Zusammenfassung
Der Beitrag geht der Frage nach, wie zivilgesellschaftliche Organisationen ihre zentralen Werte institutionalisieren und durch welche Mechanismen Mitglieder Werte verinnerlichen. Basis der Ausführungen sind Problemzentrierte Interviews und Fokusgruppendiskussionen eines Mixed-Methods-Projektes, die mittels Dokumentarischer Methode (Formulierende Interpretation) ausgewertet wurden. Die Analysen zeigen, dass Organisationen ihre Werte durch einen mehrstufigen Institutionalisierungsprozess verankern, der es Organisationen erlaubt, sich mit einem Profil in ihre Umwelt zu positionieren. Die Mitglieder der Organisationen internalisieren ihre Werte über zwei zentrale Mechanismen: Einüben und wiederholen und durch Vorbilder. Der Internalisierungsprozess ist dabei langfristig angelegt und erfordert eine andauernde Auseinandersetzung.
Für das hilfreiche Kommentieren einer ersten Fassung dieses Beitrags danke ich Christopher Schlembach und Roland Verwiebe
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Notes
- 1.
„Wertebildung – Inhalte – Orte – Prozesse“, www.werteforschung.at.
- 2.
In Wien hatte im Jahr 2017 jede/r zweite WienerIn einen Migrationshintergrund, wurde also selbst im Ausland geboren oder hat mindestens einen im Ausland geborenen Elternteil (vgl. Stadt Wien 2017).
- 3.
In neo-institutionalistischen Ansätzen innerhalb der Organisationsforschung wurde immer wieder kritisiert, dass Werte in Organisationen deshalb so stark aufgegriffen werden, weil damit ein rationaler Nutzen verknüpft wird, der jedoch vom Nutzen der Mitglieder der Organisation entkoppelt sei (s. hierzu u. a. Senge 2007).
- 4.
Diese Vorgangsweise ist nicht immer unumstritten. Während vor allem Unternehmen die Fokussierung auf Werte in ihren Leitbildern damit begründen, „Mitarbeitern ein sinnhaftes Erleben ihrer Arbeit zu ermöglichen“ (Von Groddeck 2011, S. 15) und damit auf individuelle Motivation und Leistungsbereitschaft abzielen, wird diese Vorgangsweise auch skeptisch und als zu abstrakt angesehen. Grund hierfür sei, dass Unternehmen sich lediglich eine bessere Reputation oder eine leichtere Steuerbarkeit von Organisationen erhofften, wenn die MitarbeiterInnen bestimmte Werte teilen würden (vgl. ebd., S. 15 f.).
- 5.
Dabei wird festgelegt, dass bei Nichteinhaltung der Regeln bzw. Verletzung der propagierten Werte eine Sanktionierung, beispielsweise in Form des Ausschlusses aus der Gemeinschaft, drohe. Bei der untersuchten Hilfsgemeinschaft ist es daher für jedes neue Mitglied Pflicht, ein entsprechendes Papier zu unterzeichnen, das die Kenntnis der Organisationswerte und dessen Einhaltung garantiert.
- 6.
Es ist nicht immer eindeutig, was unter religiösen Werten verstanden wird. Hill (2013, S. 30 f.) verortet Werte beispielsweise im Selbstkonzept eines Individuums. Menschen würden Werte demnach unterschiedlichen Bereichen zuordnen, zum Beispiel im religiös-spirituellen oder auch in einem politischen oder soziokulturellen Bereich. Carr (2013) hat in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Werten je nach Situation entweder religiöse oder nicht religiöse Inhalte zugeschrieben werden können. Deshalb plädiert er dafür, explizit als religiös ausgegebene Werte immer wieder zu hinterfragen: „Insofar as values are not reducible to non-rational preferences, religious values – like moral and/or aesthetic values – would have to be as far as possible supported by reason and reflection“ (ebd., S. 14).
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Wolf, M. (2019). Wie Werte erlernt werden: Zur Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen bei der Internalisierung von Werten. In: Verwiebe, R. (eds) Werte und Wertebildung aus interdisziplinärer Perspektive. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21976-5_9
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