Zusammenfassung
Wenn junge Erwachsene über ihr Leben und ihre Zukunftsvorstellungen erzählen, so basieren ihre Schilderungen auf der Vorstellung von Individualität. Weil Menschen verschieden sind, argumentieren sie, sollen sie ihre passenden Lebenswege selber wählen können. Das Leben wird damit zum frei gestaltbaren Projekt, welches Frauen ebenso wie Männer selbstverantwortlich planen dürfen und auch müssen. Der Aufsatz reflektiert das Spannungsfeld zwischen diesem Planungsanspruch und der wahrgenommenen Unabsehbarkeit der Zukunft. So verändern sich Arbeitswelten in den Augen der jungen Erwachsenen so schnell, dass die zukünftigen Konsequenzen heutiger Entscheidungen kaum abschätzbar sind. Die Vorstellung frei gewählter Lebenswege steht zudem in einem zweiten Spannungsfeld mit fortbestehenden Geschlechternormen. Dem eingeforderten Recht, individuell zu sein, stehen implizite Annahmen gegenüber, welche Tätigkeiten für Frauen und welche für Männer „passen“. Der Beitrag diskutiert die Vorstellung von Individualität und Wahlfreiheit als widersprüchlichen und gleichzeitig machtvollen Diskurs, der das Selbstverständnis junger Erwachsener und die Logik ihrer Lebensplanung formt. Er zeigt auf, wie diese diskursive Konstruktion die Verantwortung für gesellschaftliche Probleme dem Individuum zuweist und diese zu Problemen der Selbstsorge umdefiniert - gleichzeitig aber auch Spielräume eröffnet, um von tradierten Lebenswegen abzuweichen und Geschlechternormen zu durchbrechen.
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Die im Folgenden verwendeten Zitate wurden aus dem Schweizerdeutschen oder Französischen ins Schriftdeutsche übertragen.
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Schwiter, K. (2015). Auf dem Weg in den Arbeitsmarkt. Junge Erwachsene im Spannungsfeld zwischen Individualität und Geschlechternormen. In: Micus-Loos, C., Plößer, M. (eds) Des eigenen Glückes Schmied_in!?. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-09133-0_5
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