Zusammenfassung
Der Beitrag führt das überraschend gute Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl 2021 (25,7 %) auf die Faktoren Geschlossenheit, „catch-all“-Strategie und Personalisierung zurück: Nach dem innerparteilich umstrittenen Regierungseintritt 2017 und dem Scheitern Andrea Nahles‘ beim Versuch, die Partei als deren Vorsitzende zu einen, wurde ein geschlossenes Erscheinungsbild erst ermöglicht durch die Wahl der linken Doppelspitze (Saskia Esken, Norbert Walter-Borjans), die keine weiteren Machtansprüche stellte und Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten unterstützte. Auch im Wahlkampf erwies sich diese Geschlossenheit als Vorteil gegenüber der zerstrittenen Union. Darüber hinaus übertrugen sich Scholz‘ gute Popularitätswerte, die auch der Schwäche seiner Mitbewerber geschuldet waren, auf die seiner Partei zugeschriebenen Problemlösungskompetenz. Insgesamt verfolgte die SPD in ihrer auf Scholz zentrierten Wahlkampagne eine „catch-all“-Strategie, die einerseits programmatisch durch die Betonung sozialer Sicherheit als Markenkern der SPD die Stammwählerschaft ansprach. Andererseits umwarb die SPD mittels Personalisierung – durch den zumindest in Relation zu seinen Konkurrenten populären Pragmatiker Scholz – erfolgreich Wechselwähler aus der politischen Mitte. In der Ampel-Koalition nimmt die SPD seitdem eine Moderatorenrolle ein, die ihrer programmatisch mittigen Position im Parteienwettbewerb wie auch Scholz‘ kooperativem Regierungsstil entspringt, aber der SPD inhaltliche Zugeständnisse (Ausnahme: Sozialpolitik) abverlangt. Vor dem Hintergrund der Herausforderungen, die die veränderten Rahmenbedingungen des Parteienwettbewerbs für Volksparteien mit sich bringen, ist der SPD ein moderater Mitte-Links-Kurs (wie von Scholz vertreten) anzuraten, da sie eine Re-Traditionalisierung im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit bereits vorgenommen hat und angesichts des geschrumpften Arbeitermilieus auf neue Wählergruppen der Mitte angewiesen ist. Gleichermaßen sollte die Partei organisationsstrukturelle Defizite angehen und ein kohärentes sozialdemokratisches Narrativ entwickeln.
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Notes
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Ähnlich heißt es bei Pedersen und Rahat (2021, S. 211): „It thus seems fair to argue that a general trend of personalization is taking place in veteran democracies”.
- 2.
Ähnlich auch Klein et al., (2022, S. 38): „Es ist folglich weniger die Strahlkraft des Olaf Scholz als der Unprofessionalität seiner Konkurrenten um das Amt des Bundeskanzlers zu verdanken, dass die SPD bei der Bundestagswahl 2021 zur stärksten Partei werden konnte“. Karl-Rudolf Korte (2022, S. 51) spricht von „drei prekären Kanzlerkandidaten“, Union und Grüne hätten „auf die falschen Kandidaten gesetzt“.
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Jun, U. (2023). Die SPD und ihr Überraschungserfolg 2021: Mehr als ein Strohfeuer?. In: Jun, U., Niedermayer, O. (eds) Die Parteien nach der Bundestagswahl 2021. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-40860-2_3
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