Zusammenfassung
Ausgehend von der Annahme, dass Kinder und Jugendliche in der Lage sind, sich mit visuellen und audiovisuellen Medien auszudrücken, stellt der Beitrag einen lebensweltlich-hermeneutischen Ansatz der Analyse von Video-Eigenproduktionen dar. Neben den Grundformen der Forschung zu Video-Eigenproduktionen werden der symboltheoretische Hintergrund und ein mehrstufiges Verfahren zum Symbolverstehen vorgestellt. Der Beitrag plädiert für das Einbeziehen von Kontextwissen, um kinder- und jugendkulturelle Symbolmilieus zu explorieren.
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Notes
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Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass es im Bereich Film/Video nach wie vor eine große Kluft zwischen der Rezeption und der Eigenproduktion gibt. So stellen aktuell lediglich 2 % der Jugendlichen zwischen 13 und 19 Jahren eigene Videofilme auf YouTube täglich/mehrmals die Woche ein (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverb und Südwest 2016, S. 39).
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Dies ist insofern verwunderlich, da sich eigene Trickfilmproduktionen unter Kindern einer wachsenden Beliebtheit erfreuen. Es gibt auch vermehrt Filmwettbewerbe, die sich speziell an Kinder wenden.
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Beispiele von Videofilmanalysen, die im Kontext des Seminars „Forschungswerkstatt Film und digitale Medien“ entstanden, sind im Onlinemagazin Ludwigsburger Beiträge zur Medienpädagogik zugänglich, u. a. Ausgabe 10 (2007), 13 (2010), 16 (2013), 17 (2014), 18 (2015). Die Videofilmanalysen sind jeweils in der Rubrik „Interessante Arbeiten von Studierenden“ zu finden (https://www.ph-ludwigsburg.de/2081.html).
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Der Begriff Symbolmilieu geht auf kunstsoziologische Arbeiten von Segerstedt (1947) und Paulsson (1955) zurück, die sich intensiv mit Fragen der Wechselbeziehung von Zusammengehörigkeitsgefühlen, symbolischen Formen und sozialen Strukturen beschäftigten und dabei die soziale Prägung von Seh- und Wahrnehmungsformen betonten.
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Bei der Analyse von audiovisuellen Eigenproduktionen liegt es nahe, auch Verfahren zu integrieren, die in spezifischer Weise präsentativ-symbolische Dimensionen erschließen und eine Reduktion auf Verbalumschreibungen transzendieren. Ein solches Verfahren liegt insbesondere mit der Feldpartitur (Moritz 2011) vor: die multikodale Transkription von Videodaten. In meiner bisherigen Forschungspraxis, gerade im Kontext von forschender Lehre, war es bislang aus forschungspraktischen/-ökonomischen Gründen schwierig, dieses differenzierte und komplexe Transkriptionsmodell anzuwenden. Gleichwohl enthält dieses Modell große Potenziale für eine computergestützte, hermeneutische Erfassung videoimmanenter Informationen und wurde im Rahmen meiner Professur auch gefördert (vgl. https://www.ph-ludwigsburg.de/11789+M51093461ac2.html).
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Vgl. auch die Abb. 1 („Arbeitsschritte für kontextbezogene Bildinterpretation“) in Holzwarth (2006, S. 180); dort der Punkt 4 (die Aussagen sind auf das Medium Film transferierbar).
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Formen der kommunikativen Validierung von Forschungsergebnissen gehören auch zum Transparenz-Gebot einer guten Forschungspraxis.
- 8.
Vgl. hierzu die Analyse von Niesyto (2006b, S. 263 f.) in der vergleichenden Auswertung verschiedener Interpretationsansätze im Rahmen einer Forschungswerkstatt zu Bildinterpretation und Bildverstehen.
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Unter external context verstehen die US-amerikanischen Autoren/innen Aspekte wie den Forschungsansatz und den ganzen theoretischen Hintergrund des Forschungsprojekts, die Größe der Unterschiede zwischen der Kultur der Bildproduzenten und dem ethnischen, geschlechtsbezogenen, sozial- und bildungsbezogenen Hintergrund der Bildinterpreten; unter internal context fallen Aspekte wie die Situation beim Zustandekommen der Aufnahmen, Beziehungen und Unterschiede zwischen Bild und Text, intermediäre Bezüge von Fotos oder die kommunikative Beziehung zwischen Bildproduzent und aufgenommenen Personen (Niesyto 2006b, S. 278). Zum Kontextbegriff bei Bildinterpretationen vgl. auch Terhart (2015, S. 76–79).
- 10.
Die 2004 an der PH Ludwigsburg durchgeführte Fachtagung Bildinterpretation war ein wichtiger Schritt (vgl. https://www.ph-ludwigsburg.de/fileadmin/subsites/1b-mpxx-t-01/user_files/Bildinterpretation.pdf). Die Tagung versuchte, Kriterien formaler Bildanalysen mit Kriterien einer lebensweltbezogenen Kinder- und Jugendkulturanalyse zu verknüpfen und gab unterschiedlichen Ansätzen Raum, sich darzustellen und aufeinander zu beziehen (Marotzki und Niesyto 2006). Es folgten mehrere Austauschtreffen zu Visuelle Methoden in der Forschung, die von Kolleginnen und Kollegen der Pädagogischen Hochschulen in Zürich, Bern und Ludwigsburg von 2009–2013 organisiert wurden. Es wäre wünschenswert, diesen Austausch in den kommenden Jahren fortsetzen und erweitern zu können.
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Niesyto, H. (2018). Symbolverstehen von Video-Eigenproduktionen. In: Moritz, C., Corsten, M. (eds) Handbuch Qualitative Videoanalyse. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-15894-1_41
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