Zusammenfassung
Lange Zeit vernachlässigt, richtet sich die politische Bildung in der Bundesrepublik Deutschland seit der Jahrtausendwende auch an Zugewanderte. Im Rahmen dieses Artikels werden Grundzüge von Zielvorstellungen und Angeboten der politischen Bildung hinsichtlich der politischen Integration von Zugewanderten dargestellt. Reflektiert und problematisiert werden dabei vor allem Angebote, die Zugewanderte als gesonderte Zielgruppe ausmachen. Vorurteile und Abgrenzungen zur deutschen Bevölkerung jenseits des Anspruchs zu vermittelnder Wissensbestände und Kompetenzen werden erläutert, um einen Umriss zur Evaluation und zukünftigen Orientierung von inklusiver politischer Bildung einzubringen.
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Notes
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Das Projekt wurde von Laura Rind-Menzel unter dem vorläufigen Titel „Politische Bildung als Einbürgerungsangebot?“ konzipiert. Die Erstbetreuung wird durch Prof. Anja Besand sichergestellt.
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Um diese Kernfragen beantworten zu können, wird in mehreren Teilschritten des Dissertationsvorhabens zum einen herausgearbeitet, welche Vorstellungen die politische Bildung bezüglich ihrer Instrumente und Wege hat, mittels derer sie alle Menschen bei der gesellschaftlichen Teilwerdung unterstützen möchte. In diesem Zusammenhang wird speziell der Begriff der „Bürgerwerdung“ im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen. Es gilt, herauszuarbeiten, inwiefern Bürgerwerdung und gesellschaftliche Teilwerdung miteinander korrelieren. In einem weiteren Prozessschritt wird abgeglichen, inwiefern die politische Bildung insbesondere Zugewanderter bei ihrer gesellschaftlichen Teilwerdung unterstützen möchte. Es stellt sich die Frage, ob sie möglicherweise „Sonderwege“ politischer Bildung für Angekommene als „spezielle Zielgruppe“ vorschlägt. Die Resultate jener Untersuchungen werden mit konkreten politisch bildenden Angeboten wie Orientierungskursen, Broschüren und Erklärvideos in Beziehung gesetzt und auf folgende Teilfragen hin untersucht: Was bietet man Zugewanderten in diesen Angeboten an, damit sie Teil der Gesellschaft werden? Welche Vorstellungen gehen aus den Angeboten darüber hervor, was Zugewanderte für ein Leben in der deutschen Gesellschaft brauchen? Da in dem Dissertationsprojekt nicht über Menschen geforscht werden soll, sondern die Perspektiven Zugewanderter berücksichtigt werden sollen, wird stets danach gefragt, wie sich Teilwerdungsprozesse für Angekommene konkret gestaltet haben und wie passfähig beziehungsweise nützlich die bereitgestellten Bildungsangebote – gemessen an diesen Erfahrungswerten – empfunden werden. Der Rahmen des vorliegenden Beitrags lässt eine breite inhaltliche Bearbeitung und Ausführung der einzelnen Teilarbeitsschritte natürlich nur bedingt zu.
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In aktuellen wissenschaftlichen Diskursen werden Zugewanderte auch als „Migranten und Migrantinnen“ bezeichnet sowie als „Menschen mit Migrationshintergrund“. Von „Menschen mit Migrationshintergrund“ wird im Folgenden jedoch nicht die Rede sein, da dieser Begriff nicht nur Zugewanderte umfasst, die selbst aus einem anderen Land aus diversen Motiven nach Deutschland eingewandert sind, sondern auch deren Nachfolgegenerationen, die in Deutschland sozialisiert worden sind. In dem vorliegenden Beitrag und dem darin vorgestellten Forschungsprojekt spielen jedoch lediglich Menschen mit eigener Flucht- und Migrationsgeschichte eine Rolle, darunter vornehmlich Erwachsene, die keinen deutschen Schulabschluss haben, nicht in Deutschland sozialisiert sind und in der Folge ‚Bürgerwerdungsangebote‘ in Anspruch nehmen (sollen).
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Ein Großteil der Zugewanderten ohne deutsche Staatsbürgerschaft verfügt in Proportion zu den Deutschen beispielsweise über niedrigere Bildungsabschlüsse und Erwerbsquoten, ist häufiger arbeitslos und sozialräumlich segregiert (Luft 2010, S. 343, 348).
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Vollwertige Bürgerrechte können Ausländerinnen und Ausländer dann erhalten, wenn sie einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, mindestens acht Jahre mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus ohne Unterbrechungszeit in Deutschland leben und im Stande sind, eigenständig für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Wer über keinen deutschen Schulabschluss verfügt, muss darüber hinaus Deutschkenntnisse auf B1 Niveau gemäß des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) nachweisen und den Einbürgerungstest bestehen.
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Integration wird in diesem Beitrag als Prozess definiert, bei dem eine Minderheit in ein größeres Gefüge eingegliedert beziehungsweise eingebunden wird. Infolge wechselseitiger, aufeinander bezogener Orientierungen und Interaktionen etc. ist das gesamte System von Anpassungs- und Veränderungsleistungen geprägt (Van Hove 2016, S. 17 f.). Vor allem die Integration von Menschen infolge von Migrationsprozessen bedarf einer allgemeinen gesamtgesellschaftlichen Bereitschaft durch die Aufnehmenden und die Ankommenden gleichermaßen. Folglich muss Teilhabe am sozialen, politischen und kulturellen Kapital der Aufnahmegesellschaft zum einen von Zugewanderten gewollt sein, zum anderen muss eine Einbindung auch seitens der „Alteingesessenen“ barrierefrei ermöglicht werden (vgl. Fritzsche und Vogler in diesem Band).
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Auch die Tatsache, dass Ausländerinnen und Ausländer, die dauernd und rechtmäßig in Deutschland leben, zumindest wohlfahrtsstaatlich weitgehend sozial gleichgestellt sind – u. a. erhalten sie Arbeitslosenhilfe, BAFÖG und Kindergeld -, setzt wiederum keine besonderen Anreize für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft (Luft 2010, S. 342).
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Das gilt sowohl für die politische Bildung als Wissenschaft sowie als Praxis im außer- und innerschulischen Bereich.
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Bereits 1999 traten beispielsweise erleichterte Einbürgerungsbestimmungen vor allem für Kinder von Zugewanderten in Kraft. Die damalige, von Gerhardt Schröder gebildete Bundesregierung rückte vom ‚Abstammungsprinzip‘ ab und ersetzte es durch das ‚Geburtsortsprinzip‘. Kinder von Ausländerinnen und Ausländern, die in Deutschland geboren wurden, übernehmen folglich nicht automatisch die Staatsangehörigkeit der Eltern (Meier-Braun 2006, S. 206). Sie müssen sich bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres zwischen der deutschen und der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern entscheiden (siehe Optionspflicht).
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Zum einen bezieht sich die Bezeichnung „zukünftige Bürgerinnen und Bürger“ auf in Deutschland nach 2000 (Inkrafttreten des Geburtsortsprinzips) geborene Jugendliche, die noch nicht als mündig gelten, weil sie das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht haben und daher von ihren Bürgerrechten keinen aktiven Gebrauch machen können. Zum anderen werden darunter auch Neuankommende verstanden, die über keinerlei Bürgerrechte verfügen, weil sie die deutsche Staatsbürgerschaft nicht besitzen.
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Der Politikdidaktiker Wolfgang Sander (2005) beschreibt überdies, dass Demokratie eine mögliche Gestalt des Politischen und der politischen Ordnung darstellt, die nicht im Gegensatz und als Alternative zur Politik stattfindet. Somit ist Demokratie nicht etwa als Gegenbegriff zur einer möglicherweise herrschenden schlechten Wirklichkeit des Politischen zu verstehen (S. 343).
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Leitbildgestützte Lernprozessen umfassen vielfältige Vorstellungswelten, zu denen auch die sog. „Bürgerleitbilder“ zählen. Als normatives Kernelement der Demokratie sind letztere in den wissenschaftlichen Fachdiskursen politischer Bildung von zentraler Bedeutung. Die Bürgerleitbilder verdeutlichen zum einen bürgerliche Pflichten und zum anderen klare Vorstellungen über die Rechte und Chancen, über die Bürgerinnen und Bürger verfügen, um sich selbst zu verwirklichen. Vor dem Hintergrund der Bürgerleitbilder ist das Bürgerdasein nicht nur auf den Bürgerstatus und jegliche partizipative Rechte bezogen, sondern auch mit normativen Erwartungen sowie sozialen Voraussetzungen verbunden. Gemeint sind damit folglich auch gewisse „Eigenschaften, Fähigkeiten und Bereitwilligkeiten“ (Münkler 2010, S. 115 ff.), die verfassungsrechtlich nicht notwendigerweise bindend sind. Insbesondere in einer weltanschaulich pluralisierten Gesellschaft sind die unterschiedlichen Leitbilder immer wieder neu zu verhandeln (Luft 2010, S. 346).
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Das Bürgerbewusstsein ist eine Schlüsselkategorie politischer Bildung (Lange 2008, S. 251). Im Bürgerbewusstsein bilden sich sog. „mentale Vorstellungen“, die dem Denken und Handeln in der Gesellschaft Orientierung geben, um sich in deren vielfältigen Strukturen beziehungsweise Prozessen zurecht finden zu können (Lange 2009, S. 170). Somit gleicht das Bürgerbewusstsein einem inneren Kompass, der allen Sinnbildungen, Urteilen und Handlungen bezgl. der Gesellschaft vorangeht (Lange 2008, S. 247). Folglich werden im Bürgerbewusstsein auch Aussagen und Begründungen über die Bedeutung von Differenz und Pluralität entwickelt sowie über Formen der Interaktion und Kommunikation und über Macht- und Interessendurchsetzung (S. 249). Im Zuge von Lernprozessen (auch im Zuge von Migration) wandelt sich das Bürgerbewusstsein innerhalb der Gesellschaft (Lange 2009, S. 170). Für den Einzelnen kann es nur erweitert werden, wenn eine Auseinandersetzung mit „als problematisch empfundenen“ gesellschaftlichen Sachverhalten stattfindet (Lange 2008, S. 251).
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Sozialisation wird hierbei als ein Prozess verstanden, der das Erlernen und Erfahren von Fertigkeiten, Normen und Rollen beinhaltet, die in der jeweiligen Kultur oder Subkultur vermittelt werden. Er findet auch im Erwachsenenalter statt und ist somit als ein dynamischer, nicht abgeschlossener Prozess zu verstehen, bei dem es wechselseitiger Interdependenzen bedarf, durch welche wiederum relativ dauerhafte Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsdispositionen entstehen (Herwartz-Emden 2015, S. 590). Folglich befinden sich auch Migrantinnen und Migranten nach ihrer Ankunft in Deutschland in (politischen) Sozialisationsprozessen.
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Der Orientierungskurs umfasst seit 2017 insgesamt 100 Unterrichtseinheiten á 45 min und kann ab einem mittleren Deutschsprachniveau von mindestens A2 gemäß des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) absolviert werden. Es hängt vom sozialen Status sowie von der Herkunft und dem Aufenthaltsstatus der zugewanderten Person ab, ob sie zur Teilnahme an einem Integrations- beziehungsweise Orientierungskurs verpflichtet wird. Zumeist werden insbesondere Neuzugewanderte aus Drittstaaten, die in Deutschland keine Arbeit haben und die deutsche Sprache nicht ausreichend sprechen, zur Teilnahme verpflichtet.
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Hierbei handelt es sich um einen skalierten Wissenstest, der 33 Prüfungsfragen beinhaltet, die im Single Choice Verfahren gestellt werden. Für das Bestehen des Tests müssen mindestens 17 Fragen korrekt beantwortet werden. Die einzelnen Fragen werden aus einem Katalog von insgesamt 310 Fragen (Zahl nicht konstant) ausgewählt und sind dabei den drei oben benannten Modulen 1) bis 3) zugeordnet.
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So spielen hierbei beispielsweise die Erklärvideos des BAMF eine Rolle oder der Videokanal des Landesbeauftragten für politische Bildung Schleswig-Holstein, in denen u. a. Themen wie „das Grundgesetz“ „Zusammenleben“ oder „Rolle der Religion“ in diversen Sprachen aufgegriffen werden. Des Weiteren werden Videos der Plattformen „Willkommen! Deutschland für Anfänger“ und „Marhaba-Ankommen in Deutschland“ einbezogen, die sich insbesondere an arabisch sprechende Menschen richten, denen Gesetze, Verhaltensregeln, Gewohnheiten, Traditionen, Ansprüche, Rechte und Pflichten nähergebracht werden sollen und die Themen „Frauen in Deutschland“ oder „Fremdenfeindlichkeit“ behandelt.
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Detaillierte Analyseergebnisse und wissenschaftliche Hintergründe im Hinblick auf Ankommenbroschüren können unter anderem dem Artikel „Zur Darstellung und Ansprache zugewanderter Menschen in Ankommensbroschüren“ entnommen werden, der im Sommer 2019 im Sammelband „Konturen einer inklusiven politischen Bildung“ im Springer Verlag erscheinen wird.
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Vor diesem Hintergrund erscheint es auch naheliegend, dass ebenso das Bild von der „aufnehmenden Mehrheitsgesellschaft“, die in diesem Beitrag als Fachterminus immer wieder Erwähnung findet, eine vermeintliche Identität einer „ankommenden Minderheit“ ideologisch kennzeichnet (Becker 2007, S. 175). Dies ist nicht auszuschließen, da pädagogisches Handeln immer in einem größeren, gesellschaftlichen Kontext situiert ist. Daher sollte politische Bildungsarbeit bemüht sein, die strukturellen und institutionellen Verhältnisse stets mit einzubeziehen und hegemoniale Verhältnisse hinsichtlich ihrer Effekte möglichst hierarchiefrei und in geschützten Räumen zu reflektieren (Transfer für Bildung 2018).
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Insbesondere in der Republik und der Staatsbürgernation ist Kultur dynamisch und somit gestalt- beziehungsweise erneuerbar (Obendörfer 2018, S. 6). In diesem Sinne werden Menschen nicht nur von Kulturen beeinflusst, sondern wirken just selbst durch ihre Handlungsweisen auf diese ein (Leiprecht nach Herwartz Emden 2015, S. 591). Die Grundrechte bieten hierbei lediglich einen wertgebundenen Rahmen (Achour 2018, S. 44).
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So wird in manchen Angeboten stellenweise implizit deutlich, dass Zugewanderte nicht als Teil der bestehenden kulturellen Willensgemeinschaft gelten, die sich insbesondere durch Gemeinsinn und das Bekenntnis zu bestimmten politischen Grundwerten wie Verantwortungsbewusstsein, Selbstbeherrschung, Wahrheitsinteresse, Kritik und Toleranz ausdrücke (vgl. Kroneberg 2010, S. 94 ff.). Das nationale Selbstverständnis fußt offenbar nach wie vor im Wesentlichen auf der homogenen ethnischen Herkunft der Angehörigen der „Kulturnation“ und der von ihnen gemeinsam geteilten Kultur (Micos und Walter 2006, S. 218).
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