Zusammenfassung
Bei aller Kritik am Begriff und den Zweifeln an der wesenhaften Neuigkeit des Phänomens ist das Etikett „Fake News“ insofern sinnvoll, als solche weniger Ursache denn Symptom einer aktuellen (Problem-)Situation sind. Diese betrifft nicht nur den Ruf und die Rolle von Journalismus in der digitalmedialen Welt oder die Regeln öffentlicher Kommunikation im Social Web, sondern den Stellenwertwandel publizistischer Faktizität. Ausgehend vom Kernbegriff der Fälschung fasst der Beitrag Fake News als aktuelle Erscheinungsformen eines, selbst im Falle etwa von Verhetzung, quasi-ironischen Spiels mit der Gattung „Nachricht“ und ihren konventionell-stilistischen Authentizitätsmarkern auf. Jenseits des propagandistischen Einsatzes, diesen aber prägend, sind sie stärker handlungstheoretisch und soziokulturell funktionalistisch in den Blick zu nehmen. Vergleichbar Internet-Memes gilt es, Fake News als Mittel phatischer Gemeinschaftsbildung und kollektiver Selbstverständigung mit bestenfalls gestischem Wahrhaftigkeitsanspruch zu verstehen. Dem ist folglich mit (Gegen-)Fakten, Warnhinweisen oder Medienkritikkompetenzbildung nur begrenzt beizukommen.
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Notes
- 1.
Unter „Text“ wird hier und im Folgenden allgemein zeichentheoretisch ein gedanklich-inhaltliches und materielles, kohärentes und nach außen abgegrenztes Zeichengebilde verstanden, das nicht nur schriftlich, sondern auch visuell, auditiv oder multimodal codiert sein kann (Zeitungsartikel, Bilder, Filme, Lieder, etc.).
- 2.
Hier wie nachfolgend wird für das bessere Leseverständnis für Gruppenbezeichnungen lediglich die männliche Form gewählt. Selbstverständlich sind immer auch die weibliche Form sowie jene für Menschen jenseits der binären Geschlechtereinteilung mit gemeint.
- 3.
- 4.
Vgl. dazu Miller 2008, zum Gedanken der Database Culture bzw. der Datenbank als Kulturlogik und erfahrungsorganisierendem Paradigma u. a. Manovich 2001; Manovich 1999; Lovink 2008, zur Kulturtechnik des Remix und des Mashup und ihrer Relevanz im Social Web Lessig 2009; Navas 2012; Mundhenke et al. 2015.
- 5.
The Autobiography of Howard Hughes, 2008 veröffentlicht als Howard Hughes: The Autobiography (Irving 2008).
- 6.
„Mockumentary“ bezeichnet heute v. a. Filme (häufig Horrorfilme oder satirische Komödien), die mit den filmischen Gattungsgrenzen spielen und dabei fiktionale Inhalte in Form von Dokumentationen oder scheinbar authentischem, aufgefundenem, vorgeblich unbearbeitetem Film- bzw. Videomaterial präsentieren. Markante Elemente sind entsprechend u. a. Interviewsituationen, Voice-over-Kommentare oder aber verwackelte, auf das handlungsgeschehen reagierende Kameraaufnahmen, Einbezug des Kameramanns in die Handlungswelt und die Figureninteraktion, fehlende oder deutliche Schnitte bzw. Einstellungswechsel etc. Klassiker sind u. a. Zelig von Woody Allen (USA 1983) oder The Blair Witch Projekt (USA 1999, R: Daniel Myrick, Eduardo Sánchez). Vgl. dazu Lano 2011; Sextro 2009; Doherty 2003, für den Aspekt des Ironischen und des Subversiv-Kritischen von Mockumentarys, was die Epistemologie und die Authentizitätsdiskursivität des Dokumentarischen betrifft, Roscoe/Hight 2001. Für Welles (rein auditives) Radio-Play (zumindest für dessen erste Hälfte) und dessen Live-Charakter gelten analoge Charakteristika.
- 7.
Heutzutage ist Cantrils Studie kritisch zu betrachten (vgl. Herbers 2016), und womöglich ist auch die Massenpanik, die War of the Worlds ausgelöst haben soll, ein Mythos der Mediengeschichte oder zumindest ähnlich übertrieben wie die Erzählung von den Besuchern der Filmvorführung von L'Arrivée d'un train en gare de La Ciotat der Brüder Lumière im Jahr 1896, die vor dem auf der Leinwand herannahenden Zug flüchtenden (vgl. u. a. Deterding 2011; Loiperdinger 2004).
- 8.
Z. B. The Pink Panther (Der rosarote Panther, UK 1963, R: Blake Edwards), How to Steal a Million (Wie klaut man eine Million?; USA 1966, R: William Wyler), The Italian Job (Charlie staubt Millionen ab, UK 1969, R: Peter Collinson).
- 9.
Zum Fall Kummer vgl. u. a. Doll 2012, S. 305 ff. oder Miklós Gimes’ Dokumentarfilm Bad Boy Kummer (D 2010).
- 10.
Ebenso wie dies Mockumentarys zu Unterhaltungszwecken oder in kritischer medien(format)reflexiver Absicht tun (vgl. Roscoe/Hight 2001; siehe oben).
- 11.
Siehe dazu den Beitrag von Alexander Fischer in diesem Band. Neben der Vorstellung einer nachhaltigen Schädigung der gesellschaftlichen Diskursgrundlage sind Einhegungs- und Integrationsmöglichkeiten der öffentlichen Kommunikationspraxis denkbar. Zumal ähnliche epistemologische Garantenverluste in der Geschichte der Zivilisationen durchaus bewältigt wurden.
- 12.
Die Frage nach der korrekten Zuordnung zu einem einzelnen individuellen Künstler, die sich aufgrund etwa dessen Lehre bzw. „Schule“ stellt, sei hier ausgeklammert.
- 13.
- 14.
Dabei kann die die bloße Annahme, dass Fake News eine (v. a. eine negative) Wirkung entfalten möge, selbst etwa zu sogenannten Third-Person-Verhaltenseffekten führen (vgl. dazu u. a. Dohle 2013).
- 15.
www.derpressehai.com. Explizit wird dort erklärt: „Alle Nachrichten sind Satire & daher frei erfunden“ (zuletzt geprüft am 15.02.2018).
- 16.
www.derpressehai.com/article/kanadische-forscher-entwickeln-impfstoff-gegen-rassismus/ (zuletzt geprüft am 15.02.2018).
- 17.
Die Fake-Meldung findet sich nicht mehr länger auf Der Presse Hai, allerdings noch auf Mimikama der Hinweis darauf (vgl. Wannenmacher 2016).
- 18.
Twitter: @polizeiOBS, 03.01.2017; Tweet: https://twitter.com/polizeiOBS/status/816213910487527424 (zuletzt geprüft am 15.02.2018).
Facebook: https://www.facebook.com/polizeiOBS/, 03.01.2017; Post: https://www.facebook.com/polizeiOBS/photos/a.845295448879881.1073741829.768279913248102/1233170106759078/ (zuletzt geprüft am 15.02.2018).
- 19.
Siehe dazu: Polizei OBS (2017). Tatsächlich wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Volksverhetzung und Vortäuschens einer Straftat gegen die 55-jährige Userin eingeleitet (vgl. ebd.).
- 20.
- 21.
Noch unbestreitbarer ein Fake zum selben Thema und Ereignis ist die Meldung der mittlerweile wieder verschwundenen „Moselkurier“-Website (vgl. Strunk 2016). Laut dieser habe die Grünen-Politikerin Petra Klamm-Rothberger den Mord „verteidigt“. Die Nachricht zeigte das Bild der Dame samt ihren vorgeblichen Tweet mit dem Zitat der behaupteten perfiden Aussage: Weil vergewaltigte Frauen in der Heimat des Täters zum Tode verurteilt würden, habe er das Opfer töten müssen – für diese „kulturellen Unterschiede“ müssten „wir Verständnis haben“. Weder aber war die dargestellte Textnachricht echt, noch existierte der Twitter-Account – oder überhaupt (trotz Bild) die genannte Grünenpolitikerin (vgl. Wolf 2016).
- 22.
- 23.
Kommentierte Beispiele dazu finden sich in Schmehl 2017.
- 24.
Wobei dann gerne übersehen wird, dass selbst die so ins Feld geführte verfassungsrechtlich garantierte Kunst- bzw. Meinungsfreiheit grundgesetzlichen Einschränkungen unterliegt (z. B. gem. Artikel 5, Absatz 2 GG). Auch andere Werte (z. B. die Menschenwürde), Freiheiten und entsprechende Verbote (etwa der Zensur oder der Diskriminierung) werden oftmals lediglich aufgerufen, wenn sie zupass kommen.
- 25.
Differenzverweigerung findet sich in dem Sinne freilich nicht nur in Form der relativierenden Gleichsetzung, mithin der Verharmlosung oder Naturalisierungsbestrebung, sondern im anderen Wortgebrauchssinn (Differenzierung als Nuancierung) auch als diffamierende Ausgrenzung von unliebsamen Personen und Positionen mittels Pauschal-Etikettierungen als „Nazi“ oder „Rassist“.
- 26.
So wäre zu klären, ob Satire per se konterkarierend und oppositionell („anti-“) ist oder sich nicht auch affirmativ in den Dienst einer (womöglich gar herrschenden) politischen oder religiösen Ideologie stellen kann. Bei der Parodie, etwa als Textformatspott, ist letzteres jedenfalls durchaus möglich.
- 27.
https://twitter.com/Anon_Austria; Tweet vom 21.04.2017, https://twitter.com/Anon_Austria/status/855670118105403393 (letzter Aufruf 15.02.2018).
- 28.
Vgl. zu diesen und weiteren Bildfunktionen Doelker 2001. Schwerer noch als der Fake-News-Charakter könnte hier der der Aufforderung zu einer Straftat gem. § 111 (1) StGB wiegen.
- 29.
Ein Beispiel dazu ist womöglich (weil in den Einzelheiten nicht mehr nachzuprüfen) das Foto, das, angeblich von einem Studenten gepostet, den Amoklauf im Münchner Olympia-Einkaufszentrum am 22. Juli 2016 zeigte und von SAT.1 Bayern auf Twitter weiterverbreitet wurde. Tatsächlich zeigte das Bild die Folgen eines Raubüberfalls in Südafrika 2015. Der Sender entschuldigte sich dafür (vgl. Meyer 2016; Schmehl 2016).
- 30.
Von der Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. wurde „postfaktisch“ zum Wort des Jahres 2016 gekürt.
- 31.
„Alternative Fakten“, wahlweise begriffliche Augenwischerei oder Euphemismus, wurde v. a. durch Kellyanne Conway, zu jener Zeit Beraterin des US-Präsidenten Donald Trump im Januar 2017, geprägt.
- 32.
Vgl. beispielhaft den Sammelband von Lilienthal und Neverla (2017).
- 33.
Mit Wolfgang Donsbach lassen sich daran anschließend diverse Konzeptionen von Objektivität ausmachen: neben der realistischen (mit den Maßstäben Faktizität und Unparteilichkeit, deren Merkmale Wahrheit und Relevanz bzw. Ausgewogenheit und neutrale Präsentation sind) eine ideologische, funktionale, konsensuelle und relativistische (vgl. Donsbach 1990).
- 34.
Zu phatischer Kommunikation in Sozialen Medien, ihren Formen, den entsprechenden Affordanzen der Plattformen und den zugrunde liegenden Bedürfnissen vgl. u. a. auch Schandorf 2013, Parks 2011. Zur allgemeinen gemeinschaftsbildenden und -stärkenden, rituellen Handlungsdimension des Kommunizierens s. auch Reichertz 2010, S. 91; Ehlich 2007, S. 457.
- 35.
- 36.
Siehe hierzu auch den Beitrag von Claudia Eva Schmid, Lennart Stock und Svenja Walter in diesem Band.
- 37.
Hierzu wie allgemein zu Fallbeispielen s. Daschmann 2001.
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Zywietz, B. (2018). F wie Fake News – Phatische Falschmeldungen zwischen Propaganda und Parodie. In: Sachs-Hombach, K., Zywietz, B. (eds) Fake News, Hashtags & Social Bots. Aktivismus- und Propagandaforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-22118-8_5
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