Skip to main content

Populäre Ursprünge. Benedikte Naubert und die Grenzbereiche der Romantik

  • Chapter
  • First Online:
„jetzt kommen andre Zeiten angerückt“

Part of the book series: Neue Romantikforschung ((NR,volume 1))

  • 913 Accesses

Zusammenfassung

Die Sagen, Märchen und Geschichtsromane Benedikte Nauberts stellen das aktuelle Forschungswissen auf die Probe. Obwohl ein Großteil ihrer Texte noch vor den Anfängen der Frühromantik entsteht, ähnelt ihre literarische Strategie doch so sehr den romantischen Schweben und Kippfiguren, dass sie immer wieder als ‚Vorläuferin der Romantik‘ erkannt wurde. Der Beitrag nimmt sich zwei Erzählungen Nauberts aus verschiedenen Schaffensphasen vor, Die weiße Frau (1792) und Johann Rist (1808), um an ihnen die Grenzbereiche der Romantikforschung zu diskutieren: In populären Texten v. a. von Autorinnen entwickelt sich offenbar schon früh eine experimentelle Vorromantik, die mit der Kategorie der Spätaufklärung bislang nicht angemessen beschrieben ist. Dabei lässt sich plausibilisieren, dass Ludwig Tiecks Der blonde Eckbert in direkter Auseinandersetzung mit Nauberts Neuen Volksmärchen der Deutschen entstand. Naubert tritt so als vorromantische Impulsgeberin wie auch als späte Diskurskritikerin der Romantik hervor.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

Subscribe and save

Springer+ Basic
$34.99 /Month
  • Get 10 units per month
  • Download Article/Chapter or eBook
  • 1 Unit = 1 Article or 1 Chapter
  • Cancel anytime
Subscribe now

Buy Now

Chapter
USD 29.95
Price excludes VAT (USA)
  • Available as PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
eBook
USD 59.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 74.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Similar content being viewed by others

Notes

  1. 1.

    Belastbare Bibliographien der weitestgehend anonym erschienenen Werke Nauberts liegen nicht vor. Eine Übersicht der möglichen Titel findet sich bei Victoria Scheibler: Phantasie und Wirklichkeit. Benedikte Naubert im Spiegel ihrer späten Romane und Erzählungen (1802–1820). Frankfurt a. M. 1997, S. 185–198, wobei sich einige dieser Werke zuletzt als Übersetzungen herausstellten, siehe Hilary Brown: Benedikte Naubert (1756–1819) and her relations to English culture. Leeds 2005, S. 28–31. Die beste Einführung in ihr Werk liefern Marianne Henn, Paola Meyer, Anita Runge in ihrem Nachwort zu Benedikte Naubert. In: Dies. (Hg.): Neue Volksmärchen der Deutschen. Bd. 4. Göttingen 2001, S. 337–376.

  2. 2.

    Vgl. hierzu kenntnisreich Johannes Süßmann: Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstitutionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke. Stuttgart 2000, S. 152–156, der Naubert nicht zur Erfinderin des Genres, aber zur ersten Autorin mit einem genuin modernen Geschichtsbewusstsein erklärt.

  3. 3.

    Ebd., S. 153.

  4. 4.

    Diese nur kleine Auswahl an Autorinnen und Autoren, die sich besonders deutlich auf Naubert beziehen und ihre Werke gar zu ihren Lieblingsbüchern zählen, wird weiter unten konkretisiert, vgl. Fußnote 17.

  5. 5.

    Die Geschichte um den unfreiwilligen Anonymitätsverlust Nauberts ist oft erzählt worden: Gegen Nauberts Willen deckte Fr. Karl Julius Schütz in der Zeitschrift für elegante Welt im Jahr 1817 ihren Namen und eine Werkliste auf, was Naubert als Kränkung und Vertrauensbruch bezeichnete (vgl. Henn, Meyer, Runge: Nachwort, S. 342 f.). Eine neue Untersuchung zu Ferdinand Grimm, der als unbekannter Grimm-Bruder besonders für Nauberts Literatur schwärmte, zeigte zuletzt, dass schon Wilhelm Grimm ihre Autorschaft in einer Rezension von 1813 öffentlich adressierte, wenn auch wenig aufsehenerregend in den Heidelberger Jahrbüchern. Ferdinand Grimm folgte mit einer Rezension von 1815, sodass Nauberts Autorschaft seit ca. 1809 (W. Grimms Besuch in Naumburg) als offenes Geheimnis in romantischen Kreisen kursierte. Vgl. Jule Ana Herrmann: Ein Denkmal aus Papier und Tinte. Zum literarischen Einfluss Benedikte Nauberts auf das Werk Ferdinand Grimms. Baden-Baden 2020, S. 559.

  6. 6.

    In einem Gedicht, das sie Wieland im Herbst 1805 zusendet (und mit ihrem Namen unterzeichnet), heißt es unmissverständlich: „Wenn je die kalte Würklichkeit, / Die uns so wenig Rosen streut, / Verschönt mir ward, durch Bilder goldner Zeit; / So schräncktest Du die zauberischen Bande, So führtest Du mich in die Feenlande“. Nikolaus Dorsch: „Sich rettend aus der kalten Würklichkeit“. Die Briefe Benedikte Nauberts. Edition, Kritik, Kommentar. Frankfurt a.M. 1986, S. 40 (Hervorh. im Original kursiv und unterstrichen).

  7. 7.

    Einen direkten Vergleich unternimmt Laura Martin: The Rübezahl Legend in Benedikte Naubert and Johann Karl August Musäus. In: Marvels & Tales 17/2 (2003), S. 197–211, um u. a. „a much more elaborative narrative structure“ in „Naubert’s psychological realism“ festzustellen, S. 198 f.

  8. 8.

    Ein klares Kategorisierungsangebot liefert Matthias Löwe: Epochenbegriff und Problemgeschichte. Aufklärung und Romantik als konkurrierende Antworten auf dieselben Fragen. In: Daniel Fulda, Sandra Kerschbaumer, Stefan Matuschek (Hg.): Aufklärung und Romantik. Epochenschnittstellen. Paderborn 2015, S. 45–68.

  9. 9.

    Als eine der wichtigsten Autorinnen von populären Schauerromanen beschreibt sie (auch in ihrer internationalen Bedeutung) Silke Arnold-de Simine: ‚Europe’s Miss Radcliffe‘. Benedikte Nauberts Rezeption als Schauerromanautorin im deutsch-englischen Kulturtransfer. In: Mario Grizelj (Hg.): Der Schauer(roman). Diskurszusammenhänge – Formen – Funktionen. Würzburg 2010, S. 155–176.

  10. 10.

    Stefan Matuschek, Sandra Kerschbaumer: Romantik als Modell. In: Daniel Fulda, Stefan Matuschek, Sandra Kerschbaumer (Hg.): Aufklärung und Romantik. Epochenschnittstellen. Paderborn 2015, S. 141–156, hier S. 145.

  11. 11.

    So Christine Touaillon: Der deutsche Frauenroman des 18. Jahrhunderts. Bern, Frankfurt a.M. 1979, Faks.-Dr. der Ausgabe Wien, Leipzig 1919, S. 420, die in ihr ein „Mittelglied zwischen Romantik und Aufklärung“ erkennt. Vgl. auch Jeannine Blackwell: Die verlorene Lehre der Benedikte Naubert. Die Verbindung zwischen Phantasie und Geschichtsschreibung. In: Helga Gallas, Magdalne Heuser (Hg.): Untersuchungen zum Roman von Frauen um 1800. Tübingen 1990, S. 148–159, hier S. 150.

  12. 12.

    Siehe vor allem Brown: Benedikte Naubert, die u. a. Nauberts immensen Einfluss auf M.G. Lewis herausgearbeitet hat (v. a. Feudal Tyrants, 1806); sowie Silke Arnold-de Simine: ‚Lost in Translation‘? Die englische Übersetzung von Benedikte Nauberts Hermann von Unna. In: Barry Murnane, Andrew Cusack (Hg.): Populäre Erscheinungen. Der deutsche Schauerroman um 1800. München 2011, S. 121–134.

  13. 13.

    Detlef Kremer, Claudia Lieb (Hg.): Romantik. Das große Lesebuch. Frankfurt a. M. 2010, die in ihrer Einleitung knapp den Romantik-Gehalt Nauberts begründen: „Von Anfang an behandelt das Märchen seine mittelalterlichen Sagengestalten und sich selbst als fiktives Material“, S. 25.

  14. 14.

    Sowohl die Rede vom ‚weiblichen‘ als auch vom ‚populären Erzählen‘ meint hier und im Folgenden einige (noch unterbestimmte) Rekurrenzen auf Verfahrensebene, die aus diskurshistorischen Konstellationen entspringen. Im späten 18. Jahrhundert entsteht, im engen Zusammenspiel mit dem (männlich konnotierten) Geniebegriff, ein Feld ‚unterhaltender‘ Literatur, in dem u. a. Schauerromane, Rittergeschichten sowie anonyme Texte von Frauen publiziert werden, vgl. Barry Murnane, Andrew Cusack: Der deutsche Schauerroman um 1800. In: Dies. (Hg.): Populäre Erscheinungen. Der deutsche Schauerroman um 1800. München 2011, S. 7–24. Wie engmaschig beide um 1800 diskurshistorisch vernetzt sind, zeigt besonders harsch das fragmentarische Projekt Über den Dilettantismus (1799) von Goethe und Schiller, das pejorativ vor allem auf Werke von Autorinnen blickt; vgl. Christa Bürger: Dilettantism der Weiber. In: Dies.: Leben schreiben. Die Klassik, die Romantik und der Ort der Frauen. Stuttgart 1990, S. 19–31.

  15. 15.

    Brown: Benedikte Naubert, S. 35, zählt den Text erstmals zu den Übersetzungen Nauberts und findet auch den anonymen englischen Urtext, der bei Naubert immer wieder erwähnt wird. Obwohl die Passagen um den hypochondrischen Hausherren und Quacksalber Simon Goodwin im Titel besonders hervorgehoben werden, handelt es sich vor allem um eine Dreiecks-Beziehung zwischen Elise Goodwin und ihrer verwaisten Hauslehrerin Lucinde, womit auch thematisch eine lose Nähe zu Schlegels Lucinde beobachtet werden kann.

  16. 16.

    Zit. nach und genauer Michael Neumann: Novalis und Walter von Montberry. Zu Hardenbergs Kenntnis von Trivialromanen. In: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch 30 (1989), S. 317–321, hier S. 319.

  17. 17.

    Diese Auflistung beruht auf den Spurensuchen von Brown: Benedikte Naubert, S. 17; Henn, Mayer, Runge: Nachwort, S. 346; Süßmann: Geschichtsschreibung und Roman, S. 154. Als besonders einschlägig kann die Charakterisierung durch Eichendorff gelten, der „die Frau Naubert (übrigens vielleicht die objektivste aller dichtenden Frauen)“ gegenüber „den Rohheiten eines Kramer, Spieß u.s.w.“ aufwertet (siehe ders.: Der deutsche Roman des achtzehnten Jahrhunderts in seinem Verhältnis zum Christentum (1851). In: Ders.: Werke in sechs Bänden. Bd. 6: Geschichte der Poesie. Schriften zur Literaturgeschichte. Hg. v. Hartwig Schultz, Wolfgang Frühwald. Frankfurt a.M. 1990, S. 393–629, hier S. 605); sowie die Rezensionen Arnims in der Zeitung für Einsiedler von 1808 und 1819, in der er Naubert auch gegen die entstehende Entwertung von Seiten der Grimm-Brüder verteidigt, s. u., Fußnote 23.

  18. 18.

    Vgl. oben, Fußnote 12. Naubert schmunzelt z. B. vor Ferdinand Grimm darüber, wie freimütig sich der dänische Romantiker Adam Oehlenschläger an ihren Stoffen bedient, siehe Herrmann: Denkmal, S. 59. Nicht zuletzt lobt Walter Scott im Vorwort seiner Egmont-Übersetzung „particularly the excellent romances called Herman of Unna and Alf von Duilman“, womit sein eigenes Modell historischen Erzählens explizit auf Nauberts Technik zurückgeführt wurde, zit. nach Brown: Benedikte Naubert, S. 122.

  19. 19.

    Vgl. Manfred Frank in seinem Kommentar zu Ludwig Tieck: Schriften in zwölf Bänden. Bd. 6: Phantasus. Hg. v. Manfred Frank. Frankfurt a. M. 1985, S. 1256. Carl August Nicolai verlangte zum Beispiel, so berichtet es Rudolf Köpke (1855), „eine genaue Nachweisung des Originals. Tiecks Antwort, er habe sein Eigentum gegeben, wies er mit ungläubigem Lächeln ab.“. Noch deutlicher wird Jean Paul: „Nein, nein! Sagen Sie, was sie wollen! Dergleichen erfindet man nicht! Das muß schon dagewesen sein!“, zit. nach ebd.

  20. 20.

    Achim von Arnim an Clemens Brentano, 14.1.1805. In: Briefwechsel 1805–1806. Hg. v. Heinz Härtl. Berlin, Boston 2011, S. 13. Arnim blickt an dieser Stelle auf Otmars Volks-Sagen (1800).

  21. 21.

    Benedikte Naubert: Die weiße Frau [1792]. In: Dies.: Neue Volksmärchen der Deutschen. Hg. v. Marianne Henn, Paola Meyer, Anita Runge. Bd. 3. Göttingen 2001, S. 89–130. Im Folgenden wird der Text unter der Sigle WF im Fließtext zitiert. Erste Forschungen zu dem Kunstmärchen fokussieren auf das Gespenstische und die geschlechtergeschichtliche Komponente, jüngst Sara Luly: Ghostwriters. The Apparitional Author in Benedikte Naubert’s ‚Die Weiße Frau‘ (1792) and Sophie Albrecht’s ‚Das Höfliche Gespenst‘ (1797). In: Elisabeth Krimmer, Lauren Nossett (Hg.): Writing the Self, Creating Community. German Women Authors and the Literary Sphere, 1750–1850. Rochester, New York 2020, S. 119–140.

  22. 22.

    Die Sage über die weiße Frau namens Bertha von Neuhaus, die u. a. im Schloss Neuhaus in Böhmen spuken soll, ist um 1800 weit verbreitet und wird zum Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen, vgl. Jacob u. Wilhelm Grimm: Frau Berta oder die weiße Frau. In: Deutsche Sagen. Bd. 1. Berlin 1816, S. 357–358 sowie zur genauen Quellendiskussion Henn, Mayer, Runge: Stellenkommentar. In: Benedikte Naubert: Neue Volksmärchen der Deutschen. Hg. v. dens. Bd. 4. Göttingen 2001, S. 306 f. Obwohl Nauberts genaue Vorlage nicht rekonstruierbar ist (vermutlich bedient sie sich mehrerer Quellen, auch wenn im Text auf eine populäre Chronik angespielt wird, WF, 101), ist Naubert über historische Details genau informiert: Sie weiß von einem Bild auf Schloss Neuhaus, das die weiße Frau zeigen soll; von überlieferten Briefen Berthas über ihre schreckliche Ehe, die angeblich erst später veröffentlicht wurden; und natürlich vom Fest des süßen Breis, das auf die Ahnfrau des Rosenberg-Geschlechts zurückgeführt wurde.

  23. 23.

    Achim von Arnim: Noch etwas über die verstorbene Dichterin Naubert [1819]. In: Ders.: Werke in sechs Bänden. Bd. 6: Schriften. Hg. v. Roswitha Burwick, Jürgen Knaack, Hermann F. Weiss. Frankfurt a.M. 1992, S. 663. Mit diesem Argument zeigt sich auch, dass die Grimm’sche Unterscheidung zwischen Volks- und Kunstmärchen in direkter Abgrenzung zu Naubert entsteht, die sie damit nachdrücklich für den Kanon diskreditieren.

  24. 24.

    „Aber Himmel, mein Anzug! rief Bertha, indem sie in den Spiegel sah. Dieses weiße häusliche Gewand!“ (WF, 118) Die Figur der jungen Bertha changiert insgesamt zwischen einer Wiedergängerin der Weißen Frau und der Loslösung von einschränkenden Traditionen.

  25. 25.

    Ludwig Tieck: Der blonde Eckbert. In: Ders.: Schriften in zwölf Bänden. Bd. 6: Phantasus. Hg. v. Manfred Frank. Frankfurt a.M. 1985, S. 126–146, hier S. 127.

  26. 26.

    Vgl. ergänzend Blackwell: Verlorene Lehre, S. 158 f., sowie Arnold-de Simine: ‚Lost in Translation‘?, S. 122 f. Letztere führt eine ergiebige Stelle an, in der Naubert ihre Poetologie genauer aufdeckt (wie so häufig in ihren Texten): „Die Welt nenne diese Blätter wie sie will, Roman oder wahre Geschichte; sie sind beydes“, aus Konradin von Schwaben (1788), zit. nach ebd.

  27. 27.

    Für Nauberts Textstrategie ist hier zweierlei von Interesse: Erstens erhält die Unglückliche auf ihre offene Frage eine Antwort von der späteren Bertha, die da lautet: „Mein Urteil? […] Lichtenstein war ein Bösewicht, Bertha von Rosenberg eine duldende Heilige, ihr, nicht ihm, fließen meine Tränen.“ (WF, 108) Der Text versteht es also durchaus, geltende gender-Konventionen zunächst vorzuführen und anschließend in ein moralisch zweifelhaftes Licht zu rücken (so auch das ständige: „Schade, […] daß du kein Knabe bist!“ von Baron Mathias, WF, 98). Und zweitens wird die verschachtelte Wiedergänger-Thematik am Ende nicht vollständig aufgehoben, da auch die zweite Bertha einige Generationen später Ritter Heinrich von Rosenberg heiratet, der wiederum denselben Namen trägt wie der geliebte Bruder ihrer Urahnin.

  28. 28.

    In Tiecks reicher Bibliothek finden sich neun Romane von Naubert, allerdings keine Hinweise auf die Neuen Volksmärchen der Deutschen bzw. die Weiße Frau (ich danke Theresa Mallmann aus Wien für ihre Recherche). Dass damit aber nicht alle Lektürespuren Tiecks rekonstruierbar sind, zeigt eine Anekdote aus dem Morgenblatt für gebildete Leser vom 19.5.1845 („Deutsche Schriftstellerinnen im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert“, S. 475), wo von der Lektüre eines Naubert-Romans berichtet wird, der in Tiecks Bibliothek ebenfalls nicht vorkommt: Es geht dort um Nauberts „Thekla von Thurn [1788], […] die, wie uns glaubwürdig erzählt ist, Ludwig Tieck sich noch vor zwei Jahren unter wiederholter Bezeugung seines Beifalls von seiner alten Dienerin hat vorlesen lassen.“

  29. 29.

    Für Einzelforschungen (z. B. Arnold-de Simine: ‚Lost in Translation‘?) und auch in früheren Beiträgen (z. B. Marianne Thalmann: Der Trivialroman des 18. Jahrhunderts und der romantische Roman. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Geheimbundmystik. Berlin 1923) ist diese Erkenntnis nicht neu. In der germanistischen Romantik-Forschung mit qualitativem Blick findet sie aber nach wie vor wenig Beachtung, da populäre Texte dort gerne einer (implizit abgewerteten) Spätaufklärung zugeschrieben werden.

  30. 30.

    Die zwei Werkphasen einer Leipziger Zeit (1779–1797) und einer Naumburger Zeit (1800–1818) unterscheiden sinnvollerweise Henn, Mayer, Runge: Nachwort, S. 339 f.

  31. 31.

    Vgl. Scheibler: Phantasie und Wirklichkeit, S. 53–58.

  32. 32.

    Nauberts erste Journal-Erzählung Minona unterzeichnet sie bereits mit dem Kürzel „B.“, ihre zweite (und besonders geschätzte) Erzählung Die Laren mit „B.N.“. Benedikte Naubert: Minona. In: Journal für deutsche Frauen 1, H. 4 (1805), S. 36–79, hier S. 79 sowie dies.: Die Laren. In: Journal für deutsche Frauen 1, H.7 (1805), S. 1–28, hier S. 28.

  33. 33.

    Benedikte Naubert: Johann Rist. In: Selene 2/7 (1808), S. 1–25. Im Folgenden wird dieser Text unter der Sigle JR im Fließtext zitiert.

  34. 34.

    Vgl. Scheibler: Phantasie und Wirklichkeit, S. 138–140.

  35. 35.

    Die Beschreibung stammt mit großer Wahrscheinlichkeit vom Herausgeber Friedrich Rochlitz, der die Informationen aus Friedrich von Matthisson (Hg.): Lyrische Anthologie. Bd. 1. Zürich 1803, S. 108 kopiert.

  36. 36.

    In den protestantischen Klageliedern klagt sich das Sprecher-Ich bei Rist tatsächlich sehr unmittelbar als jugendlichen Sünder an, wie in folgender, exemplarischer Strophe: „Ich/der Ich dir vertraue nicht/Versäume täglich meine Pflicht/Von meiner zahrten Jugend/Vergess Ich aller Tugend/Gleich wie der Brunn ein Wasser quillt/Das endlich Gründ’ und Seen füllt: / So quillt mein Herz die Sünde/Welch’ Ich in Mir empfinde/Als Unzucht/Lügen eigen Ehr’ / Auch Rachgier/Geitz und andre mehr/Verdammte Laster! welcher Lohn/Wird sein der Höllen Plag und Hohn/Wie du fürlengst gedreuet.“ Johann Rist: Neue Himmlische Lieder [1651]. Hg. v. Johann Anselm Steiger. Berlin 2013, S. 76. Ohne ein konkretes Gedicht ausmachen zu können, liegt es nahe, die wiederholenden und intensiven Selbstanklagen in Rists geistlicher Lyrik als dominanten Impuls der Erzählung auszuwerten.

  37. 37.

    Matuschek, Kerschbaumer: Romantik als Modell, S. 145.

  38. 38.

    Manfred Frank: Unendliche Annäherung. Die Anfänge der philosophischen Frühromantik. Frankfurt a. M. 1996; Detlef Kremer, Andreas B. Kilcher: Romantik. Lehrbuch Germanistik. Stuttgart 2015. Natürlich erfüllt die Erzählung auch passgenau die berühmte Phantastik-Definition Todorovs.

  39. 39.

    Vgl. Detlef Kremer, Christoph Kleinschmidt: Die mittlere Phase der Romantik. In: Wolfgang Bunzel (Hg.): Romantik. Epoche – Autoren – Werke. Darmstadt 2010, S. 26–41.

  40. 40.

    Vgl. Dirk von Petersdorff: Korrektur der Autonomie-Ästhetik, Appell an das ‚Leben‘. Zur Transformation frühromantischer Konzepte bei Joseph von Eichendorff. In: Karin Tebben, Friedrich Strack (Hg.): 200 Jahre Heidelberger Romantik. Berlin, Heidelberg 2008, S. 53–65.

  41. 41.

    Benedikte Naubert: Libelle. Romantische Erzählung. In: Die Harfe 6 (1817), S. 2–74, ist in diesem Kontext in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich: Erstens schreibt sie eine romantische Erzählung weiter, nämlich Charlotte von Ahlefelds Die Nymphe am Rhein (1812). Zweitens wird das feministische Ausgangsproblem von Ahlefeld, nämlich die Zerstörung des weiblichen Subjekts durch männliche Untreue, auf ein genderübergreifendes Problem ausgeweitet: auf die zerstörerische Hingabe an die Leidenschaft, der auch weibliche Figuren verfallen können. Hier können also auch Frauen zu problematischen Romantikerinnen werden, wobei erneut die Kirche zu zähmen versucht.

  42. 42.

    Aufschlussreich erscheint hierbei eine Stelle, welche die Bibel mit Fichtes Ich-Philosophie in Verbindung bringt: „Das Buch der Bücher lag vor mir aufgeschlagen. Ich vermag alles, durch den, der mich mächtig macht!, las ich“ (JR 12), womit Rist unmittelbar zu der romantischen Traumepisode überleitet. In der Bibel stecke damit schon der Grundimpuls romantischer Philosophie, sodass die Innovationskraft der Romantik geschmälert wird und das Problem, als nicht recht lösbares, immer wieder neu in die Welt tritt.

  43. 43.

    Die bislang einzige Untersuchung zu Nauberts Spätwerk von Scheibler: Phantasie und Wirklichkeit leistet zunächst Rekonstruktionsarbeit, legt aber zumindest implizit eine Nähe zur Romantik offen.

  44. 44.

    Eichendorff: Der deutsche Roman, S. 605.

  45. 45.

    Vgl. Hendrik Birus: Zum Konzept einer europäischen Romantik. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (2017), S. 93–126.

  46. 46.

    Vgl. Löwe: Epochenbegriff. Hiergegen richtet sich auch Anja Oesterhelt: Perspektive und Totaleindruck. Höhepunkt und Ende der Multiperspektivität in Christoph Martin Wielands Aristipp und Clemens Brentanos Godwi. München 2010, die gerade bei Wieland Multiperspektivität findet, die sie bei Brentano vermisst.

  47. 47.

    Vgl. von Petersdorff: Autonomie-Ästhetik.

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Raphael Stübe .

Editor information

Editors and Affiliations

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2022 Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature

About this chapter

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this chapter

Stübe, R. (2022). Populäre Ursprünge. Benedikte Naubert und die Grenzbereiche der Romantik. In: Wernli, M. (eds) „jetzt kommen andre Zeiten angerückt“. Neue Romantikforschung, vol 1. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-64941-1_2

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-662-64941-1_2

  • Published:

  • Publisher Name: J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg

  • Print ISBN: 978-3-662-64940-4

  • Online ISBN: 978-3-662-64941-1

  • eBook Packages: J.B. Metzler Humanities (German Language)

Publish with us

Policies and ethics