Zusammenfassung
Hochschulpolitische Reformen scheinen selten ihre intendierten Wirkungen zu erreichen. Das Ziel unseres Beitrages besteht darin, mit einer hypothetischen Erklärung dieses Befundes zu einer vergleichenden Perspektive der Innovationsforschung beizutragen. Wir betrachten hochschulpolitische Reformen als soziale Innovationen und zeigen für zwei dieser Innovationen – Maßnahmen, die zu einer früheren Unabhängigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses beitragen sollen, und die Einführung der leistungsbasierten Mittelvergabe –, dass sie unter Vernachlässigung ihrer Einbettung in komplexe Handlungs- und Institutionengefüge als modulare Innovationen konzipiert wurden. Aus der Analyse des geringen Erfolgs dieser Innovationen leiten wir die Hypothese ab, dass die Modularität sozialer Innovationen grundsätzlich begrenzt ist und ihre Erfolgsbedingungen deshalb weniger gut antizipiert werden können.
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Notes
- 1.
Da die deutsche Sprache keine ästhetisch befriedigenden genderneutralen Formulierungen bereitstellt, verwenden wir im Sinne historisch ausgleichender Gerechtigkeit durchgehend die weibliche Form. Die männliche ist jeweils mit gemeint.
- 2.
§ 110 des Landehochschulgesetzes in der Fassung vom Oktober 2011, https://www.setub.tu-berlin.de/fileadmin/i42/BerlHG_-_Berliner_Hochschulgesetz.pdf (Zugegriffen: 26.04.2017).
- 3.
Eine Studie hat Nachwuchskarrieren in der Molekularbiologie und den Geschichtswissenschaften in Deutschland, den Niederlanden und Australien verglichen (Laudel 2017). Eine zweite Studie analysierte die Entstehung der ersten individuellen Forschungsprogramme von deutschen Nachwuchswissenschaftlerinnen in der Pflanzenbiologie, der experimentellen Physik und der Geschichte der frühen Neuzeit (Laudel und Bielick 2018). Insgesamt wurden in beiden Projekten 106 Interviews mit deutschen Nachwuchswissenschaftlerinnen durchgeführt.
- 4.
In dieser Untersuchung wurden die Möglichkeiten von Forscherinnen, Innovationen in ihrem Fachgebiet zu realisieren, in vier Ländern (darunter auch Deutschland) verglichen. Die Untersuchung schloss die Nachwuchsphase ein. Bei den Fächern handelte es sich um experimentelle Atomphysik und Optik, evolutionäre Entwicklungsbiologie, Bildungsforschung und Linguistik (siehe die Beiträge in Whitley und Gläser 2014).
- 5.
Arbeitgebererklärung [05/16], Vordruck 53.12, http://www.dfg.de/foerderung/programme/einzelfoerderung/emmy_noether/formulare_merkblaetter/index.jsp (Zugegriffen: 26.04.2017).
- 6.
Wir betrachten im Folgenden nur die leistungsorientierte Vergabe von Forschungsmitteln. Eine zweite hochschulpolitische Innovation, die seit 2004 für neu berufene Professorinnen eingeführte leistungsbasierte Besoldung, ist bislang in ihren Strukturen und Effekten kaum untersucht worden (Biester und Flink 2015; Ringelhan et al. 2015).
- 7.
Effekte von Governance-Instrumenten zu identifizieren ist stets ein schwieriges Unterfangen, da die Identifizierung von Veränderungen in der Forschung und deren kausale Zurechnung auf Governance-Instrumente zahlreiche methodologische Probleme überwinden müssen (Gläser und Laudel 2016). Die Abwesenheit von Effekten kann aber mit einiger Sicherheit konstatiert werden.
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Danksagung
Wir bedanken uns bei Ingo Schulz-Schaeffer für seine konstruktiven Hinweise zu einer früheren Fassung.
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Gläser, J., Laudel, G. (2019). Die Unterkomplexität hochschulpolitischer Innovationen. In: Schubert, C., Schulz-Schaeffer, I. (eds) Berliner Schlüssel zur Techniksoziologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22257-4_7
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