Zusammenfassung
Landschaft entsteht im Zusammenspiel unterschiedlicher natürlicher und anthropogener Faktoren und verändert sich laufend unter zahlreichen Einflüssen. Das nachhaltige Gestalten dieses komplexen und wandelbaren Gebildes erfordert eine multiperspektivische und partizipative Landschaftskultur, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven zusammensetzt und sich auf unterschiedliche Maßstäbe und Kontexte bezieht. Landschaft ist ein offenes und wandelbares Gewebe von räumlichen, materiellen und immateriellen Bestandteilen. Der Essay thematisiert die Frage, wie ein umfassender und handlungsrelevanter Begriff von Landschaft für den konkreten Fall erarbeitet werden kann. Als Fallbeispiel dient die neue Großgemeinde Glarus Süd, die in einer alpinen Randregion mit industrieller Vergangenheit aus einer umfassenden Fusion kleinerer Gemeinden entstanden ist. Es geht darum, aus den theoretischen Erkenntnissen, der Landschaftsgeschichte sowie aus konkreten Landschaftsanalysen eine differenzierte und partizipativ aufgebaute Landschaftskultur zu aktivieren, die unterschiedliche Konzepte von Landschaft mit den Akteurinnen und Akteuren als Teilhabende am Prozess Landschaft zusammenbringt.
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Notes
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Jackson initiierte bereits in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine interdisziplinäre Debatte über Landschaft und legte den Grundstein für die transdisziplinären Cultural Landscape Studies.
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Martin Prominski greift das landschaftstheoretische Konzept Jacksons auf und adaptiert es für den mitteleuropäischen Kontext.
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Vor der Erfindung des Papiers waren die Trägermaterialien von Schrift knappes Gut – viele Pergamente wurden deshalb recycelt. Der alte Text wurde abgekratzt und ein neuer darübergeschrieben, wobei Teile des alten Textes noch immer durchschienen. Ein Palimpsest (gr. palimpsestos ‚wieder abgeschabt‘) ist ein antikes oder mittelalterliches Schriftstück, das durch Abschaben (Pergament) oder Abwaschen gereinigt und anschließend neu beschrieben wurde.
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Seit Gründung des schweizerischen Bundesstaates hat sich das nationale Selbstverständnis als landschaftlich und kulturell vielfältiges, mit regionalen, ländlichen und städtischen Kulturen, entwickelt. Gebunden an topografische Räume und Sprachräume wurden Landschaftsverständnisse und -praxen unterschiedlich konturiert.
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Die Wirksamkeit dieser Perspektive entfaltet sich in zwei Richtungen: in der touristischen Erschließung der Schweizer Landschaft und als Wahrnehmungsmuster, mit dem ähnliche Naturlandschaften auf der ganzen Welt als ‚Schweizen‘ erschlossen wurden.
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Schab-Ziger ist ein traditionelles Milchprodukt aus der Region.
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Der Begriff Länder wird v. a. für die Zeit der alten Eidgenossenschaft gebraucht: Die Länder werden den städtischen Orten gegenübergestellt. In den Urkunden tauchen diesbezüglich die Bezeichnungen ‚lant‘, ‚lender‘ auf.
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Der Freulerpalast ist ein Beispiel für die frühbarocke Profanarchitektur im Alpenraum, heute ist hier das Museum des Landes Glarus untergebracht.
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Das sogenannte ‚Glarner Wirtschaftswunder‘ beschreibt die strukturelle Veränderung und die internationale Vernetzung des Bergtales durch die Textilindustrie.
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In den letzten zwei Jahrzehnten wurden in der Schweiz zahlreiche Gemeindefusionen vorgenommen. Da die Gemeinden in der Schweiz vergleichsweise viele politische und gesellschaftliche Geschäfte und Aufgaben direkt bearbeiten können, bilden sie die erste und wichtigste der drei staatstragenden Ebenen der Demokratie. Mit dieser relativen Autonomie ausgestattet, prägen sie auch zahlreiche landschaftsbezogene Fragen und Angelegenheiten.
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In Fallstudien interessieren nicht die konkreten Einzelfälle, sondern vielmehr die dahinter liegenden Gesetzmäßigkeiten und Strukturen. Dieser Forschungsansatz ermöglicht es, kausale Beziehungen und Wirkungszusammenhänge zu erkennen.
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Ziel dieser vernetzten Form der Datenerhebung lokaler Wahrnehmung ist die Entwicklung einer in diesen Daten verankerten (grounded) Sicht der Landschaft, die für die weitere Planung als Grundlage dienen soll.
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Der Begriff Textur eignet sich aber im Besonderen auch zur Beschreibung komplexer räumlich-geografischer Landschaftskonstellationen.
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Bucher, A. (2022). Der Fall Glarus Süd: Transdisziplinäre Verhandlungen zur Entwicklung von komplexen, mehrfach bedeutenden Landschaftsräumen. In: Kost, S., Petrow, C.A. (eds) Kulturelle Vielfalt in Freiraum und Landschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37518-8_5
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Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
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