Zusammenfassung
Welche Konflikte mit dem Hilfesystem erleben Familien, die ein Kind mit einer Autismus-Diagnose möglichst gut in sein Leben begleiten möchten? Dieser Frage wird aus der Perspektive einer Mutter, Sozialarbeiterin und Wissenschaftlerin und unter Bezugnahme auf die politische Theoretikerin Hannah Arendt nachgegangen. Ziel ist es, durch diese Auseinandersetzung zu zeigen, was sich in den Verhältnissen, aber auch in der ganz grundlegenden Perspektive des Hilfesystems ändern müsste, um tatsächlich unterstützend tätig werden zu können. Abschließend wird nach einem Blick auf die USA und auf alternative Praktiken im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die nicht als neurotypisch gelten, skizziert, was Aspekte eines hilfreichen Umgangs mit Konflikten sein könnten.
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Notes
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Gemeint sind alle Menschen, die sich auf diese immer wieder komplizierte Lebenssituation und ihre Menschen einlassen und in dieser bereit sind, immer wieder mit Liebe und Genauigkeit hinzuschauen. In diesem Fall danke ich vor allem Martin, ohne dessen Zuspruch und Kritik es diesen Artikel nicht geben würde, sowie meinen Kolleg*innen aus der Heilpädagogik, die mich bestärkt haben, ihn zu veröffentlichen.
- 2.
Hannah Arendt hat sich zeitlebens als politische Theoretikerin bezeichnet und nicht einfach als Philosophin. Die politische Theorie befasst sich als ein Teilgebiet der Philosophie normativ mit der Frage, wie Politik, also das öffentliche Leben der Menschen im Gemeinwesen, sein sollte, damit sich Menschen politisch in dieses einbringen können.
- 3.
Karin Hostettler hat sich mit diesem Zitat und Kants Denken in Bezug auf die rassistischen und kolonialen Implikationen befasst, die in der europäischen Philosophie häufig unterschwellig mitlaufen und die sich mit den hier ausgeführten Gedankengängen verschränken lassen (vgl. Hostettler, 2020).
- 4.
Wobei die Verhältnisse in den USA nicht prinzipiell als Vorbild dort taugen, wo die Frage nach guten Förderungen nach wie vor auch an finanzielle Ressourcen und an die Zugehörigkeit zu einer konstruierten Gruppe beispielsweise der „Weißen“ geknüpft wird. Die Schulbehörde hat jedoch sehr strenge Vorgaben, mit denen sie Schulen überprüft und die Vergabe von finanziellen Mitteln beispielsweise an die Einhaltung dieser Vorgaben knüpft.
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Georg Theunissen übersetzt diese Auflistung wie folgt:
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„unterschiedliche sensorische Erfahrungen […]“
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„ein unübliches Lernverhalten und Problemlösungsverhalten […]“
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„ein stark fokussiertes Denken und leidenschaftliches Interesse für spezifische Dinge […]“
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„atypische, manchmal repetitive Bewegungsmuster […]“
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ein „Bedürfnis nach Beständigkeit, Routine und Ordnung […]“
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„Schwierigkeiten, Sprache zu verstehen und sich sprachlich auszudrücken, so wie es üblicherweise in Kommunikationssituationen […] erwartet wird […]“
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„Schwierigkeiten, typische soziale Interaktionen zu verstehen und mit anderen Personen zu interagieren“ (Theunissen, 2014, S. 106 f. nach ASAN, 2020).
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Günther, M. (2022). Eine gemeinsame Welt existiert nur in der Vielfalt der Perspektiven. In: Eichinger, U., Schäuble, B. (eds) Konfliktanalysen: Element einer kritischen Sozialen Arbeit. Perspektiven kritischer Sozialer Arbeit, vol 32. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35857-0_2
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