Zusammenfassung
Im vorliegenden Artikel werden drei Problemzonen des Verhältnisses zwischen Demokratietheorie und Demokratiepädagogik aufgezeigt. Es wird erstens kritisiert, dass der aktuelle erziehungswissenschaftliche Diskurs demokratietheoretische Frage tendenziell vernachlässigt, implizit aber vornehmlich republikanische, deliberative und pragmatistische Traditionen berücksichtigt und dadurch einige Blindstellen in Kauf nimmt. Ausgehend von der Vielstimmigkeit der Demokratietheorien wird zweitens die These vertreten, dass Demokratiepädagogik nicht als eine Ableitung aus der Demokratietheorie konzipiert werden kann. Drittens wird betont, dass demokratiepädagogische Konzeptionen stärker die Spezifik der pädagogischen Konstellation berücksichtigen müssen. Für die Entwicklung und Erforschung demokratiepädagogischer Formate sollten diese Problemzonen größere Beachtung erfahren.
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Notes
- 1.
Anders als Oskar Negt (2004, S. 197) gehen wir also nicht davon aus, dass „Demokratie die einzige Staatsform [ist], die gelernt werden muss“.
- 2.
Zum Zusammenhang von Demokratie und Gerechtigkeit vgl. die überzeugende Darstellung bei Forst, 2014.
- 3.
In der Theoriearchitektur gibt es im Einzelnen durchaus gravierende Unterschiede. So nehmen im Pragmatismus John Deweys beispielsweise sowohl pädagogische als auch demokratietheoretische Überlegungen ihren Ausgangspunkt im Begriff der ‚Erfahrung‘.
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Berkemeyer, N., May, M. (2023). Demokratiepädagogik und Demokratietheorie – Problemzonen eines schwierigen Verhältnisses. In: Bokelmann, O. (eds) Demokratiepädagogik. Soziale Arbeit als Wohlfahrtsproduktion, vol 29. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42649-1_2
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