Zusammenfassung
Der Artikel thematisiert die Genderdimensionen von Zeit, Zeitverwendung und ‚Frei‘-Zeit. Freizeit also verstanden als jene Zeit, in der der Mensch genau das tun kann, was seinen Interessen entspricht, ohne äußere Zwänge und Anforderungen, sich somit der Muße hingeben kann, sei diese aktiv oder eher ruhig gestaltet. Zwei Zeitphänomene werden dabei genauer analysiert: zum einen die Zeitverwendung und zum zweiten der Zeitwohlstand. Beide Phänomene sind mit dem Geschlechterverhältnis und der geschlechtlichen Arbeitsteilung verbunden – sie bilden die strukturelle Grundlage, die Zeitverwendung und Freizeit bestimmen. Datengestützt werden die bestehende Problematik der Benachteiligung von Frauen und die notwendige egalitäre Verteilung von gesellschaftlichen Aufgaben herausgearbeitet. Soziale Hierarchien zwischen Frauen und Männern bestehen heute immer noch darin, dass, wie die analysierten Daten der Zeitbudgetstudien zeigen, Frauen selbst als Vollzeitbeschäftigte mehr Sorgearbeit leisten als Männer. Diese Form der Zeitverwendung hat nach wie vor deutliche Auswirkungen im Hinblick auf Aspekte wie gesellschaftliche Partizipation, Anerkennung und Gleichberechtigung. Und es hat ganz konkrete Auswirkungen im Hinblick auf den Zugang zu freier Zeit und Muße.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Beim adult worker model handelt es sich um ein Familienmodell und Konzept, welches inzwischen den sozialpolitischen Regulierungen der meisten westlichen Industrienationen zugrunde liegt. Auf dieses basierend werden sozialpolitische Maßnahmen wie etwa der Arbeitsmarktpolitik ausgerichtet. Es beinhaltet die Annahme aller Erwachsenen als Erwerbspersonen, die befähigt sind oder sein müssen, für den eigenen Lebensunterhalt in Form von Erwerbsarbeit aufzukommen. Insofern handelt es sich um die „komplette Unterordnung des Lebens aller unter die ‚Produktions‘-arbeit“ (Klinger 2013, S. 99, Herv. i. O.).
- 2.
Wobei das Hausfrauen- und Alleinernährermodell entsprechend sozialer Differenzen bei Familien mit niedrigem Einkommen deutlich weniger vorkam, da etwa für Arbeiterfamilien oder Familien in der Landwirtschaft eine gemeinsame Erwerbstätigkeit von Mann und Frau sowohl üblich als auch notwendig war.
- 3.
An dieser Stelle sollte auf die Unterschiede und Ähnlichkeiten in der DDR hingewiesen werden. In der etwas über 40 Jahre währenden Phase des Staatssozialismus wurden aufgrund des anderen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems Frauen ebenso wie Männer in die Erwerbsarbeit eingebunden, auch aufgrund des Anspruchs, hierdurch zur Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern beizutragen. Ermöglicht wurde dieses durch ausgedehnte Kinderbetreuungseinrichtungen. Darüber hinaus aber basierte auch das Sozialsystem der DDR auf der stillschweigenden und unhinterfragten unbezahlten Sorgearbeit von Frauen in der Familie. Eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung als solche ebenso wie die „gesellschaftlich-historische Verkoppelung von Berufsarbeit und familialer Alltagsarbeit“ (Beck-Gernsheim) bestand also auch in der DDR weiterhin fort.
- 4.
So sind beispielsweise geistes- und sozialwissenschaftliche Dissertationen heutzutage wesentlich umfangreicher als noch vor 50 Jahren, was auch auf die Arbeit mit Computern zurückzuführen ist. Oder am Beispiel der Erfindung und Verbreitung der Waschmaschine wird deutlich, dass Wäschewaschen an sich heutzutage wesentlich einfacher und schneller geht. Diese Zeiteinsparung wird jedoch im Vergleich zu früher dadurch wieder verloren, weil heutzutage wesentlich öfter und mehr Wäsche gewaschen wird als vor Erfindung der Waschmaschine.
- 5.
So waren 2012 36 % der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen in Form von Teilzeit tätig, im Vergleich dazu waren bei den Männern nur 6,5 % nicht Vollzeit erwerbstätig. Hinzu kommt, dass unter den Mini-JobberInnen der Anteil von Frauen sehr hoch ist (Agentur für Arbeit 2013).
- 6.
Zeitbudgeterhebungen in Deutschland finden nur einmal in der Dekade statt, die nächste Veröffentlichung der aktuellen Zeitbudgeterhebung, die 2010–2012 durchgeführt wurde, wird für 2014 erwartet.
- 7.
Die Kategorien beinhalten Folgendes: Sozial umfasst Haushaltsführung, Kinderbetreuung, Pflege, soziale Kontakte; Erwerb die Erwerbsarbeit. Bildung umfasst Fortbildungen u. ä. sowie Qualifikationen außerhalb der Erwerbsarbeitszeit; Partizipation ehrenamtliche Tätigkeiten und die Ausübung von Ämtern, Funktionen usw. Freizeit umfasst die Zeit der Muße, Regeneration und die Teilnahme an Hobbys und sportlichen Tätigkeiten.
- 8.
Persönliche Pflege beinhaltet Schlafen, Mahlzeiten sowie Zeit für die eigene körperliche Hygiene, aber auch Aktivitäten wie etwa Friseurbesuche. Erwerbsarbeit umfasst die Zeit, die für die Erwerbsarbeit aufgewandt wird, also die Zeit am Arbeitsplatz, für die Erwerbsarbeit selbst als auch für die Wegezeiten zum Arbeitsplatz. Hausarbeit umfasst Tätigkeiten im Haushalt wie Kochen, Putzen, Einkaufen, handwerkliche Tätigkeiten. Kinderbetreuung beinhaltet die Zeit, die mit Kindern verbracht wird, deren Betreuung, Begleitung, gemeinsame Aktivitäten u. ä. Pflege hingegen ist die Zeit, die verwandt wird, um pflegebedürftige Personen zu betreuen, mit ihnen Zeit zu verbringen, sie zu umsorgen. Freizeit umfasst die Zeit, die für Dinge der eigenen Entspannung und Erholung dienen. Bei der unspezifischen Zeit handelt es sich um Zeit für Tätigkeiten, die in keine der anderen Zeitraster passen, etwa Behördentätigkeiten, für religiöse oder spirituelle Aktivitäten, Sexualität u. a. (OECD 2011, S. 1).
- 9.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Beteiligung von Männern an der Sorgearbeit durchaus verändert, vor allem im Bereich der kindbezogenen Tätigkeiten. Diese Veränderungen sind jedoch gering, gerade angesichts der veränderten Erwerbsbeteiligung von Frauen (vgl. hierzu Beckmann 2014).
Literatur
Agentur für Arbeit. (2013). Der Arbeitsmarkt in Deutschland. Arbeitsmarktberichterstattung – Juni 2013. www.statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Personengruppen/generische-Publikationen/Frauen-Maenner-Arbeitsmarkt-2013-07.pdf. Zugegriffen: 14. Feb. 2014.
Auth, D. (2009). Das Private neu denken – zur Neubestimmung der sozialen Organisation von Fürsorgearbeit. In I. Kurz-Scherf, J. Lepperhoff, & A. Scheele (Hrsg), Feminismus: Kritik und Intervention (S. 214–229). Münster: Westfälisches Dampfboot.
Beck-Gernsheim, E. (1993). Das halbierte Leben. Männerwelt Beruf, Frauenwelt Familie. Frankfurt a. M.: Fischer.
Becker-Schmidt, R. (2003). Zur doppelten Vergesellschaftung von Frauen. Soziologische Grundlegung, empirische Rekonstruktion. gender…politik…online Juli 2003. http://www.fu-berlin.de/sites/gpo/soz_eth/Geschlecht_als_Kategorie/Die_doppelte_Vergesellschaftung_von_Frauen/becker_schmidt.pdf?1361541017. Zugegriffen: 14. Feb. 2014.
Beckmann, S. (2013). Women and care: Subjectification in times of the rising adult worker model – An intersectional perspective. AG About Gender – International Journal of Gender Studies, 2(4). http://www.aboutgender.unige.it/ojs/index.php/generis/article/view/92.
Beckmann, S. (2014). Care neu verteilt? Väter und Mütter im schwedischen, französischen und deutschen Wohlfahrtsstaat. In B. Aulenbacher & M. Dammayr (Hrsg.), Für sich und andere sorgen. Arbeitsgesellschaft im Wandel. Weinheim: Beltz Juventa (im Erscheinen).
Diezinger, A. (2008). Alltägliche Lebensführung: Die Eigenlogik alltäglichen Handelns. In R. Becker & B. Kortendiek (Hrsg.), Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung (S. 221–226). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
DIW. (2004). Private Versorgung und Betreuung von Pflegebedürftigen in Deutschland. Wochenbericht des DIW 20/2004. www.diw.de/sixcms/detail.php/284254#TAB4. Zugegriffen: 14. Feb. 2014.
Fraser, N. (2009). Feminismus, Kapitalismus und die List der Geschichte. Blätter für deutsche und internationale Politik, 54(8), 43–57.
Hacket, A. (2012). Arbeitszeit und Lebenszeit – die Zeitverwendung abhängig Beschäftigter im Kontext von Erwerbsarbeit. In Forschungsverbund sozioökonomische Berichterstattung (Hrsg.), Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland (S. 659–692). Wiesbaden: Springer VS.
Jurczyk, K. (2000). Zwischen Selbstbestimmung und Bedrängnis. Zeit im Alltag von Frauen. In W. Kudera & G.G. Voß (Hrsg.), Lebensführung und Gesellschaft. Beiträge zu Konzept und Empirie alltäglicher Lebensführung (S. 219–246).
Jurczyk, K. (2002). Entgrenzungen von Zeit und Gender – Neue Anforderungen an die Funktionslogik von Lebensführung? In M. Weihrich & G. G. Voß (Hrsg.), Tag für Tag. Alltag als Problem für Lebensführung als Lösung? Neue Beiträge zur Soziologie alltäglicher Lebensführung Bd. 2 (S. 95–115). München: Rainer-Hampp-Verlag.
Jürgens, K., & Voß, G. G. (2007). Gesellschaftliche Arbeitsteilung als Leistung der Person. Aus Politik und Zeitgeschichte, 34, 3–9.
Klinger, C. (2013). Krise war immer… Lebenssorge und geschlechtliche Arbeitsteilungen in sozialphilosophischer und kapitalismuskritischer Perspektive. In E. Appelt, B. Aulenbacher, & A. Wetterer (Hrsg.), Gesellschaft – Feministische Krisendiagnosen (S. 82–104). Münster: Westfälisches Dampfboot.
Kurz-Scherf, I. (2007). Soziabilität – auf der Suche nach neuen Leitbildern der Arbeits- und Geschlechterpolitik. In B. Aulenbacher, M. Funder, H. Jakobsen, & S. Völker (Hrsg.), Arbeit und Geschlecht im Umbruch der modernen Gesellschaft. Forschung im Dialog (S. 269–284). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Lamura, G., Mnich, E., Wojsel, B., Nolan, M., Krevers, B., Mestheneos, L., & Döhner, H. (2006). Erfahrungen von pflegenden Angehörigen älterer Menschen in Europa bei der Inanspruchnahme von Unterstützungsleistungen. Zeitschrift für Geriatrie und Gerontologie, 39(6), 429–442.
Lessenich, S. (2011). Die kulturellen Widersprüche der Aktivgesellschaft. In C. Koppetsch (Hrsg.), Nachrichten aus den Innenwelten des Kapitalismus (S. 253–263). Wiesbaden: Springer VS.
Lessenich, S., Rosa H., & Kennedy, M. (2014). Weil Kapitalismus sich ändern muss. Im Gespräch mit Hartmut Rosa und Stephan Lessenich. In S. Lessenich, H. Rosa, M. Kennedy, & T. Waigel (Hrsg.), Weil Kapitalismus sich ändern muss (S. 21–65). Wiesbaden: Springer VS.
Madörin, M. (2007). Neoliberalismus und die Reorganisation der Care-Ökonomie. Eine Forschungsskizze. Denknetz-online.de, S. 141–161. http://www.denknetz-online.ch/IMG/pdf/Madorin.pdf. Zugegriffen: 14. Feb. 2014.
Mohr, K. (2010). Von „welfare“ zu „workfare“. Der radikale Wandel in der deutschen Arbeitsmarktpolitik. In S. Bothfeld, W. Sesselmeier, & C., Bodegan (Hrsg.), Arbeitsmarktpolitik in der sozialen Marktwirtschaft. Vom Arbeitsförderungsgesetz zum Sozialgesetzbuch II und III (S. 49–60). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
OECD. (2011). OECD Family Database. LMF 2.5: Time use for work, care and other day-to-day activities. http://www.oecd.org/social/family/43199641.pdf. Zugegriffen: 14. Feb. 2014.
Projektgruppe „Alltägliche Lebensführung“. (1995). (Hrsg). Alltägliche Lebensführung. Arrangements zwischen Traditionalität und Modernisierung. Opladen: Leske + Budrich.
Rerrich, M. (2000). Zusammenfügen, was auseinanderstrebt: zur familialen Lebensführung von Berufstätigen. In W. Kudera & G.G. Voß (Hrsg.), Lebensführung und Gesellschaft. Beiträge zu Konzept und Empirie alltäglicher Lebensführung (S. 247–266). Opladen: Leske + Budrich.
Rerrich, M. S. (2010). Care und Gerechtigkeit. Perspektiven der Gestaltung eines unsichtbaren Arbeitsbereichs. In U. Apitzsch & M. Schmidbaur (Hrsg.), Care und Migration. Die Ent-Sorgung menschlicher Reproduktionsarbeit entlang von Geschlechter- und Armutsgrenzen (S. 43–58). Opladen: Verlag Barbara Budrich.
Rosa, H. (2005). Beschleunigung. Die Veränderungen der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Rosa, H. (2011). Entfremdung in der Spätmoderne. Umrisse einer kritischen Theorie der sozialen Beschleunigung. In C. Koppetsch (Hrsg.), Nachrichten aus den Innenwelten des Kapitalismus (S. 222–252). Wiesbaden: Springer VS.
Rosa, H. (2012). Resonanz statt Entfremdung: Zehn Thesen wieder die Steigerungslogik der Moderne. http://www.kolleg-postwachstum.de/sozwgmedia/dokumente/Thesenpapiere+und+Materialien/Thesenpapier+Krise+_+Rosa.pdf. Zugegriffen: 14. Feb. 2014.
Schier, M., & Jurczyk, K. (2007). „Familie als Herstellungsleistung“ in Zeiten der Entgrenzung. Aus Politik und Zeitgeschichte, 34, 10–17.
Schmidt, T. (2012). Gender und Genderregime. In Forschungsverbund sozioökonomische Berichterstattung (Hrsg.), Berichterstattung zur sozioökonomischen Entwicklung in Deutschland (S. 89–110). Wiesbaden: Springer VS.
Sellach, B., Enders-Dragässer, U., & Libuda-Köster, A. (2006). Besonderheiten der Zeitverwendung von Frauen und Männern. Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 1/2006. http://www.ipse-nrw.de/neu/tl_files/ipse/Wirtschaftsrechnungen_1_06.pdf. Zugegriffen: 14. Feb. 2014.
Senghaas-Knobloch, E. (2005). Fürsorgliche Praxis und die Debatte um einen erweiterten Arbeitsbegriff in der Arbeitsforschung. In I. Kurz-Scherf, L. Correll, & S. Janczyk (Hrsg.), In Arbeit: Zukunft. Die Zukunft der Arbeit und der Arbeitsforschung liegt in ihrem Wandel (S. 54–68). Münster: Westfälisches Dampfboot.
Statistisches Bundesamt. (2013). 70 % der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt. Pressemitteilung vom 18.1.2013. www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2013/01/PD13_024_224.html. Zugegriffen: 14. Feb. 2014.
Theobald, H. (2009). Restrukturierung informeller, familiärer Versorgung und Ungleichheitsdynamiken. Ergebnisse im internationalen Vergleich. Femina Politica, 18(1), 59–72.
Winker, G. (2007). Traditionelle Geschlechterordnung unter neoliberalem Druck. Veränderte Verwertungs- und Reproduktionsbedingungen der Arbeitskraft. In M. Groß & G. Winker (Hrsg.), Queer-|Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse (S. 15–49). Münster: Unrast.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2015 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Beckmann, S. (2015). Herrschaftszeiten – Genderdimensionen von Zeitverwendung und Zeitwohlstand. In: Freericks, R., Brinkmann, D. (eds) Handbuch Freizeitsoziologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01520-6_8
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-01520-6_8
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-01519-0
Online ISBN: 978-3-658-01520-6
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)