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Metaphysik der Erotik: Sex und Gender als Prinzipien der Ontologie bei Ibn al-ʿArabī (gest. 1240)

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Sexualität, Gender und Religion in gegenwärtigen Diskursen
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Zusammenfassung

Mit seiner Lehre von der dreistufigen erotischen Vereinigung (nikāḥ) liefert Ibn al-ʿArabī eine philosophische und theologische Grundlage für eine sexpositive Einstellung. Zwar ist das Sexuelle und Erotische in der muslimischen Tradition durchaus positiv konnotiert, im Sinne, dass es eine Wonne und göttliche Gabe darstellt; Ibn al-ʿArabī jedoch geht, wie in diesem Aufsatz aufgezeigt wird, einen Schritt weiter und verleiht dem Sex einen metaphysischen und vor allem einen epistemologischen Mehrwert. Solcherart in einem einheitlichen Rahmen gedacht, wird Sex unmittelbar mit der Erfahrung des Göttlichen in Verbindung gesetzt. Ibn al-ʿArabīs Lehre von der Metaphysik der Erotik ist auch das Fundament, auf das er seine Vorstellung von Geschlechtern und ontologischen Gendern gründet. Im folgenden Text soll eine systematische Darstellung der Metaphysik der Erotik bei Ibn al-ʿArabī erarbeitet und auf die Frage eingegangen werden, wie er die ontologischen Gender verstand und in seine einheitliche Lehre integrierte.

Allein die Tatsache, dass der Mann sich beim Sex vor der Frau niederwirft (damit ist die Missionarsstellung gemeint) und dass die Niederwerfung die edelste Stellung im Gebet ist, weist auf ihre Stellung im Sein hin.

(Ibn al-ʿArabī, 2013, Bd. 8, S. 456)

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Notes

  1. 1.

    Eine der wenigen Ausnahmen in diesem Zusammenhang sind die Arbeiten von Nazha Barrāḍa und Saʿdiyya Shaikh; siehe Barrāḍa (2008); Shaikh (2012).

  2. 2.

    Die Positionen Ibn al-ʿArabīs erinnern an andere Traditionen, insbesondere an die tantrischen Lehren indischer Traditionen (Eliade 2012).

  3. 3.

    Dieser Aufsatz basiert vor allem auf den zwei zentralen Werken Ibn al-ʿArabīs, nämlich al-Futūḥāt al-makkiyya und Fuṣūṣ al-ḥikam, sowie auf seinen Kommentaren.

  4. 4.

    Zu den beiden Konzepten siehe Rahmati (2007).

  5. 5.

    Akbarītische Schule ist der Name, den man den Vertretern der Lehren Ibn al-ʿArabīs gegeben hat. Die Bezeichnung leitet sich von seinem Titel aš-Šayḫ al-Akbar ab und ist insbesondere in der englischsprachigen Literatur ein fester Fachbegriff geworden. Siehe z. B. Abrahamov (2014, S. 53); Lawson (2005, S. 356); Nasr und Leaman (1996, S. 1049); Todd (2014, S. 28).

  6. 6.

    Metaphorischer Geschlechtsverkehr.

  7. 7.

    Wortwörtlich kann nikāḥ auch mit erotischer Verbindung oder Vermischung übersetzt werden.

  8. 8.

    Damit ist gemeint, dass Gott es seit jeher geliebt hat, sich selbst in etwas anderem zu betrachten. Der Urgrund jeglichen Daseins ist nach diesem Konzept die göttliche Liebe (vgl. al-Ǧandī, 2007, S. 546 f.; al-Bakrī, 2013).

  9. 9.

    „Wenn das eine göttliche Wesen als etwas gedacht wird, das Eigenschaften und Namen besitzt, welche potentielle Wirkungen und Implikationen haben, dann ist hier die Rede von der ersten Entifikation des Wirklichen. Auf dieser Stufe kann ein Verhältnis innerhalb des einen Wesens mit Seinen Namen und Eigenschaften gedacht werden. Die Vielheit, die dadurch entsteht, ist lediglich eine Vielheit der postulierten Relationen im göttlichen Wissen, welches mit dem Wesen Gottes identisch ist. Da das göttliche Wesen sich Seiner Namen und Eigenschaften bewusst ist, ist Er sich deswegen aller Entitäten, die Schauplätze (maẓāhir) dieser Namen und Eigenschaften sein können, bewusst. Die Matrix der Relationen göttlicher Namen und Eigenschaften nennt Ibn al-ʿArabī die festen Entitäten (al-aʿyān aṯ-ṯābita). Sie sind keine abstrakten Dinge, Universalien oder Urbilder im platonischen Sinne, sondern konkrete Entitäten im göttlichen Wissen. Alles, was auf einer der vier Stufen des Daseins, nämlich der wesenhaften, mentalen, sprachlichen oder zeichenhaften Stufe, existieren kann, ist eine partikulare Entität im Wissen Gottes. Jegliche Substanz, Eigenschaft, Idee, Konzept, ob konkret, gedacht oder imaginiert, entspricht einer konkreten Entität (ʿayn) im göttlichen Wissen. Das Wissen Gottes über Sein erhabenes Wesen impliziert unmittelbar das Wissen über Seine Namen und Eigenschaften. Diese wiederum implizieren die Gesamtheit der festen Entitäten (al-aʿyān aṯ-ṯābita), die nichts anderes sind als die Manifestation (taǧallī) der göttlichen Namen und Eigenschaften im Wissen Gottes“ (Ghandour, 2018, S. 80).

  10. 10.

    Ibn al-ʿArabī spricht von al-qaṣd bi l-amr als der Form des nikāḥ. Das heißt, in dieser Konstellation ist der Wille das männliche Prinzip. Die festen Entitäten (al-aʿyān aṯ-ṯābita), welche das göttliche Wissen sind, sind somit das weibliche Prinzip (siehe auch Ibn al-ʿArabī, 2013, Bd. 1, S. 404–406).

  11. 11.

    Zur Erschaffung der Handlungen bei den Ašʿarīten siehe Ghandour (2014).

  12. 12.

    Nomen Agentis des Verbs nakaḥa, das den aktiven Part in der erotischen Vereinigung bezeichnet.

  13. 13.

    Nomen Patientis des Verbs nakaḥa, das den passiven Part in der erotischen Vereinigung bezeichnet.

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Ghandour, A. (2021). Metaphysik der Erotik: Sex und Gender als Prinzipien der Ontologie bei Ibn al-ʿArabī (gest. 1240) . In: Ulfat, F., Ghandour, A. (eds) Sexualität, Gender und Religion in gegenwärtigen Diskursen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-33759-9_1

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