Zusammenfassung
Dieser Beitrag ist einem Kollegen gewidmet, der sich wie kaum ein anderer in Forschung und Lehre um die Förderung der konzeptuellen Modellierung betrieblicher Informationssysteme verdient gemacht hat. Da die konzeptuelle Modellierung zu den tragenden Säulen unserer Disziplin gehört und damit zur identitätsstiftenden Profilbildung der Wirtschaftsinformatik beiträgt, hat er so auch einen wesentlichen Beitrag zur Konsolidierung des Fachs geleistet. In den letzten Jahren sind nun Entwicklungen zu verzeichnen, die den Eindruck nahelegen mögen, dass die konzeptuelle Modellierung in Wissenschaft und Praxis an Bedeutung verliert. So ist der Anteil der Forscher in der Wirtschaftsinformatik, die im Bereich der konzeptuellen Modellierung arbeiten, seit einigen Jahren rückläufig. Noch deutlicher wird dieser Schwund, wenn man sich in den Reihen junger Wissenschaftler umschaut. Hier findet man nur noch ganz wenige, zu deren zentralem Forschungsprofil Themen der konzeptuellen Modellierung gehören. Auch wenn wohl eine Reihe unterschiedlicher Aspekte zu dieser Entwicklung beigetragen hat, scheint sie im Wesentlichen auf die Neuausrichtung der Wirtschaftsinformatik zurückzuführen sein, die gegen Ende des letzten Jahrhunderts begann. Dieser Prozess einer Neuorientierung der Disziplin, der noch nicht abgeschlossen ist, ist vor allem durch zwei miteinander verwobene Entwicklungen gekennzeichnet. So haben sich einerseits in der deutschen Universitätslandschaft traditionelle Legitimationsmuster anwendungsorientierter Disziplinen geändert. Während früher das Einwerben beachtlicher Drittmittelvolumina aus der Industrie Ansehen und Unabhängigkeit zur Folge hatten, werden nun mehr und mehr andere Indikatoren wissenschaftlicher Leistungsfähigkeit in den Mittelpunkt gerückt (Schauer 2010). Dabei kommt Publikationen in angesehenen Zeitschriften eine wichtige Rolle zu. Andererseits sah sich die Wirtschaftsinformatik der Forderung gegenüber, ihre Forschung stärker international auszurichten, was nicht zuletzt durch Publikationen in international angesehenen Zeitschriften nachzuweisen sei. Während beide Aspekte für sich genommen überaus sinnvoll erscheinen, sind sie allerdings mit einer bedenklichen Konsequenz verbunden. So hatte das nordamerikanische „Information Systems“ eine andere Entwicklung genommen als die Wirtschaftsinformatik. Anstatt die Forschung auf die Gestaltung betrieblicher Informationssysteme auszurichten, wurde die Disziplin eher als eine spezielle Sozialwissenschaft konzipiert, die Voraussetzungen und Folgen des Einsatzes von Informationstechnologie in Organisationen vor allem empirisch nach Maßgabe eines behavioristischen Forschungsmodells untersucht. Gleichzeitig hatten die Kollegen in USA früher damit begonnen, die Reputation ihrer Zeitschriften und Konferenzen gezielt zu fördern (Frank et al. 2008). In der Folge erschien es einer zunehmenden Zahl von jungen Wissenschaftlern sinnvoll, die Wissenschaftskonzeption von „Information Systems“ zu adaptieren, um so einen besseren Zugang zu international hoch angesehenen Zeitschriften und Konferenzen zu finden.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Literatur
Beck K, Andres C (2004) Extreme programming explained: embrace change. Addison-Wesley, Boston
Becker J, Schütte R (2004) Handelsinformationssysteme: Domänenorientierte Einführung in die Wirtschaftsinformatik. Redline Wirtschaft, Frankfurt am Main
Bertalanffy L (1968) General system theory: foundations, development, applications. Braziller, New York
Bunge M (1977) Treatise on basic philosophy: volume 3: ontology I: the furniture of the world. Reidel, Dordrecht
Ciborra C (1987) Reframing the role of computers in organizations: the transaction costs approach. Off Technol People 3(1):17–38
Clark T, Sammut P, Willans J (2008) Superlanguages: developing languages and applications with XMF. Ceteva, Sheffield
Cockburn A (2002) Agile software development. Addison-Wesley, Boston
Derrida J (1984) Grammatologie. Suhrkamp, Frankfurt am Main
Dietz JLG (2006) Enterprise ontology: theory and methodology. Springer, Berlin/New York
Ferstl OK, Sinz EJ (2008) Grundlagen der Wirtschaftsinformatik. Oldenbourg, München
France RB, Rumpe B (2007) Model-driven development of complex software: a research roadmap. In: Briand LC, Wolf AL (Hrsg) Workshop on the Future of Software Engineering (FOSE ’07). IEEE CS Press, Minneapolis, S 37–54
Frank U (2000) Evaluation von Artefakten in der Wirtschaftsinformatik. In: Heinrich LJ (Hrsg) Evaluation und Evaluationsforschung in der Wirtschaftsinformatik. Handbuch für Praxis, Lehre und Forschung. Oldenbourg, München, S 35–48
Frank U (2013) Multi-perspective enterprise modeling: foundational concepts, prospects and future research challenges. Software and systems modeling. http://www.springerlink.com/openurl.asp?genre=article&id=doi:10.1007/s10270-012-0273-9
Frank U (2014) Multilevel modeling: toward a new paradigm of conceptual modeling and information systems design. Bus Inform Sys Eng 6(6):319–337
Frank U, Strecker S (2009) Beyond ERP systems: an outline of self-referential enterprise systems: requirements, Conceptual foundation and design options. Essen
Frank U, Schauer C, Wigand R (2008) Different paths of development of two information systems communities: a comparative study based on peer interviews. Commun AIS 22:391–412
Frank U, Strecker S, Fettke P, vom Brocke J, Becker J, Sinz EJ (2014) The research field „modeling business information systems“. Bus Inf Sys Eng 6(1):39–43
Giddens A (1984) The constitution of society: outline of the theory of structuration. Polity Press, Cambridge
Grossmann R (1983) The categorical structure of the world. Indiana University Press, Bloomington
Kant I (1974) Kritik der reinen Vernunft, Bd 1. Suhrkamp, Frankfurt am Main
Kosiol E, Szyperski N, Chmielewicz K (1965) Zum Standort der Systemforschung im Rahmen der Wissenschaften. ZfbF 17:337–378
Krogstie J (2007) Modelling of the people, by the people, for the people. In: Krogstie J, Opdahl A, Brinkkemper S (Hrsg) Conceptual modelling in information systems engineering. Springer, Berlin/Heidelberg, S 305–318
Krücke A, Sinz EJ (2011) Entwurf partieller SOA auf der Grundlage von Geschäftsprozessmodellen. In: Sinz EJ, Bartmann D, Bodendorf F, Ferstl OK (Hrsg) Dienstorientierte IT-Systeme für hochflexible Geschäftsprozesse. University of Bamberg Press, Bamberg, S 287–312
Luhmann N (1984) Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main
Mahr B (2015) Modelle und ihre Befragbarkeit Grundlagen einer allgemeinen Modelltheorie. Erwägen Wissen Ethik 26(3):329–342
Maier R (1996) Benefits and quality of data modelling – results of an empirical analysis and definition of a framework for quality management. In: Thalheim B (Hrsg) Proceedings of the 15th international conference on conceptual modelling ER ’96. Springer, Berlin, S 245–260
Parsons T (1951) The social system. Free Press u. a, Glencoe
Perrow C (1986) Complex organizations: a critical essay. McGraw-Hill, New York
Pick RA, Klein G (2002) Model management as a component of a knowledge management system: capturing modeling knowledge in the enterprise. In: 8th Americas conference on information systems. S 226–232
Pütz C, Sinz EJ (2010) Model-driven derivation of BPMN workflow schemata from SOM business process models. Enterp Model Inf Sys Archit 5(2):57–72
Schauer C (2010) Die Wirtschaftsinformatik im internationalen Wettbewerb: Vergleich der Forschung im deutschsprachigen und nordamerikanischen Raum. Gabler, Wiesbaden
Scheer A-W (1991) Architektur integrierter Informationssysteme: Grundlagen der Unternehmensmodellierung. Springer, Berlin/New York
Sinz EJ (1990) Das Entity-Relationship-Modell (ERM) und seine Erweiterungen. Handbuch der modernen Datenverarbeitung 27(152):17–29
Sinz EJ (2008) Modellierung in der Wirtschaftsinformatik-Weiterbildung. In: Desel J, Glinz M (Hrsg) Modellierung in Lehre und Weiterbildung. Insititut für Informatik, Zürich, S 7–16
Ulrich H (2001) Die Unternehmung als produktives soziales System: Grundlagen der allgemeinen Unternehmungslehre. Haupt, Bern
Wartofsky MW (1979) Models: representation and the scientific understanding. Reidel, Dordrecht
Wittgenstein L (1961) Tractatus logico-philosophicus. Routledge & Paul/Humanities Press, London/New York
Wolff F (2008) Ökonomie multiperspektivischer Unternehmensmodellierung: IT-Controlling für modell-basiertes Wissensmanagement. Gabler, Wiesbaden
Zachman JA (1987) A framework for information systems architecture. IBM Sys J 26(3):276–292
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2016 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH
About this chapter
Cite this chapter
Frank, U. (2016). Konzeptuelle Modellierung: Obsoleter Kostentreiber oder zentraler Erfolgsfaktor der digitalen Transformation?. In: Benker, T., Jürck, C., Wolf, M. (eds) Geschäftsprozessorientierte Systementwicklung. Springer Vieweg, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-14826-3_4
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-14826-3_4
Published:
Publisher Name: Springer Vieweg, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-14825-6
Online ISBN: 978-3-658-14826-3
eBook Packages: Computer Science and Engineering (German Language)