Zusammenfassung
Der Artikel zeigt vier verschiedene Möglichkeiten von Kritik innerhalb der politikwissenschaftlichen Forschung auf. Dies geschieht am Beispiel der Analyse des internationalen Antikorruptionsdiskurses. Herausgearbeitet und illustriert werden zunächst die beiden Modi der beobachtenden und befremdenden Kritik, die in poststrukturalistischen Studien meist eingenommen werden. Darüber hinaus werden – in Anlehnung an Laclau und Mouffe – die Modi der radikaldemokratischen sowie der gegenüberstellenden Kritik identifiziert. Es wird argumentiert, dass die letzten beiden Kritikschritte die der Analyse immer inhärente Subjektivität der Autorin lediglich explizit machen und somit kritiktheoretisch konsistent sind. Der Artikel positioniert sich gegen eine Konzeption von wissenschaftlicher Kritik als Aussetzen des eigenen Urteils und plädiert im Gegenzug für eine explizite Anpassung der Kritik an die Autorin, wobei die wissenschaftliche Arbeit als politischer Beitrag verstanden wird.
Few if any concepts in social and political science or theory can claim a wholly factual content, and given the core meaning of the term ‚corruption‘ it should not be surprising to find that identifying its political form will implicate us in a range of commitments about the nature and ends of the political domain. Moreover, this recognition must also be tied to an acknowledgement that the perspective on politics from which we generate our conception of corruption will play a major role in shaping the explanations we offer.
Mark Philp: Defining political corruption (1997, S. 446).
Dieser Forschungsbeitrag wurde gefördert vom European Research Council (7. EU-Forschungsrahmenprogramm FP7/2007–2013) im Rahmen des Projektes ‚Political Economies of Democratisation‘ (2008–2012, Fördernummer 202 596) und spiegelt allein die Sichtweise der Autorin wider. Die Autorin war Doktorandin im genannten Projekt.
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Notes
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Siehe z. B. Hindess (2005), der das TI Source Book analysiert.
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Die Dissertation wurde mit freiem Zugang online veröffentlicht und ist abrufbar unter http://cadair.aber.ac.uk/dspace/handle/2160/11788.
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Der für meine Analyse herangezogene Datenkorpus besteht hauptsächlich aus zahlreichen programmatischen Policy-Dokumenten und Webseiten-Inhalten von Transparency International (TI), Weltbank (WB) und UNDP und insgesamt 18 von mir geführten Interviews mit deren Mitarbeiter/innen. Die Daten wurden anhand der in ihnen enthaltenen Signifikanten in zwei Bedeutungsketten gegliedert; die verschiedenen sie verbindenden diskursiven Zusammenhänge und Logiken (Kausalitäten, Hierarchien, Oppositionen) sowie die von Nonhoff (2006) beschriebenen hegemonialen Strategien wurden herausgearbeitet; die festgestellten Strukturen des Diskurses wurden schließlich in den Kontext weiterer diskursiver Formationen eingeordnet.
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Diese bestehen aus durch diskursive Artikulation verbundenen Signifikanten, deren Gemeinsamkeit (beziehungsweise Gleichwertigkeit) darin besteht, dass sie Elementen aus der jeweils anderen Kette konträr gegenüberstehen beziehungsweise widersprechen.
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Das Vorhandensein zweier antagonistischer Äquivalenzketten im Diskurs bedeutet bereits das Vorliegen von zweien der hegemonialen Kern-Strategeme, die Nonhoff (2006) für hegemoniale Projekte feststellt.
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Aufgrund der Vielzahl der in meiner Dissertation verwendeten Online-Quellen habe ich mich für eine Zitierweise nach Organisation plus Buchstaben entschieden. Das Datum der Online-Abrufung findet sich im Literaturverzeichnis.
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Der Begriff ‚Versuch‘ soll hier nicht Intentionalität der daran beteiligten Akteure/Akteurinnen implizieren. Er bezieht sich vielmehr auf das Vorliegen hegemonialer Strategeme im IAK-Diskurs und seinen dadurch begründeten Status als hegemoniales Projekt.
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Genauso verhält es sich natürlich mit anderen westlichen Idealvorstellungen gesellschaftlicher Organisation (Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus, Nationalismus/Isolationismus etc.), die von den im IAK-Diskurs enthaltenen Ratschlägen zur Organisation einer ‚unkorrupten‘ Gesellschaft ausgeschlossen werden.
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Radikal bedeutet in diesem Zusammenhang die „generalization of the equivalential-egalitarian logic“ (Laclau und Mouffe 2001, S. 167) im Diskurs, das heißt, dass die (immer bestehende) Pluralität unterschiedlicher Identitäten nicht auf irgendeinem transzendenten positiven Fundament gegründet ist und dass diese Identitäten deshalb als gleichwertig anzusehen sind.
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Für einen derartigen Versuch siehe Wingenbach (2011).
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Dies gilt auch in Bezug auf ihre Sozialtheorie selbst.
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Auch Laclau und Mouffes Annahme, dass in einer Gesellschaft stets Hegemonien existieren, ja dass Gesellschaft allein durch hegemoniale Artikulationen möglich wird, impliziert, dass Menschen immer bestimmte (wenngleich sich ständig verändernde) Haltungen haben.
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Die Beseitigung von Unterdrückung, die Laclau und Mouffe (2001, S. 152) als Kern ihres politischen Projekts betrachten, ist lediglich das von ihnen erhoffte Ergebnis dieser Ethik.
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Der ‚einzige‘ Konsens ist der auf freiheitlich-demokratischen Grundwerten, die auf alle Bereiche der Gesellschaft ausgeweitet werden sollen, sowie das Prinzip des Agonismus, das als einzige moralische Orientierung gesehen werden kann (Torfing 1999, S. 255).
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Auf einer Konferenz hörte ich beispielsweise einen diskursanalytisch unterfütterten Vortrag über die Arbeits- und Migrationspolitik eines südostasiatischen Landes. Mein Eindruck war, dass die Autorin diese als sehr problematisch darstellte. Auf meine Frage hin, was ihre Meinung dazu sei, wie den kritisierten Missständen abgeholfen werden könnte, verweigerte sie die Antwort mit der Begründung, dass alles, was sie dazu sagen könnte, negative Machteffekte haben könnte.
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Dieses Explizieren und Relativieren meiner eigenen Position läuft akademischen Konventionen offensichtlich zuwider.
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Dagegen könnte man argumentieren, dass die politische Diskussion auf diese Weise nur altbekannte Positionen immer und immer wiederholt und keinen Platz lässt für das Noch-nicht-Gedachte und das Noch-nicht-Gesagte. In diese Schiene fiel auch das Plädoyer für die ‚reine Ablehnung‘ (anstatt ‚konstruktiver‘ Kritik) des derzeitigen Finanzregimes durch manche Occupy-Demonstrationsteilnehmer/innen und Kommentator/innen (siehe z. B. Harcourt 2011 über ‚Occupy Wall Street‘). Dies bedeutet jedoch wiederum, dass denen, die derzeit die politischen Schalthebel bedienen, das Feld überlassen wird für ihre meist sehr konventionellen Lösungsvorschläge.
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Gebel, A.C. (2019). Vier Modi der Kritik – Überlegungen im Zuge einer Analyse des internationalen Antikorruptionsdiskurses. In: Langer, A., Nonhoff, M., Reisigl, M. (eds) Diskursanalyse und Kritik. Interdisziplinäre Diskursforschung. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-02180-1_14
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