Zusammenfassung
Das Ziel der vorliegenden Studie war es, den Wandel der Wachstumsausrichtung und des Wohlstandsverständnisses der deutschen Bundesregierung zwischen 2006 und 2016 zu rekonstruieren. Besonders seit der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 nahm die Kritik am uneingeschränkten Streben nach Wirtschaftswachstum stark zu. Diesbezüglich entstand auch die Forderung, soziale und ökologische Aspekte von Wohlstand stärker in der Ausgestaltung der Politik zu berücksichtigen. Der bisherige Wohlstandsindikator BIP sei diesbezüglich zu eindimensional. Kurz darauf räumte die Bundesregierung öffentlich ein, über einen neuen Wohlstandsindikator, anstelle des BIPs, nachzudenken und präsentierte schließlich ein neues Indikatorensystem. Das Erkenntnisinteresse der Arbeit lag darauf aufbauend darin, zu untersuchen, inwiefern sich in der Folge dieser Ereignisse der Stellenwert von Wirtschaftswachstum und den verschiedenen Wohlstandsdimensionen in der Ausgestaltung der deutschen Politik gewandelt hat. Hierzu wurden die Jahreswirtschaftsberichte der Bundesregierung von 2006 und 2016 unter Rückgriff auf die Grounded Theory Methodologie untersucht. Die Analyse ergab, dass das Wachstumsverständnis in diesem Zeitraum weitgehend gleichgeblieben ist und elementar zur deutschen Wirtschaftspolitik gehört. Allerdings betonte die Bundesregierung 2016 neben der Höhe des Wachstums auch dessen Qualität stärker berücksichtigen zu wollen. In Bezug auf den Wohlstandsbegriff zeigte die Analyse, dass die Bundesregierung 2016 ein deutlich ausdifferenzierteres und weniger materiell fixiertes Wohlstandsverständnis kommunizierte. Von einer umfassenden sozial-ökologischen Transformation kann aber trotzdem nicht gesprochen werden.
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