Zusammenfassung
Die Soziologie geht davon aus, dass Konflikt und Konsens einen elementaren Bestandteil von Gesellschaft ausmachen. Soziale Interaktionen sowie ordnungsstiftende Institutionen basieren demnach auf dem wechselseitigen Verhältnis zwischen Konflikt und Konsens. In dieser Lesart wird die Konflikthaftigkeit von Gesellschaft als gegeben vorausgesetzt, ohne hierbei die subjektive Bedeutung, die Konflikten beigemessen wird wie auch die kulturelle Konstruktion von Konflikten zu beachten. Dies scheint gerade dann problematisch, wenn Konflikte gewaltsam ausgetragen werden. Die Behauptung lautet, Gewalt spiele erst dann eine Rolle, wenn Konflikte eskalieren. In dieser Perspektive fehlt jedoch zumeist die Einsicht in Situationen und Ermöglichungsräume, in denen auf Gewalt zurückgegriffen wird. Der Beitrag setzt sich deshalb mit dem Zusammenhang von Konflikt und Gewalt in medialen Gewaltdarstellungen auseinander. Neben einem kursorischen Überblick zur Funktion und Semantik filmischer Gewaltdarstellungen, wird schließlich am Beispiel des Zombiefilms die Bedeutung von Gewalt vor dem Hintergrund des Zombie-Szenarios beleuchtet. Dabei steht die Frage im Fokus, in welchen Situationen Konflikte gewaltsam ausgetragen werden und welchen Erkenntniswert die Soziologie aus ebensolchen Filmszenarien gewinnen kann.
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Notes
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Der vorliegende Beitrag erhebt keinen Anspruch, in irgendeiner Weise an den medien- und kommunikationswissenschaftlichen Mediatisierungsdiskurs anzuschließen. Gleichwohl eignet sich der Mediatisierungsbegriff für die Beobachtung gesellschaftlicher Prozesse und sozialer Interaktionen, die mit und durch Medien generiert und forciert werden, ohne diese als logische Folge von Medien abzuleiten.
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Den Zusammenhang von Subjekt, Subjektivität und ‚Entsubjektivierung‘ thematisiert u. a. Wieviorka (2006, S. 178 ff.) in seiner Reflexion über das Verhältnis von Gewalt und Subjekt in der Moderne. Im Zuge dessen skizziert er fünf Subjektfiguren, denen Gewalthandeln dazu diene, einen zuvor abhanden gekommenen Sinn wiederherzustellen, neu zu besetzen oder sogar erst zu erzeugen (Wieviorka 2006, S. 186 ff.). Gewalt kann demnach Sinn erzeugen und der Selbst- bzw. Fremdpositionierung dienen: „Man töte also, um zu wissen, wer der andere ist, und davon abzuleiten, wer man selbst ist“ (Wieviorka 2006, S. 184).
- 3.
Trotz der Problematik, die mit einer solchen Unterscheidung einhergeht, stellt sie häufig in öffentlichen Diskursen über extreme Gewalttaten von Jugendlichen eine prominente Argumentationslinie dar, wenn es etwa um den negativen Einfluss fiktiver Gewalt in Videospielen oder Filmen auf den Täter geht. Dabei wird zumeist in einer verkürzten und monokausalen Argumentation behauptet, fiktive Gewalt beeinflusse direktes, physisches Gewalthandeln durch vom Rezipienten unreflektierten Medienkonsum. Dieser führe schließlich, im Sinne eines Reiz-Reaktions-Schemas, zu einer mehr oder minder unvermittelten Übertragung fiktiver Gewalt in reale.
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Auf eine genaue Unterscheidung von Spielfilmen und TV-Serien wird an dieser Stelle verzichtet, da formale Unterschiede, wie etwa die zeitliche Entgrenzung und die Möglichkeit zur narrativen Komplexitätssteigerung in TV-Serien auf der einen Seite und die relative Abgeschlossenheit von Spielfilmen auf der anderen Seite in Bezug auf Aspekte der Bildsemantik von Gewaltdarstellungen ausgeklammert werden können. Deshalb werden beide Formate im vorliegenden Ansatz nicht trennscharf behandelt. Wenn nachfolgend von Filmen die Rede ist, dann sind damit ebenso Serienformate gemeint.
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„Heldenhafte Gewalt“ im Film expliziert Angela Keppler bspw. an Robert Harmons Nowhere to Run (1993) mit Jean-Claude Van Damme in der Hauptrolle. Der Film – so könnte entgegnet werden – versteckt sich absolut nicht hinter seiner stereotypen Darstellung von Konflikten und deren Lösung. Insoweit könnte hier durchaus der empirische Zugang bemängelt werden, auch wenn die von Keppler identifizierten narrativen Muster sowie die Unterscheidungen in unterschiedliche Funktionen logisch nachvollziehbar und in einem gewissen Grad auch auf eine Vielzahl anderer Filme übertragbar sind und dadurch eher als verallgemeinerte Exempel verstanden werden müssen.
- 6.
Zur Kolonialgeschichte des Zombies siehe Rath 2014.
- 7.
Zur vertiefenden Auseinandersetzung mit dem filmästhetischen und narrativen Einschnitt in Night of the Living Dead siehe exemplarisch Meteling (2006, S. 118 ff.). Zur kulturgeschichtlichen Einordnung des Films innerhalb des Horrorgenres sei an dieser Stelle auf Tudors (1989) „Monsters and Mad Scientists: A Cultural History of the Horror Movie“ verwiesen.
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Ziegler, D. (2017). Zur medialen Verarbeitung von Gewaltkonflikten in Zeiten der Unsicherheit. In: Gummert, H., Henkel-Otto, J., Medebach, D. (eds) Medien und Kulturen des Konflikts. Kulturelle Figurationen: Artefakte, Praktiken, Fiktionen. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16108-8_8
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