Zusammenfassung
Weder der Koran noch die Tradition des Propheten äußern sich zur Gestaltung eines Staatswesens. Erst mit den Umayyaden entstand eine islamische Dynastie. Seitdem legitimiert sich die Staatsmacht in der islamischen Zivilisation über Gott als den einzigen Souverän. Indem der islamische Staat nach außen hin die Mission vorantreiben muss, um das Wort Gottes und die Scharia zur Geltung zu bringen, ist er prinzipiell expansiv angelegt. Trotz der wertvollen Vorlagen der islamischen Philosophen sind in den vergangenen Jahrhunderten kaum tiefergehende Werke entstanden, die eine umfassende islamische Gesellschaftslehre beschreiben und sich gegen die Orthodoxie oder gar den Diskurs des politischen Islam durchsetzen konnten. Geprägt sind Muslime von einer islamischen Weltanschauung oder zumindest einer den Werten des Islam entsprungenen Erziehung. Heute können wir beobachten, dass sowohl die Mehrheitsgesellschaft als auch die muslimischen Migranten in Krisenzeiten überfordert sind.
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Notes
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So spitzt sich offensichtliche die Krise der Eurozone zu; der massive Zustrom von Flüchtlingen hat die Defizite der gemeinsamen Asylpolitik offengelegt und nicht zuletzt das Votum der Briten für den Brexit gefährden das gemeinsame europäische Projekt.
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Der Hadith wurde in der Sammlung von al-Buḫārī, bei Muslim und bei Aḥmad Ibn Ḥanbal (7160) überliefert.
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Ibn Ḫaldūn schreibt im Bezug auf die im Rahmen seiner Muqaddima beabsichtigten Gründung einer neuen Wissenschaft: „es ist dies gleichsam eine in sich selbständige Wissenschaft, denn sie hat ein Objekt, und das ist die menschliche Kultur und die menschliche Gesellung; sie hat Frage(stellungen), und sie erklärt die Zustände, die mit dem Wesen (dieser Kultur) zusammenhängen, einen nach dem anderen. So ist es mit jeder Wissenschaft, die sich auf eine Autorität oder den Verstand gründet.“ (Schimmel 1951, S. 11).
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Zeit der „Unwissenheit“ = Die Zeit vor dem Islam.
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Tibi stellt fest, dass es im Islam vier unterschiedliche Bezeichnungen für kriegerische Auseinandersetzungen gibt. Der Dschihad, der, wie noch gezeigt wird, nicht, wie fälschlich verbreitet „Heiliger Krieg“, sondern Anstrengung als Hingabe zu Gott bedeutet, schließt jedoch auch die kriegerische Aufgabe zur Verbreitung des Islams ein. Vom Begriff „Dschihad“, den also nur Muslime führen, wird der Begriff ḥarb (Krieg) abgegrenzt. Das arabische Wort wird für die kriegerischen Handlungen, die die Feinde des Islams durchführen, verwendet. Das im Koran aufgeführte Wort qitāl (Kampf) ist die Bezeichnung für den militärischen Teil des „Dschihad“. Für den nicht erlaubten innermuslimischen Konflikt, wird dagegen der der Begriff fitna angewendet. Vgl. (Tibi 1997, S. 59 ff.; Sadiq 199).
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Zur ʿaqīda gehören die verinnerlichten Inhalte des Glaubens, in diesem Sinne muss ein Muslim überzeugt sein, ohne Zweifel oder Bedenken. Zur Vertiefung vgl. Wahbat az-Zuhaili (1992): al-tafsīr al-munīr fī al-ʿaqīda wa al-sharīʿa wa al-manhaǧ (Kurankommentar, welcher die Aspekte der Glaubensinhalte, des islamischen Rechtes und der Herangehensweise beleuchtet), 32 Bände, Damaskus/Beirut.
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Eine weitere Selbstbezeichnung von Islamisten in der arabischen Sprache ist Uṣūliyūn, was eine Ableitung vom arabischen Wort aṣl ist und „sich am Fundament orientierende“ bedeutet.
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Die Quelle der Nachahmung bildet, bei den Schiiten die Spitze der theologischen Hierarchie. Es können mehrere Theologen gleichzeitig den Rang der Marja´iya erlangen. Um diesen Rang zu erhalten, muss er eine theologische Abhandlung (risāla ʿamaliyya) veröffentlichen, die in den theologischen Zentren in Qom und Nadschaf diskutiert wird.
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Abou Taam, M. (2019). Islam in Europa: zwischen Reformen und Konfrontation. In: Klußmann, J., Kreutz, M., Sarhan, A. (eds) Reformation im Islam. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-23004-3_8
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