Zusammenfassung
Mit der Transformation zur Postdemokratie geht nicht nur eine schleichende Aushöhlung demokratischer Institutionen einher, sie ist auch eng mit der Erosion der sozialen Grundlagen von Demokratie verbunden. So gilt die Norm der politischen Gleichheit zwar formal auch in der Postdemokratie, de facto führt die neoliberale Hegemonie, die kennzeichnend für die postdemokratische Konstellation ist, aber zu realer Ungleichheit: Sie begünstigt den Einfluss gesellschaftlicher Eliten auf die politische Entscheidungsfindung und fördert unter dem Diktum der Eigenverantwortung auch den Abbau sozialstaatlicher Maßnahmen. Die Konsequenz dieser Konstellation ist nicht nur eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland und in vielen anderen westlichen Demokratien, sondern auch die zunehmende politische Ungleichheit verschiedener Bevölkerungsgruppen. Viele Bürgerinnen und Bürger reagieren auf postdemokratische Entwicklungen, indem sie Distanz zum politischen Prozess entwickeln und seltener partizipieren.
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Notes
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Auf Basis dieser geteilten Annahmen können des Weiteren drei spezifische Ansätze des Neoliberalismus differenziert werden: Der „Ordoliberalismus“, der „evolutorische Neoliberalismus“ (vgl. Biebricher 2012, S. 58) und der „monetaristische Neoliberalismus“ (vgl. Lemke und Schaal 2014). Da sich die postdemokratische Kritik nicht am maßgeblich im Kontext der sogenannten „Freiburger Schule“ entwickelten Ordoliberalismus entzündet, sondern lediglich und dabei nicht weiter differenzierend die anderen beiden Neoliberalismen kritisiert, wird im Folgenden ebenfalls nur noch von „dem Neoliberalismus“ gesprochen. Sowohl der „evolutorische“ als auch der „monetaristische“ Neoliberalismus sind damit gemeint.
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Doch auch jenseits der Sozialpolitik weist die Politik der Regierung Schröder eine neoliberale Prägung auf, so war beispielsweise auch die Bildungs-, Wissenschafts- und Verkehrspolitik unter der damaligen rot-grünen Regierung vom Streben nach Effizienz gekennzeichnet (vgl. Graßl 2014; Neumann 2014; Engartner und Zimmer 2014).
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Ebenfalls interessante Anknüpfungspunkte an den Postdemokratie-Diskurs finden sich in den Arbeiten von Abendroth, auf dessen Perspektive in diesem Beitrag jedoch nicht näher eingegangen werden kann. Vergleiche für entsprechende Ausführungen Eberl und Salomon (2013).
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Ritzi, C. (2017). Demokratischer Schein und soziale Erosion. In: Eberl, O., Salomon, D. (eds) Perspektiven sozialer Demokratie in der Postdemokratie. Staat - Souveränität - Nation. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02724-7_10
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