Zusammenfassung
Die im vorliegenden Aufsatz als Methode der klassischen Kritischen Theorie aufgefasste Synthese von Totalität und Subjektivität wurzelt zum einen in der Dialektik der Hegelschen Erkenntnistheorie, zum anderen aber im fundamentalen Gegensatz von Individuum und Gesellschaft, wie er sich empirisch als Kennzeichen der modernen bürgerlichen Massengesellschaft herausgebildet hat. Der diese Gesellschaft formende und durchwirkende Kapitalismus bzw. Spätkapitalismus des 20. Jahrhunderts spitzte diesen Gegensatz zu, mithin den Untergang des Individuums in der Totalität und sein Verkommen zum Exemplar. Gerade das Zeitalter, das sich das autonome Subjekt zum Ideal erhoben hatte, zeitigte jene Strukturen, die in der zunehmenden Entindividualisierung des Individuums mündeten. Dies zu ergründen, nahmen sich die Denker der klassischen Kritischen Theorie vor. Die Verschwisterung des „Eindimensionalen Menschen“ und der „Negativen Dialektik“ auf der Grundlage der Erkenntnisse der „Dialektik der Aufklärung“ und der „Kritik der instrumentellen Vernunft“ bildeten dabei die Grundlage für ihre Theoriebildung und der Methode ihrer Forschung.
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Notes
- 1.
Mit Horkheimers Einführung des Begriffs ‚kritische Theorie‘ in seinem Aufsatz „Traditionelle und kritische Theorie“ von 1937 wurde sklavensprachlich die Anknüpfung an die revolutionäre Theorie von Marx umschrieben, die noch an die Perspektive eines möglichen Endes der Vorgeschichte glauben konnte. Die Marxsche Theorie mit ihrem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse, in denen der Mensch ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist, umzuwerfen (vgl. Marx 1981, S. 385), sollte wegweisend für eine befreiende Praxis, der sich Kritische Theorie zu dieser Zeit verpflichtete, gelten. Doch über Auschwitz hinweg konnte an dieser Perspektive nicht mehr festgehalten werden. Auschwitz markiert einen Zivilisationsbruch, der alles auf ihn Folgende affiziert. Kritische Theorie nach Auschwitz bedeutete das Ende einer kritischen Theorie, die als Ideologiekritik an einer Praxis der sozialen Emanzipation arbeiten wollte.
- 2.
Siehe hierzu die Erläuterungen in Theodor W. Adorno, Negative Dialektik, 8. Aufl. Frankfurt a. M. 1994, S. 161 ff. und 171 ff.
- 3.
Eine Ausführung dieser ist von Zvi Tauber vorgenommen worden, in: ders. 1994, S. 45 ff.
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Freytag, T. (2019). Totalität und subjektiver Faktor als Methode. In: Bittlingmayer, U., Demirović, A., Freytag, T. (eds) Handbuch Kritische Theorie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-12695-7_32
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