Zusammenfassung
Der Beitrag nimmt das moderne Strafrechtsystem aus einer gleichermaßen historischen wie kritisch-kriminologischen Perspektive in Blick. Er wird deutlich, dass es bei der Konfliktbearbeitung in frühen akephalen Gesellschaften nicht um Strafe und individuell zuzuschreibende Schuld gegangen ist, sondern vielmehr darum, den sozialen Frieden wieder herzustellen. Die Kriminalstrafe moderner Gesellschaften hat sich erst mit der Entstehung von herrschaftlich organisierten Gesellschaften entwickelt und ist seither in erster Linie ein Mittel der Herrschaftsdarstellung, das die Interessen und Bedürfnisse der Beteiligten allenfalls unzureichend berücksichtigt. Dies gilt einerseits für die Opfer, die zu einem Werkzeug staatlichen Strafens funktionalisiert werden, aber andererseits ebenso für die TäterInnen: Denn auch wenn sich der Strafvollzug in den vergangenen Jahrzehnten durchaus modernisiert hat, so kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass soziale Ausschließung durch Einsperrung Schmerz zufügt und Identität zerstört. Die Idee einer „Healthy Justice“, so Stehr, sei vor diesem Hintergrund notwendigerweise zu verbinden „mit grundlegenden Überlegungen zu einer partizipatorischen Justiz und der damit zusammenhängenden Orientierung an einer Wiedervergesellschaftung von Konflikten.“
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Stehr, J. (2016). Vom sozialen Frieden zur individuellen Schuld (und zurück). In: Ochmann, N., Schmidt-Semisch, H., Temme, G. (eds) Healthy Justice. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-11727-6_2
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