Zusammenfassung
Die Ergebnisse umfangreicher Forschung zu Sozialkapital legen einen Zusammenhang zwischen gesellschaftlichem Engagement, der Stabilität repräsentativer Demokratien und einer hohen politischen Partizipation nahe. Die bisherigen Erkenntnisse sind jedoch kontextabhängig und bezüglich regionaler Unterschiede nicht eindeutig und lassen eine Ausweitung der Befunde auf andere Fälle nicht zu. Ausgehend von der Theorie Robert Putnams, liefert der vorliegende Beitrag einen differenzierten Blick auf den Zusammenhang von formeller Mitgliedschaft in gesellschaftlichen Organisationen und der Beteiligung an Wahlen sowie der Mitgliedschaft in politischen Parteien in Deutschland. Ebenfalls wird auf regionale Unterschiede jener Zusammenhänge im Bundesland Sachsen eingegangen. Die zutage geförderten Ergebnisse machen deutlich, dass bezüglich Parteimitgliedschaft zwischen verschiedenartigen gesellschaftlichen Organisationen unterschieden werden muss und regionale Disparitäten zwischen städtischem und ländlichem Raum in Sachsen festzustellen sind. Auch werden Anpassungsmöglichkeiten des politischen Systems sowie fruchtbare Ansatzpunkte für vertiefende Forschung benannt.
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Notes
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Als Indikatoren für Sozialkapital oder Soziabilität wurden in empirischen Studien außerdem Vertrauensindikatoren (z. B. gemessen am Anteil der Einträge im öffentlichen Telefonbuch an der Bevölkerung), die Haushaltsgröße, das Spendenaufkommen oder die Dichte von Lokalen oder anderen Begegnungsstätten genutzt (Callois und Aubert 2007). Diese Indikatoren messen nicht direkte Interaktionen, sondern dienen als Hilfsvariablen (proxy). Schwerer für große Fallzahlen erfassbar sind informelle Verlinkungen in Schulen oder anderen nicht freiwilligen Organisationen.
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Beispielsweise ist nicht immer klar, ob bestimmte Merkmale dazu beitragen, das Sozialkapital selbst zu erfassen oder Kausalbeziehungen aufzudecken, ob sie also seine Ausprägung beeinflussen oder umgekehrt von ihr beeinflusst werden (Dufhues et al. 2006, S. 9 f.).
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In etlichen quantitativen Untersuchungen werden Wirkungsrichtungen unterstellt, ohne dass sich dies anhand der Daten nachweisen lässt. Baldo Blinkert und Thomas Klie (2018, S. 379) beschäftigten sich beispielsweise mit dem Effekt des politischen Interesses auf die Bereitschaft zum zivilgesellschaftlichen Engagement.
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Damit sind die unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zusammengeschlossenen Einzelorganisationen IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU), IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), EVG – Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), IG Metall, Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Gewerkschaft der Polizei (GdP) und ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft gemeint.
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Alternativen sind beispielsweise Analysen auf Basis individueller Umfragedaten (z. B. Šafr und Häuberer 2008), die jedoch auf Selbstauskünften beruhen, nur selten für unterschiedliche Zeitpunkte vorliegen und in einer Zahl von Respondenten, die ein Herunterbrechen auf die lokale Ebene ermöglicht (für eine Ausnahme siehe Sørensen 2016), oder aber die Durchführung von Befragungen oder teilnehmende Beobachtung in ausgewählten Teilregionen (z. B. Callois und Aubert 2007). Hierfür bedarf es einer gut begründeten Auswahl, für die bisher noch der Theorierahmen und die empirischen Grundlagen fehlen. Der vorliegende Aufsatz versucht, hierfür eine erste Grundlage zu schaffen.
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Für eine bessere Vergleichbarkeit der verschiedenen Anteile in Bezug auf die genannten Fragestellungen verzichten wir auf die in der Parteienforschung genutzte Rekrutierungsquote, die berücksichtigt, dass für eine Mitgliedschaft in manchen Organisationen ein Mindestalter vorgesehen ist (vgl. Niedermayer 2018).
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Auf Grundlage der vom Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamt Sachsen zur Verfügung gestellten Bevölkerungsanteile der Protestanten in Chemnitz, Dresden und Leipzig konnten – mit dem Wissen hinsichtlich der Mitgliederzahlen im gesamten Freistaat – die Quoten für die Großstädte und die Landkreise ermittelt werden.
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In der katholischen Kirche sind die Gebietsstrukturen nicht identisch mit den staatlichen Einheiten, wie am Beispiel von Leipzig deutlich wird: Im Dezember 2018 bestand das Dekanat Leipzig aus 16 Pfarreien, von denen zehn ihren Sitz in der Stadt haben, aber teilweise Gebiete sowohl diesseits als auch jenseits der Stadtgrenze umfassen. Von den sechs Pfarreien, die ihren Sitz außerhalb von Leipzig haben, sind zwei auch für Leipziger Ortsteile zuständig. Aufgrund dieser Überlappungen ist anhand der Mitgliederbestände keine Zuordnung zu den einzelnen Städten und Landkreisen möglich.
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Nach Angaben des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz für das Jahr 2017 lebten damals 152.011 Katholiken in Sachsen; das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 3,7 %. Für die Protestanten liegt der Wert bei 18,2 %, denn 2017 gehörten 744.728 Sachsen der evangelisch-lutherischen Kirche an, wie die EKD mitteilte.
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Damals gaben 41 % der Befragten in Sachsen an, ein sehr starkes oder eher starkes Interesse an Politik zu haben. Mit diesem Wert lag der Freistaat einerseits nur einen Prozentpunkt unter dem bundesweiten Durchschnitt sowie andererseits vor fünf westdeutschen Bundesländern (vgl. Arant et al. 2017, S. 40).
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Die Landtags- und Kommunalwahlen wurden nicht berücksichtigt, weil sowohl über das Landesparlament als auch über die Stadt- und Gemeinderäte beziehungsweise die Kreistage zwischen 2005 und 2017 nur jeweils zweimal (2009, 2014) abgestimmt wurde, sodass sich für diese Urnengänge keine sinnvollen Korrelationen berechnen lassen.
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In Abschn. 2 haben wir erklärt, was bei der Interpretation der Daten zu berücksichtigen ist und dass nicht von Aggregatdaten auf individuelles Handeln geschlossen werden kann.
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Lorenz, A., Träger, H. (2020). Sozialkapital und Demokratie: der ambivalente Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher und politischer Partizipation in Deutschland und Sachsen. In: Bochmann, C., Döring, H. (eds) Gesellschaftlichen Zusammenhalt gestalten. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-28347-6_6
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