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Soldatische Tugenden: Die Stoa als Philosophie des Militärs

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Philosophie des Militärs

Part of the book series: Militär und Sozialwissenschaften/The Military and Social Research ((MSR,volume 54))

Zusammenfassung

Der Habitus heutiger Soldaten – ihr Auftreten, Lebensstil, Verhalten, in Dienst und Einsatz wie zivilem Umgang – bedarf klassischer Vollzugstugenden, diese aber müssen im Dienst der sie transzendierenden primären Tugenden stehen, etwa Gerechtigkeit, Weisheit, Besonnenheit, die allesamt auf das Menschenrechtsethos hingeordnet sind. Dies bedingt ein selbstbeherrschtes Handeln, das selbst im Krieg und beim notwendigen Fokus des Soldaten auf die Erfüllung seines militärischen Auftrags Anregungen in der stoischen Philosophie findet.

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Notes

  1. 1.

    Hier insbesondere im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des verteidigungspolitischen Konzepts der AfD am 27.6.2019.

  2. 2.

    Außerdem hat sich gezeigt, dass die Prinzipien der Inneren Führung durchaus auch im Einsatz effektiv sind (Dörfler-Dierken und Kramer 2014).

  3. 3.

    Der vorliegende Beitrag zielt also nicht auf eine Detailanalyse der stoischen Tugendlehre.

  4. 4.

    Videos aller Wettbewerbsbeiträge finden sich auf dem Youtube-Kanal des Stockdale Center for Ethical Leadership an der US Naval Academy: https://www.youtube.com/channel/UC8y0xr8tWYJQ1itXWjSUYFg (vom 24.03.2021). Ausführlicher bin ich auf den Fall ‚Farsi‘ in Göbel (2019) eingegangen.

  5. 5.

    Die Stockdale-Zitate in diesem Kapitel stammen aus Stockdales Essay „Master of My Fate“, der zuerst 1995 erschien und inzwischen in der Reihe Occasional Papers des Center for the Study of Professional Military Ethics an der US Naval Academy auch online verfügbar ist; deutsche Übersetzung aus Göbel 2021.

  6. 6.

    Mattis fand nicht nur im Krieg, sondern auch in den politischen Tumulten in Washington Trost bei Marc Aurel. Dazu äußerte er sich z. B. in einer Rede am Virginia Military Institute im Jahr 2018 (https://www.youtube.com/watch?v=9G1KK5aKMm4&feature=emb_logo vom 24.03.2021).

  7. 7.

    Ähnliches wird zuweilen von Kants Pflichtethik behauptet, allerdings wird dabei der Pflichtbegriff auf die Erfüllung der Befehle Vorgesetzter oder auf die moralisch ungeprüfte Befolgung möglicherweise auch unethischer Gesetze reduziert. Eindrücklich weist darauf z. B. H. Arendt hin, die – auch zur Korrektur von Missverständnissen ihrer eigenen Darstellung der „Banalität des Bösen“ (Arendt 1963) – die „empörende Dummheit“ und „Unverschämtheit“ benennt, mit der sich A. Eichmann während seines Prozesses auf den „Kantischen Pflichtbegriff“ berufen hatte, ohne der darin implizierten menschenrechtsethischen Universalität gewahr zu werden (Arendt/Fest 2011, 44). Nach Kant ist der Mensch nicht zuerst zum Gehorsam, sondern zur Selbstgesetzgebung nach Maßgabe des kategorischen Imperativs verpflichtet. Zudem zieht Kant aus seinem vernünftig-moralischen Pflichtbegriff ausdrücklich den pazifistischen Schluss, dass stehende Armeen – und damit der alte Satz „si vis pacem para bellum“ – Beispiele des Bösen und Bedrohungen des Weltfriedens sind; so äußert er sich z. B. in Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (Kant 1907, S. 34) und Zum ewigen Frieden (Kant 1923, S. 345).

  8. 8.

    Apatheia ist nicht ‚Apathie‘ im heutigen Sinne, totale Gefühls- und Antriebslosigkeit, doch entgegen einem heute gängigen umgangssprachlichen Verständnis von Leidenschaft (Passion) als starke oder positive Charaktereigenschaft, sehen Stoiker starke Emotionen oder Leidenschaften (pathe) als Leiden (also als passiv ‚Erlittenes‘; darin fokussieren sie aber auch auf die negativen Emotionen, also „Leiden“ im engeren Sinn). Sie betonen, dass diese Leidenschaften aus einem rationalen Fehlurteil entspringen, z. B. aus unbegründeter Angst oder überzogener Erwartung. Mit seinem eigentlichen innersten Wesen, der Vernunftseele, kann der Mensch negative Affekte abwenden und darin tatsächlich frei von allen äußerlichen Einflüssen werden, also erstens von äußeren Umständen und zweitens von dadurch verursachten negativen Emotionen (vgl. z. B. Diogenes Laertius 1998, S. 58–60).

  9. 9.

    Zum ‚Pessimismus‘ Senecas vgl. z. B. de Botton (2001, S. 73–112).

  10. 10.

    Senecas vivere est militare hat im Licht dieses letzten Zitats einen bedenkenswerten Nebeneffekt: es macht das ethische worst case scenario Krieg zum Prüfstein der menschlichen Grundverfasstheit. Leben heißt immer auch Leiden. Krieg bleibt extrem, aber vielleicht können Soldaten daraus Trost erfahren, dass ihre Erfahrung ‚nur‘ besondere Ausdrucksform der urmenschlichen Erfahrung des Leidens ist. Es verbietet sich darüber hinaus, Leiderfahrungen gegeneinander aufzurechnen: objektiv mag die Erfahrung von Verlust und Tod im Krieg andere Formen von Schmerz übertreffen – gerade deswegen haben Veteranen Schwierigkeiten mit der Reintegration: weil sie vermeintlich niemand, der Krieg nicht erlebt hat, verstehen kann (mehr dazu in Göbel 2019) –, subjektiv allerdings mögen andere gleichermaßen an ihren Problemen leiden.

  11. 11.

    Vgl. dazu die Fragmente 53 und 80 in Diels 1903, 74 und 78. Hiervon zu unterscheiden ist der Gedanke jener Philosophen, die den Menschen als von Natur böse sehen und deswegen den „Krieg Aller gegen Alle“ für den Naturzustand halten (z. B. Hobbes 2009, S. 70); vgl. auch das Plautus-Wort, der ‚Mensch sei des Menschen Wolf‘, das ebenfalls Hobbes, aber auch S. Freud und andere aufgenommen haben.

  12. 12.

    Der Essay basiert auf einer 1906 an der Stanford University gehaltenen Rede. Er ist inzwischen auch in der Harvard-Ausgabe von James‘ Werken (Bd. 9: Essays in Religion and Morality, 1982) veröffentlicht und wird hier nach einem Reprint zitiert.

  13. 13.

    Einen ähnlichen Schluss zieht später die Ethnologin M. Mead aus ihrer Feldforschung z. B. bei den Inuit, wonach das Phänomen Krieg ganzen Volksgruppen unbekannt ist (Mead 1940). Dass es sich jedenfalls bei „organized human violence“ nicht um eine biologische Notwendigkeit handelt, haben Wissenschaftler zahlreicher Disziplinen in der „Erklärung von Sevilla“ (1986) bekräftigt, die im November 1989 von der Generalversammlung der UNESCO übernommen wurde.

  14. 14.

    Zudem glaubt James, dass es nicht reicht, „war’s expensiveness and horror“ zu unterstreichen: „the horror makes the thrill“. Militärdienst wird nicht nur als aufregend empfunden und romantisiert: „the military party denies neither the bestiality nor the horror, nor the expense; it only says that these things tell but half the story. It only says that war is worth them; that, taking human nature as a whole, its wars are its best protection against its weaker and more cowardly self, and mankind cannot afford to adopt a peace-economy“ (James 1995, S. 22).

  15. 15.

    Die entsprechende Metaphorik Senecas und anderer antiker Denker (aber auch F. Nietzsches) greift nicht nur auf Militär und Krieg zurück, sondern auch auf den sportlichen Wettkampf (gr. agon; dazu Poplutz 2004).

  16. 16.

    James‘ Vorschläge sind in Ansätzen aufgenommen worden (wenn auch nicht als Ersatz des Militärdiensts), z. B. im Civilian Conservation Corps der Depressionszeit (1933–42), in dem arbeitslose und unverheiratete junge Männer Beschäftigung fanden und an Projekten des staatlichen Land- und Ressourcenmanagements mitwirkten. – Übrigens ist auch ein allgemeiner Verteidigungsdienst denkbar, der nicht militärischen, sondern gewaltlosen Widerstand gegen einen möglichen Feind und Besetzer einübt (Sharp 1968). Jedenfalls ist deutlich, dass der Verdacht gegenüber dem Pazifismus und Humanismus, er könne weder „Heilige noch Märtyrer“ hervorbringen (Mahoney 2018, S. 15) falsch ist; Pazifismus bedeutet nicht passives Zurückweichen vor dem Bösen, sondern kann zuhöchst aktiver – jedoch gewaltloser – Kampf gegen das Böse sein.

  17. 17.

    Natürlich ist James‘ Ziel eine friedliche globale Koexistenz, aber es geht ihm nicht so sehr um eine Umwidmung des Zwecks der genannten Tugenden und ihrer Doppelwirkung für den Einzelnen und das Gemeinwohl als vielmehr um eine alternative Sinnquelle für die Praxis dieser Tugenden.

  18. 18.

    Cicero benutzt für ‚Rolle‘ den lateinischen Begriff persona, der sowohl das „Antlitz“ als auch, im antiken Theater, die „Maske“ – also den dargestellten Charakter – des Schauspielers bezeichnet. Der Vergleich nicht darauf, eine ‚verstellte‘ oder durch soziale Umstände beeinträchtigte Existenz anzuzeigen, sondern die Vielschichtkeit des Menschseins. Zugleich ist ‚Charakter‘ nicht das Gesamt angeboren-unveränderlicher Eigenschaften (und könnte somit zur Entschuldigung von Fehlhandlungen dienen), sondern Resultat freier, selbstverantworteter Entscheidungen.

  19. 19.

    Trotz erster Ansätze eines Menschenrechtsethos bei den Stoikern gibt es zahlreiche Einschränkungen in der tatsächlichen Umsetzung (vgl. dazu Göbel (2002, S. 212–237).

  20. 20.

    Gerade deswegen hatten die Sekundärtugenden vor einigen Jahren auch an deutschen Schulen eine Renaissance (Göbel 2007). – Teile dieses Kapitels (sowie von Kap. 6 und 9) entsprechen zeitgleich entstandenen Ausführungen in Göbel (2019) bzw. einer ergänzten Version jenes Beitrags, die Ende 2021 unter dem Titel „Selbstverantwortung als Charaktergröße und Bildungsziel“ in einem Tagungsband zur Persönlichkeitsbildung in der Bundeswehr erscheinen wird.

  21. 21.

    Himmler stellt auf der SS-Gruppenführertagung am 4.10.1943 explizit die vermeintlichen ‚Tugenden‘ der SS u. a. im Vernichtungskrieg in Russland und bei der Ausrottung der Juden heraus und geht dabei eingehend auf zahlreiche Sekundärtugenden ein (Transkript der „Posener Rede“ in: Internationaler Militär-Gerichtshof Nürnberg (1948r, S. 110–173). Solch unmenschliche Pervertierung des Tugendbegriffs führte zur späteren Kritik, dass man „mit Sekundärtugenden auch ein KZ führen könne“ (z. B. O. Lafontaine zugeschrieben im Stern, Nr. 29, 15.7.1982).

  22. 22.

    Dieses Gedankenexperiment, bezogen auf die „British Army Values“, stellt McCormack (2015) an. Mehr zum Ganzen in Göbel (2016, S. 66–74).

  23. 23.

    Vgl. dazu etwa Die deutschen Bischöfe (2005), u. a. mit Bezug auf das Zweite Vatikanische Konzil. Papst Franziskus hat sich gleichlautend geäußert (Botschaft zur Internationalen Soldatenwallfahrt nach Lourdes, 16.5.2017). Zwar überschreiten bereits Patriotismus und Dienst an der eigenen Nation die Vollzugstugenden und geben ihnen einen ethischen Referenzrahmen (d. h. sie qualifizieren sie als „gut“), doch finden sie erst im Menschenrechtsethos volle Erfüllung des auf tugendhafte Selbstvervollkommnung angelegten Menschseins. Diesen Gedanken machen sich moderne Demokratien dadurch zu eigen, dass sie die nationalen Werte vom Menschenrechtsethos her definieren. Damit müssen Nationalstaaten als Vermittler der politischen Dimension des Menschseins nicht aufgegeben werden, ihr Nationalverständnis transzendiert aber bereits Nur-Nationales oder Nationalismus.

  24. 24.

    Witschen begegnet damit auch Einwänden, die im Sinn der aristotelisch-scholastischen Tugendlehre den Begriff instrumenteller Tugenden für ein ‚logisches Unding‘ halten (womit freilich nur klarer gefasst würde, dass Handlungs- und Charaktermerkmale nicht wirklich als Tugenden gelten können, wenn sie für schlechte Zwecke gebraucht werden).

  25. 25.

    Vgl. auch Art. 4 GG und Art. 11 SG. Eine ähnliche „Pflicht zum Ungehorsam“ gibt es auch in den USA; dazu Göbel (2019). Soldaten ohne Gewissen würden tatsächlich zu bloßen „Maschinen“ (Kant 1923, S. 345; gleichlautend äußert sich Thoreau 1906, S. 359). – Im Zuge der neuen Einsätze der Bundeswehr wurde 2003 der Fall von F. Pfaff zum Fokus der Debatte um die Gewissensfreiheit von Soldaten. Pfaff weigerte sich, durch seine dienstliche Tätigkeit indirekt an dem von ihm als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg beurteilten Irakkrieg teilzunehmen, und sollte daher zunächst wegen Ungehorsams degradiert und fristlos aus der Bundeswehr entlassen werden. Mit Urteil vom 21.6.2005 rehabilitierte das Bundesverwaltungsgericht Pfaffs Tun als Akt der Gewissensfreiheit (ohne allerdings eine völkerrechtliche Einschätzung des Irakkriegs zu geben). Zu Widerspruch und Befehlsverweigerung aus Gewissensgründen im Militär vgl. Ellner et al. (2016).

  26. 26.

    Es besteht also eine doppelte Wechselbeziehung: zwischen Individuum und sozialem Umfeld (Strukturen) sowie zwischen Innerem und Äußerem (so prägen natürlich auch soziale Wertvorstellungen individuelles Denken und drücken sich damit wieder in persönlichen Haltungen aus). Übrigens gilt selbst Ähnliches für Bourdieus Begriff von hexis, obgleich sich dieser von dem philosophischen Begriff der aristotelischen Tugendethik entscheidet, wo er eine weitgehend stabile moralische Handlungsdisposition, eine entscheidungsformende Grundhaltung und Charaktereigenschaft bezeichnet (Aristoteles 2001, S. 68–74): genau für diesen hexis-Begriff verwenden zuerst die mittelalterlichen Aristoteles-Übersetzer das lateinische Wort habitus. Bourdieu spricht ebenfalls von einer „dauerhaften Disposition“, bezieht sich aber auf das Leibliche, auf „die körperliche Hexis“. Jedoch erblickt er genau darin Ausdrucke des „Fühlens und Denkens“ (Bourdieu 1987, S. 129; freilich ist immer neu zu prüfen, ob Fühlen und Denken Körperhaltungen und dergleichen formen oder nicht auch von ihnen geformt werden). – Andererseits unterscheidet sich ein möglicher Habitus von Bundeswehroffizieren darin vom engeren Sinn von Bourdieus Konzept, dass hier kaum mehr „Effekte der primären Sozialisation in konkreten sozialen Räumen“ zum Tragen kommen: es gibt im heutigen Deutschland viel weniger generationenüberdauernde Soldatenfamilien oder gar Kadettenanstalten als z. B. in Preußen; darauf weist Warburg (2021) hin.

  27. 27.

    Münch (2021) weist darauf hin, dass es in der stark arbeitsteiligen Bundeswehr nicht nur bei Zivilangestellten, sondern auch bei Soldaten Tätigkeitsbereiche (und damit soziale Felder) gibt, die zivilen Tätigkeiten ähneln und einen weniger militärischen Habitus ausbilden mögen. Prüfstein der Inneren Führung sind aber gerade die Kampftruppen.

  28. 28.

    Das Wort „Ethos“ meint häufig nur Verhaltensregeln einer bestimmten Gruppe (Berufsethos), die im Militär noch immer zu oft auf Ehrenkodizes der klassischen soldatischen Tugenden verkürzt werden. Demgegenüber beinhaltet der Begriff „Ethik“ oft den Bezug auf objektiv gute moralische Normen. Um diesen Unterschied zu verdeutlichen, spreche ich in diesem Kapitel von „Menschenrechtsethik“; allerdings meint der sonst vielfach verwendete Begriff „Menschenrechtsethos“ das Gleiche.

  29. 29.

    Dass natürlich die tatsächlichen Habitusstrukturen von Bundeswehrsoldaten oftmals noch immer nicht diesen Idealen entsprechen (und gerade im Einsatz immer wieder auf Vorbilder, Symbole und Denkmuster aus der Zeit vor 1945 zurückgreifen), steht auf einem anderen Blatt (dazu Münch 2021), bestätigt aber nur die Notwendigkeit der Bildungsanstrengungen.

  30. 30.

    So fordert z. B. T. Jefferson, dass zur Verteidigung des Staats aus jedem Bürger ein Soldat gemacht werden müsse; dabei nimmt er auf das Vorbild der Antike Bezug (Brief an J.W. Eppes, 9.9.1814; Jeffersons Korrespondenz ist zugänglich auf der Website der Library of Congress, hier: https://www.loc.gov/item/mtjbib021835/ vom 25.03.2021).

  31. 31.

    Kucera (2017) stellt beispielhaft britische Armee (warfighting function) und Bundeswehr (humanitarian ethics) gegenüber. Zwar lässt er Sympathien für den deutschen Ansatz erkennen, der Vergleich ist aber schon deswegen fraglich, weil auch die britische Armee seit einigen Jahren einen neuen Ansatz entwickelt hat, der explizit auf das humanitäre Menschenrechtsethos Bezug nimmt, der Inneren Führung ähnelt (McCormack 2015; Göbel 2016, S. 71–74) und im Jahr 2017 Eingang in die überarbeitete Zentralvorschrift „Land Operations“ gefunden hat (3–26). Außerdem darf sich keine Armee eines dem Menschenrechtsethos und demokratischen Werten verpflichteten Staates damit zufriedengeben, dass ihre „warfighting function“ faktisch vornehmlich von persönlicher Loyalität den Kameraden gegenüber getragen wird (Marshall 1947; Olsthoorn 2011). Natürlich werden Soldaten auf dem Schlachtfeld auch weiterhin Motivation aus jenen Werten, Führungsinstrumenten und Sekundärtugenden gewinnen können, ohne die Militär nicht wirksam operieren kann und die gemeinhin der „warfighting ethic“ zugeschrieben werden (Tapferkeit, Ehre, Kameradschaft, Gruppenkohäsion), doch müssen moderne Streitkräfte ihren Soldaten den rechten ethischen Referenzrahmen dafür, also eine Grundloyalität gegenüber den Werten des Staates und seiner Verteidigungspolitik vermitteln. Dazu ist gesellschaftliche Bildung innerhalb der Streitkräfte unerlässlich. Übrigens kann solche Bildungsarbeit nicht nur an den Verstand appellieren, sondern auch die natürlichen empathischen Qualitäten des Menschen nutzen (Rifkin 2009). Dass die Werte des Menschenrechtsethos auch emotional ansprechen und sogar Massen bewegen können, zeigen z. B. Großkundgebungen gegen Rechtsextremismus oder spontane Aktionen wie der lautstarke Protest Tausender Fußballfans nach einem rassistischen Vorfall im Stadion von Preußen Münster am 14.2.2020.

  32. 32.

    Während die meisten philosophischen Ansätze davon ausgehen, dass Entscheidungen Freiheit und ethischen Wert daraus gewinnen, dass der Handelnde zwischen Alternativen wählt, bezweifelt H. Frankfurt die Notwendigkeit eines solchen „principle of alternate possibilities“ und schlägt stattdessen eine nichtausschließliche, hierarchische Deutung vor. Freiheit (und moralischer Wert) besteht in der Ordnung, in die der Handelnde seine Wünsche bringt (vgl. Göbel 2018). Darauf beziehe ich mich hier, bezogen auf die Motive und Pflichten soldatischen Handelns.

  33. 33.

    Dafür schlug der britische ISAF-General N. Carter 2010 die Schaffung eines eigenen Einsatzordens vor. Zwar ist es auch eine strategische Notwendigkeit friedensschaffend-humanitärer Einsätze, zivile Opfer möglichst zu vermeiden, da solche Kriege nur zu gewinnen sind, wenn man die „hearts and minds“ der Bevölkerung gewinnt (ISAF Rules of Engagement 2009), doch ist das Gebot der Menschlichkeit auch in soldatischem Alltag und Krieg nicht nur ein strategisches Prinzip, sondern ethische Grundnorm, an die Soldaten als Menschen gebunden bleiben.

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Göbel, C. (2022). Soldatische Tugenden: Die Stoa als Philosophie des Militärs. In: Elbe, M. (eds) Philosophie des Militärs. Militär und Sozialwissenschaften/The Military and Social Research, vol 54. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-35646-0_3

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  • Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-35645-3

  • Online ISBN: 978-3-658-35646-0

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