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Zur straftheoretischen Rechtfertigung der späten Bestrafung hochbetagter NS-Verbrecher

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Spätverfolgung von NS-Unrecht
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Zusammenfassung

Über 70 Jahre nach Sturz des NS-Regimes werden hochbetagte NS-Verbrecher von deutschen Gerichten für ihre Beteiligung an Morden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Kann ihre Bestrafung heute noch gute Zwecke verwirklichen? Der Beitrag macht plausibel, dass sie das kann. Anhand straftheoretischer Vorüberlegungen wird aber auch klargestellt, dass mit diesem Fazit nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer umfassenden Rechtfertigung der späten Bestrafungen getan ist.

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Notes

  1. 1.

    Das mag den Vorwurf provozieren, hier werde ein aus straftheoretischer Sicht entscheidendes Merkmal vernachlässigt, gehe mit der Anwendung des Jugendstrafrechts doch eine besondere Bedeutung des Erziehungsgedankens einher (vgl. § 2 Abs. 1 JGG). Ob der Erziehungsgedanke zur hier interessierenden Rechtfertigung konkreter Strafhandlungen als solcher (dazu unten 13.2.2.2). beitragen kann, ist allerdings selbst für paradigmatische Fälle von Jugendkriminalität zweifelhaft. Erziehung und Strafe stehen (auch) im Jugendstrafrecht grundsätzlich in einem „Spannungsverhältnis“ (Beulke & Swoboda 2020, § 1 Rn. 5). Vor allem sind die Spätverfolgungsfälle aber alles andere als paradigmatische Fälle der Bestrafung von Jugendkriminalität. Dass der Erziehungsgedanke bei der Bestrafung von Tätern, die über 80 oder sogar 90 Jahre alt sind, überhaupt noch eine Rolle spielen kann, die über allgemeine auch im Erwachsenenstrafrecht anzustellende spezialpräventive Erwägungen hinausgeht, ist höchst zweifelhaft.

  2. 2.

    Gräff 2019.

  3. 3.

    Sie betreffen allerdings alle die Frage nach der Rechtfertigung von Strafe in einem weiten Sinn. Schon deshalb ist klar, dass sie zwar zu Systematisierungszwecken unterschieden werden können, zwischen ihnen aber dennoch Abhängigkeiten bestehen. Exemplarisch sei nur auf die Abhängigkeiten zwischen (1) und (3) verwiesen, die unter 13.2.2.3. erkennbar werden. Vgl. zur Straftheorie als Rahmentheorie auch Hörnle 2019, Rn. 23.

  4. 4.

    Exemplarisch anlässlich des Verfahrens gegen Bruno Dey etwa Matthiesen 2020: „Doch über was hat das Gericht da eigentlich geurteilt? Hört man sich die Gründe für den Beschluss an, dann bleiben große Zweifel an seiner Sinnhaftigkeit. […] 75 Jahre nach Ende des Krieges und der Massenvernichtung ist juristisch nichts mehr gutzumachen.“ Ein weiteres Beispiel ist Posener 2019, der für die erkennbar eigene Kritik seine verstorbene Tante in Anspruch nimmt: „Es gibt eine Schuld, die jenseits der Justiziabilität liegt. […] Man wird das Gefühl nicht los, der Prozess gegen Bruno D. solle Justiz und Öffentlichkeit entlasten, deren Versäumnisse […] aber nicht wiedergutzumachen sind. So, denke ich, würde meine Tante urteilen.“

  5. 5.

    Damit werden die für die Begründung der Rechtfertigungslast entscheidenden Merkmale benannt, die nach verbreiteter Auffassung jedenfalls notwendige Elemente einer Definition von Kriminalstrafe sind. Vgl. etwa Hörnle 2019, Rn. 21; Walter 2014, S. 834 f.; in Anschluss an Hart auch Zürcher 2014, S. 30; aus der englischsprachigen Literatur etwa Hart 2008, S. 4 f.; Duff 2003, S. xiv f. Welche weiteren Elemente für eine gute Definition von Kriminalstrafe notwendig sind, kann hier offenbleiben.

  6. 6.

    Von „prima facie moral wrongs“ spricht Lacey 1988, S. 13: „The most obvious reason for a need to justify punishment is that it involves, on almost any view of morality, prima facie moral wrongs […]“

  7. 7.

    Zu Recht betont bei Hörnle 2019, Rn. 7.

  8. 8.

    Hörnle 2019, Rn. 7. Siehe auch dies. 2011, S. 4 f.

  9. 9.

    Vgl. auch die Differenzierung bei Hörnle 2019, Rn. 1 und die einflussreiche Warnung von Hart 2008, S. 2 ff.: „In the case of punishment the beginning of wisdom (though by no means its end) is to distinguish similar questions and confront them separately.“

  10. 10.

    Kriminalstrafen wie auch Strafverfahren sind nicht alternativlos. Das lehrt für den Umgang mit Systemverbrechen insbesondere die Transitional-Justice-Forschung. Da in Betracht kommende Alternativen für die Betroffenen regelmäßig deutlich weniger belastend sind, steht die Entscheidung, dennoch zum Mittel der Kriminalstrafe zu greifen, unter besonderem Rechtfertigungsdruck.

  11. 11.

    In diese Richtung geht etwa das Plädoyer von Nebenklagevertreter Markus Goldbach im Verfahren gegen Oskar Gröning. Goldbach schreibt dem Schuldspruch eine „rein symbolische Bedeutung“ zu und wirft die Frage auf, was der Sinn des Verfahrens gewesen sei, „[w]enn es nun nicht um eine Bestrafung des Angeklagten“ ging (wiedergegeben bei Huth 2015, S. 216). Den Sinn macht er unter anderem in der „Aufarbeitung“ der Verbrechen von Auschwitz aus, wobei er explizit wünscht, Gröning möge sich „weiter im Sinne der Wahrheit engagieren“ (ebd.). Siehe auch die Bewertung der Verfahren gegen Gröning, Demjanjuk und Hannig durch Probst 2020: „[…] für die Überlebenden und ihre Angehörigen ging es ohnehin nicht um hohe Strafen oder gar Rache, sondern um die historische Wahrheit und die Feststellung der Schuld.“ In diese Richtung auch Prantl 2022: „Es geht darum, Wahrheit festzuhalten in all ihren Unmenschlichkeiten.“ Vgl. zur Feststellung von (historischer) Wahrheit in Transitionsprozessen allgemein Vormbaum & Werle 2018, S. 35 f. und zur „Aufklärungs- und Anerkennungsfunktion“ von Strafprozessen Vormbaum & Werle 2018, S. 47.

  12. 12.

    Das gebietet schon die Unschuldsvermutung.

  13. 13.

    Vgl. Kaspar 2014, S. 131.

  14. 14.

    Deshalb sind Äußerungen, wie die von Goldbach, wonach es im Gröning-Verfahren nicht um die Bestrafung des Angeklagten gegangen sei (oben Fn. 11), so problematisch. Solche Äußerungen sähen Zweifel sowohl an der Legitimität des Verfahrens als auch – wenn es dann doch zu einer Bestrafung kommen sollte – an der Legitimität der Strafhandlung als solcher. Das ist vom Anwalt wohl kaum beabsichtigt. Man muss derartige Äußerungen deshalb als das verstehen, was sie sind: Schlechte Rhetorik, die nicht in das Strafverfahren gehört.

  15. 15.

    Der Verweis auf die Gründe, die für die Realisierung der konkreten Strafhandlung als solcher sprechen, trägt derart auch zur Rechtfertigung der Durchführung des Strafverfahrens bei. In der Rechtsdogmatik spiegelt sich dieser Gedanke in der überzeugenden h. M. wider, nach welcher die Frage, ob der Beschuldigte einer Straftat (hinreichend/dringend) verdächtig erscheint, im Sinne einer zu prognostizierenden Verurteilungswahrscheinlichkeit zu interpretieren ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte eine Straftat begangen hat, wird also insbesondere für die Rechtfertigung der Eröffnung des Hauptverfahrens (vgl. § 203 StPO) nicht für ausreichend gehalten. Hinzukommen muss vielmehr die Wahrscheinlichkeit einer (man könnte ergänzen: rechtmäßigen und damit auch verfassungsrechtlich gerechtfertigten) Verurteilung. Siehe dazu nur Stuckenberg 2018, § 203 Rn. 6 ff.; Graalmann-Scheerer 2018, § 170 Rn. 24; Lind 2019, § 112 Rn. 19.

  16. 16.

    Äußerungen wie die von Prittwitz 2010, S. 654 zum Demjanjuk-Verfahren „Das heißt auch, daß alle Fragen nach dem Sinn und Zweck der Strafe in diesem Fall nicht darüber entscheiden können, ob das Strafverfahren betrieben wird oder nicht“ zeichnen deshalb ein verkürztes Bild der (verfassungs-)rechtlichen Bedeutung strafzwecktheoretischer Überlegungen.

  17. 17.

    Es ist naheliegend, dass andere Zwecke regelmäßig mit Mitteln erreicht werden können, die im Vergleich zu den Mitteln des Strafverfahrens zur Zweckerreichung deutlich besser geeignet, günstiger und für die Betroffenen weniger belastend sind.

  18. 18.

    Auch das kann man kritisch sehen. Wenn die Rede von der Feststellung historischer Wahrheit gerade einen Unterschied zur Feststellung juristischer – so konzipiert den Gegensatz explizit Fahl 2019, S. 94 – bzw. forensischer Wahrheit markieren soll, drängt sich der Verdacht auf, Strafverfahren seien zur Feststellung ersterer allenfalls sehr begrenzt geeignet. Kritisch mit Blick auf eine entsprechende Eignung der späten NS-Verfahren äußert sich etwa Weber 2012, was für ihn ein Grund ist, die Durchführung der Verfahren insgesamt kritisch zu bewerten. Vgl. auch ders. bei Cleven 2018. Webers Äußerungen bieten sich als Beispiel an, da sie in Richtung eines Wahrheitsverständnisses tendieren, bei dem die Zuschreibung von Verantwortlichkeit und Schuld eindeutig in den Hintergrund treten. Es geht ihm darum, „noch an das Wissen dieser alten Menschen heranzukommen“ (ders. 2012), NS-Verbrechen zu „verstehen“ (ders. bei Cleven 2018). Versteht man dagegen „Wahrheit im Sinne der […] Anerkennung [Hervorhebung durch T.K.] der Begehung systematischer Verbrechen“ (Vormbaum & Werle 2018, S. 35 f.), geht es also um die Anerkennung von Unrecht, verschwimmen die Grenzen zu den expressiven Zwecken (zu letzteren unter 13.3.4). Dann muss man fragen, inwiefern dieser Zweck (allein) durch das Strafverfahren verwirklicht werden kann bzw. inwiefern es für die Anerkennung auf die Bestrafung als solche ankommt. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch der berechtigte Hinweis von Gutmann 2019, S. 11 f., dass es in Strafverfahren ohnehin eher um Fairness als um Wahrheit geht.

  19. 19.

    Das gilt in dieser Pauschalität freilich nur, soweit man den Gedanken der Feststellung historischer Wahrheit nicht in einem Sinne versteht, der ihn stark an die expressiven Zwecke annähert. Zum Verständnis kann die saubere Unterscheidung verschiedener performativer Modi (bspw. Anerkennen versus Feststellen) vermutlich mehr beitragen als die Unterscheidung verschiedener Wahrheitsbegriffe. Vgl. dazu erneut Fn. 18.

  20. 20.

    Eine entsprechende Explikation erscheint mir an dieser Stelle hilfreich, um größere Klarheit über die praktische Bedeutung der strafzwecktheoretischen Überlegungen zu gewinnen. Ich will aber keinesfalls behaupten, es sei immer hilfreich, die Abgrenzung von Recht und Moral entsprechend über verschiedene disziplinäre Perspektiven zu explizieren.

  21. 21.

    Vgl. dazu Gutmann 2021, S. 95 f.

  22. 22.

    Sofern es um Beteiligungen an Morden geht, ist auch § 78 Abs. 4 StGB relevant. Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen von Wolfgang Mitsch in diesem Band.

  23. 23.

    Und das kann sie selbst dann, wenn man die Vertrauensschutzproblematik, die mit der rückwirkenden Änderung der Vorschrift einhergeht, für den Moment außer Betracht lässt. Vgl. zu dieser Rückwirkungsproblematik Martin Asholts Beitrag in diesem Band und Wolfgang Mitschs Beitrag in diesem Band sowie Böckenförde 1979, S. 888 ff.

  24. 24.

    Vor diesem Hintergrund erscheint der Hinweis von Mitsch 2017, S. 435, die Frage nach den Gründen für die Verjährungsaufhebung lasse sich von der Frage nach den Strafzwecken nicht trennen, berechtigt. Die Möglichkeit der Verfassungswidrigkeit von § 78 Abs. 2 StGB ist ein dogmatisches Einfallstor für straftheoretische Überlegungen zu den Strafzwecken.

  25. 25.

    Böckenförde 1979, S. 899 und dort – zur zeitlichen Einordnung – die erste Fußnote.

  26. 26.

    Vgl. Böckenförde 1979, S. 898 f.

  27. 27.

    Ebd. S. 899 weist Böckenförde zu Recht darauf hin, dass allein der Verweis auf den mit dem Erlass verfolgten Zweck der „Erreichung der dauernden Verfolgbarkeit von […] Mordtaten“ für die Begründung der Verhältnismäßigkeit nicht hinreicht, es vielmehr auf die Verwirklichung der diesem Zweck „vorausliegenden“ Strafzwecke ankommt.

  28. 28.

    Vgl. nur Jarass 2022, Art. 20 Rn. 122 f.

  29. 29.

    Und gerade im Kontext der Bestrafung von NS-Unrecht sollte man eine besondere Sensibilität für diesen Gedanken erwarten dürfen.

  30. 30.

    Vgl. das Zugeständnis an „die“ Vergeltungstheorie bei Greco & Roxin 2020, § 3 Rn. 7: „Der Vorzug der Vergeltungstheorie liegt […] darin, dass sie für die Höhe der Strafe ein Maßprinzip liefert.“

  31. 31.

    Hörnle 2017, S. 20.

  32. 32.

    Pawlik 2004, S. 12 bezeichnet den „Zweck, der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen“ als „die klassische Begründung für die Vergeltungstheorie“. Vgl. auch die Beschreibung des Vergeltungsgedankens bei Greco & Roxin 2020, § 3 Rn. 2: „Strafe ist [nach der Vergeltungstheorie, T.K.] legitimiert, weil sie einem Gebot der Gerechtigkeit [Hervorhebung i. O.] entspricht.“

  33. 33.

    Walter 2016, passim.

  34. 34.

    Vgl. Walter 2016, S. 7. Kors Erklärung ist bei Huth 2015, S. 18 f. wiedergegeben.

  35. 35.

    Abgedruckt bei von Salzen 2015: „Wir können Herrn Gröning nicht die Mitwirkung am Mord unserer Angehörigen und weiterer 299.000 Menschen verzeihen – zumal er sich bisher frei von jeder strafrechtlichen Schuld fühlt. Wir wollen Gerechtigkeit und wir begrüßen die Aufklärung, die dieses Strafverfahren leistet.“

  36. 36.

    Walter 2016, S. 7.

  37. 37.

    Vgl. auch die ähnliche Differenzierung zwischen schädlichen Rachebedürfnissen und nachvollziehbaren Bestätigungsbedürfnissen bei Weigend 2010, S. 43.

  38. 38.

    Vgl. etwa die Aussagen von Hedy Bohm im Verfahren gegen Gröning: „Ich habe kein Gefühl von Rache dem Angeklagten gegenüber […]“ (bei Huth 2015, S. 41); „Die Strafe spielt keine Rolle. Ich habe keine Rachegefühle“ (bei Huth, 2015, S. 170). Siehe auch die Aussage von Eva Pusztai-Fahidi: „Es geht mir nicht um eine Strafe, es geht um ein Urteil und eine Stellungnahme der Gesellschaft“ (bei Huth 2015, S. 34). Man kann die Frage aufwerfen, auf welche Konsequenzen entsprechende Äußerungen möglicherweise verpflichten. Möglicherweise ist eine ernsthafte Bestätigung, die man sich von einem Urteil erhofft, eine nachdrückliche „Stellungnahme der Gesellschaft“ nicht ohne Zufügung eines empfindlichen Übels, nicht „mit Blumen“ zu haben. Dazu sehr aufschlussreich Zürcher 2014, S. 146 ff., von dem ich die Blumenmetapher übernommen habe. Siehe dazu auch Fn. 63.

  39. 39.

    Vgl. die Fundamentalkritik am Vergeltungsgedanken bei Kaspar 2014, S. 134 ff. Ich will hier freilich nicht ausschließen, dass sich der Vergeltungsgedanke auf eine Weise explizieren lässt, die zu einer rational nachvollziehbaren Rechtfertigung beitragen kann.

  40. 40.

    Roxin 2017, S. 91; zustimmend Heinrich 2017, S. 1379.

  41. 41.

    Vgl. dazu Hörnle 2019, Rn. 9 ff. Zur Positiv-Negativ-Unterscheidung bei der Spezialprävention Frister 2023, § 2 Rn. 26.

  42. 42.

    Rössner 2001, S. 978.

  43. 43.

    Ebd. S. 978; Hörnle 2019, Rn. 10.

  44. 44.

    Vgl. nur Neubacher 2023, Kap. 6 Rn. 1 ff.

  45. 45.

    Die hier wiedergegebenen Informationen stammen aus dem Beitrag von Bongen et al. 2018.

  46. 46.

    Im Video ab Minute 4:05.

  47. 47.

    Im Video ab Minute 8:16.

  48. 48.

    Ajamieh 2019.

  49. 49.

    Ajamieh 2019.

  50. 50.

    Vgl. zur Bedeutung spezialpräventiver Überlegungen aus völkerstrafrechtlicher Perspektive – dort freilich nicht zugeschnitten auf hochbetagte Beschuldigte – auch Burghardt & Epik 2019.

  51. 51.

    Vgl. dazu Hörnle 2019, Rn. 14 f., 16 f., 33.

  52. 52.

    Vgl. Hörnle 2019, Rn. 10 f., 15, 17, 33.

  53. 53.

    Ebd. Rn. 15 m.w.N.

  54. 54.

    Auch hier sollte man die Plausibilitätsüberlegungen nicht auf die Eignung zur Verhinderung gleichartiger Straftaten beschränken. Wenn die späte Bestrafung von NS-Verbrechern zur Abschreckung von Morden in ganz anderen Tat-Kontexten beitragen kann, ist das zunächst einmal ähnlich erstrebenswert.

  55. 55.

    Auch hier sind komplexe Kausalzusammenhänge denkbar. Positiv-generalpräventive Argumentationsstrategien müssen sich nicht auf die These beschränken, durch Bestrafung von Morden würde die Anerkennung des Tötungsverbots positiv beeinflusst. Wenn durch Bestrafung von Morden ein Beitrag zur Anerkennung anderer Normen – vielleicht gar zur Anerkennung unserer Strafnormen insgesamt – geleistet werden kann, ist das grundsätzlich ein guter Zweck.

  56. 56.

    Erneut: Die Abgrenzung ist nur idealtypisch. Auch expressive Ansätze kommen nicht ohne Kausalrelationen, auch präventive Ansätze nicht ohne nicht-kausale Indem-Relationen (dazu sogleich) aus. Den Orientierungswert der Abgrenzung kann man sich am Bild zweier Pole veranschaulichen, zwischen denen unterschiedliche Straftheorien als Ganze oder auch nur einzelne ihrer Theoreme mal mehr zum einen, mal mehr zum anderen Pol tendieren. Aus meiner Sicht ist eine entsprechende Abgrenzung jedenfalls hilfreicher als die überkommene Abgrenzung von „absoluten“ und „relativen“ Straftheorien. Vgl. zur Kritik an der Absolut-Relativ-Unterscheidung auch Hörnle 2019, Rn. 23.

  57. 57.

    Vgl. Hörnle 2019, Rn. 34 ff.

  58. 58.

    Vgl. allgemein zur nicht-kausalen Indem-Relation und zur konventionellen Generierung Quante 2020, S. 40 f.

  59. 59.

    Quante 2020, S. 41.

  60. 60.

    Zürcher 2014, S. 154 weist allerdings zu Recht darauf hin, dass eine Beschränkung der Perspektive auf „die einschlägigen strafrechtlichen Gesetzestexte“ der Komplexität der Konventionen, auf die es bei der spezifisch strafrechtlichen Kommunikation ankommt, nicht gerecht würde. Auch deshalb will ich hier offenlassen, ob die expressiven Zwecke in Ausnahmefällen nicht auch durch rechtswidrige Bestrafung verwirklicht werden könnten. Für die Angemessenheit der durch die Bestrafung ausgedrückten Missbilligung können etwa auch ästhetische Äußerlichkeiten von Strafverfahren eine Rolle spielen (Zürcher 2014, S. 160). Hier liegt aus straftheoretischer Sicht eine offene Grenze zu den Beiträgen von Caroline Fournet & Mark Drumbl und Stefan Arnold & Kerstin Wilhelms in diesem Band.

  61. 61.

    So auch die Einschätzung bei Roxin 2017, S. 91.

  62. 62.

    Vgl. dazu Günther 2002, S. 218 f.

  63. 63.

    Vgl. etwa die eindrucksvollen Aussagen von Judith Kalman (bei Huth 2015, S. 62) und Ilona Kalman (bei Huth 2015, S. 84) im Verfahren gegen Gröning. Weniger explizit lässt sich dieses Bedürfnis in nahezu allen Aussagen der Nebenklägerinnen und Nebenkläger im Gröning-Verfahren ausmachen. Freilich ist auch die expressive Rechtfertigungsstrategie nicht frei von Schwierigkeiten, auf die ich hier nicht ausführlich eingehen kann. Wird der Gedanke opferbezogener Kommunikation so weit verstanden, dass die Kommunikation mit den Opfern des NS-Regimes insgesamt geführt werden soll, wirft das die Frage auf, inwiefern der individuelle Täter hierzu strafrechtlich in Anspruch genommen werden darf. In täterbezogener Hinsicht drängt sich wegen des langen Zeitablaufs die Frage auf, ob die Täter die an sie gerichteten Vorwürfe heute noch verstehen können. Und auch in normbezogener Hinsicht bleiben Fragen offen. Nimmt man die deutschen Gerichte beim Wort, waren die Morde bereits nach dem im NS-Staat geltenden Recht strafbar (dazu Gerhard Werles Beitrag in diesem Band). Muss man daraus die befremdliche Konsequenz ziehen, dass durch heutige Bestrafung die Verbindlichkeit des einschlägigen NS-Rechts bestätigt wird? Die von Werle zu Recht kritisierte Verzeichnung des NS-Rechts durch deutsche Gerichte kann auch aus strafzwecktheoretischer Sicht für Irritationen sorgen. Allgemein müssen expressive Strategien sich vor allem der Frage stellen, inwiefern für die Verwirklichung der expressiven Zwecke die Zufügung eines Übels erforderlich ist. Vgl. dazu Hörnle 2019, Rn. 45 und die sehr aufschlussreichen Ausführungen von Zürcher 2014, S. 146 ff.

  64. 64.

    Moritz Vormbaum gebührt mein herzlicher Dank für zahlreiche wertvolle Anmerkungen und Anregungen zu diesem Beitrag. Während meiner Anstellung an seinem Lehrstuhl hat er mein Interesse für die Auseinandersetzung mit dem Thema geweckt und großzügig gefördert. Für Verbesserungsvorschläge zum Manuskript bin ich Nils Buchholz und Bastian Köpcke sehr dankbar.

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Köpcke, T. (2023). Zur straftheoretischen Rechtfertigung der späten Bestrafung hochbetagter NS-Verbrecher. In: Vormbaum, M. (eds) Spätverfolgung von NS-Unrecht. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66478-0_13

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