Zusammenfassung
Soziologische Theorien bestehen aus einem begrifflichen Bezugsrahmen, expliziten Modellen und Hypothesen über gesellschaftliche Entwicklungen und Zustände. Entscheidend ist der Bezug von Theorien zur sozialen Wirklichkeit, der mit Methoden der empirischen Sozialforschung analysiert wird. Die soziologischen Theorien sind im 20. Jahrhundert von Wissenschaftlern entwickelt und auf Musterbeispiele angewendet worden. Die Hauptmerkmale und Abgrenzungen der Theorien werden dargestellt. Das Thema der digitalisierten Gesellschaft stellt eine Herausforderung der soziologischen Theorien dar. Zeichnet sich ein neues soziologisches Paradigma ab, das diese sozialen Phänomene besser beschreibt und erklärt als die etablierten soziologischen Theorien?
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Notes
- 1.
Die Begriffe „empirisches“ und „theoretisches“ System werden von Parsons verwendet; vgl. Parsons (1976a, S. 275). In Abschn. 4.1 wird der Systembegriff genauer definiert.
- 2.
In Abschn. 3.1.1 werden die quantitativen Methoden am Beispiel einer Hochschulbefragung den qualitativen Methoden gegenübergestellt.
- 3.
Diese Begriffe sind der Definition von Paradigmen T. Kuhns (1978) entnommen, die in Abschn. 1.1.2 erläutert werden. Der Wissenschaftstheoretiker Wolfgang Stegmüller hat den Begriff Paradigma mithilfe der mengentheoretischen Topologie aus der Mathematik formal definiert (1979). Stegmüller verwendet in dem strukturalistischen Theoriekonzept (1979, S. 138) den Begriff Theorieelement als abstrakteste Kategorie (Ebene 1 in Abb. 1.1), das aus dem Theoriekern der Modelle und den intendierten Anwendungen (Ebene 2 in Abb. 1.1) besteht (1979, S. 139). Eine Teilmenge der möglichen Anwendungen bilden die paradigmatischen Beispiele (Ebene 3 in Abb. 1.1), auf die das Modell konkret angewendet wird (1979, S. 144). Zu den paradigmatischen Beispielen werden empirische Behauptungen (Ebene 4 in Abb. 1.1) aufgestellt (1979, S. 140). Zu dem Begriff Paradigma bezieht sich Stegmüller historisch auf Wittgensteins Spiele (1979, S. 143). Das strukturalistische Theoriekonzept bildet die wissenschaftstheoretische Grundlage zu Abb. 1.1 und lässt sich auf komplexe Theorien wie die Handlungstheorie von Parsons anwenden (Miebach, 1974).
- 4.
Der Ausdruck theoretischer Bezugsrahmen (frame of reference) ist aus The Structure of Social Action (1968a, S. 733) von Talcott Parsons entnommen (Abschn. 2.3.2).
- 5.
Das Zitat stammt von Luhmann (2002a, S. 19).
- 6.
Möglicherweise werden Big-Data-Analysen als Anwendung von Maschinenlernen neue Wege der Prognosen erschließen. Diese Disziplin wird Predictive Analytics (Miebach, 2021, Abschn. 5.5; D. Abbott, 2014) genannt. Die Anwendung von Predictive Analytics in den Sozialwissenschaften wird in Abschn. 1.3.1 dargestellt.
- 7.
Die Kapitel, in denen diese Paradigmen dargestellt werden, sind in Klammern eingefügt.
- 8.
Die Unterscheidung zwischen Abstraktion von „Mannigfaltigkeit“ und „Konkretheit“ geht auf den Wissenschaftsphilosophen A. N. Whitehead (1967, S. 167–170) zurück.
- 9.
Nach Berichten von Professoren, die in Harvard bei Parsons und Homans studiert haben, waren beide so verfeindet, dass man sie nicht gemeinsam zu einer Campus-Partie einladen durfte. Wenn man die Aussage von RC-Theoretikern über die Systemtheorie liest, sie sei eine Soziologie ohne den Menschen, erinnert dies an die Angriffe von Homans auf Parsons,
- 10.
Die Verhaltenshypothesen werden in Abschn. 6.10 vollständig dargestellt.
- 11.
Obwohl die Widerlegung prinzipiell möglich ist, kann der Forscher in konkreten Fällen seine Gesetze durch die Behauptung schützen, dass sie falsch auf die Realität angewendet worden sind.
- 12.
Ein Überblick über die historische Entwicklung und die unterschiedlichen Ansätze des Methodologischen Individualismus findet sich in Udehn (2002).
- 13.
Norbert Elias wurde innerhalb der Soziologie durch sein Werk zum Prozess der Zivilisation bekannt (1997a, b), der aus einem Wandel von Figurationen besteht, die Elias als Transformationsprozesse beschreibt (Abschn. 5.3.2).
- 14.
So widmen sich z. B. die beiden Themenhefte 2-3/2017 und 3/2016 der Zeitschrift Soziale Welt dem Werk Latours, ohne auf die provokante These der Mikro-Makro-Aufhebung näher einzugehen.
- 15.
In dem Sachbuch Digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft (Miebach, 2020) werden Algorithmen und Anwendungen des Maschinenlernens dargestellt, die die digitalisierte Gesellschaft besonders prägen.
- 16.
Der Begriff Digitale Soziologie wird seit 2010 in der Soziologie verwendet (Marres, 2017, S. 15).
- 17.
Twitter verfolgt die Doppelstrategie, einerseits eigene Auswertungstools zu vermarkten und andererseits die Entwickler-Community zu ermutigen, Auswertungstools zu entwickeln (Burgess & Bruns, 2014, S. 196). Diese Datenselektion an der Schnittstelle gilt für die meisten der proprietary algorithms für public data (Ruth & Pfeffer, 2014, S. 1), die im Besitz der Betreiberfirmen sind. Nach Puschmann handelt es sich um „plattformreaktive Daten“ (2016, S. 5).
- 18.
In der Zeitschrift Big Data & Society für sozialwissenschaftliche Big-Data-Forschung wird über den vielfältigen Einsatz von Big-Data-Verfahren zur Textanalyse berichtet. Einige empirischen Studien von Big Data sozialer Medien sind in Sammelbänden dokumentiert (Maasen & Passoth, 2020; Reichert, 2014a).
- 19.
Alternative Begriffe sind web-crawler (Buckland, 2017, S. 146) und web crawling (Wolbring, 2020, S. 61).
- 20.
Dieses Bewältigungsverhalten wird role-coping genannt (vgl. die in Abschn. 2.1.3 zitierte Studie von Hall).
- 21.
Zu Scrapy verweisen die Autoren auf ein im Internet abrufbares Handbuch (http://rlanders.net/scrapytutorial.html). Scrapy basiert auf der Programmiersprache Python.
- 22.
In dem Sachbuch Digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft (Miebach, 2020, Abschn. 4.5–4.7) werden Algorithmen und Anwendungen des Maschinenlernens dargestellt.
- 23.
Die in Abb. 1.15 dargestellten Ergebnisse basieren auf der Befragung von 135 IT-Leitern, die ich gemeinsam mit Lars Mönch, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Fernuniversität Hagen, durchgeführt habe.
- 24.
Eine detaillierte Beschreibung der Optimierungsverfahren findet sich in James et al. (2013, Kap. 6 und 7).
- 25.
Goodfellow et al., (2006, S. 465) nennen diese Verfahren Empfehlungssysteme (Recommender Systems).
- 26.
Boyd/Crawford zitieren Jimmy Lin, einen Professor mit einem Sabbatical von der Universität bei Twitter, der empfiehlt, dass Sozialwissenschaftler die Finger von Datenanalysen lassen sollen, die von der Industrie besser geleistet werden können (2012, S. 674).
- 27.
Der Systemtheoretiker Dirk Baecker spricht von „überraschenden Korrelationen“ (2019, S. 65) und meint wahrscheinlich den gleichen Sachverhalt wie Esposito, wie sich aus der Identifikation von Maschinenlernen mit Korrelationen (Baecker 2018, S. 63) ergibt.
- 28.
Das Mikro-Makro Modell des methodologischen Individualismus von Coleman und Esser wird mittlerweile Modell Soziologischer Erklärung (MSE) genannt. Die Anwendung dieses Modells auf die Mensch-Maschine Schnittstelle (Verhalten von Probanden bei der Bedienung eines Simulationsprogramms des Fahrverhaltens von Autos) nennen die Techniksoziologen Fink und Weyer (2011, S. 95) Modell soziologischer Erklärung hybrider Systeme (HMSE). Eine kurze Zusammenfassung findet sich in Weyer (2019, S. 55–58).
- 29.
Sophie Mützel beklagt, dass trotz des Interesses der Studierenden die Methodenausbildung an den deutschen Universitäten noch zu wenig Kurse zu Big Data und Maschinenlernen angeboten werden (2015, S. 3).
- 30.
Latour verwendet den Begriff Bewegung zur Charakterisierung der ANT: „Die ANT konzentriert die Aufmerksamkeit auf eine Bewegung.“ (2006b, S. 563).
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Miebach, B. (2022). Theorien sozialen Handelns. In: Soziologische Handlungstheorie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-34422-1_1
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