Zusammenfassung
In einem Durchgang durch die Jahrhunderte von der Spätgotik bis in unsere Zeit geht es um physische Gewalt, also um körperliches Misshandeln von Menschen, sie zu martern, zu verstümmeln oder zu töten. Zunächst werden einige blutrünstige Darstellungen des Spätmittelalters vorgestellt, die in unserer Gegenwart als jugendgefährdend eingestuft würden. Da indes der menschliche Triebapparat ein in sich verflochtenes Ganzes bildet, bei dem sich eine Veränderung der einen Dimension an anderer Stelle auswirken kann, beleuchte ich parallel zum Gewaltaspekt den Eros, als eine weitere Komponente des Affektgefüges. Nach dem Spätmittelalter geht es dann in die frühe Neuzeit, in der sich dann nach und nach eine Abkehr von drastischen Motiven bemerkbar macht. An den deutlichen Veränderungen des Bildrepertoires kann der Wandel des menschlichen Affekthaushalts abgelesen werden. Diese Entwicklung verstärkt sich in den folgenden Jahrhunderten. Allerdings besteht eine Kehrseite dieser Entwicklung, die ich anschließend an der nationalsozialistischen Kulturpolitik verdeutliche. Daran zeigt sich eine Dialektik der Affektmodellierung, die für die Moralwelle unserer Gegenwart soziologische Schlussfolgerungen zulässt.
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Notes
- 1.
Dokumente zur Entstehung des Bildes sind nicht überliefert, die Provenienz lässt sich nur bis1731 zurückverfolgen.
- 2.
Mit der Einbeziehung von Spielfilmen begebe ich mich vom eng gefassten Kunst-Begriff des deutschen Kunstmuseums zum Museums of Modern Art in New York (MoMA), für das auch Spielfilme eine Kunstgattung sind. Während die in Deutschland vorherrschende Konvention dafür sorgt, dass bildende Kunst, Design, Film etc. in unterschiedlichen Häusern untergebracht sind, die auf klare Abgrenzung der Gattungen achten, besitzt das MoMA seit den 1930er Jahren ein Film-Department. Der Kunsthistoriker Erwin Panofsky, der 1933 aus Deutschland emigrieren musste und danach in Princeton lehrte, wurde akademischer Berater dieser Abteilung.
- 3.
Rudolf Schlichter steuerte 1924 Zeichnungen von Mordgeschehen zum Gedichtband Jack der Aufschlitzer von Peter Paul Althaus bei. „Wohl hauptsächlich wegen der Zeichnungen Rudolf Schlichters“ wurde das Büchlein „sofort nach Erscheinen verbote[n]“ (Wiesner 1982, S. 50).
- 4.
Erst im Jahre 2000, nachdem allerdings die durch die Strafgerichtsbarkeit verbotene Benetton-Werbung längst ihre Aktualität verloren hatte, bestätigte das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit dieser Bilder. Das tat der Selbstrechtfertigung der Sittenwächter kaum Abbruch. Der Kommentar des Deutschen Werberats lautete: Die „Gerichte verfolgen Rechtsverstöße. Ihre Urteile binden den Deutschen Werberat ebenso wenig wie umgekehrt“ (ZAW 2001, S. 16).
- 5.
Pauline Réage ist das Pseudonym von Anne Cécile Desclos.
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