Zusammenfassung
Freizeitmuster in einer „pluralisierten Klassengesellschaft“ sind das Kernthema dieses Beitrags, der ein Panorama von verschiedenartigsten Praktiken und Lebensprinzipien in Deutschland entfaltet. Dieses ist nicht als eine strukturlose heterogene Vielfalt aufzufassen. Es hängt stattdessen, wie es in diesem Aufsatz anhand breiter empirischer Erhebungsergebnisse beschrieben wird, mit der Gliederung der Gesellschaft in soziale Milieus und ihre Teilgruppen zusammen. Darin folgt die Darstellung den soziologischen Konzepten des Milieus von Durkheim und des sozialen Raums von Bourdieu, die in der Milieuforschung weiterentwickelt worden sind. Offensichtlich sind die verschiedenen Formen des Freizeitverhaltens, als Teil der alltäglichen Lebensführung, nicht von jedem Individuum beliebig frei gewählt, sondern mit ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen, wie differenziert diese auch immer sind, verbunden. Vorgestellt werden verschiedene Milieus der Unter-, Mittel- und Oberschicht mit ihren jeweiligen Präferenzen für bestimmte Verhaltensweisen in der Freizeit und die damit verbundenen Dynamiken der Zugehörigkeit und der Distinktion. Abschließend werden im Kontext des sozialen Wandels erkennbare übergreifende Tendenzen diskutiert, wie beständige Traditionslinien in der Milieustruktur der Gesellschaft,die Veränderung von Milieugrenzen und das Auftreten neuer sozialer Gruppen. Ebenfalls angesprochen wird die Kultivierung feiner Unterschiede und Differenzierungen nach Alter, Geschlecht und Milieu über bestimmte Freizeitmuster und ein Spektrum sehr verschiedener Orientierungen, das von betont populären bis zu hochdistinktiven, von streng konventionellen bis zu offen erlebnisorientierten Praktiken reicht.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Similar content being viewed by others
Notes
- 1.
Vester et al. 2001, S. 37.
- 2.
- 3.
- 4.
- 5.
Zusammenfassende Einleitung nach: Vester et al. 2001, S. 511 ff.
- 6.
- 7.
- 8.
- 9.
- 10.
- 11.
- 12.
In der deutschen Übersetzung wird meist, in Anlehnung an das Französische, die Bezeichnung „Hysteresis-Effekt“ verwendet (vgl. Bourdieu 1982, S. 238 f., 334, 496).
- 13.
In den Stichproben waren, so Bourdieu, die „Ober- und Mittelklassen … überrepräsentiert“; Bourdieus Methoden waren auf die für diese Klassen wichtigen ästhetischen Dimensionen des Lebensstils der „legitimen Kultur“ bezogen und weniger auf die Dimensionen der „Moral- und Sittlichkeitsvorstellungen“ des „Alltagslebens oder der Privatsphäre“, die für die Volksmilieus wichtiger sind; Bourdieus eigenen Befragungen mit einer Stichprobe von 1.217 Befragten hatten 1963 und 1967/1968 stattgefunden, waren allerdings auch durch Sekundäranalysen späterer Umfragen und qualitative Analysen aus den 1970er Jahren ergänzt worden (ebd., S. 784 ff.).
- 14.
- 15.
Die Unterscheidung von drei hauptsächlichen Traditionslinien der Volksmilieus ist nicht vollständig neu, aber immer wieder durch das konservative Gesellschaftsbild, das nur eine „Masse“ und eine „Elite“ kennt, aus dem Bewusstsein verdrängt worden. Auch Marx und Engels unterschieden, in Anlehnung an ähnliche Unterscheidungen ihrer Zeit, im Kommunistischen Manifest von 1848 drei Fraktionen der lohnarbeitenden Klasse, die sich trotz ähnlicher äußerer Soziallage nach ihrem geschichtlichen Erfahrungshintergrund durch grundsätzlich verschiedene sozio-kulturelle Identitäten voneinander abgrenzten: die „kleinbürgerlichen“ Arbeiter, das „Lumpenproletariat“ und die modernen, interessenbewussten Fraktionen der Lohnarbeiter (1959 [1848], S. 465, 471 ff.). In ihrer großen Studie über das Gesellschaftsbild der Arbeiter unterschieden Popitz et al. (1957, S. 184 ff.) unter anderem Namen die gleichen drei Typen.
Literatur
Amann, W., Fehlen, F., & Mein, G. (2010). Sozio-kulturelle Milieus in Luxemburg. In IPSE – Identités, Sociétés, Espaces (Hrsg.), Doing Identity in Luxemburg. Subjektive Aneignungen – institutionelle Zuschreibungen – sozio-kulturelle Milieus (S. 37–61). Bielefeld: transcript.
Becker, U., Becker, H., & Ruhland, W. (1992). Zwischen Angst und Aufbruch. Das Lebensgefühl der Deutschen in Ost und West nach der Wiedervereinigung. Düsseldorf: Econ.
Bourdieu, P. (1982 [1979]). Die feinen Unterschiede. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Bourdieu, P. (1983). Ökonomisches Kapital, Kulturelles Kapital, Soziales Kapital. In R. Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten (S. 183–198). Göttingen: Schwartz.
Durkheim, É. (1961 [1894/1895]). Regeln der soziologischen Methode. Neuwied: Luchterhand.
Durkheim, É. (1988 [1893/1902]). Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Hartmann, M. (2002). Der Mythos von den Leistungseliten. Frankfurt a. M.: Campus.
Hradil, St. (1987). Sozialstrukturanalyse in einer fortgeschrittenen Gesellschaft. Von Klassen und Schichten zu Lagen und Milieus. Opladen: Leske + Budrich.
Lange-Vester, A. (2007). Habitus der Volksklassen. Kontinuität und Wandel seit dem 18. Jahrhundert in einer thüringischen Familie. Münster: LIT.
Marx, K., & Engels, F. (1959 [1848]). Manifest der Kommunistischen Partei. In Marx-Engels-Werke (Bd. 4, S. 457–493). Berlin: Dietz.
Popitz, H., Bahrdt, H.-P., Jüres, E. A., & Kesting, H. (1957). Das Gesellschaftsbild des Arbeiters. Tübingen: Mohr.
Schulze, G. (1992). Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt a. M.: Campus.
‚Sigma‘. (2003). Die sozialen Milieus in der Verbraucheranalyse. www.sigma-online.de.
‚Spiegel‘. (Hrsg.). (1996). Soll und Haben 4. Spiegel-Dokumentation, Hamburg.
‚stern‘. (Hrsg.). (2000). Marktprofile. Hamburg.
Ueltzhöffer, J., Flaig, B. B., & Meyer, Th. (1993). Alltagsästhetik und politische Kultur. Bonn: J. H. W. Dietz Nachf.
Vester, M. (2011). Klasse, Schicht, Milieu, In H. U. Otto & H. Thiersch (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit (4. Aufl., S. 769–795). München: Reinhardt Verlag.
Vester, M. (2013). Zwischen Marx und Weber: praxeologische Klassenanalyse mit Bourdieu. In A. Brake, H. Bremer, & A. Lange-Vester (Hrsg.), Empirisch Arbeiten mit Bourdieu (S. 130–195). Weinheim: Beltz Juventa.
Vester, M. (2014). Milieu als soziologisches Modell oder als historische Praxis? Milieu- und Klassenbegriff in der vergessenen klassischen Soziologie von Weber, Durkheim, Marx und Geiger. In J. Renn, P. Isenböck, & L. Nell (Hrsg.), Form des Milieus. Zum Verhältnis von gesellschaftlicher Differenzierung und Formen der Vergemeinschaftung, Sonderband der Zeitschrift für Soziologie (S. 222–257). Weinheim: Beltz Juventa.
Vester, M., von Oertzen, P., Geiling, H., Hermann, Th., Müller, D. (2001). Soziale Milieus im gesellschaftlichen Strukturwandel (Vollst. überarbeitete Fassung der 1993 im Bund-Verlag erschienenen 1. Ausgabe). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Weber, M. (1972 [1921]). Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. Tübingen: Mohr.
Wiebke, G. (2002). Das Gesamtbild: Zwanzig Datenprofile sozialer Milieus. In W. Vögele, H. Bremer, & M. Vester (Hrsg.), Soziale Milieus und Kirche (S. 275–409). Würzburg: Ergon.
Williams, R. (1972 [1958]). Gesellschaftstheorie als Begriffsgeschichte. Studien zur historischen Semantik von „Kultur“. München: Rogner & Bernhard.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Editor information
Editors and Affiliations
Rights and permissions
Copyright information
© 2015 Springer Fachmedien Wiesbaden
About this chapter
Cite this chapter
Vester, M. (2015). Die Grundmuster der alltäglichen Lebensführung und der Alltagskultur der sozialen Milieus. In: Freericks, R., Brinkmann, D. (eds) Handbuch Freizeitsoziologie. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-01520-6_6
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-01520-6_6
Published:
Publisher Name: Springer VS, Wiesbaden
Print ISBN: 978-3-658-01519-0
Online ISBN: 978-3-658-01520-6
eBook Packages: Humanities, Social Science (German Language)