Zusammenfassung
Das Zusammentreffen der Lebensbereiche ‚Familie‘ und ‚Schule‘ ist bereits zu Beginn der Bildungslaufbahn ein bedeutsames Ereignis nicht nur in individuell-biografischer, sondern auch in gesellschaftlicher Perspektive. Der Beitrag befasst sich mit diesem Ereignis und der Frage, wie die Eltern in dieser Anfangszeit adressiert und subjektiviert werden. Auf der Grundlage ethnografischer Daten aus zwei sozioökonomisch unterschiedlich situierten Kindergärten wird deutlich, dass zwar dieselben Normen vermittelt werden, in der Art der Adressierung aber deutliche Unterschiede bestehen: subtil und um Kooperation bittend am einen Ort, direktiv, erzieherisch und in die Normen der Schule einweisend am anderen Ort. Damit werden die Eltern als mehr oder weniger kompetente Akteurinnen und Akteure in Bezug auf Schule subjektiviert.
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Notes
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Informationsabend für die Eltern der neuen Kindergartenkinder, Schuleinheit Flussgarten, Kindergarten Aueli-Hof, 27.06.2016.
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Wie Tillmann (2007, S. 121) sich auf Parsons beziehend pointiert feststellt, verkörpert die Polizei einen Mechanismus der sozialen Kontrolle. Sie tritt bei deviantem Verhalten in Erscheinung. Es ist interessant, dass die Polizei in der Schule Flussgarten, zu der der Kindergarten Aueli-Hof zählt, bereits vor Schuljahresbeginn ihren Auftritt hat. Anders zeigt sich die Situation im Kindergarten Sonnwies, der im Beitrag als zweites Forschungsfeld beschrieben wird. Dort tritt der Polizist erst gegen Ende des Schuljahres und spezifisch nur für die Verkehrsschulung in Erscheinung.
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Dass es all diese Institutionen in einer ‚Ausführung für die Schule‘ gibt, lässt aufhorchen. Es dokumentiert unseres Erachtens den spezifischen Stellenwert der Schule als umfassende Sozialisationsinstanz.
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Schweizerischer Nationalfonds, Projektförderung Abt. 1, Nr. 100019_159328: „Kinder, die auffallen. Eine Ethnographie von Anerkennungsverhältnissen im Kindergarten“. Laufzeit 01.02.2016 bis 31.07.2019. Projektleitung: Anja Sieber Egger, Gisela Unterweger, Christoph Maeder. Mitarbeitende: Ursina Jaeger, Fabienne Kaiser, Fränzi Buser (bis 31.01.2019), Alex Knoll (bis 30.06.2017). http://p3.snf.ch/project-159328.
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- 6.
Zur historischen Entwicklung der Schulethnografie in der Schweiz und in Deutschland vgl. Sieber Egger und Unterweger (2018).
- 7.
Der Begriff ‚Expat‘ steht für ‚Expatriate‘. Damit werden (weiße) gut ausgebildete Menschen bezeichnet, die für eine bestimmte oder auch unbestimmte Zeit in anderen Ländern arbeiten (vgl. https://www.theguardian.com/global-development-professionals-network/2015/mar/13/white-people-expats-immigrants-migration; zugegriffen: 3. Juni 2017).
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Üblicherweise spricht man hier von ‚Menschen mit Migrationshintergrund‘, ein Begriff, den wir vermeiden wollen. Laut Akbaba (2017, S. 41 ff.) ist der Begriff ‚Migrationshintergrund‘ häufig mit einem zugeschriebenen Bedarf nach Integration verwoben. Damit wird er zu einem Synonym für ‚problembehaftete Migration‘; er schließt bestimmte Herkunftsländer ein- und andere explizit aus. Somit ist es nicht zufällig, dass in unserem Setting bei den Kindern vom Kindergarten Aueli-Hof von ‚Kindern mit Migrationshintergrund‘ gesprochen wird, bei den Kindern aus dem Kindergarten Sonnwies hingegen nicht, auch wenn diese Migrationserfahrung mitbringen. Dadurch wird eine Zweiklassenmigrationserfahrung eingeführt. Wir behelfen uns für diesen Beitrag mit dem Begriff ‚Migrationserfahrung‘ im Wissen darum, dass die Probleme damit nicht behoben sind.
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Die aus der Sicht der Autorinnen wichtigen Begriffe und Passagen werden in den Materialausschnitten unterstrichen.
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Kindergarten Aueli-Hof, Elternabend, Juni 2016. Hervorhebungen durch die Autorinnen.
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Kindergarten Aueli-Hof, Elternabend, Juni 2016.
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Kindergarten Sonnwies, Elternabend, September 2016. Hervorhebungen durch die Autorinnen.
- 13.
Kindergarten Aueli-Hof, Elternabend, Juni 2016. Hervorhebungen durch die Autorinnen.
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Kindergarten Sonnwies, Kindergarten-ABC, Juni 2016.
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Kindergarten Sonnwies, Elternabend, September 2016. Hervorhebungen durch die Autorinnen.
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Sieber Egger, A., Unterweger, G. (2019). „Jetzt gilt’s richtig ernst“ – Eine ethnografische Perspektive auf die Inszenierung des Schulbeginns. In: Sieber Egger, A., Unterweger, G., Jäger, M., Kuhn, M., Hangartner, J. (eds) Kindheit(en) in formalen, nonformalen und informellen Bildungskontexten. Kinder, Kindheiten und Kindheitsforschung, vol 20. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23238-2_8
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