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Politisch erscheinen und emanzipiert zuschauen. Jacques Rancière und das Theater der Politik

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Jacques Rancière: Pädagogische Lektüren
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Zusammenfassung

Der Beitrag widmet sich dem Spannungsverhältnis ästhetischer und politischer Problemfelder über Rancières Interpretationen der Bühnenmetapher. Was das Theater und die politische Bühne dabei in eine konfliktreiche Analogie bringe, ist die Möglichkeit, ‚Etwas‘ zur Erscheinung zu bringen, das differente Perspektiven im Kontext etablierter Repräsentationen sicht-/sagbar macht und sich gegen hegemoniale Reglements von Aktivität und Passivität oder von Räumen der Fiktion und konkreter Intervention richtet. Dass die ästhetischen und politischen Referenzen indessen nicht einfach kurzzuschließen sind, bearbeitet Martinez Mateo nicht zuletzt in der Auseinandersetzung Rancières mit der Kritik Rousseaus an der Theaterbühne, an der Rolle der Zuschauenden und der Schauspielenden. Im Kontext der Auseinandersetzungen um eine ‚gemeinsam geteilte Welt‘ greifen der Autorin zufolge Strategien der Durchkreuzung polizeilicher Ordnungen und Identitätszuschreibungen nicht jenseits der ästhetischen Beanspruchung eines ‚Als ob‘. Entsprechend gehe es, im Kampf um die Anerkennung einer je und je zu verifizierenden Gleichheit, um die Möglichkeit, alternative Sichtweisen zu vervielfältigen und emanzipatorische Praktiken zur Erscheinung zu bringen.

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Notes

  1. 1.

    In der deutschen Übersetzung des Textes wird ausschließlich die männliche Form „Zuschauer“ verwendet. Ich habe mich dazu entschieden, dies an den Stellen, in denen ich mich explizit auf Rancière beziehe, aufrecht zu erhalten. Ansonsten bevorzuge ich die neutrale Form „Zuschauende“ oder die weibliche Form „Zuschauerin“.

  2. 2.

    Inwiefern es tatsächlich eine richtige Beschreibung dieser Struktur ist, sie paradox zu nennen, sei dahingestellt. Im Grunde ist sie höchstens dann paradox, wenn man davon ausgeht, im ersten Schritt liege doch eine Aufwertung der Zuschauenden, die im zweiten Schritt wieder eingeholt wird. Dies ist aber nicht genau die Argumentation der von Rancière nachgezeichneten Theaterkritiken.

  3. 3.

    Im Emanzipierten Zuschauer erwähnt er diese weitere Trennung unter dem „Paradox des Schauspielers“, betont aber zugleich, dass dies weniger bedeutsam sei, als das von ihm diskutierte „Paradox des Zuschauers“ (Rancière 2009a, S. 12). Ich halte diese Einschätzung für etwas schnell getroffen und denke hingegen, gerade das, worum es Rancière geht, lässt sich umso fruchtbarer unter der Frage des Darstellens diskutieren.

  4. 4.

    Übrigens ist dies auch für Platon das Hauptproblem: „Einem Mann also, wie es scheint, der sich künstlicherweise vielgestaltig zeigen kann und alle Dinge nachahmen, wenn uns der selbst in die Stadt käme und auch seine Dichtungen uns darstellen wollte, dem würden wir Verehrung bezeigen als einem heiligen und wunderbaren und anmutigen Mann, würden ihm aber sagen, daß ein solcher bei uns in der Stadt nicht sei und auch nicht hineinkommen dürfe, und würden ihn, das Haupt mit vieler Salbe begossen und mit Wolle bekränzt, in eine andere Stadt geleiten“ (Platon 2011, S. 398a).

  5. 5.

    Deshalb scheint mir die Deutung Chiara Botticis der Beschreibung Rousseaus, dass auf dem Fest „nichts“ dargestellt werden soll, allzu optimistisch. Für sie initiieren Rousseaus Feste eine Art Darstellung von Unbestimmtheit, in der sich die „openness of the spectacle without a pre-established object“ (Bottici 2015, S. 244) realisieren ließe. Das Ergebnis ist ihrer Darstellung nach eine Gemeinschaft, die deshalb demokratisch ist, weil sie immer wieder von neuem aushandeln kann, was das Spektakel, durch das sie sich bestimmt, bedeuten soll.

  6. 6.

    Dazu Markus Llanque: Die Bildung eines Kollektivs auf der Grundlage von Zugehörigkeit mache Maßnahmen erforderlich, „damit die Bürger sich durch Selbstidentifikation darin üben, diese Last [des Gesetzes] zu tragen und nicht aufzubegehren. Die Republik muss bekanntlich fortwährend die Menschen zu Bürgern machen, durch Erziehung, durch Festivitäten, durch die Zivilreligion.“ (Llanque 2013, S. 49).

  7. 7.

    Nicht in den beiden hier diskutierten Texten, aber in der Aufteilung des Sinnlichen, und seitdem auch an vielen anderen Stellen, nennt Rancière diese Form von Kritik an ästhetischer Uneindeutigkeit „ethisches Regime“ (Rancière 2008a, S. 36), weil sie sich im Namen des Ethos‘ einer Gemeinschaft äußert, die vor „Trugbildern“ und Fiktionen gerettet werden muss.

  8. 8.

    Aufgrund dieser Idee der Überbringung nennt Rancière das reformierte Theater „pädagogisch“. „Der Theatermacher oder der Regisseur wollte, dass die Zuschauer dieses und jenes sehen und fühlen, dass sie dieses verstehen und jene Schlussfolgerung daraus ziehen“ (Rancière 2009a, S. 24). Es enthält eine strukturelle Ungleichheit: Um den Abstand zwischen Bühne und Zuschauer abzuschaffen, muss zunächst gewusst werden, worin der Abstand besteht, wie groß er ist und wie mit ihm umzugehen ist. Dies erst schafft und reproduziert diese Distanz, die überwunden werden soll (vgl. ebd., S. 19).

  9. 9.

    Rancière greift hier seine Ausführungen und Begrifflichkeiten aus dem Unwissenden Lehrmeister (2007) auf.

  10. 10.

    Wörtlich sagt Rancière: „Aber diese Aussagen [die literarischen] besetzen die Körper und lenken sie in dem Maße von ihrer Bestimmung ab, in dem sie selbst keine Körper – im Sinne von Organismen –, sondern Quasi-Körper – Wortblöcke – sind, die ohne legitimen Vater, der sie bis zu einem adäquaten Adressaten begleiten würde, zirkulieren. Sie stellen auch keine Kollektivkörper her, vielmehr versehen sie die imaginären Kollektivkörper mit Bruchlinien der ‚Entkörperung‘.“ (Rancière 2008a, S. 63).

  11. 11.

    Vgl. Hallward (2006); Halpern (2011); Lievens (2014); Kleesattel (2016); Choi (2017); Martinez Mateo (2018).

  12. 12.

    Zu dieser Paradoxie politischen Erscheinens genauer: Martinez Mateo (2018).

  13. 13.

    Ines Kleesattel beschreibt dies so: „Als polemisch-performative Akte setzen sie eine universelle Gleichheit strategisch in Szene, als ob diese Gleichheit tatsächlich bestünde. Die Inszenierung dieses Als-Ob geschieht unterdessen vor dem Hintergrund, dass diese Gleichheit gegenwärtig nicht realisiert ist, was zu einer Verdopplung der Realität führt: Neben der wirklichen Ungleichheit rückt eine noch nicht wirkliche Gleichheit in den Raum des Möglichen und Vorstellbaren. Der politische Dissens ereignet sich folglich durch ein ästhetisches Moment – das realitätsverdoppelnde Als-Ob, das dem Konsens normaler Wahrnehmung widerspricht.“ (Kleesattel 2016, S. 176 f.).

  14. 14.

    Etwas nüchterner drückt es Halpern (2011, S. 571) aus. Das Politische habe bei Rancière deshalb die Form einer Bühne, weil es ‚autonom‘ funktioniert und sich nicht unter die ‚Zwänge‘ der sozialen Ordnung bringen lässt.

  15. 15.

    Sie bezieht sich insbesondere auf Hallward (2006).

  16. 16.

    Wie Markus Klammer richtig bemerkt, ist dies eine der Gefahren in der Lektüre Rancières, da „Rancière selbst die Gewohnheit hat, an entscheidenden Stellen seiner Texte Ästhetisches und Politisches einfach parataktisch nebeneinander zu stellen, ohne diese Parataxen argumentativ einzuholen“ (Klammer 2010, S. 201).

  17. 17.

    Ich will damit nicht sagen, dass individuelle Handlung nicht ebenfalls in gewissem Sinne politisch sein könnten, sondern lediglich, dass sie dies in einem anderen Sinne sind als die Formierung einer Gruppe in einer gemeinsamen politischen Aktion.

  18. 18.

    Um zu sehen, wie sehr Rancière den Blick vom Kunstobjekt selbst zu der Art und Weise wendet, wie darüber gesprochen wird, ist bezeichnend, dass er den ‚Gründungsmoment‘ moderner Ästhetik an der Beschreibung eines Werks ausmacht, das selbst einem vollkommen anderen Kontext zuzurechnen ist, nämlich an Winckelmanns Beschreibung des Hercules-Torsos von Belvedere (vgl. Rancière 2013, Szene 1).

  19. 19.

    Dies wird im Kommentar von Halpern sehr deutlich, wenn auch nicht thematisiert: „Rancière’s reading of Greek theater involves essentially leaving the Platonic account intact but inverting or transvaluing its values, whereby theater emerges as an admirably democratic institution. […] In repartitioning the sensible, theater enables the insurgent demos to witness their own emergence into political daylight – not through the plot of drama or through dramatic characters who represent them but rather through the status of the play itself as artifact granted a dazzling visibility. What the demos sees on stage is a representation – indeed, an example – of their own productive activity.“ (Halpern 2011, S. 566). Diese Beschreibung der politischen Bühne entspricht exakt dem, was Rancière im Emanzipierten Zuschauer den Theaterkritiken vorwirft: die Politisierung der Bühne als Mittel für die Selbsterkenntnis eines zuschauenden Volks.

Literatur

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Martinez Mateo, M. (2019). Politisch erscheinen und emanzipiert zuschauen. Jacques Rancière und das Theater der Politik. In: Mayer, R., Schäfer, A., Wittig, S. (eds) Jacques Rancière: Pädagogische Lektüren. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-24783-6_12

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