Zusammenfassung
Neuere Forschung zu Legitimität verweist auf die Relevanz verschiedener Strategien mit deren Hilfe autoritäre Regime versuchen sich zu legitimieren. Bislang konzentrierte sich diese Forschung auf innerstaatliche Legitimationsstrategien, wobei die Anerkennung respektive Aberkennung von Legitimität durch internationale Akteure vernachlässigt wurde. In diesem Kapitel argumentieren wir jedoch, dass in der Analyse von Legitimationsstrategien das Zusammenspiel von innerstaatlichen und internationalen (De)Legitimationsdynamiken betrachtet werden muss. Entsprechend gehen wir in diesem Kapitel folgenden, die Forschung leitende Annahmen für autoritäre Regime nach. Erstens: Im Umgang mit autoritären Regimen werden Fragen der Legitimität und Legitimation lokaler Regime durch internationale Akteure untergeordnet behandelt. Zweitens: Durch ihren Einfluss auf autoritäre Legitimationsstrategien können internationale Akteure ungewollt zur Konsolidierung autoritärer Regime beitragen. Diese Annahmen beziehen sich auf die übergeordnete Forschungsfrage, inwiefern und mit welchem Effekt Legitimationsdynamiken autoritäre Legitimationsstrategien beeinflussen. Dieses Kapitel adressiert diese Fragen anhand der verschiedenen Legitimationsdynamiken vor, während und nach den Wahlen 2015 in Burundi. Wie das Beispiel Burundis zeigt, können internationale Akteure ein Regime durch ihre Intervention stärken. Paradoxerweise geschieht dies nicht nur durch Regime-legitimierende Strategien, sondern auch durch delegitimierende Aktivitäten. Daraus ergibt sich für internationale Akteure die Notwendigkeit, Legitimationsstrategien von Regierungen besser zu analysieren um deren strategische Adaption an legitimierende oder delegitimierende Aktivitäten zu antizipieren.
Sergio Gemperle ist Doktorand am Fachbereich Politikwissenschaft der Universität Basel. Diese Arbeit wurde unterstützt durch ein Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaft (Projekt-Nr. P0BSP1_148859).
Filip De Maesschalck ist Foreign Service Officer beim belgischen Außenministerium und Doktorand am Institute of Development Policy (IOB) der Universität Antwerpen. Die im Artikel getroffenen Aussagen geben die Ansichten des Autors wieder und repräsentieren nicht die institutionellen Positionen seiner Arbeitgeber.
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Notes
- 1.
Staatliche Fragilität wird nicht einheitlich definiert. Dieses Kapitel folgt der Definition der OECD (2010, S. 15): „State fragility is […] defined as a lack of capacity to perform basic state functions, where ‚capacity‘ encompasses (a) organisational, institutional and financial capacity to carry out basic functions of governing a population and territory, and (b) the state’s ability to develop mutually constructive and reinforcing relations with society.“
- 2.
Teil der Kritik zielte auf den im vorherrschenden Diskurs propagierten Weg zu erfolgreichem Staatsaufbau, der auf den Aufbau neuer staatlicher Institutionen fokussiert (institutional engineering). Die diesem Ansatz zu Grunde liegende normative Behauptung ist, dass Staatsaufbau durch institutional engineering fragilen Staaten die Annäherung an den Weberschen Idealstaat nach westlichem Vorbild ermöglicht (Hagmann und Péclard 2010).
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Hybride Regime als Regimetyp sind nicht unumstritten. Z. B. kritisieren Mazepus et al. (2016, S. 352) dass die Kategorie sehr weit gefasst ist und entsprechend unterschiedliche Regime beinhalten kann.
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In seinem Artikel zur Friedenskonsolidierungs- und Staatsbildungsprozessen in Bougainville definiert Boege (2014, S. 239–240) hybride Legitimität als Legitimitätsansprüche basierend auf vier unterschiedlichen, verflochtenen Legitimationsquellen: i) internationale Legitimität, also Legitimität, die eine Regierung oder ein Staat von der internationalen Anerkennung der Souveränität und Kapazität, Sicherheit auf dem eigenen Hoheitsgebiet zu gewährleisten, ableitet; und ii) innerstaatliche Legitimität, die dem Glauben der Bürgerinnen und Bürger in das Recht der Regierung, zu regieren, entspricht. Innerstaatliche Legitimität wird wiederum von (a) Performanz-basierter Legitimität bestimmt, welche auf „Ergebnisse staatlichen Handelns“ verweist, etwa Sicherheit, Wirtschaftsentwicklung oder das Gemeinwohl; und (b) prozessbasierter Legitimität, welche sich auf die Verfahren bezieht, gemäß denen eine Herrschaft ihr Recht zu regieren ableitet, etwa Wahlen oder vererbte Herrschaft. Zudem wird bei prozessbasierter Legitimität nach den drei Typen legitimer Herrschaft nach Max Weber weiter unterschieden zwischen rational-legaler, traditionaler und charismatischer Legitimität. Obwohl sie nicht deckungsgleich sind, überschneiden sich Boege’s (2014) Legitimationsquellen mit den Mechanismen autoritärer Legitimation von Dukalskis und Gerschewski (2017) oder von Soest und Grauvogel (2017). Darin zeigt sich auch die konzeptuelle Ähnlichkeit von hybrider Legitimität und hybrider autoritärer Regime.
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Der Anteil der Entwicklungshilfe am Staatsbudget stieg von 35 % im 2005 auf 51 % im 2007. Ungefähr auf diesem Niveau blieb der Anteil bis 2015 stabil und sank erst nach den Wahlen wieder auf 33 % (Government of Burundi; World Bank). Zwischen 2011 und 2014 war Burundi gemessen am BIP durchschnittlich der fünft grösste Empfänger von Entwicklungshilfe unter den fragilen Staaten (OECD 2016, S. 116).
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Siehe z. B. OECD States of Fragility (OECD 2016) oder Fragile States Index (FSI) 2016 (siehe Centre for Systemic Peace Webseite). Beide rangieren Burundi unter den stark fragilen Staaten.
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Die Palipehutu-FNL wurde 1980 in Tansania gegründet. Die Parteinachfolgerin FNL wurde im April 2009 offiziell anerkannt.
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Die internationalen Vermittler umfassten die Afrikanische Union, die East African Community, die International Conference on the Great Lakes Region und die Vereinten Nationen.
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Beetham (2013) unterscheidet drei Dimensionen der Legitimität: i) die Legalität oder Einhaltung von Regeln der Herrschenden, in Bezug darauf, ob die Herrschaft gemäß akzeptierter Regeln ausgeübt wird; ii) die Rechtfertigung dieser Regeln durch widerspiegeln gesellschaftlicher Normen und Wertvorstellungen; und iii) die Fähigkeit, demonstrativen Ausdruck des Einverständnisses zum Regelsystem von jenen, die ihm unterliegen, zu mobilisieren. Kontexte, in denen diese Dimensionen entweder schwach ausgeprägt sind oder fehlen, werden von Beetham als illegal definiert (im Gegensatz zur Regeleinhaltung), weisen ein Legitimitätsdefizit auf (im Gegensatz zur Rechtfertigung der Regeln) und/oder sind delegitimiert (im Gegensatz zum Ausdruck des Einverständnisses).
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„Nyakurisation“ ist eine Wortkreation angelehnt an den Begriff „nyakuri“ aus der Kirundi Sprache (Hirschy und Lafont 2015, S. 180).
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Das relativ neue Phänomen des öffentlichen Protestes erklärt auch warum private Medien, die vom Regime als mächtige Facilitatoren von Protesten betrachtet werden, zunehmend Opfer von Einschüchterungsmaßnahmen und Schikanen wurden (Frère 2016, S. 138). Nach dem gescheiterten Putsch im Mai 2015 wurden die privaten Medien weitgehend entmachtet und ihre Geschäftsstellen geschlossen oder zerstört.
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Die qualitative Analyse wird durch die Kategorisierung autoritärer Regime nach von Soest und Grauvogel (2017, S. 296) gestützt. Anhand der Kategorien autoritärer Regime zeigt sich, dass Burundi während der zweiten Phase von einer Demokratie („electoral democracy“) in ein hegemonial autoritäres Regime („hegemonic authoritarianism“) wechselte. Dabei stehen die Veränderungen in den Daten von Freedom House heraus, nach denen das politische System Burundis während der ersten Phase als „teilweise frei“ und in den Phasen 2 und 3 als „nicht frei“ bezeichnet wird. Ein ähnlicher Rückgang findet sich im Demokratie-Autokratie Index von Polity IV.
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Balthasar (Balthasar 2015, S. 27) definiert „institutional standardization“ als „process whereby a single set of ‚rules of the game‘ gains dominance within a given society – i. e. a condition in which all major role relationships are regularized by a preponderant organization“.
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Ein hochrangiger Diplomat in Bujumbura bestätigte, dass vor den Wahlen 2015 Stabilität als wichtigstes Ziel angesehen wurde. Andere Diplomaten reagierten mit mehrdeutigeren Formulierungen bezüglich der vermeintlichen Priorisierung der Stabilität. Quelle: Interviews, Burundi, März 2015.
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Dass er als Stabilitätsfaktor betrachtet wurde, stand im starken Zusammenhang mit der charismatischen Legitimität, die Präsident Nkurunziza unbestritten genoss. Palmans (2012, S. 15) bemerkt: „more than any other president ever before, Nkurunziza was perceived to be ‚one of them‘. For the first time in Burundi’s history, a president joined people in the rural areas in cultivating crops, building schools and hospitals, playing soccer and praying“. In mehreren Interviews wurde jedoch der Wechsel vom Stabilitäts- zum Instabilitätsfaktor bestätigt. Quelle: Interviews, Burundi, März 2015.
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Die internationale Delegitimation des Regimes lief parallel zur internationalen Legitimation der Proteste. Zum Beispiel sagte David Martin, Leiter der EU Wahlbeobachtungsmission folgendes: „l’Etat a la responsabilité de respecter les libertés d’expression, d’assemblée et de manifestation, et c’est pour lui un devoir de protéger le droit à l’expression d’opinions légitimes. Ces libertés font partie des conditions essentielles à la tenue d’élections démocratiques. Pendant mon séjour dans le pays, j’ai pu constater que malheureusement ces conditions ne sont pas réunies aujourd’hui au Burundi. A ce sujet, je voudrais saisir l’occasion pour souligner qu’il n’y a aucune justification à l’usage de la force pour réprimer des manifestations légitimes“ (EU 2015).
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Bei einer Summe von 432 Mio. EUR wie im nationalen Richtprogramm 2014–2020 veranschlagt) (European Council 2016).
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Diese Sanktionen wurden am 29. September 2016 verlängert.
- 19.
Wie ein Interviewpartner mit einiger Verzweiflung kurz vor der Krise sagte: „par manque de temps, on va louper des choses – des choses qui par la suite apparaitront cruciales“. Quelle: Interviews, Burundi, März 2015.
- 20.
Quelle: Interview mit ehemaligem burundischen Regierungsmitglied, August 2016.
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De Maesschalck, F., Gemperle, S. (2019). Multiple Legitimationsstrategien autoritärer Regime. In: Wiesner, C., Harfst, P. (eds) Legitimität und Legitimation. Vergleichende Politikwissenschaft. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-26558-8_12
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