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Starre Bilder, bewegende Schrift. Literatur, Film und Fotografie bei Josef Winkler

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Inter- und transmediale Ästhetik bei Josef Winkler

Part of the book series: Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur ((KSDG,volume 8))

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Zusammenfassung

Josef Winklers 2014 erschienener Roman Winnetou, Abel und ich. Mit Bildern von Sascha Schneider wurde vor allem als Hommage an den Jugendbuchautor Karl May rezipiert, da er vier Variationen auf die berühmten Indianergeschichten enthält. Dabei wird übersehen, dass der Band auch eine sehr fein angelegte und komplex verstrickte inter- und transmediale Konfiguration ist. Der Winnetou-Stoff wird in diversesten Formaten herbeizitiert und mit Warnbildern der Kindheit (Heiligenbildchen, Illustrationen aus dem katholischen Religionsbüchlein) in Berührung gebracht. Die transmediale Verschränkung von Text und Altermedien wird zu einem performativen Akt des „Abschiednehmens durch Abtippen“ (Winkler) durch den die traumatische Urszene Winklers Werk (der Selbstmord zweier Jugendlicher), die sich als starres Bild in die Phantasie eingenistet hatte, in Bewegung gebracht und von glücklicheren Wunschbildern überlagert wird.

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Notes

  1. 1.

    Henri Bergson: Matière et mémoire. Paris 1896.

  2. 2.

    „Comment dès lors ne pas tenir compte du cinéma, qui se préparait à ce moment-là, et qui allait apporter sa propre évidence d’une image-mouvement?“ (Hervorh. im Orig.) Gilles Deleuze: Cinéma 1. L’image-mouvement. Paris 1983, 84. Deleuze zufolge war Maurice Merleau-Ponty der einzige, der (viel später) in Phénoménologie de la perception (1945) das neue Medium berücksichtigte, während Bergson oder auch Edmund Husserl keineswegs darauf eingegangen waren.

  3. 3.

    Zu nennen wäre hier das Lied des Kabarettisten Max Hansen (1897–1961), dem die Frankfurter Poetikvorlesungen ihren Titel Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot schulden, oder das Narayama-Lied, zu dem der japanische Autor Fukazawa Shichiro eine später weltberühmt gewordene Novelle schrieb, die Winkler in sein Werk Roppongi. Requiem auf einen Vater einarbeitete. Vgl. Fukazawa Shichiro: Narayama-bushiko. Schwierigkeiten beim Verständnis der Narayama-Lieder, Frauenfeld 1995.

  4. 4.

    Josef Winkler: Winnetou, Abel und ich. Berlin 2014 (im Folgenden als „WAI“ mit Seitenzahl im Haupttext nachgewiesen).

  5. 5.

    „Seit langem stelle ich mir vor, daß ich statt meines Kopfes eine Kamera montiert habe und alles filme, was meine Augen sehen. Sehe ich jemanden mit einer Filmkamera, so möchte ich hinlaufen, diesen Apparat zerstören und sagen, daß es nur eine Kamera gibt und die ist in meinem Kopf. […] Betrete ich mit meinem Filmkamerakopf eine neue Stadt, frage ich nicht nach den Sehenswürdigkeiten auf den Ansichtskarten, sondern sofort nach den Gefängnissen dieser Stadt, nach den Friedhöfen und nach den Totenhäusern. […] Sehe ich ein Bild, das mich erregt, so leuchtet der linke Knopf rot auf, die Kamera surrt und inhaliert die Bilder, Wort- und Bildfetzen sammle ich von der Straße und trage alles tagelang in meinem Filmkamerakopf herum“. Josef Winkler: „Muttersprache“. In: Ders.: Das wilde Kärnten: Menschenkind. Der Ackermann aus Kärnten. Muttersprache [1984], Berlin 1995, 473–850, hier 760. Vgl. auch in leichter Variation Josef Winkler: „Im Sternhagel der Bilder“. In: Ders.: Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot. Berlin 2008, 121–125, hier 121.

  6. 6.

    „[…] als John F. Kennedy ermordet wurde und man auf dem Bildschirm immer wieder in Zeitlupe den sich langsam vor und zurück beugenden und im Todeskampf sich schüttelnden Oberkörper des Präsidenten sah, den ganzen Abend lang, immer wieder, und ich in der Finsternis in einer Weltuntergangsstimmung durchs Dorf hinaus in mein bäuerliches Elternhaus ging und mich sogleich unter der Bettdecke verkroch.“ (WAI 19).

  7. 7.

    Winkler: „Im Sternhagel der Bilder“ (wie Anm. 5), 121.

  8. 8.

    Die Geschichte stammt von Plinius: Naturalis Historia (XXXV, 64). Siehe auch die berühmte Radierung von Joachim von Sandrart, Zeuxis und Parrhasius (1675), die den Wettstreit der Maler und am rechten Rand die zwei Vögel zeigt.

  9. 9.

    Das Frontispizfoto von Christina Schwichtenberg wurde zwischen Titelseite/Impressum und Motto eingefügt. Es zeigt den Autor Josef Winkler neben einem Mann mit einem großen schwarzen Federschmuck auf dem Haupt, Musikinstrumenten an der Hand, und Fußglöckchen. Es wirkt wie ein typisches Touristenfoto. Gleichzeitig scheinen beide Männer aber die Situation ernst zu nehmen, als stellten sie tatsächlich eine interkulturelle Begegnung ‚à la Karl May‘ nach. Es stören weder der Kitsch, noch die Tatsache, dass man an Winklers Stelle eher ein Kind erwarten würde. So empfinden die LeserInnen das Bild wohl weder als nur peinlich oder nur lustig. Der erwachsene Karl-May-Fan möchte sich einen Augenblick lang/ für die Zeit eines dünnen Büchleins in die Faszination seiner Kindheit zurückversetzen. So spielt das Bild, wie das Motto mit der Zeitverschiebung/ dem Anachronismus und einer Verwischung der Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit: Die ZuschauerInnen/ LeserInnen lassen sich auf den spielerischen Umgang mit Realität und Fiktion ein. Wobei, wie noch gezeigt wird, es beim Spielerischen nicht bleibt.

  10. 10.

    Gabriele Rippl: „Text-Bild-Beziehungen zwischen Semiotik und Medientheorie. Ein Verortungsvorschlag“. In: Renate Brosch (Hg): Ikono/Philo/Logie: Wechselspiele von Texten und Bildern. Berlin 2004, 43–60.

  11. 11.

    Vgl. einerseits „Ich hatte ihr Vertrauen mißbraucht, aber meine Gier nach den Karl-May-Büchern war so stark, daß mir auch diese Unverschämtheit gleichgültig war […]“ (WAI 45) und andererseits „Ich stellte das Karl-May-Buch mit hochrotem Kopf und schlotternden Beinen ins Regal zurück und betrat die Buchhandlung jahrelang nicht mehr […]“ (WAI 51).

  12. 12.

    Am Ende jedes Kapitels steht ein expliziter Nachweis: „Nach der Reiseerzählung ‚Winnetou I‘ von Karl May“ (WAI 80), „Nach der Reiseerzählung ‚Winnetou II‘ von Karl May“ (WAI 106), „Nach der Reiseerzählung ‚Weihnacht‘ von Karl May“ (WAI 121) und „Nach der Reiseerzählung ‚Winnetou III‘ von Karl May“ (WAI 142).

  13. 13.

    Es sind insgesamt zwanzig Bilder (vier Serien von fünf Bildern) von Sascha Schneider in WAI enthalten. Das letzte einer Serie ist immer das Deckblattbild der Erzählung von May, die im darauffolgenden Kapitel von Winkler umgeschrieben wird (Winnetou I, Winnetou II, Weihnacht, Winnetou III). Das Bild ist also zugleich das Deckblatt der eigenen May-Variation und doch durch eine weiße Titelseite vom neuen Text getrennt. Alle weiteren Bilder sind Deckblätter anderer May-Erzählungen, die von Winkler nicht aufgegriffen werden.

  14. 14.

    Die Episode befindet sich in der Karl-May-Ausgabe von 1908 im fünften Kapitel „Zweimal um das Leben gekämpft“ auf Seite 241. Vgl. Karl May: „Winnetou I“ [nach der Erstausgabe von 1908]. In: Webseite der Karl-May-Gesellschaft. https://www.karl-may-gesellschaft.de (12.7.2019).

  15. 15.

    Siehe noch einen weiteren Verweis auf dieselbe Szene einige Seiten davor (WAI 22).

  16. 16.

    In der Originalausgabe umfasst das die drei letzten Kapitel „Zweimal um das Leben gekämpft“, „Schöner Tag“ und „Sams Befreiung“. In der später erschienenen revidierten Fassung von 1960 sind daraus insgesamt sechs Kapitel geworden: „Blitzmesser“, „Am Marterpfahl“, „Blutsbrüder“, „Der Fluch des Goldes“, „Eine Fährte weist den Weg“, und „Sam Befreiung“. Vgl. Karl May: „Winnetou I. Reiseerzählung. Erster Band“. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bamberg 1992 [nach der 1960 von Hans Wollschläger revidierten Fassung].

  17. 17.

    Ebd., 241.

  18. 18.

    Und doch findet man bei Winkler eine Anspielung auf ein amüsantes Detail der Kanuwettfahrt, bei der der elegante Old Shatterhand (gespielt von Lex Barker) nicht einmal Hemd und Schuhe ablegt, um den Indianerhäuptling durchs Wasser zu verfolgen: „Als Winnetou in seiner Indianerpracht plitschnass aus dem Wasser stieg“ (WAI 71, Hervorh. S.N.).

  19. 19.

    Alexandra Müller: Trauma und Intermedialität in zeitgenössischen Erzähltexten. Heidelberg 2017, 242 (Hervorh. im Orig.).

  20. 20.

    Den Begriff ‚Mythologie‘ wähle ich zum einen als Bezeichnung für eine Sammlung von Mythen. So umfasst die katholische Mythologie etwa die Geschichten Abel und Kains so wie die von Josef und seinen Brüdern, während die Indianer-Mythologie die Vielzahl der von Karl May erfundenen Geschichten und Figuren umfasst. Damit wird auch deutlich, dass ich nicht zwei Religionen einander gegenüberstellen möchte. Es geht mir um die Geschichten aus der Bibel, die der künftige Schriftsteller als literarischen Stoff in seine Werke eingearbeitet hat und um die Erzählungen von Karl May, die nichts mit dem Glauben der Indianer Nordamerikas zu tun haben. Interessant scheint mir an dem Begriff ‚Mythologie‘ zum anderen sein kritischer Unterton: Es geht dem Schriftsteller darum, sich vom katholischen Glauben zu befreien, und ihn also als reine ‚Erzählung‘ betrachten zu können, während er als Kind von seiner Wahrhaftigkeit überzeugt war. Gleichzeitig setzt der Mythos doch auch immer den Glauben voraus, da er keine rationale Erklärung der Weltentstehung u.Ä. ist. Auf dieses affektvolle Verhältnis zu Karl Mays Erzählungen deutet Winklers Text immer wieder hin, so dass Mays Fiktion fast auf dasselbe Niveau wie eine Religion gehoben wird, selbst wenn humoristische Effekte (wie das Frontispizbild oder die Einschübe in die „abgetippten Passagen“), die (Gut)Gläubigkeit des Kindes immer wieder durchbrechen.

  21. 21.

    May: „Winnetou I“ (wie Anm. 16), 512.

  22. 22.

    Ebd., 378.

  23. 23.

    Diese Urszene eröffnet auch tatsächlich das erste Werk Josef Winklers, „Menschenkind“ (wie Anm. 5), 5–193.

  24. 24.

    Gérard Genette: Seuils. Paris 1987 [dt.: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buchs. Übersetzt von Dieter Hornig. Frankfurt a. M., New York 1989].

  25. 25.

    Müller: Trauma und Intermedialität (wie Anm. 19), 27–28.

  26. 26.

    Ebd., 29.

  27. 27.

    „Eines Tages, als Abel und Kain wieder auf dem Feld arbeiteten, fiel Kain über seinen Bruder Abel her und erschlug ihn mit einem Stein“ (WAI 26).

Literatur

  • Bergson, Henri: Matière et mémoire. Paris 1896.

    Google Scholar 

  • Deleuze, Gilles: Cinéma 1. L’image-mouvement. Paris 1983.

    Google Scholar 

  • Genette, Gérard: Seuils. Paris 1987 [dt.: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buchs. Übersetzt von Dieter Hornig. Frankfurt a. M., New York 1989].

    Google Scholar 

  • May, Karl: „Winnetou I“ [nach der Erstausgabe von 1908]. In: Webseite der Karl-May-Gesellschaft. https://www.karl-may-gesellschaft.de (12.7.2019).

  • May, Karl: „Winnetou I. Reiseerzählung. Erster Band“. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bamberg 1992 [nach der 1960 von Hans Wollschläger revidierten Fassung].

    Google Scholar 

  • Merleau-Ponty, Maurice: Phénoménologie de la perception. Paris 1945.

    Google Scholar 

  • Müller, Alexandra: Trauma und Intermedialität in zeitgenössischen Erzähltexten. Heidelberg 2017.

    Google Scholar 

  • Plinius: Naturalis Historia (XXXV, 64).

    Google Scholar 

  • Rippl, Gabriele: „Text-Bild-Beziehungen zwischen Semiotik und Medientheorie. Ein Verortungsvorschlag“. In: Renate Brosch (Hg): Ikono/Philo/Logie: Wechselspiele von Texten und Bildern. Berlin 2004, 43–60.

    Google Scholar 

  • Shichiro, Fukazawa: Narayama-bushiko. Schwierigkeiten beim Verständnis der Narayama-Lieder, Frauenfeld 1995.

    Google Scholar 

  • Winkler, Josef: Das wilde Kärnten: Menschenkind. Der Ackermann aus Kärnten. Muttersprache [1984], Berlin 1995.

    Google Scholar 

  • Winkler, Josef: „Im Sternhagel der Bilder“. In: Ders.: Ich reiß mir eine Wimper aus und stech dich damit tot. Berlin 2008, 121–125.

    Google Scholar 

  • Winkler, Josef: Winnetou, Abel und ich. Berlin 2014.

    Google Scholar 

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Neelsen, S. (2022). Starre Bilder, bewegende Schrift. Literatur, Film und Fotografie bei Josef Winkler. In: Bosse, A., Glinik, C., Lenhart, E. (eds) Inter- und transmediale Ästhetik bei Josef Winkler. Kontemporär. Schriften zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, vol 8. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-63787-6_6

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