und 2,2 mm/Jahr in Travemünde (Abb. 9.3, 50-jähriger Trend, dunkelblau).
Dies ist konsistent mit vorherigen Auswertungen einzelner Pegel, bei denen Anstiegsraten für kürzere Zeiträume von bis zu 3 bis 4 mm/Jahr beobachtet wurden (z. B. Kelln 2019). Modellstudien legen nahe, dass Unterschiede in den Anstiegsraten zum Teil auf Änderungen und Schwankungen in atmosphärischen Zirkulationsmustern zurückzuführen sind (z. B. Lehmann et al. 2011; Gräwe et al. 2019; Männikus et al. 2020).
Anstiegsraten des absoluten mittleren Meeresspiegels in der Ostsee wurden von Stramska und Chudziak (2013) und von Madsen et al. (2019) basierend auf Satellitendaten ermittelt. Für den Zeitraum 1992–2012 (bzw. 1993–2015/2017 in Madsen et al. 2019) kommen die Arbeiten auf eine Rate von 3,3 mm/Jahr, die in etwa konsistent mit dem Anstieg des globalen Meeresspiegels über den gleichen Zeitraum ist. Auch Auswertungen des relativen Meeresspiegelanstiegs zeigen von Anfang der 1990er-Jahre bis 2010 an verschiedenen Ostseepegeln (z. B. Flensburg, Travemünde und Warnemünde) sehr hohe gemessene Anstiegsraten. Das fortlaufende Monitoring des Meeresspiegels in der südwestlichen Ostsee zeigt allerdings, dass sich die Anstiegsraten in den nachfolgenden überlappenden 20-jährigen Zeitfenstern bis heute wieder verringern (Meeresspiegelmonitor 2022).
Aussagen in Bezug auf Beschleunigungen des Meeresspiegelanstiegs in der Ostsee hängen stark vom betrachteten Ort, Zeitraum und Bezug (relativer oder absoluter Meeresspiegel) ab. Basierend auf der Analyse von Pegeldaten des Zeitraums 1900 bis 2012 fanden Hünicke und Zorita (2016) zwar positive Beschleunigungen; die Trends waren jedoch aufgrund der hohen Variabilität an den einzelnen Pegeln statistisch nicht signifikant. Dies ist konsistent mit den Auswertungen von Richter et al. (2012), die für größere Zeitfenster von 60 oder 80 Jahren eine langsame Beschleunigung des relativen Meeresspiegelanstiegs in Warnemünde erkennen lassen, wobei dieser Trend statistisch jedoch ebenfalls nicht signifikant ist.
Ähnliche Ergebnisse zeigen auch die aktuellen Auswertungen des Meeresspiegelmonitors (2022): Legt man den Auswertungen 100-jährige überlappende Perioden zugrunde, zeigt sich, dass die Anstiegsraten der 100-jährigen überlappenden Meeresspiegeltrends in Warnemünde und Travemünde ab etwa zwei Jahrzehnten zunehmen (Abb. 9.4, kleinster 100-jähriger Trend 1898 bis 1997: grüner Punkt). In Warnemünde haben die 100-jährigen Anstiegsraten bereits zuvor unter Schwankungen leicht zugenommen. In Travemünde zeigen die Auswertungen jedoch, dass frühere 100-jährige Perioden noch höhere Anstiegsraten als die aktuelle aufweisen. So ist die größte Anstiegsrate innerhalb eines 100-jährigen Zeitraums in Travemünde bisher in der Periode 1872 bis 1971 aufgetreten (Abb. 9.4, roter Punkt). Die Anstiegsrate der letzten 100 Jahre (1921–2020) ist mit 1,7 mm/Jahr zwar hoch und liegt über dem Median vergangener Anstiegsraten. Dennoch liegt die aktuelle Rate derzeit innerhalb des typischen Schwankungsbereichs vergangener Trends in Travemünde (Abb. 9.4b, gelbe Fläche). Auch die Analyse kürzerer (10-, 20- 40- und 50-jähriger) Perioden lässt derzeit keine systematische Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs an den untersuchten Pegeln der deutschen Ostseeküste erkennen. Vor dem Hintergrund des möglicherweise beschleunigten globalen mittleren Meeresspiegelanstiegs erscheint jedoch ein fortlaufendes Monitoring des Meeresspiegelanstiegs an der deutschen Ostseeküste notwendig.
Projektionen für die Zukunft
Es ist davon auszugehen, dass der Meeresspiegelanstieg sich auch künftig weltweit nicht gleichmäßig vollziehen wird, sondern in räumlich sehr heterogenen Mustern. In der Ostsee erfolgt zudem auch künftig die Überlagerung durch glazial-isostatische Ausgleichsbewegungen der Erdkruste sowie die regionalspezifische Beeinflussung des Meeresspiegels durch verschiedene Faktoren, insbesondere durch atmosphärische Komponenten. Verschiedenen Studien zufolge ist jedoch zu erwarten, dass der globale mittlere Meeresspiegelanstieg auch künftig den stärksten Einfluss auf den Meeresspiegelanstieg in der Ostsee haben wird (Grinsted, 2015; Hieronymus und Kalén 2020, Weisse et al. 2021). Durch Skalierung globaler Projektionen kommen Pellikka et al. (2020) zu dem Ergebnis, dass die absolute Meeresspiegeländerung zum Ende des 21. Jahrhunderts am schwedischen Pegel Forsmark etwa 87 % des globalen Anstiegs betragen wird. Die 2021 vom IPCC veröffentlichten regionalen Projektionen des künftig möglichen Meeresspiegelanstiegs in Travemünde lassen bis 2050 im Vergleich zu „heute“ (1995 bis 2014) je nach Treibhausgasemissionen einen Meeresspiegelanstieg von 11 bis 45 cm plausibel erscheinen. Bis 2100 kann der Meeresspiegel hier 22 bis 116 cm ansteigen. Sollten sich die Schmelzprozesse der großen Eisschilde in Grönland und der Antarktis stärker als derzeit erwartet beschleunigen, ist bis 2100 ein Anstieg bis 139 cm möglich (Garner et al. 2021).
2 Sturmfluten
2.1 Ursachen und Wechselwirkungen mit dem mittleren Meeresspiegelanstieg
Sturmfluten und die damit verbundenen extremen Wasserstände sind ein globales Phänomen (z. B. Weisse und Storch 2009). Sie treten vorwiegend an flachen Küstenabschnitten mit weitem Kontinentalschelf auf, die zumindest saisonal von Stürmen beeinflusst werden. Für die deutschen Nord- und Ostseeküsten stellen Sturmfluten und deren mögliche Veränderungen im Zuge des Klimawandels ein wesentliches Problem dar.
Hauptverantwortlich für die Entstehung von Sturmfluten sind länger anhaltende auflandige Starkwinde und Stürme, die das Wasser an der Küste aufstauen (Windstau). Je nach Küstenabschnitt ist die Richtung, aus der die Starkwinde dazu kommen müssen, unterschiedlich. Neben dem Windstau verursacht der Wind noch eine weitere Bewegung an der Wasseroberfläche in der Form von Wellen (Seegang). Seegang tritt zusätzlich zum Windstau auf und erhöht damit, insbesondere im Sturmflutfall, die Belastung von Küstenschutzbauwerken und den Wasserstand an der Küste.
Im Zusammenwirken mit dem Wind tragen weitere Faktoren zu hohen Wasserständen an der Küste bei. Für die Nordsee sind dabei insbesondere das Zusammentreffen von hohen Windstauereignissen mit hohen Gezeitenwasserständen und/oder sogenannten Fernwellen zu erwähnen, die von außen in die Nordsee eindringen und den Wasserstand kurzfristig stark erhöhen können (z. B. Rossiter 1958). Für die Ostsee spielt die sogenannte Vorfüllung eine Rolle, bei der langanhaltende Westwinde das Volumen des Wassers in der Ostsee erhöhen, indem zusätzliches Wasser durch Skagerrak und Kattegat in die Ostsee gelangt (z. B. Weisse et al. 2021). Dadurch entstehen im Mittel um bis zu einige Dezimeter höhere Wasserstände, wodurch Sturmfluten bereits ein höheres Ausgangsniveau vorfinden können (z. B. Weisse und Weidemann 2017; Meinke 1998). Für manche Bereiche spielen Eigenschwingungen in der Form von Seiches eine Rolle, die ebenso zu extremen Wasserständen führen können (z. B. Weisse et al. 2021; Meinke 1998).
Alle Faktoren können über die Zeit schwanken oder sich langfristig und systematisch verändern. Weiterhin können die durch sie verursachten Wasserstandsschwankungen wechselwirken und sich gegenseitig beeinflussen (z. B. Horsburgh und Wilson 2007). Der langfristige Anstieg des mittleren Meeresspiegels trägt dazu bei, dass sich die Wasserstände im Mittel erhöhen und sich die Beiträge und Wechselwirkungen der einzelnen Komponenten verändern können. So werden z. B. zukünftige Sturmfluten allein aufgrund des mittleren Meeresspiegelanstiegs höher auflaufen. Dabei muss ein Anstieg des mittleren Meeresspiegels nicht notwendigerweise mit einer gleich großen Erhöhung der Sturmflutwasserstände einhergehen, sondern kann aufgrund nichtlinearer Rückkopplungen zum Teil deutlich höher ausfallen (Arns et al. 2015).
2.2 Veränderungen und Variabilität in der Nordsee
Windstau und Seegang
Vergangene Änderungen im Windstau- und Seegangklima der Nordsee sind sowohl anhand von Beobachtungen als auch mit Modellen und statistischen Methoden untersucht worden. Basierend auf einer Idee von de Ronde bereinigten von Storch und Reichardt (1997) die Wasserstandszeitreihe von Cuxhaven um ihre jährlichen Mittelwerte und verwendeten das Ergebnis als proxy für den Windstauanteil. Bezogen auf den Gesamtzeitraum von 1876 bis 1993 fanden sie dabei keine systematischen Veränderungen im Windstau, jedoch ausgeprägte annuale und dekadische Schwankungen, die konsistent mit den Schwankungen der Sturmaktivität in der Region sind (z. B. Krüger et al. 2013; Dangendorf et al. 2014; Krüger et al. 2019; Krieger et al. 2020). Updates der Analysen für die Zeiträume von 1843 bis 2006 (Weisse et al. 2012) und von 1843 bis 2012 (Emeis et al. 2015) bestätigen diese Ergebnisse. Eine aktuelle Bewertung der langfristigen Veränderung des Sturm- und Sturmflutklimas in der Deutschen Bucht ermöglichen zwei in 2018 bzw. 2020 entwickelte Webtools, in denen tagesaktuell die laufende SturmFootnote 1- bzw. SturmflutaktivitätFootnote 2 analysiert und in Bezug zu historischen Veränderungen eingeschätzt werden kann.
Neben der Auswertung von Beobachtungsdaten stellen Studien mit hydrodynamischen Modellen einen zusätzlichen Ansatz dar, langfristige Variabilität und Veränderungen abschätzen zu können. Die Modelle werden dabei durch reanalysierte Wind- und Luftdruckfelder angetrieben. Typischerweise kann mit solchen Simulationen das Windstauklima für die letzten etwa 60 Jahre rekonstruiert werden. Da in diesen Rechnungen andere Einflüsse, wie z. B. der Meeresspiegelanstieg oder Veränderungen durch wasserbauliche Maßnahmen, explizit nicht berücksichtigt werden, ergibt sich damit eine Abschätzung langfristiger Änderungen im Windstauklima. Die Ergebnisse solcher Modellstudien (z. B. Langenberg et al. 1999; Weisse und Plüß 2006) stimmen mit den oben beschriebenen beobachteten Veränderungen im Stauklima tendenziell dahingehend überein, dass das Stauklima ausgeprägte Schwankungen, jedoch keinen substanziellen Langzeittrend im Zeitbereich von Jahren und Dekaden aufweist. Ähnliche Ergebnisse ergeben sich aus Analysen beobachteter und modellierter Veränderungen des Seegangklimas (z. B. WASA 1998; Günther et al. 1998; Vikebø et al. 2003; Weisse und Günther 2007; Groll und Weisse 2017). Obwohl sich die Windstauanteile in den letzten Jahrzehnten nicht systematisch verändert haben, laufen Sturmfluten aufgrund des gestiegenen Meeresspiegels heute dennoch höher und öfter auf als noch vor 100 Jahren (z. B. Weisse 2018; Liu et al. 2022).
Zukünftige Änderungen im Windstau- und Seegangklima hängen von entsprechenden Änderungen in den atmosphärischen Windfeldern ab, die sehr unsicher sind (z. B. Christensen et al. 2007; Ulbrich et al. 2009). Diese Unsicherheit pflanzt sich in den entsprechenden Studien zu Änderungen im Windstau- und Seegangklima fort. Die Mehrheit der Studien zeigt dabei keine (z. B. Sterl et al. 2009) oder nur geringe Änderungen im Windstau- (z. B. Langenberg et al. 1999; Kauker und Langenberg 2000; Woth 2005; Woth et al. 2006; Debernhard und Roed 2008; Gaslikova et al. 2013) und Seegangklima (z. B. Grabemann und Weisse 2008; Debernhard und Roed 2008; Groll et al. 2014; Grabemann et al. 2015). Für den Windstau werden die größten möglichen zukünftigen Änderungen größtenteils für den Bereich der Deutschen Bucht gefunden (z. B. Woth 2005; Gaslikova et al. 2013). Jedoch sind nicht alle Änderungen in allen Studien detektierbar, was bedeutet, dass sie zum Teil innerhalb der beobachteten Schwankungsbreite liegen. Abweichend davon kommen einige Studien zu deutlich größeren Änderungen. So beschreiben beispielsweise Lowe und Gregory (2005) einen Anstieg der 50-jährigen Wiederkehrwerte des Windstaus um bis zu 50 bis 70 cm zum Ende des 21. Jahrhunderts als Folge des anthropogenen Klimawandels. Zu einem ähnlichen Schluss kommen Lang und Mikolajewicz (2020) anhand der Auswertung entsprechender Daten aus einem großen Ensemble gekoppelter Klimasimulationen. Die Autoren betonen, dass dieser Anstieg ausschließlich auf eine Veränderung der Sturmstatistik zurückzuführen und unabhängig vom Anstieg des mittleren Meeresspiegels ist. Eine mögliche Einschränkung besteht nach Lang und Mikolajewicz (2020) im verwendeten Modellsystem, das im Vergleich mit anderen durch eine erhöhte Sensitivität im Bereich extremer Windgeschwindigkeiten gekennzeichnet war (De Winter et al. 2013).
Unsicherheiten in Bezug auf die zukünftige Entwicklung im Wind- und Sturmklima spiegeln sich in Aussagen zu zukünftigen Änderungen im Windstau- und Seegangklima wider. Solche Unsicherheiten entstehen zum einen infolge der Spannbreite möglicher gesellschaftlicher Entwicklungen (verschiedene Emissionsszenarien), zum anderen liefern Klimamodelle, die mit demselben Szenario angetrieben werden, ebenfalls eine Bandbreite an möglichen Änderungen. Letzteres reflektiert u. a. unser unvollständiges Wissen über die relevanten Prozesse im Klimasystem. Die Bandbreite an Ergebnissen eines Modells unter Verwendung eines Emissionsszenarios, jedoch mit verschiedenen leicht geänderten Anfangsbedingungen, lässt Rückschlüsse auf die interne Variabilität des Klimasystems zu. Ein Beispiel hierfür liefern Sterl et al. (2009), die mit einem globalen Klimamodell unter Verwendung des A1B-SRES-Szenarios 17-mal den Zeitraum von 1950 bis 2100 simulierten. Die Windfelder dieser Rechnungen wurden anschließend mit Hilfe eines statistischen downscaling (Kap. 4) verwendet, um Bandbreiten möglicher Änderungen im Windstauklima an der deutschen Nordseeküste abzuschätzen (Weisse et al. 2012). Die Ergebnisse zeigen, dass sich das Windstauklima der einzelnen Realisationen zum Ende des 21. Jahrhunderts zum Teil beträchtlich unterscheidet und dass die interne Klimavariabilität bei der Interpretation von Ergebnissen anhand einzelner Simulationen oder eines begrenzten Ensembles entsprechend berücksichtigt werden muss.
Wechselwirkungen zwischen Windstau und Meeresspiegeländerungen oder Seegang und Sturmflutwasserständen (z. B. Melet et al. 2018) können ebenfalls zu Änderungen im Sturmflutklima führen. Statistische Analysen globaler Pegeldatensätze zeigen eine Zunahme von Sturmfluthöhen, die primär durch einen Anstieg des Meeresspiegels verursacht wurden (Menéndez und Woodworth 2010). Auch in der Deutschen Bucht lässt sich diese Tendenz bisher beobachten (Weisse 2011, 2018). Zukünftig kann der Anstieg von Sturmfluthöhen, insbesondere in Flachwassergebieten, aufgrund von Wechselwirkungen allerdings stärker als der zugrundeliegende Meeresspiegelanstieg ausfallen (z. B. Arns et al. 2015). Wechselwirkungen und Änderungen im Gezeitenregime können diese Effekte verstärken, wobei die Größenordnungen derzeit kontrovers diskutiert werden.
Gezeiten
An der Nordseeküste stellen die durch die Gezeiten verursachten Wasserstandsschwankungen einen wesentlichen Beitrag zur Variabilität der Gesamtwasserstände dar. Obwohl primär durch astronomische Einflüsse verursacht, können sich Tidewasserstände aufgrund nichtastronomischer Faktoren verändern (z. B. Haigh et al. 2020). Diese können sowohl auf großräumige Entwicklungen (z. B. als Folge des Meeresspiegelanstiegs oder von Veränderungen von Zirkulationsmustern) als auch auf kleinräumige Effekte (z. B. durch natürliche morphologische Prozesse oder durch Umsetzung wasserbaulicher Maßnahmen) zurückzuführen sein (Jensen et al. 2021; Haigh et al. 2020). Für die Nordsee existiert eine Reihe von Arbeiten, die sich mit Änderungen im Gezeitenregime und der Tidedynamik beschäftigen. Mudersbach et al. (2013) analysierten langfristige Änderungen in Extremwasserständen in Cuxhaven und fanden, dass ein Teil des Anstiegs auf Änderungen im Tidenhub zurückzuführen ist. Ähnliche Ergebnisse werden von Jensen und Mudersbach (2004) und von Ebener et al. (2021) für eine Reihe von Pegeln in der Deutschen Bucht sowie von Hollebrandse (2005) für die niederländische Küste beschrieben. Mit Hilfe der Analyse eines globalen Datensatzes kommt Woodworth (2010) zu ähnlichen Ergebnissen für die Nordsee. Anhand seiner Analyse ist ferner erkennbar, dass die größten Änderungen hauptsächlich im Bereich der Deutschen Bucht zu finden sind.
Obwohl solche Änderungen in den Beobachtungsdaten sichtbar sind, sind die Ursachen dafür bisher nur unzureichend bekannt und erforscht. Eine Reihe von Autoren diskutiert Änderungen im mittleren Meeresspiegel als potenzielle Ursache (z. B. Mudersbach et al. 2013). Es wurde deshalb versucht, die Änderungen in der Tidedynamik infolge eines Meeresspiegelanstiegs mit hydrodynamischen Modellen zu untersuchen (z. B. Kauker 1999; Plüß 2006; Pickering et al. 2011; Yi und Weisse 2021). Die von den Modellen simulierten Änderungen sind jedoch generell zu klein, um die beobachteten Änderungen in der Tidedynamik durch den beobachteten Meeresspiegelanstieg vollständig zu erklären. Als weitere mögliche Ursachen werden deshalb u. a. der Einfluss wasserbaulicher Maßnahmen (z. B. Hollebrandse 2005; Jensen et al. 2021; Yi und Weisse 2021), morphologische Änderungen (Hubert et al. 2021; Yi und Weisse 2021) sowie Änderungen im atlantischen Gezeitenregime (z. B. Woodworth et al. 1991; Yi und Weisse 2021) diskutiert. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand wird davon ausgegangen, dass jährliche und dekadische Schwankungen im Windklima und der großräumigen atmosphärischen Zirkulation einen wesentlichen Teil der beobachteten jährlichen und dekadischen Variabilität insbesondere im mittleren Hochwasser erklären können (Yi und Weisse 2021). Langfristige Veränderungen im Tidenhub können durch ein Zusammenspiel von steigendem Meeresspiegel, von morphologischen Änderungen und Veränderungen von Küstenlinien durch Baumaßnahmen verursacht werden, wobei insbesondere die beiden letzten Faktoren in der Lage zu sein scheinen, den Tidenhub wesentlich zu beeinflussen (Hubert et al. 2021; Yi und Weisse 2021).
Langfristige periodische Änderungen im mittleren Tidenhub können weiterhin durch den sogenannten Nodaltidezyklus (astronomische Tide; z. B. Pugh und Woodworth 2014) mit einer Periode von etwa 18,6 Jahren verursacht werden. In der Deutschen Bucht haben solche Änderungen eine Größenordnung von etwa 1 bis 2 % des mittleren Tidenhubs (Hollebrandse 2005).
2.3 Veränderungen und Variabilität in der Ostsee
Die Ostseesturmflut vom 12./13. November 1872 gilt als eine der bisher schwersten Naturkatastrophen an der westlichen Ostseeküste. Mindestens 270 Menschen starben, mehrere Tausend Bewohner wurden obdachlos. Nachfolgend werden wissenschaftliche Erkenntnisse zur bisherigen und zukünftigen Entwicklung von Häufigkeit, Höhe und Verweilzeit von Sturmfluten an der deutschen Ostseeküste dokumentiert.
Sturmfluthäufigkeit
In der südwestlichen Ostsee ist das bisherige Sturmflutklima anhand von Wasserstandsmessungen und mit Modellen untersucht worden (z. B. Baerens 1998; Hupfer et al. 2003; Meinke 1998, Weidemann 2014). Basierend auf der Idee von de Ronde bereinigte Meinke (1998) die Wasserstandszeitreihe von Warnemünde um ihre jährlichen Mittelwerte und verwendete die Residuen als proxy für den meteorologisch bedingten Anteil von Sturmfluten. Bezogen auf den Untersuchungszeitraum 1883 bis 1997 lässt sich eine Zunahme der Sturmfluthäufigkeit erkennen. Die Häufigkeitszunahme der Sturmfluten dieses Untersuchungszeitraums ist jedoch statistisch nicht signifikant.
Einen alternativen Ansatz, Änderungen im Sturmflutklima der Ostsee zu analysieren, verfolgte Weidemann (2014) unter Verwendung numerischer Modelle. Da die Modellläufe ausschließlich mit beobachteten Wind- und Luftdruckfeldern angetrieben werden, bleiben andere Einflüsse unberücksichtigt, z. B. der Meeresspiegelanstieg oder Veränderungen durch wasserbauliche Maßnahmen. Somit ist davon auszugehen, dass langfristige Änderungen der Wasserstände in den Modellläufen meteorologischen Ursachen zuzuordnen sind. Nach diesem Ansatz rekonstruierte Weidemann (2014) die Wasserstände der Ostsee von 1948 bis 2011. Die Auswertungen der Modellläufe zeigen eine leichte Zunahme der Sturmfluthäufigkeit in der südwestlichen Ostsee, beispielhaft in Flensburg, Wismar und Greifswald. Während die Häufigkeit der Ereignisse in den 1950er- und 1960er-Jahren unter dem langjährigen Durchschnitt liegt, weist insbesondere der Zeitraum von 1980 bis 1995 auf erhöhte Sturmfluthäufigkeit hin. Ab etwa 1996 ist im langjährigen Mittel wiederum eine Abnahme der Sturmfluthäufigkeit zu beobachten. Weidemann (2014) untersuchte weiterhin die Beiträge von Eigenschwingungen und Füllungsgrad der Ostsee (Vorfüllung) zu den Sturmflutwasserständen. Er zeigte, dass beide Faktoren einen wesentlichen Einfluss auf die Sturmflutwasserstände haben können. Sturmfluten mit und ohne Beiträge von Vorfüllung traten demnach in den letzten Dekaden zu ungefähr gleichen Anteilen auf. Bei etwa einem Drittel der Fälle wurden Beiträge von Eigenschwingungen von mehr als 10 cm zum Höchstwasserstand nachgewiesen. Zeitreihenanalysen zeigen außerdem, dass die erhöhten Sturmfluthäufigkeiten in der südwestlichen Ostsee mit einer erhöhten Häufigkeit von Eigenschwingungen in der Ostsee zusammenfallen (Weidemann 2014). Diese Ergebnisse sind konsistent mit den Ergebnissen von Meinke (1998), bei denen gezeigt wird, dass die gestiegene Gesamtzahl der Sturmfluten in Warnemünde innerhalb des Zeitraums von 1953 bis 1997 mit einer Zunahme leichter Sturmfluten zusammenfällt, bei deren Entstehung Beiträge von Eigenschwingungen ermittelt wurden. Zudem fällt die Häufigkeitszunahme der Sturmfluten insgesamt mit einer Häufigkeitszunahme von Sturmfluten mit erhöhter Vorfüllung zusammen.
Vor dem Hintergrund des Klimawandels und des damit einhergehenden Meeresspiegelanstiegs erscheint auch ein fortlaufendes Monitoring der Sturmflutaktivität an den deutschen Küsten als notwendig, um rechtzeitig notwendige Anpassungsmaßnahmen in die Wege zu leiten. Bezüglich der Sturmfluthäufigkeit zeigt der Sturmflutmonitor (Liu et al. 2022) seit den 1950er-Jahren bis heute (2021) zwar leichte Häufigkeitszunahmen der Sturmfluten in Travemünde und Warnemünde (Abb. 9.5), statistisch sind die Trends an den untersuchten Ostseepegeln jedoch nicht signifikant.
Höhe der Sturmfluten
Bei Untersuchungen von Langzeitänderungen der Sturmfluttätigkeit ist neben der Häufigkeit solcher Ereignisse auch von Interesse, ob Sturmfluten heute höher auflaufen als in der Vergangenheit. Die Ergebnisse solcher Auswertungen sind abhängig vom zugrundeliegenden Zeitfenster und variieren räumlich. Richter et al. (2012) haben Zeitreihen der Wasserstandspegel in der südwestlichen Ostsee analysiert und um historische Dokumente und Flutmarken ergänzt. Innerhalb der letzten 200 Jahre konnten keine klimabedingten Änderungen der Wasserstandsmaxima nachgewiesen werden (Hünicke et al. 2015). Diese Ergebnisse sind konsistent mit den Ergebnissen einer Auswertung der jährlichen maximalen Wasserstände am Pegel Warnemünde innerhalb des Zeitraums von 1905 bis 1995 (Meinke 1998). Nach Bereinigung um die jährlichen Mittelwasserstände zeigen die Wasserstandsextreme starke jährliche und dekadische Schwankungen (Meinke 1998). Weidemann (2014) fand zwar innerhalb des Zeitraums von 1948 bis 2011 positive lineare Anstiege der maximalen Sturmflutwasserstände an der deutschen Ostseeküste (Flensburg, Wismar und Greifswald) und auch Mudersbach und Jensen (2008), deren Pegelaufzeichnungen größtenteils ab 1920 vorlagen, kamen zu ähnlichen Ergebnissen, insgesamt sind hinsichtlich der Sturmfluthöhen jedoch bisher keine Untersuchungen bekannt, die statistisch signifikante Änderungen belegen. Zusammenfassend scheint der Trend bei den maximalen Sturmfluthöhen vom jeweils betrachteten Zeitfenster abhängig zu sein. Dies bestätigt auch das fortlaufende Monitoring der maximalen jährlichen Sturmfluthöhen an der deutschen Ostseeküste, welches verdeutlicht, dass die jährlichen maximalen Sturmfluthöhen seit den 1950er-Jahren bis zur aktuellen Saison (2021) weiterhin starken Schwankungen unterliegen. Die schweren Sturmfluten im Januar 2017 und 2019 zählen zwar an manchen Ostseepegeln zu den höchsten Ereignissen in den letzten Jahrzehnten, dennoch sind sie kein Indikator für einen bereits erfolgten statistisch signifikanten Anstieg maximaler Sturmfluthöhen oder einer bereits eingetretenen systematischen Zunahme schwerer Sturmfluten.
Andauer von Sturmfluten
Bezüglich der Auswirkungen von Sturmfluten sind auch die Verweilzeiten relevant. Die erhöhten Wasserstände stellen sich wegen der schwachen Gezeitenwirkung während der gesamten Sturmdauer ein und können somit über mehrere Tage unvermindert anhalten. Hierdurch ergeben sich auch bei mittleren Hochwasserständen hohe Energieeinträge auf die Küste und auf Küsten- und Hochwasserschutzbauwerke. Gefährdet sind insbesondere Hochwasserschutzdünen, die bereits bei Wasserständen, die den Dünenfuß erreichen, abgetragen werden (Koppe 2013). Insbesondere im Höhenbereich von 552 bis 626 cm über Pegelnull (etwa 50–125 cm über Normalhöhen Null) fand Meinke (1998) am Pegel Warnemünde Zunahmen der absoluten jährlichen Verweilzeiten und Wellenenergien innerhalb des Beobachtungszeitraums von 1953 bis 1997. Diese sind jedoch nicht auf eine zunehmende Dauer einzelner Sturmfluten zurückzuführen, sondern vor allem auf die zunehmende Häufigkeit von leichten Sturmfluten bzw. erhöhten Wasserständen. Weidemann (2014) untersuchte die Änderung der maximalen jährlichen Verweilzeit von Wasserständen oberhalb eines definierten Schwellenwertes und beschrieb eine leicht zunehmende, nicht signifikante Tendenz der maximalen Verweilzeiten innerhalb des Zeitraums von 1948 bis 2010 für Flensburg, Greifswald und Wismar. Unter Berücksichtigung der letzten Dekaden bis zur aktuellen Sturmflutsaison (2020/2021), können jedoch in jüngster Zeit weder Zunahmen in den absoluten jährlichen Verweilzeiten von Sturmfluten noch Zunahmen in der maximalen Sturmflutintensität festgestellt werden (www.sturmflutmonitor.de; Liu et al. 2022).
Projektionen für die Zukunft
Szenarien für mögliche zukünftige Entwicklungen von Ostseesturmfluten wurden bislang von Meier et al. (2004, 2006) sowie von Gräwe und Burchard (2011) durchgeführt. Beide Studien weisen drauf hin, dass Ostseesturmfluten bis zum Ende des 21. Jahrhunderts höher auflaufen können. Gräwe und Burchard (2011) testen die Sensitivität der Sturmfluthöhen in Bezug auf einen vorgegebenen Meeresspiegelanstieg von 50 cm und eine Windgeschwindigkeitserhöhung von 4 %. Bei diesen Vorgaben kommen sie zu der Erkenntnis, dass der Einfluss des Meeresspiegelanstiegs auf den Anstieg der Sturmflutwasserstände größer ist als der Einfluss des Windstaus. Hundertjährige Wasserstände an den Pegeln Lübeck, Koserow und Geedser würden sich demnach von 2,10 auf 2,70 m erhöhen. Da ein Meeresspiegelanstieg von 50 cm vorgegeben war, entfallen lediglich 10 cm der Wasserstandserhöhung auf den Windstau. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Meier et al. (2004, 2006), wobei die Ergebnisse darauf hindeuten, dass Sturmfluthöhen auch in der Ostsee stärker ansteigen können als der mittlere Meeresspiegel, beispielsweise wenn sich künftig die Eisbedeckung in der Ostsee verringert und so die Stauwirksamkeit des Windes erhöht. Zusätzliche Auswertungen des Windklimas in unterschiedlichen Klimaszenarien zeigen uneinheitliche Entwicklungen der Windgeschwindigkeiten bis zum Ende des 21. Jahrhunderts (Weisse et al. 2021).
Für die deutsche Ostseeküste ist davon auszugehen, dass hohe Sturmfluten künftig mindestens um den Betrag des künftigen mittleren Meeresspiegelanstiegs höher auflaufen. Zudem würden Sturmfluten häufiger auftreten, da weniger Wind notwendig ist, um Wasserstände auf heutiges Sturmflutniveau anzuheben. Beispielsweise tritt eine hohe Sturmflut wie am 02.01.2019 in Warnemünde im gegenwärtigen Klima statistisch etwa alle 48 Jahre auf. Unter Annahme eines weiterhin ungebremsten Treibhausgasausstoßes (wie im RCP8.5-Szenario) ist dann in Warnemünde zum Ende des Jahrhunderts ein- bis zweimal pro Jahr mit solch schweren Sturmfluten zu rechnen (Meeresspiegelmonitor 2022). Selbst wenn es gelingt, die Treibhausgasemissionen erheblich zu reduzieren (wie im RCP2.6-Szenario), können solche Sturmfluten deutlich häufiger, statistisch etwa alle vier Jahre, auftreten. Bei weiterhin starken Treibhausgasemissionen könnte zudem ein 200-jähriges Ereignis, das eine wichtige Referenz für Küstenschutzmaßnahmen darstellt, an der deutschen Ostseeküste etwa alle zwei bis drei Jahre geschehen.
3 Kurz gesagt
Der mittlere Meeresspiegel ist an den deutschen Küsten mit 10 bis 20 cm in den letzten 100 Jahren etwa im selben Maße angestiegen wie der globale mittlere Meeresspiegel. Die sich in den letzten Dekaden abzeichnende Beschleunigung des globalen mittleren Meeresspiegelanstiegs lässt sich an den Pegeln der deutschen Küsten bisher nicht erkennen. Künftig ist damit zu rechnen, dass der Meeresspiegel immer schneller ansteigt, sodass, je nach Ausmaß künftiger Treibhausgasemissionen, der globale mittlere Meeresspiegelanstieg bis Ende des Jahrhunderts zwischen 30 und 110 cm liegen kann. Auch an den deutschen Küsten kann der Meeresspiegeln bis Ende des Jahrhunderts in diesem Ausmaß ansteigen. Vor allem durch den Meeresspiegelanstieg laufen Sturmfluten heute bereits höher und häufiger auf als noch vor einigen Jahrzehnten. Diese Entwicklung kann sich an Nord- und Ostseeküste künftig weiter verstärken.
Notes
- 1.
Hereon-Sturmmonitor https://sturm-monitor.de
- 2.
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Weisse, R., Meinke, I. (2023). Mittlerer Meeresspiegelanstieg und Sturmfluten. In: Brasseur, G.P., Jacob, D., Schuck-Zöller, S. (eds) Klimawandel in Deutschland. Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66696-8_9
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