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1 Einleitung

„Der Mensch ist nur ein Schilfrohr, das schwächste der Natur; aber er ist ein denkendes Schilfrohr“ (Pascal 2016, Pensées VI, 347)Footnote 1

Der Mensch gehört mit seinem lebendigen Körper der Natur an. Er ist Teil der Natur. Gleichzeitig unterscheidet er sich aber von der Natur, denn er ist ein denkendes Wesen, ein Wesen mit Bewusstsein. Darauf weist Merleau-Ponty hin, indem er sagt: „Der eigene Leib ist in der Welt wie das Herz im Organismus“ (Merleau-Ponty 1966, S. 239). Steiner sieht das ähnlich und folgert daraus, dass alle Kräfte, Energien und Qualitäten, die in der Natur sind, auch im menschlichen Leib wirksam sind. Dies sagt er an vielen Stellen seines Werkes, beispielsweise gibt es einen Vortragszyklus mit der Überschrift: „Entsprechungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Mensch – eine Hieroglyphe des Weltalls“ (Steiner 2015).

Wir stehen also in einem doppelten Bezug zu unserem Leib: Wir sind unser Leib und wir stellen uns mit unserem Bewusstsein diesem Leib gegenüber (vgl. Merleau-Ponty 1966). Mit dem Bewusstsein versuchen wir, die Formkräfte und die Energie in unserem Leib zu verstehen. Unser Bewusstsein ist dabei nicht unabhängig von den leiblichen Prozessen, und die leiblichen Prozesse kann man durch das Bewusstsein beeinflussen. Die Vertreter des Embodiment betonen, dass das Gehirn, als Organ des Bewusstseins und der lebendige Körper sich nicht hierarchisch über oder untergeordnet sind, sondern, dass sie aufeinander angewiesen sind:

„Das Gehirn (…) ist kein abgesondertes Organ, das im Schädel seine eigene Welt modelliert und auf dieser Basis Befehle in den Körper hinausschickt. Es ist vielmehr zuallerst ein Regulations- und Wahrnehmungsorgan für den Gesamtorganismus. Der Körper ist der eigentliche »Spieler im Feld«, auf dessen Homöostase und Verhältnis zur Umwelt es ankommt, und dessen innere Zustände geeignete Reaktions- und Verhaltensweisen veranlassen können. Zentrum und Peripherie stehen daher in engster Verbindung und beeinflussen einander in fortwährender zirkulärer Rückkopplung“ (Fuchs 2021, S. 156).

Durch diese gegenseitige Beeinflussung ist der Leib des Menschen allerdings nie bloßer Naturkörper und das Bewusstsein nie unabhängig von der Körperlichkeit. Der menschliche Leib erscheint vielmehr kulturell durchformt als auch natürlich vorgeprägt. Bernhard Waldenfels charakterisiert ihn nach Husserl als eine „Umschlagstelle zwischen Kultur und Natur in dem Sinne, dass er weder der einen noch der anderen Seite zuzuordnen ist“ (Waldenfels 2018, S. 253). Damit verlässt er den cartesianische Denkrahmen (ebd., S. 247) und inauguriert eine neue Form, über den Menschen in der Welt nachzudenken. Dementsprechend setzt sich eine Gruppe von Wissenschaftlern mit der „Philosophie der Verkörperung“ als einem neuen Paradigma auseinander. Es handelt sich um eine interdisziplinäre Debatte, die auf zwei philosophische Denkrichtungen zurückgreift, nämlich auf die Phänomenologie und auf den Pragmatismus (vgl. Fingerhut et al. 2013, S. 10).

In der heutigen (Schul-)Pädagogik wird das Lernen dual geschieden: Im Sport- oder Handwerksunterricht werden die Bewegungskompetenzen des Körpers trainiert und in den theoretischen Fächern die kognitiven Kompetenzen. In diesen soll der Körper sich still verhalten und nicht stören. Diese Pädagogik folgt damit offensichtlich dem cartesianischen Denken, welches Körper und Geist als zwei unterschiedliche Dimensionen ansieht, die dann auch getrennt erzogen werden können. Eine Ausnahme bildet die Eurythmie als ein zentrales Fach im Curriculum der Waldorfschulen.

Im Folgenden werden die Grundlagen der Eurythmie eingeführt; sodann wird am Beispiel der Tierkreiskräfte, die von Rudolf Steiner als Gestaltungsprinzipien in die Eurythmie eingeführt wurden, gezeigt, wie durch gedankliche und gestische Übungen mit Studierenden die Ausdrucksqualitäten erschlossen werden können.

2 Eurythmie

Die Eurythmie wurde 1912 als eine Bewegungskunst entwickelt. Mit der Entstehung der ersten Waldorfschule 1919, also fünf Jahre später, wurde sie sofort als fester Bestandteil in den Lehrplan eingebaut und 1923 als Bewegungstherapie weiterentwickelt (Siegloch 1997). In der Eurythmie werden Sprache und Musik durch die Bewegungen des menschlichen Körpers dargestellt. Entweder als Solo- oder als Gruppenchoreographie können z. B. Gedichte oder Musikstücke tänzerisch ausgedrückt werden. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welche Gesetzmäßigkeiten und Beziehungen der Sprache bzw. der Musik zugrunde liegen. Diese werden durch menschliche Bewegungen sichtbar gemacht; als Gestaltungsmittel werden z. B. Gesten, Farben und Raumformen eingesetzt.

Wir finden in der Eurythmie für das Auge unsichtbare Zusammenhänge, Kräfte und Energien in einer sichtbaren Geste zusammengefasst. So gibt es beispielsweise Gesten für die Tierkreiszeichen und die Planetenbewegungen. Sie stellen durch Bewegungen die Qualitäten dar, die es in der Welt und deshalb auch im Menschen – welcher Teil der Welt ist – gibt. Auch die Qualitäten der Poesie, die zwischen den Zeilen stehen, können z. B. durch die Bewegungsdynamik oder durch Seelengesten gezeigt werden.

Diese Kräfte oder Wirksamkeiten nehmen wir als erwachsene Menschen zunächst nicht unmittelbar wahr, aber wir können sie gedanklich erschließen (vgl. Steiner 1991, S. 22). Das gedankliche „Bild enthält nichts mehr von der Realität“ (ebd.). Die Lebenskraft, welche nicht physisch, nicht sinnlich wahrnehmbar ist, baut den Leib des Kindes auf, und wenn es erwachsen ist, dann kann diese Kraft auch ein neues Kind hervorbringen. In unserem Körper ist diese Kraft tätig und unbewusst. Steiner weist auf das schöpferisch Tätige in der lebendigen Natur, in den Pflanzen, den Tieren und den Menschen hin. Etwas Schöpferisches, aber nicht physisch Wahrnehmbares lässt die Pflanze, das Tier und den Menschen wachsen und bildet in einem zeitlichen Prozess ihre Gestalt aus. Steiner nennt diese Kraft die Lebensprozesse oder auch den „Bildekräfteleib“:

„Es ist für den heutigen Menschen schon schwierig, wenn man ihm spricht von einem solchen Zeitorganismus. Aber es ist wirklich dieser Zeitorganismus als ein zweiter Mensch in uns vorhanden, und wir dürfen ihn einen Organismus nennen. […]. Ich habe ihn in meinen Büchern Ätherleib oder Bildekräfteleib genannt. Dieser Bildekräfteleib ist eben ein Zeitorganismus. […]. Man muss sich eben klar sein, dass es von diesem Bildekräfteleib abhängt, wie man als Mensch gebildet ist“ (Steiner 1994, S. 127).

Man kann diese Kräfte – da nicht äußerlich sichtbar – auch das „Geistige“ nennen, wie dies Göbel tut:

„Wenn die Eurythmie durch Bewegung das Geistige ins Materielle überführen will, so ist damit eine Arbeitsweise gemeint, die es in der Kunstgeschichte vor der klassischen Moderne nicht gegeben hat. […] Mit dieser Arbeitsweise, die das Geistige ins Materielle überführen will, steht die Eurythmie nicht allein da. Alle moderne Kunst arbeitet unbewusst in diesem Sinn und wenn sie sich selber richtig versteht, kann sie das durchschauen. Bewusst das Geistige ins Materielle zu überführen, ist allerdings eine Tätigkeit, die sich aus der Anthroposophie ergibt“ (Göbel 2006, S. 20).

Eurythmie und Kunst allgemein machen also etwas sichtbar, was sonst nicht wahrnehmbar wäre.

Im therapeutischen und pädagogischen Bereich werden durch die Rückverbindung mit denjenigen Kräften, die den Menschen im Mutterleib gebildet haben (kosmische Kräfte, Tierkreis, Planeten), die Selbstheilungskräfte des Organismus angeregt. Gelingt es in der Bewegung – und das ist das Ziel der Eurythmie – diese qualitativ unterschiedlichen Kräfte darzustellen, dann können die Menschen, die diese Bewegungen ausführen, in ihrem Leib diese Kräfte und Gesetzmäßigkeiten erleben. Sie erhalten damit einen zweiten Zugang zu den Formkräften:

Erster Zugang: Wir können uns der Welt – und damit auch unserem lebendigen Körper, der wir sind – gegenüberstellen und ihn gewissermaßen von außen betrachten und gedanklich zu erfassen versuchen. Dann versuchen wir die Gesetze, nach denen unser Körper und die Welt sich organisieren, zu beschreiben und auch die Kräfte, die sich den Gesetzen gemäß verhalten.

Zweiter Zugang: Wir können die Formkräfte der Welt in der Bewegung unseres lebendigen Körpers erleben und dies in die bewusste Erfahrung hochholen.

Beide Zugänge führen zwangsläufig über das Gefühl. Die Erkenntnis, die wir haben, muss erlebt sein, um Taten folgen zu lassen. Andererseits erleben wir ständig unbewusst die Formkräfte der Welt und nur über das Gefühl besteht überhaupt die Möglichkeit, sich diese ins Bewusstsein zu heben.

Thomas Göbel fasst die Aufgabe der Eurythmie folgendermaßen zusammen:

„Die Eurythmie will durch Bewegung das Geistige ins Materielle überführen. […] Wird das geleistet, muss das, was in der Eurythmie als Bewegung sichtbar wird, den Anspruch erfüllen, den Geist zu offenbaren und zwar unmittelbar im Materiellen, oder es ist keine Eurythmie. Für die Heileurythmie gilt dann, dass sie im kranken Organismus diejenigen geistigen Wirkungen entfaltet, die wieder zur leiblichen Gesundung führen. Die künstlerische Eurythmie kann im Zuschauer eine Wirkung entfalten, die die Seele erhebt und läutert.“ (Göbel 2006, S. 20)

Rudolf Steiner spricht davon, dass die Eurythmie ständig bei allen Menschen im geheimen stattfindet, in der künstlerischen Eurythmie würden sie lediglich sichtbar gemacht (vgl. Steiner 1990, S. 32 f.). Er meint damit, dass diese unsichtbaren Formkräfte, die unseren lebendigen Körper aufbauen, erhalten und wachsen lassen, was durch die Eurythmie in der Bewegung dargestellt werden kann.

3 Beispiel: Der Tierkreis

Dem Tierkreis, der in der astronomischen Ordnung von zwölf Sternbildern sichtbar ist, werden Formkräfte zugeschrieben, die die Gestalt und die Organe des Menschen bilden. Jedem Tierkreiszeichen wird eine andere Qualität der Formkraft zugeschrieben. Alte Zeichnungen, die in der Alchemie und Mystik überliefert sind (Roob 2014), ordnen deshalb bestimmten Bereichen des menschlichen Körpers bestimmte Tierkreiszeichen zu, um auf den Zusammenhang des Geistigen im Makrokosmos mit dem Menschen als Mikrokosmos zu verweisen (Feuerstein-Herz und Laube 2016, S. 202 f.). Olaf Koob zeigt für die Medizin auf, wie in Anknüpfung an diese Überlieferungen „der leiblich-anatomische Mensch“ als „Ergebnis von zwölf Kräftewirkungen, die in den zwölf Tierkreisen ihren kosmischen Ursprung haben“, verstanden werden kann, es aber darauf ankomme, „die dahinter liegenden schöpferischen Impulse als Gesten“ zu erkennen, „die den Leib gestalten“ (Koob 2014, S. 44). Diese Gesichtspunkte wurden bereits von Rudolf Steiner im Rahmen seiner geisteswissenschaftlichen Studien bearbeitet. Er beschreibt 1921 in dem Vortragszyklus „Anthroposophie als Kosmosophie“, wie aus den Tierkreisregionen die Formkräfte des physischen Leibes hereinwirken und während der Embryonalentwicklung für die Architektur des physischen Leibes zuständig sind (vgl. Steiner 1992, S. 64 ff.). 1924 spricht er in den Vorträgen zur „Eurythmie als sichtbare Sprache“ davon, dass der Tierkreis zwölf Aspekte des menschlichen Daseins zum Ausdruck bringe und den ganzen Menschen zusammenfasse (vgl. Steiner 1990, S. 172 ff.). Außerdem gelte der Tierkreis in der Eurythmie als kosmischer Ursprung der Lautbewegungen für die Konsonanten (vgl. Steiner 1990, S. 172 ff.). Als Embryo stellt sich der Mensch zunächst in die Tierkreisform hinein und nimmt aus den zwölf Regionen die Kräfte auf; später streckt er bildlich gesprochen den Hauptesanteil und die Beine aus dem Kreis heraus, dann sind die Formkräfte im dreigliedrig werdenden Menschen aktiv (vgl. Steiner 1992, S. 75 ff.). Diese kosmischen Gesten werden in der Eurythmie durch bestimmte Körperhaltungen in Verbindung mit einer bestimmten seelischen Gestimmtheit und der Imagination einer bestimmten Farbe dargestellt. Im Rahmen eines Eurythmiekurses erfolgten erlebnisbasierte und reflektierte Studien zur Erschließung dieser zunächst sich nicht unmittelbar erschließenden Wirksamkeiten des Tierkreises.

4 Der Tierkreis im Unterricht des Bachelorstudiengangs Heilpädagogik

Ausgehend von der Frage, was ein*e Student*in der Pädagogik mit der Tierkreis-Thematik überhaupt anfangen könnte und warum es interessant sein würde, sich näher damit auseinanderzusetzen, wurden basale Übungen zu eurythmischen Tierkreisgesten nach Steiner konzipiert und durchgeführt. An einem Beispiel aus dem Unterricht des Bachelorstudiengangs Heilpädagogik an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, Studienzentrum Mannheim, soll eine mögliche Vorgehensweise aufgezeigt und ausgewertet werden.

Eine Gruppe von Studierenden hatte im ersten Studienjahr eine dreiwöchige Einführung in die Eurythmie erhalten und sich seither mit der Musik, der Sprache, der Malerei und dem Plastizieren gewidmet. Am Ende des Studienjahres fand dann ein weiterer Kurs, in dem der Tierkreis eurythmisch dargestellt werden sollte, statt. Von Beginn an war die Neugier auf diesen Inhalt groß. Zum Teil war das Interesse dem geschuldet, was man landläufig unter Sternzeichen versteht. Zu Beginn des Kurses wurde zusammengetragen, was die Teilnehmer*innen mit dem Tierkreis im Allgemeinen verbinden. Die Studierenden stellten z. B. die Verbindung mit dem Tages- oder Jahreshoroskop her, dem persönlichen Horoskop, welches die Sternkonstellation zum Zeitpunkt der Geburt interpretiert, dem eigenen Sternzeichen und den zugeschriebenen Charaktereigenschaften. Hierbei soll ausdrücklich betont werden, dass der eurythmische Tierkreis nichts mit dem Geburtshoroskop oder dem, was landläufig unter Sternzeichen verstanden wird, zu tun hat. Dieser Einstieg wurde nur als Anknüpfungspunkt benutzt.

Die erste Aufgabe bestand darin, zwölf große Blätter, auf denen zwölf Aussagen geschrieben standen und die durcheinander lagen waren, in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen:

  1. 1.

    Lodernde Begeisterung

  2. 2.

    Abwägung der Voraussetzung des Gedankens

  3. 3.

    Entschluss

  4. 4.

    Vernünftige Ernüchterung

  5. 5.

    Auseinandersetzung des Gedankens mit der Welt

  6. 6.

    Gedanke/ der Verstand

  7. 7.

    Der sich im Gleichgewicht befindliche Mensch

  8. 8.

    Antrieb zur Tat

  9. 9.

    Ereignis

  10. 10.

    Fähigkeit zur Tat

  11. 11.

    Das Ereignis ist Schicksal geworden

  12. 12.

    Tat

Um eine Anknüpfung an die angesprochene geistige Ebene finden zu können und um zu prüfen, ob die Worte eine überpersönliche Aussage transportieren, war es zunächst nötig, sich ihnen auf der persönlichen seelischen Ebene anzunähern und Übersetzungsarbeit zu leisten. Was bedeuten diese Worte in unserem Alltag? Es wurden Beispiele aus dem eigenen Leben gesucht. Anhand konkreter Bezüge wurde deutlich, dass in den individuellen Empfindungen etwas erkennbar war, das allgemeiner Natur ist. Es wurde deshalb möglich, die angegebenen Aussagen in eine logische Reihenfolge zu bringen, die für alle stimmig war. Hier einige Beispiele:

Lodernde Begeisterung – Begeisterung für eine Sache oder eine Person kennt jeder. Zu der Zeit waren die „Fridays for Future“ Aktionen aktuell, also bot sich die Begeisterung für die Aktionen gegen den Klimawandel als Beispiel an.

Vernünftige Ernüchterung – Auch das Ankommen auf dem Boden der Tatsachen ist bekannt: Was macht Sinn im Kampf für die Umwelt, was bedeutet Klimaschutz und wie steht dieser in der Verbindung mit dem Umweltschutz?

Abwägung der Voraussetzung des Gedankens – die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit ist oft ernüchternd, also muss überlegt werden, wie sich die Gedanken von Greta Thunberg mit der Welt verbinden. Lässt sich die Politik durch Demonstrationen auf der Straße beeinflussen? Wer sind die Geldgeber hinter Greta Thunbergs öffentlichkeitswirksamen Aktionen? Wessen Interessen werden hier vertreten? Ist der Klimaschutz das einzige Problem? Was ist mit 5G und der Digitalisierung?

Der Gedanke – Der nächste Schritt wäre dann, auf dieser Basis eine konkrete Umsetzungsidee zu entwickeln (z. B. könnte man planen, Schilder zu malen und auf die Straße zu gehen) und

der Entschluss – sich dafür zu entscheiden. Der Schritt der Entscheidung ist übrigens derjenige, der vielen Menschen heute sehr schwer fällt. Ist eine Entscheidung getroffen, gilt es, die Konsequenzen zu (er-)tragen. Die Umsetzung einer Idee scheitert oft daran, dass der Entschluss nicht gefasst wird, einen guten Gedanken in die Tat umzusetzen.

Auch der andere Weg ist möglich:

Lodernde Begeisterung

Antrieb zur Tat – Er gibt einen Impuls, etwas zu tun, handelnd in die Welt zu treten. Man möchte z. B. etwas für das Klima tun.

Fähigkeit zur Tat – Um diesem Impuls Folge leisten zu können, bedarf es der Werkzeuge und Fähigkeiten. Workshops können geplant, die Voraussetzungen dafür geschaffen werden.

Tat – Sind die Voraussetzungen vorhanden, so kann die Idee umgesetzt werden und der Mensch beginnt zu handeln, bspw. eine Demonstration für das Klima zu organisieren.

Ereignis – Wurde die Tat ausgeführt, so ist diese Vergangenheit geworden und damit zum Ereignis, welches man im Rückblick anschauen kann.

Das Ereignis ist Schicksal geworden – Hat dieses stattgefunden, so steht das Ereignis in der Geschichte unverrückbar festgeschrieben, denn die Vergangenheit lässt sich nicht mehr ändern.

Der sich im Gleichgewicht befindliche Mensch – Am Ende des Weges kommt der Mensch im Idealfall durch die Tat seinem eigenen Lebensimpuls einen Schritt näher und kann neue Impulse entwickeln.

So entwickelten sich zunächst durch die Aneinanderreihung der Aussagen zwei Wege, die als zwei gerade Wege verstanden werden:

1. Lodernde Begeisterung – vernünftige Ernüchterung – Abwägung der Voraussetzung des Gedankens –Gedanke – Entschluss – Auseinandersetzung des Gedankens mit der Welt – der im Gleichgewicht befindliche Mensch

und:

2. Lodernde Begeisterung – Antrieb zur Tat – Fähigkeit zur Tat – Tat – Ereignis – das Ereignis ist Schicksal geworden – der im Gleichgewicht befindliche Mensch.

Es gab also einen Weg, der mehr mit der gedanklichen Auseinandersetzung mit der Welt zu tun hatte und einen, der mehr die aktive Gestaltung der Welt nachzeichnete. Die Studenten merkten recht schnell, auf welcher Seite sie sich wohl fühlten, ob ihnen mehr das Gedankliche lag oder die Seite der Umsetzung.

Ideal wäre es, im Leben beide Wege zu verbinden: sich begeistern zu lassen, dann gedanklich die Voraussetzungen für eine Umsetzung zu prüfen und einen Entschluss zu fassen, welcher dann zur Tatseite führt und am Ende umgesetzt wird. Es wurde deutlich, dass wir uns alle gerne in der für uns angenehmsten Einseitigkeit aufhalten. Die einen mehr im Gedanklichen, die etwas zuerst genau durchdenken und verstehen wollen, ja müssen, bevor sie etwas zur Umsetzung bringen. Das sind z. B. Menschen, die im Studienalltag sich zuerst einen Plan für eine Hausarbeit machen, ewig darüber nachdenken und denen es evtl. schwer fällt, tatsächlich anzufangen, weil der Plan noch nicht perfekt ist. Eine andere Gruppe fühlt sich auf der praktischen Seite wohler, das sind z. B. Menschen, die gerne einmal etwas ausprobieren, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wohin der Weg führt, die durch die praktische Handlung zu einem Verständnis kommen.

Weiterhin wurde klar: Wer nur auf einer Seite verharrt, gerät über kurz oder lang in eine Sackgasse. Die einen könnten zwar mit dem Verstand die umgebende Welt und die Aufgaben durchdringen; wenn da der Weg jedoch endet, bleiben die besten Ideen im Gedanklichen stecken und werden niemals in die Tat umgesetzt. Gibt es beispielsweise Ideen dazu, wie man den Klimawandel stoppen, wie man die Politiker zum Umdenken bringen oder wie man sein eigenes Leben umwelt- und sozialverträglicher gestalten könnte, ohne dass es aus welchen Gründen auch immer zur Tathandlung kommt, so hat das keinerlei Auswirkungen auf den Lauf der Welt.

Andersherum gilt entsprechend: Wird aus der Begeisterung heraus agiert ohne gedanklich darüber zu reflektieren, so kann es nicht zu einem Verständnis der Gesamtzusammenhänge kommen. Wird zum Beispiel mit großer Begeisterung für den Klimaschutz demonstriert, ohne zu überlegen, was wirklich sinnvoll sein könnte und wessen Interessen eventuell durch die Massen auf den Straßen vertreten werden, so könnte es durch den reinen Aktionismus zu einer immer stärkeren Radikalisierung kommen, wodurch Feindbilder entstehen und die Menschheit sich in Klimaschädlinge und Klimaverbesserer teilt.

So ergab es sich, dass man die gesammelten Aussagen auch zu einem Kreis verbinden und sie mit den zwölf Qualitäten des Tierkreises in Zusammenhang stellen konnte:

Löwe::

Lodernde Begeisterung

Jungfrau::

Vernünftige Ernüchterung

Waage::

Abwägung der Voraussetzung des Gedankens

Skorpion::

Gedanke / der Verstand

Schütze::

Entschluss

Steinbock::

Auseinandersetzung des Gedankens mit der Welt

Wassermann::

Der sich im Gleichgewicht befindliche Mensch

Fische::

das Ereignis ist Schicksal geworden

Widder::

Ereignis

Stier::

Tat

Zwilling::

Fähigkeit zur Tat

Krebs::

Antrieb zur Tat

(vgl. Barfod 1998, S. 19)

Zu jeder Tierkreisaussage gehört eine bestimmte Geste, die zunächst an lebenden Statuen, also von den Studierenden selbst mittels ihrer eigenen Körperlichkeit plastiziert wurde. Jeweils zwei Studierende formten die Körperhaltung einer dritten Person so, dass die gewünschte Aussage in die Sichtbarkeit kam. So kamen nahezu nur durch experimentelle Eigenarbeit nach und nach die von Steiner für die Tierkreisqualitäten angewiesenen Gesten zum Vorschein (vgl. Steiner 1990):

„Löwe::

Heben Sie beide Arme in die Höhe, Handflächen auswärts, spreizen Sie alle Finger.

Jungfrau::

Halten Sie den rechten Arm an den Körper, die linke Hand leicht in die Seite gestemmt.

Waage::

Beide Arme nach vorn, übereinandergelegt.

Skorpion::

Die Arme entlang dem Körper, linker Arm etwas abstehend.

Schütze::

Einen Fuß vorgestellt, die linke Hand faßt den Ellbogen der rechten.

Steinbock::

Ballen Sie die linke Hand etwas zur Faust, geben Sie sie an die Stirne; machen Sie mit dieser (rechten) etwas weiter nach vorne gestellten Hand diese Geste (siehe Zeichnung in der Quelle)

Wassermann::

Beide Hände nach vorn, die linke nach unten, die rechte nach oben.

Fische::

Sie stehen bloß auf dem linken Fuß, den rechten halten Sie etwas gehoben, die rechte Hand vertikal aufwärts, die linke Hand etwas gebeugt abwärts.

Widder::

Kopf nach vorn abwärts, mit der rechten Hand das Kinn berühren, die linke Hand hängen lassen.

Stier::

Umschlingen Sie mit dem rechten Arm den Kopf und bedecken Sie mit der linken Hand den Kehlkopf.

Zwilling::

Stellen Sie die Füße einwärts und kreuzen Sie die Arme.

Krebs::

Linken Arm über der Brust, rechten auf dem Rücken.“ (Steiner 1990, S. 171 ff.)

Es wurden beide Wege, sowohl mit den Gesten, als auch mit den seelischen Haltungen immer wieder geübt, zuerst nur die Gesten des Tierkreises im Zusammenhang mit den Sätzen, etwas später kamen die zu den Tierkreisbildern gehörenden Laute dazu. Wie eingangs erwähnt, steht hinter jedem Konsonanten ein Tierkreis als Pate, welcher als Bindeglied der physischen Welt (Körperausdruck) und der ätherischen Welt (Konsonant) mit der geistigen Welt (Tierkreis) gesehen wird. Die beiden Wege (Gedanken- und Tatweg) wurden nach und nach immer mehr in Verbindung geübt, also der Weg Löwe – Jungfrau – Waage – Skorpion – Schütze – Steinbock zurück zum Löwen – Krebs – Zwilling – Stier – Widder – Fische – Wassermann.

Ein Student beschreibt den Nachklang des Kurses so:

„Die Grundessenz des Kurses war es meiner Auffassung nach, geistigen Qualitäten und seelischen Bewegungen eine räumliche Form zu geben. Eine räumliche Bewegung, oder kurz gesagt, eine Tat setzt einen inneren Prozess voraus, welcher einen Weg durch verschiedene Willens- und Denkqualitäten durchläuft. Um eine Tat vollführen zu können, muss man sich beispielsweise mit den äußerlichen Umständen der Welt, aber auch mit den eigenen Grenzen auseinandersetzen. Das Sich-bewusst-Werden dieser Qualitäten verleiht der Tat einen Sinn; man überträgt also innere, geistige und seelische Prozesse in die materielle Welt. Umgekehrt bedeutet dies, dass Bewegungen im Raum innere Denk- und Willensprozesse anregen.“

5 Fazit und Ausblick

Unter den vielen verschiedenen Zugangsmöglichkeiten zum Tierkreis und den zwölf verschiedenen Qualitäten, die diese repräsentieren, wurde jene aus zwölf Aussagen ausgewählt, die Steiner den zwölf Tierkreiszeichen zugeordnet hat (vgl. Steiner 1990). Den Teilnehmer*innen des Kurses wurde die Gelegenheit gegeben, diese Aussagen mit dem zu verbinden, was sie selbst in ihrem Alltag erleben. Damit befanden sie sich auf der psychischen Ebene bzw. auf der Ebene des subjektiv Erlebten. Den Kursteilnehmern wurde anhand der Arbeit mit den Tierkreisqualitäten klar, welches ihre eigene Ausgangssituation ist (eher gedanklich oder eher handlungsbetont) und wie sie durch die Arbeit mit der persönlichen und der jeweils anderen Seite zu einer gewissen Balance kommen können. Im gemeinsamen Gespräch wurden schließlich die überindividuellen Kategorien als unterschiedliche Möglichkeiten erörtert, sich mit der Welt in Beziehung zu setzen: Durch eine Handlung ist der Mensch Teil der Welt, durch das Denken distanziert er sich bzw. stellt sich der Welt gegenüber. Merleau-Ponty spricht von der Doppeldeutigkeit des Leibes, er ist zugleich Objekt und Subjekt (vgl. Merleau-Ponty 1966, S. 126). Diese überindividuellen Kategorien kann man als spirituelle Dimensionen erkennen. Sie sind Gesetzmäßigkeiten, die den Menschen prägen, die nicht nur subjektiv individuell sind, die aber subjektiv erlebt werden können.

Den Studierenden wurde durch die Unterscheidung ihres subjektiven Erlebnisses und der überindividuellen Gesetzmäßigkeiten deutlich, dass dieser anscheinend (gedanklich wie räumlich) so fern liegende Tierkreis jene Qualitäten darstellt, die in ihnen selbst wirksam sind, auf die sie aber auch aktiv Einfluss nehmen können. Wie diese geworden sind und sich aktuell verhalten, ist aber kein Diktum, wie z. B. die Aussage impliziert: „Ich bin halt Skorpion, ich kann nicht anders“. In dem Augenblick, indem ich erkannt habe, dass ich mich mehr gedanklich, planend der Welt gegenüber verhalten oder aktiv handelnd kann, habe ich die Möglichkeit, mich bewusst zu entscheiden, wo ich den Schwerpunkt lege oder wie ich diese beiden Seiten in mir verbinde möchte. Dies ist allerdings nicht unmittelbar, also ohne willentliche Anstrengung möglich. Denn der belebte Körper folgt nur in mancher Beziehung den kognitiven Befehlen. Wenn der Körperleib in einem ängstlichen Zustand ist, wird er durch die Ermutigung „Sei ohne Angst!“ sich nicht ohne Weiteres von der Angst und dem damit verbundenen Zustand befreien können. Das subjektive Erleben verbindet den Leib, die Bewegung und die Haltung im Leib mit dem Bewusstsein. Es ist gewissermaßen die Brücke zwischen dem Bewusstsein und dem bewegten Leib.

Im Eurythmie-Unterricht wird daher angestrebt, die Erlebnisse mit und an den Bewegungen im subjektiven Empfinden zu bemerken und ins Wachbewusstsein zu führen. Gleichzeitig ist auch jener Weg möglich, sich zuerst etwas bewusst gedanklich zu erarbeiten. Dann muss es aber anschließend auch an konkreten Handlungen erlebt werden, sonst bleiben eurythmische Bewegungen abstrakt.

Ein anderes Phänomen, das damit im Zusammenhang steht, soll hier noch angedeutet werden: Die Technik in unserer Welt schreitet immer weiter fort; Materielles scheint immer wichtiger zu werden. Der eigene Körper wird gar als optimierungsfähiges Objekt angesehen und diese Sehnsucht nach Selbstoptimierung nimmt ungeahnte Formen an. Die Sehnsucht, etwas verstehen zu wollen, geht Hand in Hand mit der Sehnsucht, etwas verbessern zu wollen. Besonders das Gehirn ist in diesem Bereich von großem Interesse. Miriam Meckel, Professorin für Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen, beschreibt in ihrem Buch „Mein Kopf gehört mir“ (2018), wie der Druck auf jeden einzelnen, immer und überall voll einsatzbereit zu sein, wächst und dazu führt, dass es bereits eine ganze Industrie gibt, die sich darauf spezialisiert hat, das Gehirn als Zone stetiger Selbstverbesserung und als ökonomische Ressource zu begreifen. Das fängt bei pharmakologischem Neuro-Enhancement an, etwa durch die Einnahme von Medikamenten oder die Mikrodosierungen von Drogen, um das Gehirn leistungsfähiger zu machen. Es geht weiter mit Neurostimulation durch Elektroden am Kopf, die niedrigschwelligen Strom durch das Gehirn leiten, um das vegetative Nervensystem zu beeinflussen und so für mehr Energie oder Entspannung zu sorgen. Schließlich soll auf die eine oder andere Weise, beispielsweise durch Implantate im Gehirn, dasselbe mit einem Computer oder mit anderen Gehirnen vernetzt werden, um in der Zukunft ein übergeordnetes „Wissen der Menschheit“ zu erzeugen. Durch dieses sogenannte „Brainhacking“ verschwimmt die Grenze zwischen eigenen und fremden Gedanken. Erste Erfolge in Richtung einer Gehirn-Computer-Schnittstelle gibt es bereits: Menschen können allein durch Gedankenkraft Computerspiele spielen, einen Text schreiben oder einen Roboterarm bewegen (vgl. Meckel 2018). Hier wird der belebte Körper zum Objekt gemacht. Die Menschen fühlen sich nicht mehr als eins mit ihrem Leib, sondern behandeln ihn wie ein Instrument, vergleichbar einem Auto, in dem sie sitzen und mit dem sie herumfahren. Er soll getunt werden und diese Verbesserung wird als Veränderung an einem Objekt verstanden, obwohl es sich um den eigenen Körper handelt.

Auf der anderen Seite finden sich in den Ratgeberregalen der Buchhandlungen vermehrt Titel zu Themen, sich selbst besser zu verstehen und durch verschiedene spirituelle Angebote, das Bewusstsein für sich und seine Umwelt zu erweitern. Es gibt Angebote für Yoga, Meditation, Achtsamkeit, Waldbaden, Schweige-Auszeiten, das eigene Leben verbessern u. v. m.

Es gibt also zwei Tendenzen in der heutigen Welt:

  1. 1.

    Die Tendenz sich vom eigenen Leib so weit zu distanzieren, dass er zu einem Objekt wird und damit vergessen wird, dass ich mein Leib bin. Mit den Worten von Merleau-Ponty: „Endlich ist mein Leib für mich so wenig nur ein Fragment des Raumes, dass überhaupt kein Raum für mich wäre, hätte ich keinen Leib“ (Merleau-Ponty 1966, S. 127). „Der Leib ist das Vehikel des Zur-Welt-seins, und einen Leib haben heißt für den Lebenden, sich einem bestimmten Milieu zugesellen, sich mit bestimmten Vorhaben identifizieren und darin beständig zu engagieren“ (Merleau-Ponty 1966, S. 106).

  2. 2.

    Die andere Tendenz ist, sich seinem subjektiven Erleben hinzugeben und darin eine spirituelle Wahrheit zu suchen, den Leib und die reale Welt aber dabei zu vergessen.

Anthroposophie – das sollen die beschriebenen Beispiele aus der Eurythmie zeigen – bietet eine andere Möglichkeit, sich innerlich der spirituellen Welt, den Formkräften der Welt zu nähern: Der Mensch übt sich selbst und erlangt so Fähigkeiten, die wiederum zur Anwendung kommen können. Es wird ihm die persönliche Entscheidung und der Willenseinsatz für ein selbstbestimmtes Handeln und Erkennen durch eine Maschine oder durch einen vereinfachten Zugang durch Selbst-Manipulation wie z. B. durch Drogen o. Ä. nicht abgenommen.

Für die jungen Menschen wurde – wie in dem Beispiel beschrieben – deutlich, dass heute der Umgang mit auf den ersten Blick fernliegenden geistigen Gesetzmäßigkeiten gar nicht so abwegig ist; sie ließen sich gerne auf das forschende Üben ein und gingen souverän mit den Aufgabenstellungen um. Das Interesse an geistigen Zusammenhängen, in diesem Fall thematisch auf den Tierkreis und die Eurythmie bezogen, war von Anfang an groß. Im Laufe des Kurses entwickelte sich die zunächst rein gedankliche Auseinandersetzung mit dem Thema zu einer gefühlsmäßigen Verbindung und konnte mit den Realitäten des Alltags verbunden erlebt werden. Diese Studien mit der Eurythmie bot den Studierenden eine Möglichkeit, sich mit spirituellen Zusammenhängen gedanklich, gefühlsmäßig und auf der Handlungsebene auseinanderzusetzen und dadurch im Alltag wacher zu werden.