Zusammenfassung
Polizeiliches Handeln im Einzeldienst bedeutet die Daueranstrengung, einen Zielkonflikt aushalten zu müssen: Das Leitbild der Bürgernähe im Sinne geduldiger kommunikativer Erklärungen und Situationsaushandlungen im Bürgerkontakt einerseits und „konsequentes Durchgreifen“ zur Wahrung von Autorität und Glaubwürdigkeit andererseits. DieLegitimität von Polizeiarbeit beruht in der Binnensicht darauf, hier die Balance zu halten. Die Polizei kann sich eine dauerhafte Infragestellung in Form der Verweigerung ihrer Maßnahmen jedoch nicht bieten lassen. Was es für die Legitimität polizeilichen Handelns bedeutet, wenn eine Maßnahme gegen Widerstand durchgesetzt werden muss und wie strapazierfähig das Legitimitätsmangement ist, wird in diesem Beitrag beleuchtet. Dabei wird auch rekonstruiert, wie sogenannte Widerstandslagen von polizeilichen Akteuren semantisch konstruiert werden.
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Notes
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Urbane Sicherheit – Gerechtigkeitsansprüche in Theorie und Praxis. Das Beispiel BürgerInnenbeteiligung.
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Cyber-Sicherheit und die (Ohn-)Macht des Staates.
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Seit Anfang 2010 an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg Professorin für Kriminologie und Soziologie.
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Pro Jahrgang werden ca. 425 Studierende als AnwärterInnen für den gehobenen Polizeivollzugsdienst aufgenommen, der sich je zur Hälfte aus AufstiegsbeamtInnen aus dem mittleren Dienst und QuereinsteigerInnen (zumeist AbiturientInnen) zusammensetzt. Pro Semester befinden sich immer zwei Jahrgänge gleichzeitig auf dem Campus.
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Sog. „AufstiegsbeamtInnen“ als Studierende an der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg.
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Es muss konzediert werden, dass der Hunderte von Seiten umfassende Korpus aus Beobachtungs- und Interviewdaten hoch selektiv ist und sich auf den Streifendienst in Baden-Württemberg bezieht, gefiltert durch die Sichtweise der zum Studium für den gehobenen Dienst zugelassenen AufstiegsbeamtInnen.
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Rechtliche Abgrenzungen betroffener Tatbestände sind für die hermeneutisch-rekonstruktive Analyse insofern nicht relevant.
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Bürgernahe Polizeiarbeit hat viele Aspekte und Erscheinungsformen. Eine bürgernahe Strategie besteht im geduldigen Erklären von Maßnahmen – die in Baden-Württemberg eingesetzten Anti-Konflikt-Teams bei Einsätzen der Bereitschaftspolizei sind ein Beispiel dafür. Bürgernahe Polizeiarbeit kann aber noch viele weitere Strategien umfassen, beispielsweise die Erhöhung der anlassunabhängigen Bürgerkontakte durch intensive Präventionsarbeit, Verbesserung der Ansprechbarkeit durch Ausweitung von Fußstreifen in der Innenstadt etc.
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Die polizeilich verklausuliert wird als „unmittelbarer Zwang“, vgl. Behr 2014.
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Wobei dogmatisch-rechtliche Fragen hier keine Rolle spielen.
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„(1) Wer einem Amtsträger (…) bei der Vornahme einer solchen Diensthandlung mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand leistet oder ihn dabei tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (…).“ (www.gesetze-im-internet.de; 1.1.2016).
- 13.
Fachbegriff aus dem polizeilichen Einsatztraining, Akronym für „Abwehr- und Zugriffstraining“.
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Aus polizeirechtlicher Sicht könnte hier eingewendet werden, dass es sich hier um unmittelbaren Zwang handelt. Die rechtliche Kategorisierung spielt jedoch keine Rolle; „Gewalt“ wird hier als Kategorie für ein semantisches Wortfeld verwendet, das allerlei alltagssprachliche bzw. dialektale Ausformungen annimmt („hinlangen“, „zuschlagen“, „auf die Ohren geben“ etc.). Vgl. hierzu kritisch Behr (2014).
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Siehe beispielsweise den Tagungsband Frevel und Behr (2015) mit zahlreichen eindrücklichen Beispielen.
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Es gibt auch positive Zuschreibungen, sog. Widerstandsbeamte können auch eine positive Funktion für eine Einsatzlage bzw. für die Dienstgruppe haben, vgl. Tränkle (2015).
Literatur
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Tränkle, S. (2017). „Begonnene Maßnahmen werden durchgezogen“ – Widerstandslagen als Testfall für die Legitimität polizeilicher Maßnahmen. In: Frevel, B., Wendekamm, M. (eds) Sicherheitsproduktion zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft. Studien zur Inneren Sicherheit. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13435-8_3
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